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Märchenbasar

Drei Erbsen

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Ein alter Mann war so arm, daß er nicht einmal genügend trocken Brot besaß, um seinen einzigen Sohn zu sättigen. „Söhnchen!“ sagte er deshalb. „Suche dir woanders dein Glück, zieh in die Welt hinaus, aber merke dir: Das erste, was dir in den Weg kommt, mußt du aufheben und gut verwahren.“ So nahmen sie Abschied voneinander, der Vater blieb daheim, und der Sohn zog mit dem Quersack an der Schulter über die staubige Landstraße davon. Plötzlich sah er eine Erbse auf der Straße liegen. Eingedenk der Worte seines Vaters hob er sie auf und steckte sie in seinen Quersack. Dann ging er weiter, fand eine zweite Erbse und hob sie ebenfalls auf, und gegen Abend fand er eine dritte. Bei Dunkelheit kam er an ein großes Schloß und bat um ein Nachtlager. „Für eine Nacht wollen wir dich aufnehmen“, sagte die Schloßherrin und musterte den schönen Jüngling. Er gefiel ihr, aber noch besser gefiel er der neben ihr stehenden Tochter. „Unser Gast sieht eigentlich gar nicht wie ein armer Landstreicher aus“, sagte die Schloßherrin beim Abendessen zu ihrem Mann, dem Grafen. „Ich habe das Gefühl, daß er um unsere Tochter freien will und sich als armer Wanderer verkleidet hat, um sich gründlicher bei uns umsehen zu können. Darum würde es wohl nicht schaden, ihn auf die Probe zu stellen.“ Sie befahl dem Diener, dem Gast ein hartes Nachtlager zu bereiten, sich darunter zu verstecken und ihn die ganze Nacht über zu belauschen. „Sollte er wirklich ein armer Landstreicher sein, dann wird er wie ein Toter schlafen. Ist er hingegen von vornehmer Geburt, dann wird er sich stundenlang herumwälzen“, sagte sie. Dem Jüngling wurde das Lager bereitet, wie sie es angeordnet hatte, er entkleidete sich, legte sich hinein und schob sich den Quersack, seinen einzigen Besitz, vorsichtshalber unter den Kopf.
Da aber der Quersack nicht fest zugebunden war, rollten die drei Erbsen heraus und ihm unter den Rücken. Er suchte sie, steckte sie wieder hinein. Doch während er die zweite hineinsteckte, rollte die erste wieder heraus, und während er die dritte hineinsteckte, rollte die zweite wieder heraus. Auf diese Weise plagte er sich die ganze Nacht mit den Erbsen herum und tat kein Auge zu. „Nun, wie hat er geschlafen?“ fragte die Schloßherrin am nächsten Morgen. „Er hat sich die ganze Nacht dermaßen herumgewälzt, daß ich fürchtete, das Bett kracht zusammen!“ meldete der Diener. „Aha! Demnach scheint er wirklich kein Landstreicher zu sein!“ rief die Schloßherrin erfreut und beschloß, den Gast tagsüber dazubehalten und ihn zum zweitenmal auf die Probe zu stellen. So lud sie den Jüngling freundlich ein, noch einen Tag im Schloß zu bleiben, und führte ihn nach einem reichlichen Abendmahl in das beste Zimmer, wo ein weiches, bequemes Bett stand. Ei, hier scheint’s mir ja von Tag zu Tag besser zu gehen! sagte sich der Jüngling! Man sieht doch auf den ersten Blick, daß ich mich in einem anständigen Haus befinde. Nein, hier brauche ich den Quersack nicht unter den Kopf zu legen und die ganze Nacht hindurch nach Erbsen zu suchen; hier kann ich mich gründlich ausschlafen! Er hängte den Quersack an einen Nagel, zog sich aus und versank in einen tiefen Schlaf. „Na, wie war’s?“ fragte die Schloßherrin am nächsten Morgen den Diener, der wieder unter dem Bett gewacht hatte. „Er hat die ganze Nacht hindurch felsenfest geschlafen!“ meldete dieser. „Ich hab doch gewußt, daß er kein Landstreicher ist!“ rief sie triumphierend. „Hinter seinen ärmlichen Kleidern verbirgt sich mindestens ein vornehmer Herr, vielleicht gar ein Prinz!“ Und sie eilte, um Mann und Tochter diese Neuigkeit mitzuteilen.
