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Märchenbasar

Die zwölf tanzenden Prinzessinnen

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Es war einmal ein armer Bursche, der sich seinen Lebensunterhalt mit harter Arbeit verdienen mußte. Die Bauern, bei denen er arbeitete, waren mit ihm zufrieden, und jeder beschäftigte ihn gern. Wenn er durch das Dorf ging, nickten sich die Mädchen zu und blickten ihm verstohlen nach, denn er hatte eine stattliche Figur. Sein Haar- schwarz wie Rabenfedern und lang wie eine Mähne-flutete um seinen Hals; wie ein Schatten sproß ein kleiner Bart auf seiner Oberlippe. Und Augen hatte er! Die waren so schön, daß sie alle Mädchen entzückten. Wenn die jungen Mädchen ihre Kühe zum Brunnen trieben, suchten sie einen Vorwand, um mit dem Burschen ins Gespräch zu kommen. Aber er beachtete sie nicht. Es schien, als merke er überhaupt nicht, daß sie da waren. Er sah weder nach rechts noch nach links, trieb seine Herde auf die Weide, und tat seine Arbeit weit besser wie jeder andere. Niemand begriff, wie er es anstellte, daß in seiner Herde die Kühe besser gediehen als woanders und mehr Milch gaben. Wo auch immer er sie weiden ließ, war das Gras dichter und saftiger. Er war ganz sicher unter einem glücklichen Stern geboren, zu etwas Besonderem ausersehen. Aber er selbst wußte nichts davon; es kam ihm niemals in den Sinn, sich auserwählt zu fühlen, und er ahnte nicht, wa die Zukunft für ihn bereithielt. Er war zufrieden mit sich, so wie er war, ging seiner Arbeit nach und trat niemanden weder durch Worte noch durch Taten in den Weg. Aber gerade deshalb hänselten ihn die anderen Burschen und nannten ihn Einfaltspinsel und Tölpel.

An einem schönen Frühölingstag war er müde vom Kühehüten und legte sich in den Schatten eines großen, dicht belaubten Baumes zum Schlaf nieder. Er befand sich in einem herrlichen Tal voller bunter Blumen und Kirsch-und Apfelbäumen in schönster Blütenpracht. In der Nähe, am Fuß eines Berges, plätscherte ein Bach, dessen lautes Murmeln den Hirten sanft einschläferte. Der Baum, in dessen Schatten er lag, war so groß, daß es schien, als würde er mit seinen Zweigen die Wolken berühren. In dem dichten Blattwerk zwitscherten viele Vögel und bauten ihre Nester. Ihr Gesang erfüllte jedes mit Freude. Kaum hatte der Hirt seinen Kopf in das Gras gelegt, da war er auch schon eingeschlummert. Nicht lange, so hatte er einen wunderschönen Traum. Ihm träumte, eine Fee, so schön wie nur irgendeine zwischen Himmel und Erde, trat zu ihm und trug ihm auf, an den Hof des Königs zu gehen, dort würde er sein Glück machen. Als er aufwachte, sagte er zu sich: “ Mein Lieber, was soll das bedeuten?“ Und er zerbrach sich den Kopf darüber. Den lieben langen Tag überlegte er, was dieser Traum bedeuten sollte, aber er konnte und konnte nicht hinter den Sinn kommen. Niemals kam ihm der Gedanke, daß es sein guter Stern sein könnte, der ihm den Weg zum Glück wies.

Am nächsten Tag, als er seine Kühe auf die Weide getrieben hatte, ging er wieder zu dem Baum, legte sich an seinem Fuße zum Schlafen nieder und träumte den gleichen Traum. Als er erwachte, sprach er zu sich: „Mein Lieber, das ist ja Zauberei!“ Und er war den ganzen Tag in Gedanken versunken. Am dritten Tag nahm er nochmals seinen Weg zu dem Baum, legte sich nieder und träumte erneut den gleichen Traum. Aber diesmal drohte ihm die Fee mit großem Unheil, wenn er sic h weigerte, das zu tun, was sie ihm auftrug. Sogleich stand er auf, trieb seine Kühe heim, sperrte sie in den Kuhstall und ging zu seinem Bauern.

