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Märchenbasar

Elli Elster und die Schafe

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Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein junger Bauernbursche. Als seine Eltern gestorben waren, hinterließen sie eine windschiefe, kleine Kate, eine halb verfallenen Scheune, aber auch eine saftige Wiese nahe einem munter dahinplätschernden Bach.
Peter, so hieß der junge Bursche, liebte nicht nur alles was grünte und blühte, auch Tiere waren ihm ans Herz gewachsen. Besonders Schafe. Schon bald trieb er mit seinem Hund Gapa eine Handvoll Schafe, die er vom letzten Geld gekauft hatte, durchs Dorf hinaus auf seine Weide. Zu seiner Freude stand das Gras hoch, Blumen blühten mannigfach und unter ihnen reckten sich Hunderte von Pusteblumen. Blökend erstürmte die Schafherde die Wiese und begann sofort zu grasen. Peter setzte sich an den Bach und las ein Buch. Indes achtete der treue Gapa darauf, dass kein Schaf ausbrechen konnte. Das Blöken der Schafe wurde durch das Gezeter einer Elster unterbrochen, die in einer hohen Weide ihr Nest hatte.
„Tut mir leid“, dachte Peter, „wenn du dich durch uns gestört fühlst! Du wirst dich an uns gewöhnen müssen! Für mich ist auch alles neu.“
Gegen Mittag bekamen Gapa und der junge Bursche Hunger. Er packte gerade Butterbrote aus, da gesellte sich flugs und ohne Scheu die Elster zu ihnen und pickte emsig alle Krümelchen auf.
Wenig später schloss sie Freundschaft mit Gapa. Der Hund hatte nichts dagegen, wenn die Elster auf seinem Rücken saß, mit ihm die Schafe umrundete und sie zusammentrieb. Peter nannte sie fortan Elli Elster.
„Jetzt habe ich endlich wieder eine Familie“, krächzte Elli Elster glücklich und ließ sich auf Peters Schuhspitze nieder.
„Du kannst sprechen?“, fragte er verwundert. „Wo hast du das denn gelernt?“
„Nun, das ist kein Geheimnis“, meinte sie. „Ich habe einige Jahre bei zwei älteren Menschen gelebt. Sie waren sehr gut zu mir. Ich liebte sie über alles. Als sie gestorben waren, musste ich mein Zuhause verlassen. Da baute ich mir hier mein Nest und bin geblieben. Nun weißt du, warum ich sprechen kann.“
„Ach! Und dieses Märchen soll ich dir glauben?“, lachte Peter. „Ich rede auch jeden Tag mit meinem Hund, aber sprechen kann er bis heute nicht!“„Glaub es oder glaub es nicht!“, sagte die Elster beleidigt und flog in ihr Nest.

Jeden Morgen, wenn Peter und Gapa mit den Schafen erschienen, wartete Elli Elster schon sehnsüchtig auf sie. Und wehe, sie verspäteten sich. Dann rupfte sie mit ihrem Schnabel ein paar Pusteblumen aus, flog beleidigt in ihr Nest und ließ die Schirmchen vom Wind in alle Richtungen treiben. Und wenn kein Wind ging, half sie kräftig mit ihren Flügeln nach.
„Nun komm schon herunter und spiel nicht die beleidigte Leberwurst!“, rief Peter dann nach oben. „Oder möchtest du heute keine leckeren Krümelchen von mir haben?“

So vergingen die Wochen. Die Schafherde vergrößerte sich und vom Verkauf der Wolle und Lämmer konnte Peter recht gut leben. Elli Elster gehörte bald gänzlich zur Familie und lebte im Stall bei den Schafen.

