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Florianu

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Ein mächtiger König und Herr über viele Länder, dem die sittenlose Zeit sehr zu Herzen ging, ließ einst fern von seiner Hauptstadt ein schönes Schloß bauen, das er mit hohen Wällen, tiefen Gräben und felsenfesten Mauern umgab. Hier gedachte er seine Tochter, sein einziges Kind, einen Säugling von wenigen Monaten, abgeschlossen von der Welt, fromm und in reinen Sitten erziehen zu lassen. Bei Todesstrafe sollte kein Mann, er sei jung oder alt, je auch nur dem äußersten Graben dieses Schlosses nahekommen; auch verbot er, die Prinzessin mit irgend jemand allein sprechen zu lassen, außer mit den Frauen, die zu ihrer Bedienung gehörten. Wie der König befohlen, so geschah es. Streng abgeschieden von der Welt hatte die Prinzessin die tugendhaftesten Erzieherinnen, die sie höchst sorgfältig unterrichteten. Ihr Vater aber verwendete Tausende und Tausende, um seinem geliebten Kinde die Abgeschiedenheit von der Welt zu versüßen und ihm einen Aufenthalt zu verschaffen, der ebenso reizend wie unschuldig war. Er ließ prächtige Gärten anlegen, in denen herrliche Springbrunnen und fischreiche Teiche waren, und in den wundervoll schönen Gebüschen ließ er die seltensten, kostbarsten Vögel hegen, die das Ohr mit ihrem Gesange bezauberten und das Auge mit dem Glanz ihres Gefieders blendeten.
So wurde die Prinzessin sechzehn Jahre alt, und ihre Schönheit war so mächtig, daß, wenn sie vorüberging, die Blumen in den Gärten sich vor ihr neigten, die Vögel in den Gebüschen ehrerbietig schwiegen und die Fische auftauchten, um sie zu sehen. Die Wachsamkeit der Erzieherinnen wurde jetzt immer mehr geschärft, aber Gott, der alles beherrscht und das Geschick der Menschen nach seiner Weisheit lenkt, wollte es anders. Eines Tages nämlich, als die Prinzessin mit ihrem Gefolge im Garten vor dem Schloß umherging und Blumen sammelte, um Kränze daraus zu flechten, bemerkte sie draußen vor dem äußersten Wall eine hohe, schlanke Frau mit schwarzbraunem Gesicht und zerlumpten Kleidern, die ein Bündel auf dem Rücken trug. In ihren rabenschwarzen Haaren hatte sie sehr schöne Blumen, die in der Ferne wie Silber, Gold und Purpur durcheinanderspielten. Als das Königskind dieselben sah, empfand es lebhaftes Verlangen nach ihnen, und die Fremde mußte herbeigerufen werden, während es die gesammelten Blumen ungeduldig wegwarf. Als die Gerufene, eine Zigeunerin, herbeikam, ging ihr die Prinzessin entgegen und fragte sie, woher sie diese wunderschönen Blumen habe. »Ich fand sie in dem Walde dort, unweit des Schlosses«, war die Antwort der Gefragten, worauf die Königstocher etliche von ihr verlangte. Sie bekam ihrer soviel sie wollte, entließ die Zigeunerin königlich belohnt und wußte sich nun vor Wonne kaum zu fassen. Sie steckte sie in die Haare, band dann einen Strauß davon, löste ihn aber wieder und stellte die Blumen ins Wasser, dann spielte sie damit wie mit einem Ball bis zum Abend, wo sie sie wieder ins Wasser stellte, um sich ihrer auch morgen noch erfreuen zu können. Da bemerkte sie, daß sich das Wasser, in welchem sie standen, ebenso purpurrot färbte wie die schönen Blumen, ja, daß sogar goldene und silberne Sternlein darin herumschwammen, gerade so wie der duftige Staub auf den glühenden Blumenblättern selbst war. Sie hatte das noch nie gesehen, und es ergötzte sie so, daß sie die Blumen ganz ins Wasser tauchte, darin zerknitterte, endlich das Glas ansetzte und, da das Wasser einen lieblichen Geruch angenommen hatte, schnell austrank.
Es dauerte nicht lange, so erkrankte die Prinzessin, worüber alles in die größte Bestürzung geriet. Man sandte sogleich eine Botschaft an den König, welcher alsbald in Begleitung seines Leibarztes ankam, um den Zustand der Prinzessin zu erforschen. Der Arzt tat, wie ihm befohlen, und sprach endlich nach langen ängstlichen Bedenken aus, daß die Prinzessin sich in gesegneten Umständen befinde. Als der König dies hörte, wurde er wütend, schlug den Arzt ins Gesicht, ließ die Erzieherinnen und Gesellschafterinnen der Prinzessin kommen, warf ihnen ihre Pflichtvergessenheit vor und gab alsbald den Befehl, daß sie alle fortgepeitscht werden sollten, wobei er in wütendem Schmerz rief: »Ihr lasterhaften Metzen, in Hunger und Elend mögt ihr den jammervollsten Tod finden, weil ihr die Seele meines Kindes vergiftet habt!« Sodann ließ er die unglückliche Prinzessin rufen, fuhr sie mit den härtesten Worten an, riß sie an den Haaren auf den Boden und trat sie mit Füßen. Hierauf ließ er sie binden und in ein scheußliches Gefängnis werfen, indem er rief: »Dort magst du schmachten, bis du die Sonne für einen Schatten ansiehst.« – »Ach, mein Vater«, jammerte die arme Prinzessin, »tut, wie Euch gefällt, aber ich bin ohne Schuld sowie auch meine Frauen. Ich weiß nicht, warum Ihr so ergrimmt seid; ich will ja gewiß nicht mehr krank sein.« – »Schweig, Elende!« rief aber der König wieder, »du hast dich und mich und meinen ganzen königlichen Stamm geschändet und willst dich jetzt mit teuflisch erheuchelter Unschuld zieren. Fort mit ihr ins Gefängnis!« So ging der König mit seinem Hofe fort, die Prinzessin aber wurde von einer starken Wache hinter ihm hergeschleppt.