„Bauer, eine innere Stimme sagt mir, daß ich in die Welt hinausgehen muß, um mein Glück zu machen. Ich habe Euch lange redlich gedient, nun laßt mich gehen und zahlt mir meinen Lohn aus.“ – „Warum willst du mich verlassen, Bursche? Bist du nicht zufrieden mit dem, was ich dir zahle? Hast du nicht genug zu essen? Bleib hier, ich werde dir im Dorf eine hübsche Frau mit ordentlichen Heiratsgut suchen. Es ist besser, du bleibst hier wie wir alle und läufst nicht als Vagabund durch die Welt.“-„Ja, Bauer, soweit man überhaupt zufrieden sein kann, bin ich es. Was das Essen angeht, so habe ich genug und kann mi ch darüber, weiß Gott, nicht beklagen. Aber es ist mit einemmal über mich gekommen, ich will in die Welt hinausziehen, und nichts kann mich davon abhalten.“- Als der Bauer sah, daß es zwecklos war, den Burschen zum Bleiben zu überreden, gab er ihm die wenigen Pfennige, die ihm zustanden. Dann verabschiedete sich der Bursche von ihm und machte sich gleich auf den Weg zu dem Königsschloß.

Er erreichte bald den Hof des Königs und fragte nach irgendeiner Arbeit. Als der Gärtner den stattlichen Burschen sah, nahm er ihn gern in seine Dienste. Zwar war seine Kleidung sehr ärmlich, wie man es sich bei einem Kuhhirten denken kann; aber der Gärtner ließ ihn erst ein Bad nehmen und gab ihm dann neue Kleider, die ihm gut zu Gesicht standen. Er sah richtig schmuck darin aus. Neben der üblichen Gartenarbeit war seine Hauptaufgabe, jeden Tag zwölf kleine Blumensträuße zu binden und sie den zwölf Töchtern des Königs zu überreichen, wenn sie zu ihrem Morgenspaziergang in den Garten kamen. Diese zwölf Prinzessinnen waren verzaubert, und sie konnten nicht eher heiraten, bis ein Mann, das Geheimnis ihrer Verzauberung herausfand und eine von ihm in Liebe zu ihm entbrannte. Sie gingen leidenschaftlich gern zum Tanzen, und jede Nacht zertanzte jede von ihnen ein paar weiße Seidenschuhe, aber niemand hatte auch nur die mindeste Ahnung, wo es geschah. Der König war traurig über das viele Geld, das er für die Tanzschuhe seiner Töchter ausgeben mußte, aber noch betrübter war er über ihre Kaltherzigkeit, denn niemand von den vornehmen Söhnen des Landes, die als Freier auf da Schloß kamen, fand Gnade vor ihnen. Deshalb erließ er eine Bekanntmachung, daß jeder, der herausfände, wo seine Töchter so viele Schuhe zertanzten, sich eine Prinzessin nach seiner Wahl zur Frau nehmen könne, sei er ein König oder ein Bettler. Jedermann wußte, daß die Prinzessinnen nachts zusammen in ein Zimmer geführt wurden, das mit neun Eisentüren mit schweren Schlössern davor verschlossen wurde. Aber niemand wußte, wo sie ihre Schuhe zertanzten, denn keiner hatte sie jemals aus dem Zimmer kommen sehen. auf den Aufruf des Königs meldeten sich die Königssöhne und Grafensöhne, Söhne von Edelleuten und Söhne von geringerem Stand. Jeder, der kam, stand eine Nacht Wache vor der Tür des Prinzessinnengemachs, und jeden Morgen wartete der König ungeduldig auf das Ergebnis. Aber immer wurde ihm gemeldet, daß der junge Mann verschwunden sei, und keiner konnte sich erklären, was geschehen war. Nicht eine Spur war von ihm zu finden.

