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Fellchen

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Einst herrschte der stolze Zar Igor mit eiserner Faust über das russische Volk.
Nun begab es sich, dass der Zarewitsch während eines Hofballes dem blutjungen Fürstentöchterchen Ninotschka begegnete. Ihr Liebreiz entfachte seine brennende Gier. Noch in der gleichen Nacht befahl er dem ersten Minister, des Mädchens Vater unverzüglich herbeizuschaffen. Zitternd warf sich der Fürst seinem Herrscher zu Füßen und küsste ehrfurchtsvoll dessen Taubenei großen Rubinring. Keinen Widerspruch duldend verkündete Igor:
,,In genau einhundert Tagen wirst du mir deine Tochter im Brautgewand zuführen. Der Pope des Hofes vermählt uns dann mit dem elften Glockenschlag in der Sankt Nikolai Kapelle!”

Wie unter derben Peitschenhieben zuckte der Fürst zusammen. Sein kläglicher Versuch den Zaren umzustimmen, wurde von diesem mit Fußtritten vereitelt.
So kam unweigerlich die Stunde der Hochzeitszeremonie. Vor Gott und dem gesamten Hofstaat vollzog der Pope die Trauung.
Unter festlichem Glockengeläut führte Igor dann seine junge Gemahlin zur Kapelle hinaus. Dort wartete schon eine Meute von erbärmlichen Bettlern, in der Hoffnung, im Zuge des stattfindenden Festes ein paar Brosamen zu erhaschen. Beherzt trat ein hinkender, von Schwären gezeichneter Alter vor den Herrscher und bat:

,,Väterchen Zar, habt Erbarmen mit euren hungernden Untertanen!”
,,Aus dem Weg! Du stinkende Eiterbeule!”, schrie ein Edelmann und schlug nach dem Greis.
Dieser jedoch, blickte dem Zaren furchtlos in die Augen und verkündete drohend:
,,In Bälde wird deine Gemahlin niederkommen und dir ein Kind schenken. Aber dein Erstgeborenes sei schwarz wie die Nacht, trage ein Brandmal auf der Stirn und ein langes Steißbein!“

Igor lachte nur höhnisch und befahl einer Wache, den Störenfried zu entfernen. Hernach bestieg das frisch vermählte Paar eine zwölfspännige Kutsche und eilte an den Zarenhof.
Von diesem Moment an durfte die schöne Ninotschka nie wieder einen Fuß in das Palais ihrer Eltern setzen.

So verging Monat um Monat, bis die Zarin eine Veränderung ihres Leibes bemerkte und schon bald erste zarte Regungen unter dem Herzen fühlte. Sie entsandte die Kammerzofe zu ihrem Gemahl, um ihn zu unterrichten, dass sie in guter Hoffnung sei. In der Gewissheit nun bald einen Thronfolger im Arm halten zu können, eilte der Zar augenblicklich zu Ninotschka. Trotz ihrer rundlichen Statur war sie so schön wie nie zuvor. Dieser Anblick ließ die harten Gesichtszüge Igors weich und liebevoll werden.
In einer sternenklaren Sommernacht gebar die junge Frau ihr Töchterchen Anastasia. Das bildhübsche Mädchen trug auf seiner Stirn ein winziges rotes Mal in Form eines Halbmondes.
Nachdem die Amme das Kindlein in seine Wiege gebettet hatte, ging sie den Zaren holen.
Glücklich trat Igor an das Lager seiner Gemahlin, nahm ihre Hand und sprach:
,,Es ist ein Sohn, nicht wahr, Ninotschka. Ich will ihn sehen. Ist er gesund? Warum schweigst du?”
Sie schlug die Augen nieder und erwiderte kaum hörbar:
,,Verzeiht mir, Herr und Gebieter, aber mein unwürdiger Leib brachte nur eine Tochter hervor.”
Enttäuscht blickte er zur Wiege, dann ging er langsam darauf zu. Zögernd sah er hinein und prallte entsetzt zurück.
,,Was ist das? Du Hexe!”, schrie er außer sich, ,,du bist mit dem Teufel im Bunde!”

Auf dem blütenweißen Linnen lag ein pechschwarzes, kleines Kätzchen mit weißem Stirnfleck. Die Prophezeiung des Alten war in Erfüllung gegangen.
Zar Igor befahl seine Gemahlin in Ketten zu legen und in das Turmverlies zu werfen. Dort musste sie lange Zeit bei Brot und Wasser darben.
Die schwarze Katze jagte man davon.

Jahre gingen ins Land.
Wanja, Sohn Petjas`, Stallmeister des Zaren, half seinem Vater die edlen Rösser striegeln. Im Marstall war nur das zufriedene Schnaufen der Tiere zu vernehmen. Plötzlich schimpfte Petja los:
,,Du schon wieder! Hast hier nichts verloren, machst mir nur die Pferde scheu!”, und warf seinen Stiefel nach einer schwarzen Katze.
Der Junge empfand Mitleid und rannte dem Samtpfötchen hinterdrein. Er fand es kläglich maunzend in der Sattelkammer. Vorsichtig näherte sich Wanja, strich ganz sanft über das seidige Fell und flüsterte:
,,Hab keine Furcht. Wenn du magst, dann kannst du mit mir kommen und freilich, bei mir bist du in Sicherheit.”
Als verstünde es, was er sagte, drängte sich das Kätzchen dicht an ihn und blickte erwartungsvoll zu ihm auf. Wanja verbarg es unter seinem Wams und ging heim zur Mutter.

