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Es war einmal ein Vater, der hatte zwölf Söhne. Jeden Tag gab er jedem je einen Groschen, dafür kauften sie sich Speise und Trank, soviel sie brauchten. Einmal aber hatten alle einen Groschen zuviel ausgegeben und sagten zum Wirt, der Vater werde zahlen. Da sahen sie plötzlich den Vater zum Wirtshaus kommen und bekamen Angst, er würde sie schlagen; darum liefen sie dem Vater weg und ließen sich bei den Husaren anwerben. Dort gefiel es ihnen aber nicht und sie beschlossen, mit ihren Pferden und ihrer ganzen Ausrüstung zu entlaufen. Auf ihrer Wanderung kamen sie an ein verwunschenes Schloß, dort fanden sie für zwölf gedeckt, für zwölf Pferde Heu und alles für zwölf. Nun aßen sie. Auf einmal kamen zwölf verwunschene Mädchen, alle schwarz. Die wollten die zwölf Burschen töten, aber da es Brüder waren, taten sie es nicht, nur sollten die zwölf Brüder sie erlösen. Die zwölf fragten gleich, wie sie das machen sollten, und die Mädchen antworteten, sie dürften sieben Jahre lang nicht sprechen; auch gaben sie an, wo sie sich jedes Jahr treffen wollten, um zu sehen, ob sie noch am Leben wären. Darauf gingen die Brüder fort, und keiner sprach ein Wort mehr. Nach dem ersten Jahre kamen sie wieder zusammen und sahen, daß den Mädchen die Köpfe weiß geworden waren; im nächsten Jahr fanden sie Kopf und Hals weiß, im dritten Kopf, Hals und Schultern, im vierten Kopf, Hals, Schultern und Arme, im fünften Kopf, Hals, Schultern, Arme und Leib, im sechsten Kopf, Hals, Schultern, Arme, Leib und die Beine bis zum Knie abwärts. Im siebenten Jahre kamen sie wieder zusammen, an ihrer Schweigezeit fehlte nur noch eine Viertelstunde, aber jetzt rief der älteste: »Ich kann nicht länger schweigen«, und nach ihm fingen alle an zu sprechen außer dem jüngsten. Da kamen die Mädchen ganz schwarz, jede hatte ein Schwert und erstach den Burschen, der zu ihr gehörte, nur die jüngste erstach ihren nicht. Die elf Brüder verwandelten sich zugleich in Stein, und der jüngste fragte das Mädchen, wie er sie erlösen könnte. Sie antwortete, er müsse dreimal sterben, dann einen Drachen töten, aus dem würde ein Hase herausspringen den müsse er fangen; aus dem Hasen würde eine Taube herauskommen, auch die müsse er fangen; die Taube würde ein Ei legen, das müsse er nehmen und damit zu dem Glasberge gehen; dort sei nur ein kleines Loch, so daß gerade das Ei hinein könne, durch das Loch müsse er dem Ei nachkriechen. Darauf ging er fort und traf unterwegs einen Löwen, eine Ameise und einen Adler, die hatten ein Pferd erbeutet und konnten es nicht verteilen. Der Löwe rief den Burschen an, er möge die Teilung machen. Er nahm das Pferd, gab die Hinterviertel dem Löwen, den Rumpf dem Adler, den Kopf der Ameise. Damit waren die Tiere zufrieden, und der Löwe fragte: »Was sollen wir dir geben, daß du uns die Beute geteilt hast?« Der Bursche antwortete: »Was könnt ihr mir geben?« und der Löwe sagte: »Reiß mir ein Haar aus dem Fell, wenn du das anrührst, wirst du zum Löwen, und wenn du es noch mal anrührst, wirst du wieder Mensch.« Darauf gab ihm die Ameise ein Ei von sich und sagte: »Wenn du das anrührst, wirst du zur Ameise.« Dann gab ihm der Adler eine Feder und sagte: »Wenn du die anrührst, wirst du zum Adler.