In kurzer Zeit war es elf Männern so ergangen, und nun verloren die anderen den Mut. Keiner mochte mehr Wache halten, und einer nach dem anderen machte sich wieder auf den Heimweg, denn sie wollten ihr Leben nicht für ein Mädchen aufs Spiel setzen. Den König erfüllte es mit Schmerz, daß die elf jungen Leute vor dem Zimmer seiner Töchter verschwunden waren, und er glaubte nun, sich damit abfinden zu müssen, täglich zwölf Paar neue Schuhe zu kaufen. Aber er grämte sich, daß seine Töchter alt werden sollten, ohne daß jemals ein Brautkranz sie geschmückt hätte. Alt und grau würden sie noch vor dem Spiegel sitzen und ihr Haar flechten. Der junge Gärtner versah indessen seine Arbeit aufs beste. Die Prinzessinnen freuten sich über seine Blumensträuße, und der Obergärtner freute sich über die Geschicklichkeit der Burschen. Wenn der Bursche die Blumen überreichte, sah er niemals auf, um die Prinzessinnen anzuschauen. Aber wenn er der jüngsten Prinzessin den Strauß übergab, errötete er wie eine Pfingstrose, und sein Herz schlug, als ob es zerspringen wollte. Natürlich merkte es die Prinzessin, und sie glaubte, das käme von seiner Schüchternheit.

Jeden Tag erging es ihm so, aber er wußte auch, daß eine so wunderschöne Prinzessin nicht für ihn bestimmt war, und er ärgerte sich, daß sein Herz so ungestüm klopfte. Aber er hätte er gern für eine Nacht vor ihrer Tür gestanden. Doch dann dachte er wieder an die elf anderen, die nicht wiedergekehrt waren, und auch daran, daß er vielleicht seine Arbeit verlieren und gar vom Königshof gewiesen könnte. Dann gäbe es vielleicht keine Möglichkeit mehr für ihn, die Prinzessin zu sehen. Denn er war so verzaubert von dem Liebreiz und der Schönheit der Prinzessinnen, und ganz besonders von den freundlichen Augen der Jüngsten, daß er glaubte, das Leben wäre nicht mehr lebenswert, wenn er nicht jeden Morgen ihre schneeweißen Finger berühren könnte.

Eines Nachts, als er mit den Gedanken an die Prinzessin eingeschlafen war, kam im Traum wieder die Fee zu ihm, die ihm damals im Tal erschienen war. Sie sagte zu ihm: „Geh in den östlichen Winkel des Gartens, dort wirst du zwei junge Lorbeerbäume sehen; der eine ist karminrot, der andere rosa. Daneben wirst du eine goldene Harke, eine goldene Gießkanne und ein silbernes Handtuch finden. Nimm die beiden jungen Bäume, pflanze sie in zwei schöne Töpfe, lockere die Erde mit der goldenen Harke und gieße sie mit der goldenen Kanne. Dann trockne sie mit dem silbernen Handtuch ab. Hüte sie wie das Licht deiner Augen; denn wenn sie Mannshöhe erreicht haben, werden sie dir jeden Wunsch erfüllen, den du an sie richtest.“ – Nachdem sie ihm diese genauen Anweisungen gegeben hatte, verschwand die Fee wieder, bevor noch der junge Gärtnersbursche sich bei ihr bedanken konnte. Er nahm sich kaum Zeit, sich den Schlaf aus den augen zu reiben und die Müdigkeit abzuschütteln, sondern stürmte sogleich hinaus in den Garten. Er fand alles so vor, wie die Fee es ihm beschrieben hatte, und stieß einen lauten Freudenruf aus. Er zwickte sich, um sich zu überzeugen, daß er nicht mehr träumte, streckte seine Hand aus und griff vorsichtig nach den jungen Bäumen. Von nun an pflegte er sie aufs beste, hackte die Erde mit der golden Harke, wässerte sie mit der goldenen Gießkanne und trocknete sie mit dem silbernen Handtuch ab. Er behütete sie wirklich so, als wären sie sein Augenlicht, wie die Fee es ihm befohlen hatte. Die Lorbeerbäume wurden schnell groß und kräftig, und in kurzer Zeit waren sie zu stattlicher Höhe herangewachsen. Niemals zuvor hatte man zwei so schöne Bäume gesehen.