Als der Zug das Schloß verlassen hatte, wandte sich der König noch einmal um und befahl den Soldaten, Feuer dareinzuwerfen und seine Wälle, Mauern und Gräben der Erde gleichzumachen, auch alle Bäume umzuhauen, die Fischteiche aber zuzuwerfen, damit ihn nichts mehr an diesen Ort erinnere. So wurde die reizende Wohnung mit ihren herrlichen Umgebungen von Grund auf zerstört.
Als der König wieder in seiner Hauptstadt angelangt war, durfte man vor ihm lange Zeit nicht mehr von seiner Tochter sprechen, die in einem schrecklichen Gefängnis schmachtete. So hatte es mehrere Monate gedauert, da ließ er endlich den Kerkermeister rufen und sprach mit wenigen Worten zu ihm: »Verschließe deine Gefangene in ein Faß, aber fest; wirf dieses dann ins Meer und laß mich nie mehr etwas davon hören, außer daß du mir Nachricht gibst, sowie du meinen Befehl ausgeführt hast. Wehe dir, wenn du nicht gehorchst.«
Der Kerkermeister ging und tat nach des Königs Befehl. Die Bitten des unglücklichen Königskindes halfen nichts, ihre Tränen konnten das Herz des harten Mannes nicht erweichen und die Unschuldige wurde in einem Faß dem wilden Meere preisgegeben.
Sie hatte aber nicht lange darauf umhergetrieben, so gebar sie einen großen, starken Knaben, der wuchs im Augenblick so gewaltig, daß er, als er sich regte und sich ausstrecken wollte, das Faß auseinanderdrückte, als ob es von Papier wäre. Hierüber erschrak seine Mutter, weil sie dachte, sie müsse jetzt ertrinken, aber ihr Sohn sprach ihr Mut ein und sagte: »Fürchte dich nicht vor dem Meer, liebe Mutter, ich helfe dir schon weiter.« Darauf nahm er einige Faßdauben, setzte seine angstvolle Mutter darauf und schwamm neben ihr her, indem er mit einer Hand ruderte und mit der anderen das einfache Fahrzeug trieb.
Bald hatten sie das Land erreicht, und da mußte ihm seine Mutter die Erzählung ihres unglücklichen Schicksals geben, während er still und aufmerksam zuhörte. Unter dem Erzählen kam ihr auch der Gedanke, daß ihr Unheil von den schönen roten Blumen hergekommen sein könne, welche sie genossen hatte. Daher nannte sie ihren Sohn Florianu, Blumensohn.
Indessen war es Abend geworden, und sie gingen einem großen Walde zu, über dessen Wipfel ein herrlich gebautes Schloß hervorschaute. Bei seinem Anblick warnte die Mutter Florianu und sprach: »Höre, mein Sohn, wir wollen nicht nach jenem Schloß gehen, es ist von vielen Drachen bewohnt, meine Wärterinnen haben mir oft davon erzählt.« – »Ei was!« rief lachend der Meergeborene, »dies ist eben recht für solche Arme; ich will diese Drachen schon gute Sitten lehren, wenn sie uns nicht gastfreundlich empfangen.«
Unter Angst und Sorgen folgte die Mutter ihrem Sohn, der mit einer mächtigen Keule voranschritt und, beim großen Tor des Schlosses angelangt, mit einem Streich die eisernen Türen desselben in Trümmer schlug. Sie fanden aber nirgends etwas Lebendes, stiegen eine breite Treppe hinauf und gelangten zu einem prächtigen Vorsaal, der sie durch eine Reihe herrlich eingerichteter Zimmer mit blendendem Gold- und Silberschmuck führte. Endlich standen sie vor einer elfenbeinernen Türe, die aber fest verschlossen war. Florianu wollte wissen, was in diesem Gemach sich Geheimes befinde, und schlug mit seiner Keule dagegen. Da sie nicht sogleich nachgab, führte er erzürnt einen zweiten Streich, aber die Tür widerstand auch diesmal, ja die starke Keule zersplitterte in kleine Stücke. Ergrimmt hierüber, riß er in dem Vorsaal, durch welchen sie gekommen waren, eine Marmorsäule weg und schleuderte, sie mit solcher Gewalt gegen die verschlossene Elfenbeintüre, daß diese zertrümmert hineinfiel, das Geschoß aber noch zur Hälfte durch die Rückwand des geheimnisvollen Zimmers flog. Florianu trat hierauf schnell hinein, ohne sich durch den erstickenden Pestqualm abschrecken zu lassen, der ihm entgegenströmte. Seine Mutter hielt sich in banger Furcht hart hinter ihm.