In der gemütlichen Kate duftete es nach köstlichen Teigtaschen. Auf dem Tisch standen Brot, Kwass, saftige Quitten und ein großes Glas Milch für den Knaben. Er teilte seine Milch mit der Katze.
,,Söhnchen!”, rief Mascha erstaunt, ,,was machst du denn da?”
,,Bitte Mamutschka”, schmeichelte Wanja, ,,das ist … >Fellchen<. Ich hab es halb verhungert gefunden, lass es bei uns bleiben, ja?”

So fand das schwarze Kätzchen mit dem weißen Stirnfleck nach jahrelangem Herumirren endlich ein Zuhause.
Fellchen und Wanja wurden beinahe unzertrennlich. Es kamen und gingen acht Sommer. Der Sohn des Stallmeisters war inzwischen zu einem stattlichen jungen Burschen herangewachsen.
Eines Tages begann Petja während des Nachtmahles:
,,Ich glaube es ist an der Zeit, mein Junge, dass du auf Brautschau gehst und uns bald eine Schwiegertochter heimführst.”
Mascha nickte zustimmend. Wünschte sie sich doch insgeheim viele Enkelchen. Wanja meinte verschmitzt:
,,Hm, ich wüsste schon eine, die mir gerade recht käme.”
Im gleichen Moment sträubte Fellchen ihr Rückenhaar und fauchte böse.

In der Nacht erschien sie dem Burschen im Schlaf und sprach zu ihm:

,,Wanjuscha, du mein Augenstern,
ich habe dich von Herzen gern
und nur Anastasia allein
soll für dich das Bräutchen sein.”

Am nächsten Morgen lachte Wanja über seinen Traum. Doch von Stunde an geschah es viele Nächte lang. Bald wurde ihm klar, dass es was bedeuten musste und fragte deshalb seine Mutter um Rat.
,,Gewiss, Söhnchen, hat Fellchen eine Botschaft für dich. Doch weiß ich sie nicht zu deuten. Aber unten am Fluss haust ein alter, weiser Eremit. Gehe zu ihm. Er kann dir sicher weiterhelfen.”

Ohne zu zögern, machte sich der Bursche auf den Weg. Es schien, als hätte ihn der Greis erwartet.
,,Tritt näher!”, rief ihm der Alte schon von Weitem zu.
Als Wanja in das durch Schwären entstellte Antlitz des Eremiten sah, wich er einen Schritt zurück.
,,Ich weiß wohl, warum du gekommen bist”, bemerkte der Zerlumpte, ,,aber weder mein Wissen noch mein Rat sind umsonst.”
,,Und was verlangst du von mir?”
,,Nicht viel, Wanjuscha. Ich will nur der Taufpate deines ersten Sohnes sein.”

Obwohl es dem Jüngling seltsam anmutete, willigte er ein und erfuhr nun, was er zu tun hatte.
,,Wenn du dich an meine Anweisungen hältst, dann wirst du großes Glück erfahren”, verhieß ihm der Alte.

In der elterlichen Kate zurück, traf Wanja einige Vorbereitungen zur Nacht. Er braute sich einen Kräutertrank, um nicht einzuschlafen, legte ein Kruzifix unter das Kopfkissen und stellte ein Fläschchen mit Weihwasser griffbereit. Dann ging er zu Bett und stellte sich schlafend. Kurz darauf hörte er eine liebliche Stimme sagen:

,,Wanjuscha, du mein Augenstern,
ich habe dich von Herzen gern
und nur Anastasia allein
soll für dich das Bräutchen sein.”

Er blinzelte vorsichtig und sah seine am Fußende sitzende schwarze Katze sprechen. Wanja schnellte hoch, packte Fellchen am Nacken, zog das Kruzifix hervor und hängte es ihr um. Dann benetzte er den Stirnfleck mit Weihwasser und küsste das Tier ganz fest aufs Mäulchen. Sogleich war seine Kammer in dichten Nebel gehüllt.
,,Wanjuscha, Liebster, so öffne dem Nebel geschwind ein Fenster.”

Im Nu war es wieder klar im Raum und Wanja traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand eine schöne Jungfrau. Sie trug mitten auf der Stirn einen kleinen, goldenen Halbmond. Er vermochte kaum zu sprechen, als er fragte:
,,Fellchen? Du bist Anastasia und warst tatsächlich mein Fellchen?”
Sie nickte und entgegnete:
,,Nicht nur das. Ich bin auch das einzige Kind des Zaren Igor und seiner Gemahlin Ninotschka. Somit habe ich auch Anspruch auf den Thron. Du, Wanjuscha, hast dein Leben mit mir geteilt und mich von dem Fluch erlöst. Deshalb gebührt dir der Platz an meiner Seite, du sollst mein Zarewitsch sein.”

Ohne Zutun des jungen Paares verbreitete sich die Kunde von der wundersamen Erlösung der Zarentochter in ganz Russland. Als der greise Igor davon erfuhr, ließ er Anastasia augenblicklich zu sich kommen. Der Zar erkannte in der schönen Jungfrau sofort sein eigen Fleisch und Blut.
Voller Reue befahl er, auf der Stelle Ninotschka herbeizuholen. Trotz der vielen Jahre im Turm befand sich die Zarin, dank der treuen Zofe, bei Kräften.

So kam es, wie es vorher bestimmt war. Zar Igor dankte ab und zog sich auf ein einsames Gut zurück. Ninotschka blieb bei ihrer Tochter am Zarenhof.
Anastasia hielt mit Wanja Hochzeit und teilte sich mit ihm Thron und Krone.
Übers Jahr ward dem glücklichen Herrscherpaar ein gesunder Knabe geboren und wie versprochen der Eremit zum Taufpaten berufen.

Quelle: Ulla Magonz

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