Als sie die Größe eines Mannes erreicht hatten, ging der Bursche zu dem karminroten Baum und sprach zu ihm wie es ihn die Fee gelehrt hatte: „Lorbeerbaum, Lorbeerbaum,ich habe deine Erde mit einer goldenen Harke gelockert, ich habe dich mit Wasser aus der goldenen Kanne besprengt und mit einem silbernen Handtuch abgetrocknet. Jetzt, bitte, erfülle mir den Wunsch: Zu jeder Zeit möchte ich mich unsichtbar machen können.“ – Verwundert sah er, wie sogleich eine Knospe des Baumes keimte; sie wuchs schnell, brach auf und entfaltete sich zu einer Blüte von solcher Schönheit, daß der Gärtnersbursche sich herabbeugte, um ihren Duft einzuatmen. Er streckte die Hand aus, brach die Blüte und steckte sie in sein Knopfloch. Am Abend als die Prinzessinnen eingeriegelt und eingeschlossen wurden, machte er sich unsichtbar und betrat mit ihnen das Zimmer. Da sah er, daß sie nicht schlafen gingen,sondern sich zum Ausgehen zurechtmachten: Sie kämmten ihr Haar und zogen prächtige Ballkleider an. Er war fest entschlossen, in ihrer Nähe zu bleiben, um zu sehen, wie sie aus dem Zimmer kamen, wohin sie gingen und was sie tun würden. Endlich sagte die älteste Prinzessin: „Seid ihr fertig, Mädchen?“- „Wir sind ferig“, antworteten die Schwestern. Darauf klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden, und sogleich öffnete er sich, durch diese Öffnung gingen sie alle und kamen zu einer kupfernen Mauer. Als sie davor standen, stampfte die älteste Prinzessin wieder mit dem Fuß auf, und diesmal öffnete sich ein kupfernes Tor. Während sie durch das Tor schritten, trat der Gärtnersbursche versehentlich auf die Schleppe der jüngsten Prinzessin. Erschrocken drehte sie sich um, und als sie hinter sich niemanden sah, rief sie ihren Schwestern zu: „Schwestern, ich glaube, es folgt mir jemand; ich spürte, wie einer auf meine Schleppe trat.“ Die Schwestern blickten umher, aber da sie niemanden erblickten, sagten sie: „Sei nicht töricht, Schwester, hier ist niemand. Wer sollte uns folgen? Nicht einmal ein verzauberter Vogel könnte diesen Weg finden. Du mußt besser aufpassen, damit dein Kleid nicht an einem Dornbusch hängen bleibt. Sei nicht immer so ängstlich! Vielleicht hat sich auch ein Tier in deinem Kleid verfangen.“ Die jüngste Prinzessin schwieg dazu; der Bursche aber blieb unsichtbar dicht hinter ihr.