Als sie sich nun beide hier umsahen, hatten sie ein abscheuliches Schauspiel vor sich. Es lagen nämlich über fünfzig größere und kleinere Drachen umher: sie heulten und winselten und bissen mit verzweiflungsvoller Wut in die Stücke der Marmorsäule, mit welcher Florianu die Türe zerschmettert hatte. Sie waren vor Hunger dürr, und ihre Schuppenhaut, die sonst in tausenderlei Farben geschillert haben mochte, zeigte nur einen bleichen, abgestorbenen Schein. Diese entsetzlichen, aber erbarmungswürdigen Ungeheuer waren alle in schwere eiserne Ketten geschmiedet, so daß sie sich nicht von der Stelle bewegen konnten, höchstens, daß es dem einen oder dem anderen gelang, sich vom Rücken auf den Bauch zu wenden. »Ich glaube«, sagte Florianu bei diesem Anblick, »wir sind hier in die Hölle selbst geraten; was sagst du dazu, Mutter?« – »Ach, mein Sohn«, erwiderte diese zitternd vor Angst, »laß uns fliehn von diesem gräßlichen Aufenthalt, der mir alle Sinne betäubt!« – »Nicht um alles, meine liebe Mutter«, rief hierauf der junge Held, »nicht um alles geh ich fort von hier. Ich muß wissen, wer diese höllischen Geschöpfe hier herein gebannt hat.«
Als die Drachen dieses Gespräch hörten, heulten und winselten sie nicht mehr, und einer unter ihnen hub an zu reden und zu fragen: »Wer seid ihr, Fremdlinge?« Dann zu Florianu besonders: »Wer bist du? Wenn du einen Menschen zum Vater hast, so flieh von hier, ehe der Große kommt, unser Bruder und Peiniger, denn er wird dich samt diesem Weibe zerreißen.« Über die greuliche Stimme des Untiers begann Florianus Mutter aufs neue zu zittern, ihr Sohn aber rief mit lauter Stimme: »Wohlan denn, ich habe keinen Menschen zum Vater, darum fürchte ich eueren Großen nicht. Ich bin aus Blumen geboren und von der See gewiegt. Sagt mir, wo ist euer Großer, daß ich hingehe und ihn verderbe!« Hierauf schrien viele der Drachen: »O du, mehr als Mensch, du Gott, mach uns los aus unsern Banden, daß wir dich zu ihm führen und dir helfen, ihn zu töten!« Da lachte aber Florianu und sagte: »Ihr Höllengezüchte, da sei Gott vor, daß ich euch freilasse! Ja, hingehen will ich, euren Großen fangen und ihn ebenso unter euch binden!« Als die Drachen dies vernommen hatten, lachten und heulten sie durcheinander, denn sie freuten sich, daß der große Drachen nun auch gebunden werden sollte.
Plötzlich ward es finster, und es erhob sich ein Geräusch wie ferner Donner, da suchten die Drachen einer unter den anderen zu kriechen, indem sie angstvoll winselten: »Der Große! Der Große!« Ehe Florianu sich umsehen konnte, erzitterte das ganze Schloß von einer mächtigen Stimme, welche rief: »Armseliges Erdengewürm! Wer hat euch hierhergeführt? Wißt ihr, daß das euer Tod ist?« Als Florianu sich darauf umwandte, sah er einen ungeheuren Drachen, der sich bald groß, bald klein machte und einen heißen, stinkenden Dunst nach ihm schnaubte. »Schweig, du Höllenspuk!« rief er, sprang auf ihn zu, packte ihn und drückte mit der Rechten dem Wutschäumenden so gewaltig den Hals zusammen, daß er sich nicht mehr rühren konnte und Flügel, Schweif und Füße samt den scharfen Krallen schlaff hängenließ. Dann nahm er mit der Linken eine Säule und schleppte sie, nebst dem Drachen, durch das eiserne Tor vor das Schloß. Dort ließ er die Säule fallen, riß eine Eiche aus den Wurzeln, trat mit einem Fuß darauf und wand sie wie eine Weidenrute; dann band er damit den Drachen an die Säule fest, so wie man eine Rebe am Stab aufbindet. So ließ er ihn liegen und kehrte zu seiner Mutter zurück.
Am anderen Tage ging Florianu wieder durch alle Gemächer des Schlosses, um sie genauer zu betrachten, da fand er auch einen prächtigen Waffensaal, wo er sich die schönsten und besten Jagdgeschosse von den Wänden nahm, um damit nach Herzenslust die Forste zu durchstreifen, die das Drachenschloß umgaben. Er beurlaubte sich deshalb von seiner Mutter und sprach ihr zu, sich nicht zu fürchten, wenn sie allein zurückbleibe, er werde sich nicht weit vom Schloß entfernen. Die Prinzessin, welche wohl sah, daß sie ihrem Sohn umsonst zureden würde zu bleiben, bat ihn nur noch, wenigstens den gebundenen großen Drachen vor den Fenstern wegzunehmen und ihn in eines der Gemächer zu sperren. Florianu tat dieses sogleich und ging dann.
Abends kam er heim und übergab die gemachte Beute seiner Mutter, welche davon die Abendmahlzeit bereitete. Zu dieser fanden sich in einem Keller, der sich, so lang und groß das Drachenschloß war, darunter hinzog, die vortrefflichsten und feurigsten Weine. Am andern Tage ging Florianu wieder auf die Jagd, und die Mutter sorgte zu Hause für den Tisch.