Nach dem Frühstück bedankte sich der Jüngling bei dem Grafen für die freundliche Aufnahme und wollte aufbrechen. „Wohin, Verehrtester?“ fragte der Graf. „In die weite Welt hinaus.“ — „Nun, wenn’s so ist, dann lassen wir dich nicht fort. Du weißt ja, ich habe eine Tochter, die im Alter zu dir paßt. Du hast sie gesehen, hoffentlich gefällt sie dir, und wenn du einverstanden bist, vermähle ich dich noch heute mit ihr! Danach könnt ihr ja leben, wo ihr wollt!“ Diese überraschende Werbung verdutzte den Jüngling; aber er faßte sich schnell und willigte ein. Noch am selben Tage wurden sie vermählt. Die Hochzeit dauerte vierzig Tage und vierzig Nächte, alle waren von Herzen fröhlich, und der arme Jüngling vergaß in seinem Glück ganz und gar, was ihn in Zukunft erwartete.
Am einundvierzigsten Tage rief die Schloßherrin ihn zu sich. „Nun, Söhnchen!“ sagte sie. „Das Fest ist zu Ende, es wird Zeit, daß du der Braut dein Schloß zeigst. Macht euch morgen auf die Reise.“ — >Ich habe doch gar kein Schloß!< hätte der Ärmste beinahe ausgerufen. Aber er biß sich noch rechtzeitig auf die Zunge und nickte. Dennoch merkte die Schloßherrin, daß seine Freude wie weggeblasen war. „Fällt es dir so schwer, uns zu verlassen?“ fragte sie freundlich. „Laß den Kopf nicht hängen, lieber Eidam, wir können uns bald wiedersehen. Ihr braucht ja nur ein kurzes Weilchen im Schloß deines Vaters zu bleiben, dann kehrt ihr wieder zu uns zurück.“ Am folgenden Tag wurden drei Säcke mit Hafer für die Pferde und ein Sack mit Geld für die Reisekosten in der Kutsche verstaut. Das junge Paar setzte sich hinein, zwei Diener kletterten auf den Bock, und die Reise begann.
Gegen Abend bog die Kutsche in einen wilden Wald ein, und die junge Frau fragte ihren Mann, ob es bis zu seinem Schloß noch weit wäre. „Noch sehr weit“, antwortete er traurig. „Du hast viel Zeit zum Schlafen, bevor wir ankommen.“ Und nachdem sie eingeschlafen war, sprang er aus der Kutsche und war mit einem Satz im Dickicht verschwunden. Lieber sterben als ihr die Wahrheit sagen! dachte er. Aber kaum hatte er einige Schritte getan, da kam ihm ein mondweißer Greis entgegen und fragte: „Wohin willst du mitten in der dunklen Nacht, Söhnchen?“ — „Ich will mir das Leben nehmen!“ antwortete der Jüngling und sagte dem Alten auch den Grund. „Fasse Mut, Söhnchen!“ sprach der Greis lächelnd. „Setz dich wieder in die Kutsche und fahre mit deiner jungen Frau weiter. Nach kurzer Zeit werdet ihr zu meinem Schloß kommen. Ich kehre erst nach einem Jahr zurück, und bis dahin kannst du dort der Schloßherr sein. Aber merke dir: Wenn ich mich bei meiner Heimkehr dem Schloß nähere, werden die Mauern erzittern. Dann mußt du mit deiner Frau sofort fliehen. Falls ihr zögert, hat euer letztes Stündlein geschlagen.“ Der Jüngling dankte dem Greis und ging zur Kutsche zurück, die wartend auf der Landstraße hielt. Seine junge Frau war inzwischen erwacht und spähte angstvoll nach ihm aus. „Ich fürchtete, wir hätten uns verirrt“, sagte er beruhigend. „Aber jetzt sehe ich, daß wir auf dem richtigen Wege sind und bis zu meinem Schloß nicht mehr lange zu fahren haben.“ Schon nach kurzer Zeit näherten sie sich einem großen, hell erleuchteten Schloß. Am Tor standen viele schön gekleidete Diener, die ihre neue Herrschaft mit unzähligen Verbeugungen und Glückwünschen begrüßten. „Oh, dein Schloß ist ja noch viel prächtiger als das unsrige!“ rief die junge Frau und freute sich, daß sie ihrer scharfsichtigen Mutter gehorcht und einen Mann geheiratet hatte, der wie ein Landstreicher aussah.