Eines Morgens, in aller Herrgottsfrühe, klopfte Elli Elster mit ihrem Schnabel aufgeregt an Peters Schlafzimmerfenster. „Komm schnell in den Stall!“, krächzte sie. „Mit den Schafen stimmt etwas nicht! Ihr Blöken klingt wie ein Hilferuf und manche von ihnen machen keinen Muckser mehr. Ich glaube, sie sind krank!“
Peter rannte die wenigen Schritte zum Stall. Elli Elster saß schon auf einem Balken und schlug aufgeregt mit den Flügeln. Gapa hatte seinen Schwanz eingezogen und winselte leise.
Krank und matt lagen die Schafe im Stall auf ihrem Stroh und kein freudiges Blöken begrüßte ihn. „Wir brauchen dringend einen Arzt“, rief er Elli Elster zu. „Flieg schnell ins nächste Dorf und bring ihn her!“ Elli flatterte davon, so schnell sie nur konnte. Als der Tierarzt kam, stellte er eine schwere Erkrankung fest, konnte jedoch nichts dagegen tun. Kein Schaf überlebte. Da setzte sich Peter auf eine Bank und weinte bitterlich. Als Elli dies sah, flog sie auf seine Schulter. Sie drückte ihr Schnäbelchen an Peters Wange, bis er sie in die Hände nahm und zärtlich streichelte. Glücklich schloss sie die Äuglein und hielt ganz still. Ihr kleines Herz klopfte laut vor Liebe und Geborgenheit. „Was nützt all das Jammern!“, begann sie leise. „Lass uns neu anfangen!“
„Aber ich habe kein Geld, um neue Schafe zu kaufen!“, klagte Peter. „Ich besitze nicht einmal so viel Geld, um den Arzt zu bezahlen!“
„Aber ich“, frohlockte Elli. „In meinem Nest habe ich etwas, damit kannst du hundert Schafe kaufen. Gleich heute, wenn wir auf der Weide sind, kannst du es haben!“
„Woher sollte eine Elster so viel Geld haben!“, dachte er und schüttelte seinen Kopf.
Auf der Weide angekommen, flog Elli in ihr Nest. Als sie zurückkam, trug sie im Schnabel eine schwere, goldene Kette mit einem Anhänger, so groß, wie ein Hühnerei. Ein Prachtstück von einem Edelstein.
Peter bekam große, runde Augen.
„Wie kommst du an dieses wertvolle Stück?“, fragte er Elli ziemlich barsch. „Hast du sie etwa gestohlen?“
„Auch wenn du mir nicht glaubst“, antwortete sie beleidigt, „sie ist mein Eigentum. Hier, du kannst sie haben. Ich schenke sie dir. Tausch sie ein und kauf dir davon so viele Schafe, wie du nur möchtest! Doch es gibt eine Bedingung! Du musst mich heiraten!“
„Die kann ich nicht annehmen! Man würde mich sofort in den Kerker werfen. Wer würde mir glauben, dass ich so etwas Wertvolles von einer Elster bekommen habe?“, sagte Peter, der die Bedingung der Elster zwar vernommen hatte, jedoch ungläubig mit dem Kopf schüttelte. Elli Elster dachte verzweifelt: „Du musst die Kette annehmen! Wenn du es nicht tust, bin ich für immer verloren!“ Die Worte der Hexe gingen ihr durch den Kopf, als diese ihr das letzte Andenken der geliebten Mutter vor die Füße warf, bevor sie, verwunschen als Elster, der bösen Hexe das elterliche Schloss überlassen musste: „Wenn du jemanden findest, der reinen Herzens diese Goldkette mit einem Eheversprechen annimmt und in großer Not ist, sollst du deine menschliche Gestalt wiedererlangen.
„Hör zu, Elli, wenn du mich belogen hast“, drohte Peter ihr plötzlich, „gebe ich Gapa den Befehl, dich mit Haut und Federn zu verspeisen!“
So hatte Peter noch nie mit ihr gesprochen. Beleidigt rupfte Elli Elster ein paar Pusteblumen aus, flog in ihren Baum und ließ die Fallschirmchen zur Erde taumeln. „Was machst du nur immer mit den Pusteblumen?“, rief er nach oben. „Alles hängt auf meinen Butterbroten! Bitte lass das! Wehe, wenn du als meine Frau weiterhin dieses Spielchen treibst!“ Elli Elster war zufrieden. Peters Worte klangen doch nach einem Eheversprechen! Zum Schein plusterte sie sich auf, krächzte empört und steckte ihren Kopf unter die Flügel. Drei Tage erwog Peter, die goldene Kette in seinen Händen anzunehmen und eine Elster zur Frau zu haben, oder elend zugrunde zu gehen. Sollte das Schicksal ihn wirklich mit einem Vogel verbinden wollen? „Was soll`s! Alles ist besser, als zu verhungern“, seufzte Peter. Genau so lange bangte Elli um ihre Erlösung. Sie blieb in ihrem Nest und wartete, wie er sich entscheiden würde!

Nach drei weiteren Tagen sah sie ihn kommen. Er trieb eine große Herde vor sich her und Gapa, der Hütehund, sprang freudig um sie herum, bellte laut und hielt sie zusammen. In dem Moment wusste Elli Elster, dass er die Kette gegen Geld eingetauscht hatte, um Schafe zu kaufen. Ihre Erlösung nahte! Plötzlich durchströmte ein Kribbeln jede einzelne Feder, das stärker und stärker wurde, schließlich fiel Elli in tiefe Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, saß sie nicht mehr in ihrem Nest oben im Baum, sondern auf der Wiese und Peter beugte sich über sie. „Wer bist du?“, fragte er verwundert und blickte auf die zarte Mädchengestalt.
„Und wie kommst du hierher?“, wollte er wissen.
„Erkennst du mich denn nicht?“, lachte sie. „Ich bin Elli Elster und du hast mich von einem bösen Zauber erlöst!“ Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn voller Freude. In kurzen Worten erzählte sie von ihren verstorbenen Eltern und dem Fluch der bösen Hexe. Peter konnte nicht glauben, was er hörte. Doch da erblickte er das schwarzweiße Federkleid auf der Wiese und schloss seine Braut glücklich in die Arme. Die erlöste Prinzessin ging nie wieder in das Schloss ihrer Eltern zurück. Was sollte sie auch dort? Der Hexe wollte sie auf keinen Fall noch einmal begegnen. Also blieb sie bei Peter, der das schöne Mädchen nur zu gern heiratete, trieb mit ihm jeden Morgen die Schafe auf die Weide und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

 
Quelle: Rybka

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