So lebten beide glücklich und vergnügt viele Tage, ohne daß sich etwas Wunderbares weiter zugetragen hätte. Einmal aber, als Florianu wieder auf der Jagd war, besah sich seine Mutter, die immer zu Hause blieb, die schönen Gemächer und prächtigen Hallen des Schlosses. So kam sie endlich auch an die verschlossene Tür, hinter welcher der von Florianu gebundene Drache lag. Sie blieb einen Augenblick stehen, um zu lauschen, dies bemerkte das gefangene Ungeheuer, denn seine Ohren hatten das Vermögen von tausend Ohren, und es fing an, in jammervollen Tönen sein Mißgeschick zu beklagen. »Ach, wie traurig ist mein Geschick!« seufzte es, »und welche Qualen muß ich erdulden, daß ich so grausam gebunden liege.« Als die Prinzessin dies hörte, sah sie durch das Schlüsselloch in das Gemach, um den gebundenen Drachen zu beobachten. Wie erstaunte sie aber, als sie statt dessen den schönsten jungen Mann an die Marmorsäule geschlossen liegen sah. Bei diesem Anblick entzündete sich ihr Herz, und sie fühlte sich tief rot werden, weshalb sie sich schnell von der Türe wegwandte und in ihr Gemach eilte. Als ihr Sohn abends nach Hause kam, so verschwieg sie ihm, was sie gesehen, denn er hatte sie dringend gebeten, sich jenem Gemache nicht zu nähern.
Des andern Tages aber, als Florianu wieder auf die Jagd gegangen war, trat sie wieder zu dem Gemach und sah und hörte dasselbe wie gestern, verschwieg es aber abends ihrem Sohne wieder. Am dritten Tage fand sies zum drittenmal so und konnte den inneren Drang nicht zurückhalten, indem sie durch die geschlossene Tür zu dem Klagenden sprach: »Wer du auch seist, Unbegreiflicher, sag mir, kommen diese Jammertöne, die ich hören muß, von dir?« Darauf war es drinnen einen Augenblick stille, dann aber hub es an: »Oh, wer fragt nach mir Unseligem, den ein böser Fluch in den abscheulichsten aller Drachen verwandelt und den nun ein mächtiger Unhold aufs grausamste an eine Marmorsäule gefesselt hat? Frage nicht nach meinem Schicksal, wenn du mir nicht helfen willst!« – »Ich will, ich will helfen!« rief auf diese Klagen mitleidig die Prinzessin, die sich an der überirdischen Schönheit des Gefangenen gar nicht sattsehen konnte. »Ach, sage mir, wie kann ich helfen?« – »Nur meine Bande lösen!« seufzte hierauf der Gefangene, »ja, ließest du mich frei, ich wollte dir mein Leben lang dankbar und in treuer Liebe ergeben sein.« – »Frei machen kann ich dich nicht«, entgegnete hierauf die Betörte, »denn wenn es mein Sohn erführe, er würde dich töten, mich aber vielleicht verlassen, so daß ich ohne Schutz in Hunger und Elend hier umkommen müßte.« – »Fürchte dies nicht«, sprach der Listige hierauf, »ich würde dich beschützen bis an das Ende meines Lebens, wenn auch dein eigener Sohn dich verließe. O laß mich frei, du unsichtbares gutes Wesen, erlöse mich aus diesen schmerzhaften Banden, an denen ich sterben muß, wenn deine mitleidige Hand sie nicht löst. Tust du es nicht, wer käme sonst in dieses verwünschte Schloß, mir zu helfen?«
Die Klagen aus dem Munde des überaus schönen Jünglings und die Schmerzenstränen in seinen Augen siegten endlich: die Prinzessin eilte nach einem Messer, schob den Riegel der Türe zurück und öffnete sie. Nachdem ihr der Gebundene versprochen und beteuert hatte, daß er nicht entfliehen wolle, wenn er frei sei, löste die Getäuschte schnell seine Bande. Kaum aber fühlte der Zauberer, daß er frei sei, als er in die Höhe sprang und unter abscheulichem Gelächter zur Türe hinaus wollte, da vertrat ihm die Prinzessin in Todesangst den Weg und rief: »Halt! Keinen Schritt über diese Schwelle, sonst verdirbst du uns beide. Wenn dich Florianu sähe, so legte er dir gewiß die Fesseln des Todes an!« Der Befreite stand einen Augenblick still, stierte die Prinzessin an und schlich sich dann in eine Ecke des Gemachs. Durch diese Furcht wuchs der Mut der Prinzessin, und sie sprach zu ihm: »Daß ich dich aus deinen Banden befreite, soll keine Seele wissen, auch sollst du frei bleiben, jedoch wage dich nie über diese Schwelle, sondern bleib immer mein Gefangener. Jeden Tag will ich kommen und bei dir bleiben, dir auch zu essen und zu trinken bringen, was ich habe.« Darauf warf sich ihr der Gefangene demütig zu Füßen, küßte ihr dieselben und bat sie um Verzeihung. Sie aber hob ihn auf, und als er nun seine Arme um sie schlang und sie küßte, ließ sie sichs gefallen. Sie hätte das aber gewiß nicht getan, wenn ihr bekannt gewesen wäre, daß ihr schöner Schützling nichts anderes war als ein abscheuliches Ungeheuer in erlogener Menschengestalt.
So waren sie längere Zeit beieinander, bis sie Florianu kommen hörten, der von der Jagd heimkehrte. Da eilte die Prinzessin sogleich fort und verriegelte hinter sich die Tür. Dann ging sie ihrem Sohne entgegen, grüßte und küßte ihn, als ob nichts geschehen wäre. Florianu war hungrig und verlangte zu essen, aber da war nichts zubereitet, weil die treulose Frau ihre Zeit mit dem Drachen zugebracht hatte. Geduldig wartete der Sohn, bis seine Mutter gekocht und aufgetragen hatte.