Unmerklich verflossen die Wochen und Monate. Das junge Paar führte ein glückliches, sorgenloses Leben. Dann aber ging das Jahr zu Ende, und eines Tages zitterte das Schloß in allen Fugen. Erst jetzt fiel dem Jüngling wieder ein, was ihm der Greis anbefohlen hatte. Er wollte die Flucht ergreifen, aber ausgerechnet in diesem Augenblick war seine Frau nicht zu finden. Er rannte von einem Zimmer ins andere, vom Keller in die Vorratskammer, von dort auf den Dachboden und wieder zurück in den Keller, aber sie war wie von der Erde verschlungen. Im Keller kramte ein widerliches altes Weib herum, das starrte ihn unverwandt mit unheimlichen Augen an. Doch ließ er sich nicht davon einschüchtern, denn die Sorge um seine junge Frau war allzu groß. „Weißt du vielleicht, wo meine Frau ist, Mütterchen?“ fragte er höflich. „Ich habe schon das ganze Schloß abgesucht, kann sie jedoch nirgendwo entdecken. Und dabei muß sie doch sterben, falls sie das Schloß nicht dem Eintreffen des Besitzers verlassen hat.“ — „Gräme dich nicht, Söhnchen“, antwortete die Alte. „Geh zur Köchin und befiehl ihr, siebenmal gesiebtes Mehl aus der Mühle zu holen, daraus siebenmal den Teig zu kneten, daraus ein Brot zu formen, es siebenmal durchzubacken und es vor das Schloßtor zu legen. Das übrige ist dann nicht mehr deine Sorge.“ Zweimal hat mir das Glück gelächelt, vielleicht hilft es mir auch zum drittenmal dachte der Jüngling, beruhigte sich und ging zur Köchin, um ihr aufzutragen, was das alte Weib gesagt hatte. Und als er das getan hatte, bebte das Schloß wieder, daß die Wände barsten. Das Schloß kann noch hundertmal einstürzen, bevor das Brot fertig ist! dachte der Jüngling. Aber komme, was da mag, besser ich sterbe, als daß ich meine liebe Frau dem öffentlichen Gelächter preisgebe, wenn herauskommt, daß sie einen armen Landstreicher geheiratet hat.
Inzwischen hatte die Köchin das Brot gebacken und vor das Tor gelegt, wie ihr auf getragen worden war. Und just im rechten Augenblick. Schon näherte sich ein gewaltiger siebenköpfiger Drache, aus dessen sieben Rachen sieben Zungen züngelten. „In meinem Schloß riecht es nach Menschenfleisch!“ schrie er schon von weitem mit fürchterlicher Stimme, und aus jedem seiner sieben Rachen zuckte eine sieben Ellen lange Flamme. „He, du mein Eisentor! Warum öffnest du dich nicht? Hast du deinen Herrn nicht erkannt?“ fauchte er, als er vor dem Tor angelangt war. Da begann das siebenmal durchgebackene Brot zu reden und sprach: „Drache, du vergeudest nur deine Zeit. Willst du in dies Schloß hinein,: dann laß dich zuvor siebenmal säen, siebenmal mähen, siebenmal dreschen, siebenmal kneten, siebenmal durchbacken. und wenn nicht, dann mach, daß du wegkommst!“
Diese Dreistigkeit brachte den Drachen zur Raserei, und er warf sich mit aller Kraft gegen das Tor. Das Schloß drehte sich dreimal um sich selbst, aber das Tor sprang nicht auf. Wieder warf sich der Drache dagegen, diesmal mit einer derartigen Kraft, daß sich das Schloß sechsmal um sich selbst drehte. Doch das Tor blieb verschlossen. Da warf sich der Drache zum drittenmal dagegen, und so heftig, daß er in kleine Stücke zerplatzte. Auf diese Weise blieb dem armen Jüngling das Drachenschloß erhalten.

Quelle:

(Märchen aus Jugoslawien)

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