Nun schritten sie durch einen Wald, dessen Blätter ganz aus Silber waren. Dann durchquerten sie einen anderen Wald mit Blättern aus lauter Gold, und danach einen dritten, dessen Blätter waren aus diamanten und funkelnden Edelsteinen. Endlich erreichten sie einen großen See; in dessen Mitte ragte ein Berg heraus, und auf dem Gipfel des Berges stand ein Schloß, so schön, wie es der Bursche nicht einmal im Traum gesehen hatte. Selbst das Schloß des Königs war ärmlich gegen diese gleißenden Mauern, die heller als die Sonne leuchteten. Aber es lag ein Zauber auf ihnen: Wer die Mauer erklomm, nahm an, er steige nach unten, und wer ihn herabstieg, glaubte, er ginge aufwärts. Am Seeufer warteten zwölf goldgekleidete Ruderer mit ihren Booten, und jede Prinzessin stieg in ein Boot, das sofort vom Ufer abstieß. Der unsichtbare Gärtnerbursche fuhr im Boot der jüngeren Prinzessin mit. Sanft glitten die Kähne über das Wasser; nur der mit der jünsten Prinzessin blieb ein wenig zurück; und dem Rudere schien es, als wäre das Boot heute schwerer als sonst. Er mußte sich richtig in die Riemen legen, um nicht zurückzubleiben.

Als sie den Berg inmitten des Sees erreicht hatten, drang eine Musik an ihre Ohren, die jeden, der sie hörte, zum Tanzen zwang. Die Prinzessinnen huschten schnell in das Schloß und begannen sogleich mit den jungen Herren, die dort warteten, zu tanzen, der Gärtnersbursche immer in ihrer Nähe. Er traute seinen Augen kaum: Der Ballsaal war so unermeßlich groß, daß man kaum von einem Ende zum anderen sehen konnte; die Wände waren mit Gold und Edelsteinen verziert, und in den goldenen Kerzenhaltern brannten Wachskerzen, die so dick waren wie ein Mann und den Saal taghell erleuchteten.

Zuerst blieb der Gärtnersbursche in einer Ecke stehen, um all das Wunderbare zu bestaunen. Aber es hielt ihn auf die Dauer nicht ruhig in seinem Winkel, er erhob sich und wirbelte auch umher, denn bei dieser Musik mußte man eben tanzen und springen. Sogar die Tische und die Sessel und die Leuchten bwegannen zu tanzen. Orgeln, Flöten, Gitarren, Fagotte, Dudelsackpfeifen und jedes Instrument, das man sich nur denken kann, spielten so schön, wie es die besten Musiker der Welt nicht besser könnten. Und dann die Rundtänze! Die Prinzessinnen ließen nicht einen aus und wirbelten wie lodernde Flammen umher, die schließlich in Rauch aufgehen. Bis zum Tagesanbruch tanzten sie einen Reigen nach dem anderen, und ihre Schuhe fielen in Fetzen von den Füßen. Die Musik brach ab, und plötzlich stand mitten im Saal eine Tafel, die sich unter den leckeren Dingen der Welt bog. Alles setzte sich und aß und trank nach Herzenslust von dem, was die Diener ihnen in ihren reich bestickten Gewändern zureichten. Der Gärtnersbursche zog sich wieder in eine Ecke zurück und sah dem Treiben von weitem zu. Dabei lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Als die Tafelrunde zu Ende war, kehrten die Prinzessinnen auf genau demselben Weg heim, auf dem sie gekommen waren, der Gärtnersbursche wieder dicht hinter ihnen.

In dem Walde, wo alle Blätter aus Silber waren, brach er einen Zweig ab, der über ihm hing. Da ging ein heftiges Erschauern durch den ganzen Wald, und es bogen sich die Bäume; aber nicht ein einziges Blatt fiel von den Zweigen. Die Mädchen erschraken. – „Was kann das sein, älteste Schwester?“ – „Was wird es schon sein“, antwortete die Älteste. – „Der kleine Vogel, der sein Nest in unserer Schloßkirche hat, wird durch die Blätter geflogen sein, denn nur er kann hierher.“ Die Mädchen gingen weiter und betraten ihr Zimmer auf demselben Weg, auf dem sie es verlassen hatten.

