Wie er nun so bekümmert mit der Kuh durch den Wald zog, kam auf einmal ein Männlein mit grauem Runzelgesicht daher und fragte, was ihm denn fehle, daß er so traurig sei. Der Müller, der ohnehin ein freundlicher und leutseliger Mann war, faßte gleich Zutrauen zu dem Männchen und erzählte ihm alles, was ihn bedrückte. Da sprach das Männlein: „Ich will dir die Kuh abkaufen. Ich gebe dir dieses Fläschlein dafür. Wenn du das auf den Tisch stellst und sprichst: ,Fläschlein, tu deine Pflicht!‘, so wird es dir gewiß an nichts mehr mangeln.“ Der Müller wollte aber nicht echt, war ängstlich und meinte: „Ach, was wird meine Frau sagen, wenn ich statt Geld dieses Fläschlein heimbringe.“ – „Ei“, versetzte drauf das Männlein in ärgerlichem Tone, „wie magst du dich noch lang besinnen! Geld möchtest du heimbringen? Weißt du denn überhaupt, ob du deine Kuh da lebendig auf den Markt bringst?“ Da fürchtete sich der Müller, weil er die Worte für eine Drohung hielt und gab dem Männlein die Kuh für das Fläschchen. Kaum war der Tausch geschehen, versank das Männlein mit der Kuh in die Erde und war nicht mehr zu sehen. Der Müller stapfte eilends nach Hause, stellte das Fläschlein auf den Tisch und sprach: „Fläschlein, tu deine Pflicht ! Da war auch schon im Augenblick der Tisch mit goldenen Schüsseln voll herrlichster Speisen gedeckt. Voller Freude rief er seine Frau herbei, und die schlug vor Verwunderung die Hände über dem Kopf zusammen. „Ja, Mann! Ja, Mann!“ rief sie ein übers andere Mal und vergaß beinahe, sich an den gedeckten Tisch zu setzen und sich’s schmecken zu lassen. Am andern Morgen machte der Müller sich auf den Weg in die Stadt, verkaufte die goldenen Schüsseln und erhielt soviel Geld dafür, daß er mit einemmal ein reicher Mann war.
Gleich ging er aufs Schloß und bezahlte seine Schulden. Der Graf wunderte sich sehr darüber, daß der Müller so schnell den Pachtzins beisammen hatte. Er sah ihn mißtrauisch an und sagte: „Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen! Wie kommst du auf einmal zu dem vielen Geld?“ Der Müller wollte es lange nicht sagen, mußte aber zuletzt doch die ganze Geschichte erzählen; wie ungern er’s auch tat. „Verkaufe mir das Fläschlein“, sagte da der Graf; „ich gebe dir einen Beutel voll Dukaten dafür.“ Doch der Müller wollte und wollte es nicht hergeben. Als ihm aber der Graf zuletzt nicht nur die Mühle, sondern auch sein schönes Schloß für das Fläschlein bot, konnte er nicht mehr länger widerstehen und gab es ihm. Sobald aber der Graf das Fläschchen in der Hand hatte, sagte er: „Laß dir nur nicht träumen, daß du das Schloß bekommst! Hahaha! Das Schloß bleibt mein! Du hast an der Mühle genug; die kannst du meinetwegen behalten!“ So also war der gute, leichtgläubige Müller betrogen worden.
Nun hatte er zwar von dem Erlös für die goldenen Schüsseln noch ein gutes Sümmchen übrig; weil aber die Mühle wieder einmal ohne Wasser war und ihm darum nichts eintrug, war das Geld bald verbraucht, und er geriet wieder in bittere Armut. In dieser Not wollte er eines Tages einen Freund besuchen und ihn bitten, ihm doch etliche Taler zu leihen. Als er so betrübt und allein im Wald dahinwanderte, stand plötzlich wieder das Männlein vor ihm und fragte, was er auf dem Herzen habe. Da erzählte er, wie es ihm ergangen war und wie der Graf ihn betrogen und ins Elend gebracht habe. Darauf gab ihm das Männlein ein zweites Fläschchen und sprach: „Da, nimm dies Fläschlein; es wird dir zu jenem ersten wieder verhelfen. Sobald du sprichst: ,Fläschlein, tu deine Pflicht!‘, kommen drei Kerle daraus hervor und zerschlagen alles, was ihnen in den Weg kommt, und hören nicht eher auf, als bis du sagst: ,Fläschlein, du hast deine Pflicht getan!“‚
Der Müller bedankte sich und machte sich spornstreichs auf den Weg zum Schloß. „Herr Graf! Ich habe wieder ein solches Fläschchen, und seine Zauberkraft ist noch größer!“ So verkündete er voller Freude und schwang das Fläschlein mit erhobener Hand. Da strahlten die tückischen Augen des Grafen, und er lud den Müller freundlich zum Dableiben ein. Dann ließ er die Diener Essen und Trinken auftragen und bewirtete ihn aufs beste; denn er gedachte ihm auch das zweite Fläschlein abzulocken. Als sie gegessen und getrunken hatten und der Graf wieder von dem Fläschlein zu reden anfing, fragte der Müller: „Soll ich es zur Probe einmal seine Pflicht tun lassen?“ – „Ja, zeig mal, was der kleine Flaschenkobold kann!“ rief der Graf. – „Gerne zu Diensten, Herr Graf!“ sagte der Müller und schmunzelte dabei. „Also, mein Fläschlein, tu deine Pflicht!“ Im Augenblick hüpften drei wilde Kerle daraus hervor und schlugen so wetterlich auf den Grafen los, daß er weh und ach schrie und den Müller um Gottes willen bat, ihn doch zu verschonen. „Hast meiner auch nicht geschont und mich dazuhin noch um das Fläschlein betrogen!“ entgegnete der Müller und ließ die drei Gesellen lustig auf des Grafen Rücken weitertrommeln. Da zeigte ihm der Graf den Schrank, in dem das Fläschlein versteckt war, und der Müller schob es in die Tasche und entfernte sich. Die drei Kerle aber ließ er so lange weiter zuschlagen, bis der Graf keinen Schnaufer mehr tat und das ganze Schloß nur noch ein Trümmerhaufen war. Dann sprach er: „Fläschlein, du hast deine Pflicht getan!“, und sogleich wurden die drei Spießgesellen ganz klein und Krochen wieder in das Fläschlein zurück.
Nun war der Müller froh, daß er das erste Zauberfläschchen wieder hatte und sprach jeden Tag zu ihm: „Fläschlein, tu deine Pflicht!“ Sogleich stand dann der Tisch voll goldener Schüsseln, die mit den köstlichsten Speisen gefüllt waren. Die ließ er sich munden, verkaufte dann die Schüsseln an einen Goldschmied in der Stadt und wurde in kurzer Zeit ein steinreicher Mann. Darauf baute er sich ein schönes Schloß, und weil er dachte, daß er nun Schätze genug habe, mauerte er das Fläschlein in den Grundstock ein. Das zweite Fläschchen aber, in dem die drei wackeren Gesellen verborgen waren, trug er immer bei sich, damit es ihm jederzeit aus aller Not und Gefahr helfen konnte.
Quelle:
(Schwäbische Volksmärchen – Franz Georg Brustgi)