« Damit ging der Bursche weiter und kam ans Meer. Dort war ein Teufel, den bat er, ihn hinüberzufahren. Der Teufel antwortete: »Wenn du mich dir den Kopf abschneiden läßt, will ich dich hinüberfahren.« Darauf meinte der Bursche, er solle ihm den Kopf abschneiden, wenn er drüben wäre. Darauf ging der Teufel ein und fuhr ihn hinüber. Der Bursche aber berührte das Löwenhaar, wurde zum Löwen, packte den Teufel und warf ihn ins Meer. Das war das erstemal, wo er hätte sterben sollen. Nun zog er weiter und kam zu einem zweiten Teufel, der fragte ihn gleich: »Wie bist du hierher gekommen mit deinem Kopf? Hierher kann man nur ohne Kopf kommen.« Der Bursche aber antwortete: »Fahr mich nur über, dann lasse ich mir von dir Kopf, Arme und Beine abschneiden.« Darauf ging der Teufel ein und fuhr ihn hinüber, und wieder wie das erstemal verwandelte sich der Bursche in einen Löwen, packte den Teufel und warf ihn ins Meer. Das war das zweitemal, wo er hätte sterben sollen. Er ging weiter und kam zu einem dritten Teufel, der fragte ihn: »Wie kommt das, daß du mit Kopf, Armen und Beinen hierher gekommen bist? Hierher kommt man nur mit dem Rumpf.« Darauf sagte er zu dem Teufel, er solle ihn nur hinüberfahren, dann wolle er sich alles abschneiden lassen. Der Teufel tat es, der Bursche verwandelte sich wieder in einen Löwen und warf den Teufel ins Meer. Das war das drittemal, daß er hätte sterben sollen. Nun ging er weiter und kam zu einem König; der hatte Schweine und mußte jeden Tag einem Drachen sieben Schweine geben. Der Bursche bat den König, er möge ihn als Hirten annehmen, der König aber antwortete: »Wie kann ich dich annehmen, da ich nur einundzwanzig Schweine habe, und die wird der Drache auffressen.« Der Bursche sagte darauf: »Ein guter Hirt treibt seine Schweine wieder heim.« So ging er den ersten Tag auf die Weide. Der Drache wollte, er solle ihm Schweine geben, aber er verwandelte sich in den Löwen und gab ihm keine. Am Abend trieb er die Schweine heim, und der König verwunderte sich, wie das zugegangen war. Ebenso begab es sich am nächsten Tage, am dritten Tage aber schickte der König einen Diener aus, um aufzupassen. Jetzt kam der Drache wieder und wollte Schweine haben, der Bursche aber verwandelt sich in den Löwen, und sie fingen an zu ringen. Da sagte der Drache: »Wenn ich nur drei Tropfen Blut hätte, würdest du etwas anders zu wissen kriegen«; und der Löwe sagte: »Wenn ich nur eine Halbe Wein und einen Braten hätte, würdest du etwas anders zu wissen kriegen.« Das hörte der Diener, lief sofort nach Hause und brachte eine Halbe Wein und eine gebratene Truthenne. Jetzt packte der Löwe den Drachen und tötete ihn; sogleich sprang ein Hase heraus, den fing er; dann flog aus dem Hasen eine Taube auf; er berührte die Adlerfeder, wurde zum Adler und fing die Taube; die Taube brachte ihm ein Ei, das steckte er zu sich. Darauf trieb er die Schweine heim, und der König wollte ihm seine Tochter zur Frau geben. Er aber dachte immer an die zwölf Schwestern und an seine zwölf Brüder. Darum ging er weiter zu dem gläsernen Berge; dort warf er das Ei hin, berührte das Ameisenei, wurde zur Ameise und kroch durch das Loch hinein. Sowie er drin war, zersprang das Glas, und die zwölf Brüder und die zwölf Schwestern kamen herangeritten. Da küßten sie sich, und jeder von ihnen nahm die seine zur Frau.
[Kroatien: August Leskien: Balkanmärchen aus Kroatien]