Wie es dazu kam, weiß niemand mehr zu erzählen
Die kleine Raupe krabbelte über das grüne Blatt und seufzte:
„Ach, es hilft ja alles nichts,
ich bin für nichts zu gebrauchen. Alles was ich kann ist fressen.“
So fraß und fraß und fraß die kleine Raupe in Ihrem Kummer weiter,
bis sie nicht mehr konnte.
Niedergeschlagen seufzte sie abermals:
„Ach, was bin ich vollgefressen.
Nun bleibt nichts mehr, als zu sterben.“
Erschöpft fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Die Sonnenstrahlen tanzten fröhlich durch das helle Grün der Blätter.
Da sah ein kleiner Sonnenstrahl die Raupe auf dem Stiel, der noch vom aufgefressenen Blatt übrig geblieben war, und dachte beim näheren hinschauen bei sich: „Ach, der kleinen Raupe ist es gewiss kalt. Sie hat ja schon eine Gänsehaut! Ich will sie zudecken.“
Der kleine Sonnenstrahl wickelte seinen warmen Strahlenfaden um die kleine Raupe, bis sie zuletzt ganz und gar in eine warme Decke gehüllt war.
Sonne, Mond und Sterne wanderten,
Tag für Tag, Nacht für Nacht über den Laubwald.
Die kleine Raupe schlief tief, fest und traumlos.
Eines Morgens, der Himmel wölbte sich hoch und blau übers Land,
erwachte die kleine Raupe.
„ Oh, was ist mir so heiß! Oh, wie ich schwitze!
Und warum ist es hier so dunkel?
Die kleine Raupe drückte mit ihrem Kopf gegen die Hülle, die sie vor sich spürte.
Nahm ihre ganze Kraft zusammen und schob sich nach vorne.
„Ahhhhhhhh!“
Da wehte ihr ein frischer Luftzug entgegen.
„Schon besser“, sagte die kleine Raupe, “aber hier ist es so heiß, ich muss ganz raus hier.“
Und wieder mit ganzer Kraft schob sich die kleine Raupe aus der warmen Sonnenstrahlendecke. „ Oh, tut das guuuuut!“ dachte das kleine Wesen.
Alles an ihm war verschwitzt, feucht und klebte.
Da kam ein kleiner Schmetterling geflogen, setzte sich auf ein Blatt in der Nähe und sagte „ Hallo, wer bist Du denn?“
„ Wer ich bin? Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es eben sehr heiß war und jetzt alles an mir klebt.“
„Oh, du bist gerade als Schmetterling ausgeschlüpft! Bewege dich vorsichtig, der Wind wird deine Flügel trocknen, dann können wir gemeinsam durch die Sonnenstrahlen tanzen.“
Die kleine Raupe, die nun ein Schmetterling war, schaute sich an.
„Vorsichtig, deine Flügel sind sehr zart, “ sagte der kleine Schmetterling auf dem Blatt.
Vorsichtig faltete der neu ausgeschlüpfte Schmetterling seine Flügel auseinander.
Der Wind und die Sonnenstrahlen trockneten sie sanft.
„Komm jetzt können wir in den Sonnenstrahlen tanzen“ lachte der Schmetterling.
Die beiden Schmetterlinge flatterten durch das lichte Grün des Waldes
Lachend, immer höher zum Himmel hinauf, immer tiefer ins weite Blau.
Das machte dem kleinen Schmetterling eine so große Freude,
dass vor lauter Glück sein kleines Herz zersprang.
Im nächsten Augenblick war er eine kleine Lerche, welche vor Freude sang.
Die kleine Lerche sang und sang und flog dabei immer höher hinauf, fast bis zur Sonne.
Da kam ein Reitersmann, ein junger Königssohn.
Er hörte die kleine Lerche singen, hielt sein Pferd an und lauschte, lauschte und lauschte.
Er lauschte den ganzen Tag dem Freudengesang der Lerche und merkte so gar nicht,
dass in der Zwischenzeit die Dämmerung sich über das Land legte.
Mit dem letzten Sonnenstrahl ließ die kleine Lerche sich ganz erschöpft zu Boden fallen und landete ganz nah bei dem Prinzen.
Der Königssohn erwachte aus dem Zauber,
stieg von seinem Pferd und eilte zur kleinen Lerche,
kniete sich nieder und hob sie vorsichtig mit seinen Händen auf.
„ Nein, Dich lass ich nicht in dieser Dunkelheit allein.
Er ritt voller Ruhe, mit der kleinen Lerche in der einen Hand, zurück in sein Schloss.
Dort bette er sie auf ein Seidensamtkissen und legte sich zu Bett.
Am anderen Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, erwachte der Königssohn und wollte sogleich nach dem kleinen Vogel sehen.
Der Himmel leuchtete rosa. Er nahm die kleine Lerche zärtlich in seine Hände.
Da begann sein Herz schneller zu schlagen.
Er konnte nicht anders, er küsste den kleinen Vogel sanft.
In diesem Augenblick zeigte sich der erste Sonnenstrahl
und berührte ebenso die kleine Lerche. Sie erwachte,
flog auf und verwandelte sich in ein wunderschönes Mädchen.
Ihre Augen leuchteten wie die Sterne und ihr Lächeln war gleich dem Sonnenaufgang.
Liebevoll umarmten sie sich.
Die Tür zum taubenetzten Garten stand weit offen.
Lachend, Hand in Hand, gingen sie in den frischen Morgen hinein.
( Quelle: Rita Maria Fröhle / Mirabell )