Am nächsten Morgen, als der Gärtnersbursche den Königstöchtern wie immer die Blumensträuße überreichte, hatte er den Silberzweig geschickt zwischen den Blüten für die jüngste Prinzessin verborgen. Sie wunderte sich sehr darüber, als sie ihn erblickte, denn sie konnte sich nicht erklären, wie dieser Zweig zwischen ihre Blumen gekommen sein konnte. Am nächsten Abend geschah das gleiche. Der Bursche folgte den Prinzessinnen wieder heimlich, nur nahm er diesmal einen Zweig aus dem Goldwald mit, um ihn zwischen die Blum der jüngsten Schwester zu binden. Und wieder besänftigte die älteste Schwester die Furcht der anderen, als die Bäume des Waldes dabei erzitterten

Am Morgen darauf empfing die jüngste Prinzessin zusammen mit ihren Blumen den goldenen Zweig, und ihr Herz begann heftig zu schlagen. Sie wartete einen günstigen Augenblick ab, und unter dem Vorwand, einen Spaziergang zu machen, ging sie in den Garten. Als sie den Gärtnerburschen traf, fragte sie ihn: „Woher hast du diesen Zweig, den du zwischen meine Blumen gebunden hast?“ – „Ihr wißt das nur zu gut, Prinzessin.“- „Soll das heißen, daß du uns gefolgt bist und weißt, wohin wir jede Nacht gehen!“ – „Wie machst du das, daß nicht eine von unsdich gesehen hat.“ – „Das ist mein Geheimnis.“ – „So nimm dieses Gold und sag niemanden ein Wort über deine nächtlichen Entdeckungen.“ – „Ich verkaufe mein Schweigen nicht, Prinzessin.“ – „Wenn ich höre, daß du darüber ein Wort verlauten läßt, werde ich dir den Kopf abschlagen lassen!“ sagte die Prinzessin.

Aber während sie hoheitsvoll auftrat, empfand sie in ihrem Herzen Zärtlichkeit für ihn. In der dritten Nacht folgte er den Schwestern erneut, unsichtbar wie bisher, und brach in dem Diamantenwald einen Zweig. Wieder ging eine Bewegung durch den ganzen Wald, und noch einmal beruhigte die Älteste ihre ihre jüngeren Schwester mit tröstenden Worten. Aber als das geschah, erfüllte das Herz der jüngsten Schwester eine nie gekannte Glückseligkeit. Als sie am anderen Tag mit dem diamanten Blättern zwischen ihre Blumen fand, sandte sie einen heimlichen Blick zu dem Gärtnersburschen und fand, daß er sich kaum von dem Sohn eines Edlen oder eines Königs unterschied, so anziehend und wohlgestaltet wirkte er. Auch der Gärtnersbursche blickte verstohlen zu der Prinzessin und sah, daß sie nachdenklich und versonnen dreinschaute. Er tat jedoch, al bemerke er es nicht, und ging wie immer seiner Arbeit nach. Die anderen Schwestern hatten die beiden beobachtet und machte sich über die jüngste Schwester lustig, aber diese schwieg zu allem und verbarg ihr Glück. Als die Schwestern wieder im Schlosse beisammen saßen, erzählte ihnen die jüngste alles, was sie von dem Gärtnersburschen wüßte. Da steckten sie ihre Köpfe zusammen und heckten einen Plan aus, wie er sein Herz und seine Seele verlieren solle, genauso wie die anderen elf jungen Männer. Er war ihnen jedoch unsichtbar gefolgt und hatte sie belauscht. Als er alles vernommen hatte, ging er zu dem Lorbeerbaum und sagte zu dem rosenfarbigen: „Lorbeerbaum, Lorbeerbaum! Ich habe deine Erde mit einer goldenen Harke gelockert, ich habe dich mit Wasser aus einer goldenen Kanne besprengt und mit einem silbernen Handtuch abgetrocknet. Jetzt bitte ich dich: Gib mir Klugheit und Reichtum.“ Da sprang eine dicke Knospe an dem Baume auf und entfaltete sich zu einer herrlichen Blüte. Er pflückte sie und legte sie an sein Herz. Im gleichen augenblick verschwanden die Sommersprossen auf seiner Haut, und sie wurde rein und zart wie bei einem Königssohn. Er fühlte, wie etwas in seinem Kopf vorging, was er sich nicht erklären konnte und ihn die Dinge um sich her mit anderen Augen sehen ließ. Und er stand in ein glänzendes Wams gekleidet da, genau wie ein Königsohn.