Am andern Morgen, als Florianu wieder auf die Jagd gegangen war, eilte die Prinzessin zu ihrem Geliebten. Sie fragte ihn unter anderem auch, wie es denn gekommen sei, daß er ein so abscheulicher Drache geworden, auch welche Bewandtnis es mit den übrigen Drachen habe. Da hub der lügnerische Liebhaber an, eine traurige Geschichte zu erzählen, wie ihn und seine neunundfünfzig Brüder unverdienter Vaterfluch getroffen und dieses Unglück über sie gebracht habe und wie er sie in Fesseln habe legen müssen, weil sie ihm nach dem Leben trachteten. Dies war aber nur aufs bösartigste erdichtet, denn er war nur ein ganz gemeines, abscheuliches Ungeheuer, das die andern aus Neid und Freßgier in Banden hielt. Die Prinzessin glaubte ihm, weil er schön war, er machte ihr aber doch einigermaßen bange, weshalb sie nach einigem Nachdenken aufstand, um wegzugehen. Da hielt sie der Schmeichler zurück und bat sie zu bleiben, indem er klagte: »Ach, du wolltest gehen, wolltest mich Unglückseligsten verlassen und in mein Elend zurückstoßen!« Dies rührte die Schwache, und sie versprach ihm unter Tränen, morgen wiederzukommen. Sie wußte nicht, daß der Geliebte sie betrog und nur darauf sann, wie er entkommen und den Helden Florianu sicher verderben könnte. Nach gewohnter Weise brachte die Prinzessin auch heute den Abend mit ihrem Sohn zu, der ihr vieles von seinen Jagdabenteuern erzählte und sich dann zur Ruhe legte. Sie konnte indessen vor Ungeduld kaum den Morgen erwarten, an dem Florianu das Schloß verlassen würde. Als dies geschehen war, eilte sie schnell wieder zu ihrem zauberischen Buhlen, herzte und küßte ihn und wußte sich kaum zärtlich genug bei ihm zu gebärden. Plötzlich fing er an zu weinen, da wischte sie ihm die Tränen aus den Augen, küßte ihn wieder und fragte ihn nach der Ursache seiner Tränen. »Ach«, seufzte er hierauf, »mir bricht das Herz, wenn ich denke, daß wir bald getrennt werden. Sieh, wenn dein Sohn erfahrt, daß du immer bei mir und mir in Liebe zugetan bist, so erwürgt er dich und mich!« Darauf wurde sie nachdenklich und sagte dann: »O mein Geliebter, nie soll Florianu etwas davon erfahren, daß ich dich freigemacht habe und daß ich dich so unaussprechlich liebe!« – »Wie glücklich könnten wir sein«, hub jener wieder an, »wenn dein Sohn weiterzöge. Gern möchte ich den Vaterfluch ertragen, wenn wir, du und ich, dieses Schloß für uns hätten.« – »Und könnten wir dies nicht bewirken?« fragte hierauf Florianus Mutter; »ich will ihn töten!« – »O sprich den Gedanken nicht aus!« rief darauf der Heuchler, aber sein Inneres war voll teuflischer Freude. »Warum soll ich ihn nicht töten können«, hub indessen sie wieder an, »hat er denn einen Vater, der um ihn trauerte? Warum mußte ich tausenderlei Qualen um seinetwillen erdulden? Warum schuldlos Qual und Schmach ertragen? Mir allein gehört er, durch endlose Leiden hab ich ihn erkauft, drum kann ich ihn auch um Freuden verkaufen!« Darauf fing der Verzauberte laut an zu lachen und sprach: »Recht so! Nur dir gehört er, und steht er dir im Wege, so töte ihn, und als dein Freund will ich dir helfen.« Hierauf berieten sie sich, wie sie es anfangen wollten, den Unbändigen aus dem Wege zu schaffen. Endlich sprach der listige Drache mit Lachen: »Mir fällt ein Mittel ein, teuerste Prinzessin. Wenn dein Sohn abends heimkehrt, so stelle dich krank, verschmähe alle Speisen und Getränke und sprich zu ihm: ‚O mein Sohn, ich fühle mich sehr krank und mag nichts essen; wenn du aber wieder einmal auf die Jagd gehen solltest, so wende dich im nächsten Forste rechts, dort, träumte mir, halten sich viele Auerochsen auf. Suche dann einen zu erlegen, denn ich glaube, das warme Hirn eines solchen würde mich gesund machen.‘ Darauf wird er sich schnell in den Forst begeben, und kommt er dort unter die Auerstiere, so werden sie ein Spiel mit ihm treiben, von dem er nicht wiederkehrt.«
Als Florianu abends nach Hause kam, hatte sich seine Mutter schon gelegt und tat, wie ihr der abscheuliche Buhle geraten hatte. Schnell ergriff der Held wieder den Bussogan und eilte, ohne auszuruhen, in den beschriebenen Forst, wo er bald ein mächtiges Rudel Auerochsen antraf. Nachdem er sich den größten davon ausersehen, erhob er seine Stimme so fürchterlich, daß alle die Flucht ergriffen, der stärkste voran. Pfeilschnell rannte er ihnen nach, holte sie ein, und vor seinen gewaltigen Streichen stoben sie rechts und links auseinander, bis er den Auserlesenen erwischte, den er beim Schweif faßte und rückwärts nach sich ziehend ins Drachenschloß brachte. Hier ging er mit ihm die Treppe hinauf und brachte ihn seiner Mutter vor das Bett. Sie war nicht darin, schlich sich aber doch augenblicklich herbei und sagte freundlich zu ihm, sie sei schnell gesund geworden. In Wahrheit war sie, da sie dachte, Florianu werde nicht mehr wiederkehren, schnell zu ihrem Buhlen geeilt. Jetzt küßte sie ihren Sohn und dankte ihm für seinen guten Willen, worauf Florianu lachte und sagte: »Ich wußte nicht, liebe Mutter, ob du das Auerochsenhirn blutwarm wolltest oder nicht, drum bracht ich das Tier lebendig. Da du es aber nicht brauchst, so laß ich es wieder laufen!« Somit stieß er den Auerochsen die Treppe hinab und ließ ihn das Freie suchen.