Da ging er zu dem König und bat um die Erlaubnis, eine Nacht vor der Tür des Prinzessinnengemach zu wachen. Der König hatte mitleid mit seiner Jugend und versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Aber der Bursche ließ sich nicht beirren, und so gab der König schließlich seine Einwilligung. Er ahnte natürlich nicht, daß der Gärtnersbursche vor ihm stand, so hatte er sich verändert. Als der König ihn seinen Töchtern vorstellte -man kann es kaum glauben – erkannte ihn keine. Nur die jüngste ahnte, wer vor ihr stand, denn ihr Herz schlug bei seinem Anblick schneller.

Als sie in dieser Nacht zum Tanz fortgingen, nahmen sie ihn mit. Sie erreichten wieder das verzauberte Schloß und tanzten fast bis zum Morgengrauen, ehe sie sich niedersetzten, um zu essen. Dabei wurde ihm der Trunk gereicht, der ihn alles vergessen machen sollte, ebenso wie es den anderen anderen elf jungen Männern vor ihm geschehen war. Da wandte er sich mit wehmütigem Blick zu der jüngsten Prinzessin und sagte mit zitternder Stimme: „Wünscht Ihr, daß ich trinke?“ Ich bin bereit, aus Liebe zu Euch zu sterben, wenn Ihr so herzlos sein!“ – „Nein, mein Herz ist nicht kalt. Das Feuer Eurer Liebe hat es erwärmt. Trinke nicht! Ich will lieber die Frau eines Gärtners sein als ohne Liebe die Tochter eines Königs.“

Alle Anwesenden hatten gehört, was die zwei sprachen. Da verging der Zauber plötzlich, das Schloß verschwand wie ein Spuk, und die Prinzessinnen und ihre Freier befanden sich auf dem Hof des Königs wieder. Als der König sie so plötzlich vor sich sah, war er sprachlos vor Erstaunen und strich sich mit beiden Händen den Bart. Nachdem ihm der Gärtnersbursche alles über die nächtlichen Abenteuer erzählt hatte, gab er ihm die jüngste Tochter zur Frau, und danach willigte er in die Heirat seiner anderen Töchter mit den elf Söhnen der Könige und Edlen ein. Er versprach allen sie in ihr eigenes Reich zu bringen.

Über all das gab es große Freude im ganzen Land, so große Freude, daß hundert Zungen nicht imstand wären, sie zu beschreiben. Zu Hochzeitsfeier kamen hunderte von Gästen, Musikanten spielten auf, die Tische bogen sich unter der Last der Speisen und Getränke. Alle waren froh, daß die Prinzessinnen endlich verheiratet werden sollten, und viele wollten wissen, wie es denn zu dieser Hochzeit gekommen sei, nachdem doch früher alle Bewerber um die Hand einer Prinzessin verschwunden waren.

Am Hochzeitsabend fragte auch die jüngte Prinzessin ihren Verlobten, wie er den geheimen Zauber und ihr nächtliches Entweichen entdeckt habe, und er erzählte ihr die ganze Geschichte. Aber sie wollte nicht einen Mann mit überirdischen Kräften heiraten, sondern wünschte sich einen ganz gewöhnlichen Mann. Deshalb begab sie sich in die Ecke des Gartens, wo die Lorbeerbäume standen, schlug sie um und steckte sie ins Feuer. Schließlich waren alle verheiratet und lebten glücklich miteinander, bis sie zusammen alt wurden.

Quelle: Petre Ispirescu 1872 „Rumänisches Märchen.“

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