Die Prinzessin errötete zwar über die heldenmütige Unbefangenheit ihres Sohnes, ging aber doch nicht in sich, sondern begab sich, als Florianu in der Nacht fest schlief, in das Gemach, in dem ihr Geliebter war, und klagte diesem, wie ihr Sohn einen lebendigen Auerochsen am Schweife heimgeschleppt habe, ohne daß ihm das mindeste zugestoßen sei. Der Zauberer verwunderte sich hierüber sehr und riet der Prinzessin, sich am anderen Tage wieder krank zu stellen. Unter diesem Vorwand solle sie von ihrem Sohne verlangen, daß er links vom Auerochsenforst einen Bären fange und erlege, da ihr geträumt habe, daß sie von der Brühe einer Bärenkeule gesunden würde. »Dort«, setzte er boshaft hinzu, »findet der Prahler bestimmt sein Ende, denn in jener Wildnis befinden sich viele Bären, die an Stärke und Wildheit alle andern übertreffen.«
Wirklich stellte sich die Prinzessin am anderen Tage wieder krank und bat ihren Sohn, ihr von der Jagd eine Bärenkeule mitzubringen. Florianu lief, so schnell er konnte, und kam bald auf eine Lichtung mitten in dem beschriebenen Walde. Hier sah er auf einem der höchsten Felskämme einen ungeheuren Bären sitzen, der in der einen Tatze einen riesigen Baumstamm hielt und mit der anderen aus einer Höhlung desselben Honig fraß. Florianu näherte sich dem Felsen und redete das Ungetüm zu seinem Spaß an, indem er zu ihm hinaufrief: »Komm herunter, Geselle, daß wir uns im Ringen versuchen! Meine Mutter möchte wissen, wie stark einer von deinen Schenkeln ist!« Der Bär sah auf, brummte, und als ihn der Held unverwandt ansah, richtete er sich auf, den Baumstamm grimmig herunterschleudernd. Florianu kümmerte sich aber hierum wenig und erwartete seinen schrecklichen Gegner, der schnell herabkletterte, um ihn anzugreifen. Als er noch nicht ganz herab war, hielt ihn Florianu schon im Arme und rief lachend: »Warte, du Hitzkopf, du bist umsonst herabgestiegen, wir wollen den Kampf oben ausmachen!« So kletterte er mit ihm bis auf die oberste Spitze des Felsens und warf ihn dort mit solcher Gewalt herab, daß er regungslos liegenblieb. Diesmal fand Florianu, als er mit der verlangten Beute nach Hause kam, seine Mutter im Bett. Sie stellte sieh sehr krank und tat, als ob sie kaum etwas von sich wüßte; deshalb ging er selbst in die Küche, setzte die Bärenkeule zu, sott die Brühe heraus und brachte dieselbe der angeblichen Kranken, die jedoch nur ein wenig davon trank.
Am andern Morgen fand Florianu sie wieder gesund und ging deshalb munter auf die Jagd. Sie aber schlich sich zu ihrem tückischen Buhlen. Als dieser hörte, daß Florianu unbeschädigt aus dem Bärenwalde zurückgekommen sei, sann er auf ein neues Mittel, den Unbändigen zu verderben, und sprach zu der Prinzessin: »Stelle dich zum dritten Male krank und sage ihm wieder, wie du geträumt habest, daß du sterben müssest, wenn du nicht Wasser aus der Quelle des Lebens zu trinken bekommest. Sie entspringt auf dem Gipfel des schwarzen Berges, der sich an den Ufern des weißen Sees erhebt. Diese Quelle hütet der mächtigste böse Geist, den es gibt, der Tod, der deinen Sohn gewiß nicht mehr wiederkehren läßt, wenn er es wagen sollte, die Hand in das schwarze Becken der Quelle zu tauchen.«
Wie der Lügendrache gesagt hatte, so tat die Prinzessin, und Florianu verlor am andern Morgen keinen Augenblick, fand auch wirklich durch den großen Wald den weißen See und den schwarzen Berg. Am See hatte er einen unerwarteten Anblick, denn an seinen Ufern sah er viele wunderschöne Wasserjungfrauen, die unter fröhlichem Scherz badeten. Als sie des Helden ansichtig wurden, winkten und riefen sie ihm, er solle zu ihnen kommen und mit ihnen spielen. Florianu konnte über die außerordentliche Schönheit dieser Wesen nicht genug staunen, er ging näher, ohne daß er mehr ein Auge von ihnen abwandte, worauf auch die Wassermädchen herbeischwammen, denn auch sie hatten ein ausnehmendes Wohlgefallen an dem schönen Jüngling. Eine von ihnen fragte ihn, wie er heiße, eine zweite wie alt er sei, eine dritte, woher er komme, eine vierte, wohin er gehe, und so jede wieder etwas anderes. Er gab allen Bescheid, bis sie ihn, seine Schicksale, seine Wünsche so genau kannten wie er selbst. Alle rieten ihm aber nun inständigst ab, auf den schwarzen Berg zu gehen, denn der Tod selbst herrsche dort, und ihm entkomme kein Sterblicher. Florianu sagte aber hierauf: »Ich fürchte den Teufel nicht und noch viel weniger den Tod. Meine Mutter ist krank und muß von dem Wasser haben!« – »O schönster Jüngling«, sagten hierauf die Waldjungfrauen wieder traurig, »es schmerzt uns dein Schicksal, wenn du gehst! Bleibe bei uns, wir wollen dich liebhaben und dich pflegen, solange du lebst, du sollst alles haben, was dein Herz verlangt.« Der Held widerstand aber ihren verführerischen Lockungen und bestand darauf, daß er Wasser von der Quelle des schwarzen Berges holen müsse, selbst wenn es ihn sein Leben koste. Hierüber waren die Jungfrauen sehr betrübt und suchten ihn immer noch festzuhalten, indem sie ihre leichtgewobenen Nebelschleier über ihn warfen und ihn sanft damit umschlangen. Florianu ließ sich aber nicht irremachen und schritt durch die Nebel, welche den Fuß des schwarzen Berges wie ein weißer Kranz umgaben, mutig vorwärts.
Durch düstere Gründe und durch die Schluchten, mit denen der grauenhafte Berg nach allen Seiten hin durchrissen war, kam er immer höher; er durchdrang einen finsteren Wald und hatte nun nur noch ödes, nacktes Gestein und hier und da dürre Heide unter den Füßen. Den Gipfel des Berges hielt ebenfalls ein grauer, dichter Nebel umzogen, so daß er denselben nicht sehen konnte und zu seiner großen Überraschung plötzlich vor der Quelle stand, welche von dem Wasser des Lebens gebildet wurde. Schnell bückte er sich nieder, um aus dem dunklen Spiegel zu schöpfen, da regte sichs aber unter seinen Knien, und plötzlich riß ihn ein furchtbarer Wirbelwind hinweg, der ihn in den Lüften in tausend Stücke zerriß und dieselben an den Ufern des weißen Sees niederfallen ließ.
Während dieses vorging, war Florianus Mutter zu ihrem Buhlen gegangen und freute sich mit ihm, daß ihr Sohn nun nicht mehr wiederkehre, sie zu stören, und daß sie sich jetzt ungehindert ihrer Liebe hingeben könnte. »Das wußte ich wohl«, sprach der Abscheuliche, »daß er von dort nicht zurückkommen und daß er kein Wasser aus der Quelle des Lebens bringen wird.« Es wurde Abend, die Nacht brach an, und die Prinzessin trennte sich nicht von dem, für den eine zügellose Leidenschaft sie erfüllte.
Um Mitternacht, als der volle Mond gerade über dem Spiegel des weißen Sees stand und seine blauen Lichtstrahlen zitternd auf den gekräuselten Wellen desselben schwammen, erwachten die Wasserjungfrauen aus ihrem Schlummer auf dem Grunde des Sees und kamen an die Oberfläche. Zuerst tauchte die Königin auf, dann kamen die andern von allen Seiten herbei, scherzten und spielten untereinander, bis endlich eine mit kläglichem Geschrei herbeieilte und der Königin Florianus Herz zeigte, welches in den See gefallen war. Als diese es erkannte, wurde sie sehr traurig, dann rief sie alle zusammen und hieß sie, am Ufer und auf dem Grunde des Sees zu suchen und herbeizubringen, was sie von dem unglücklichen Helden finden konnten. Es dauerte nicht lange, so kamen sie alle ebenso freudig wieder zusammen, wie sie betrübt auseinandergegangen waren, denn jede hielt ein Stück von Florianu, welches sie gefunden hatte, in die Höhe. Die Königin selbst setzte nun den Leib des Helden wieder zusammen und schickte eine der Jungfrauen nach Lebenswasser aus, eine andere nach Blumen, auf welche der Leichnam gelegt wurde. Nachdem ihm zuletzt auch das Herz wieder eingesetzt war, besprengte sie ihn mit dem Wasser des Lebens, und siehe da, neugeboren erwachte der Held wie aus einem schweren Traum. Als er sich umsah und den schwarzen Berg vor sich gewahrte, fiel ihm das Wasser des Lebens wieder ein, welches er für seine Mutter bringen sollte. Er wollte schnell forteilen, indem er das, was auf dem Berge mit ihm vorgegangen war, nur für einen Traum hielt. Die Nymphenkönigin aber hielt ihn zurück, indem sie zu ihm sagte: »Gehe nicht wieder auf den schwarzen Berg, der Tod würde dich sonst ganz verderben!« Sie erzählte ihm nun, wie sie ihn stückweise wieder zusammengefügt hatte und warnte ihn, seiner Mutter nicht mehr zu trauen, weil sie, verblendet von wilder Leidenschaft zu dem abscheulichen Drachen, diesen freigelassen und ihrem eigenen Sohn dreimal den Untergang zu bereiten versucht habe. Anfangs wollte Florianu dies nicht glauben und sagte zu der Königin der Wasserjungfrauen: »O du, die mir das Leben zum zweiten Male geschenkt hat, verlange nicht, daß ich deinen Worten allein Glauben schenke, sondern, wenn sichs so verhält, wie du sagst, so gestatte mir, daß ich die bittere Wahrheit mit meinen Augen sehe.« – »So gehe hin«, erwiderte die Königin, »nimm Lebenswasser mit dir, welches dir eine meiner Dienerinnen geben wird, schleiche leise dem Schlosse zu und dem Saal, in dem du den großen Drachen gefangen hältst; an der Türe desselben wirst du erlauschen, was du mir jetzt nicht glauben willst.« Florianu dankte der Königin für ihre Wohltat und nahm, nachdem er von einer der schönen Jungfrauen das Lebenswasser in einer großen Seemuschel empfangen hatte, zärtlichen Abschied von der Königin und von ihren Jungfrauen, die sich um ihn her drängten, indem sie ihm aufs freundlichste Glück wünschten.
Als er seinem Schloß näher kam, schlich er, des Rates der Königin eingedenk, still hinein, die Treppe hinauf und gerade an die wohlbekannte Tür des Gemachs, in dem er den Drachen eingesperrt hatte. Der Riegel war weggeschoben, und als er durch das Schlüsselloch hineinsah, so erblickte er seine Mutter bei einem schönen jungen Manne sitzen, in dessen Gesicht er aber doch den scheußlichen Ausdruck des großen Drachens wahrnahm. Florianu hatte genug gesehen, um alles zu glauben, was ihm die Wasserkönigin erzählt hatte. Still ging er in das Gemach, das er sonst mit seiner Mutter bewohnt hatte, und rief laut nach ihr. Sie erschien alsbald, fiel ihm um den Hals und stellte sich, als ob sie vor Freuden weinte, weil er, da sie ihn schon tot geglaubt, endlich wiedergekehrt sei. Über dieser bodenlosen Falschheit bekam der Held einen solchen Abscheu vor ihr, daß er sich umkehrte und es nicht vermochte, auch nur ein Wort mit ihr zu sprechen. Sie eilte hinaus, um einiges für ihn zum Essen zuzubereiten, er aber wartete das nicht ab, sondern warf sich schnell aufs Lager und stellte sich, um nicht reden zu müssen, als ob er schliefe.
In der Nacht vernahm er, wie sie sich vom Lager erhob und sich auf den Zehen wegschlich, weshalb er ihr nachging und wieder vor jener verhängnisvollen Tür stehenblieb, hinter welcher sich der Lügendrache befand. Er schaute und horchte, vernahm aber nichts als Schluchzen und Küssen, dazu sah er auch die grünschillernden Augen des Ungetüms. Es dauerte nicht lange, so hörte er dessen Stimme: »Gräme dich nicht, süße Prinzessin, morgen will ich ihn selber vernichten. Morgen in der Frühe sag zu ihm: ‚Mein Sohn, schieße mir doch den schönen Vogel dort auf dem Baume, unserm Fenster gegenüber.‘ Ich werde schon dort einen solchen hinsetzen, und wenn er dann seinen Bogen anlegt, so will ich vom Fenster aus oben auf ihn lauern, als Drache herunterschießen und gewiß bewirken, daß sein Schuß fehlt!« – »Ja, Geist meiner Seele«, entgegnete die Prinzessin, »tue so, daß wir uns einmal frei unsrer Liebe hingeben können.«
Florianu wußte jetzt, was er zu tun hatte, und ging. Morgens, als er aufgestanden war und gefrühstückt hatte, sprach seine Mutter wirklich so zu ihm, wie sie vom Drachen gelernt hatte, so daß sich der Held kaum enthalten konnte, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. Doch schwieg er, und als ihm seine Mutter wirklich einen schönen Vogel zeigte, der ihren Fenstern gegenüber auf einem Baume saß und den er ihr schießen sollte, ging er hinunter, hatte aber schon auch den Drachen heimlich ins Auge gefaßt, der von einem Fenster aus oben auf ihn lauerte. Er stellte sich, als ob er den Pfeil auf dem Bogen recht aufmerksam abwägen und zielen wolle, da schoß der Drache mit einem Male pfeilschnell herab, Florianu aber hatte sich vorgesehen, ergriff ihn mit der einen Hand beim Hals, riß ihm mit der anderen die Zunge aus, band ihn wieder an die Marmorsäule, schleuderte ihn so festgebunden weit in den Forst hinein und rief: »Dort hilf dir herunter mit deinen abscheulichen Lügen.« Die Zunge aber warf er den neunundfünfzig Drachen hin, die oben noch gefesselt lagen, und natürlich war sie unter diesen hungrigen Scheusalen im Augenblick verschwunden.
Als er nach seinem Gemache zurückging, kam ihm seine Mutter mit blassem Gesicht entgegen und wollte ihn schmeichlerisch umfassen. Denn sicherlich, so sprach sie, habe der abscheuliche Drache, der seine Bande zerrissen haben müsse, ihm großen Schrecken bereitet. Aber in grimmigem Zorn sagte Florianu: »Zurück, du Rabenmutter, ich kenne dich und weiß, wer das Ungeheuer losgemacht hat. Ich will dir diesmal nichts zuleide tun, denn du hast mich geboren und Schmach und Schmerzen um mich erduldet. Von Stund an aber verlass‘ ich dich, du magst in diesem Drachenschloß bleiben und dich mit den anderen Ungeheuern sattbuhlen.« Mit diesen Worten ging er davon und ließ die Jammernde in Elend und Reue zurück. Sie verzehrte sich bald: er aber ging in die weite Welt voll Sehnsucht, große Taten zu verrichten.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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