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Gottes Lohn

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Vor vielen, vielen Jahren hörte ein armer Mann, daß derjenige, welcher dem lieben Herrgott etwas leihet, dasselbe hundertfach zurückbekomme. Ohne sich lange zu besinnen, warf er nun seine ganze Barschaft, die in einem einzigen Geldstücke bestand, in den Klingelbeutel, fest überzeugt, daß er dafür hundert solche Stücke erhalten werde. Als ein Jahr längst verstrichen war und die hundert Geldstücke nie ankamen, machte sich der gute Mann auf den Weg, um den Herrgott selbst aufzusuchen und ihn an sein Versprechen zu mahnen. Nachdem er den ganzen langen Tag gewandert war, kam er schachmatt zu einem Hause, in das er ging und um ein Nachtlager bat. Die Leute, die eben bei dem Nachtmahle waren, sagten ihm seine Bitte zu und hießen ihn mitessen. Bald fragte man, wohin seine Reise gehe. Er machte kein Hehl und sprach: »Ich gehe unsern lieben Herrgott aufsuchen, um ihn an seine Schuld zu erinnern.« Da sagte die Frau: »Wenn du zu unserm Herrgott gehst, so richte ihm auch von uns etwas aus. Morgen sollte unsere Tochter Hochzeit haben und heute ist sie schwer erkrankt. Es ist als ob sie nicht heiraten sollte. Schon früher war zweimal alles in Ordnung und der Hochzeitstag war bestimmt und beide Male erkrankte sie. Wenn du zum lieben Gotte kommst, sage ihm unser Anliegen und bitte ihn, er möchte doch unsere Tochter heiraten lassen.« Der Bettler versprach, ihren Wunsch zu erfüllen, ruhte die Nacht hindurch aus und wanderte am frühesten Morgen weiter. Den ganzen Tag ging er und erst abends wollte er sich Rast und Ruhe gönnen. Als die Sonne längst untergegangen war, kam er zu einem einsamen Hause, an dem ein großer Obstanger lag. Er bat um Nachtherberge und wurde freundlich aufgenommen. Auf die Frage: »Wohin des Weges?« teilte er das Ziel seiner Reise mit.
Da sprach der Bauer, dem der Hof gehörte: »Wenn du zu unserm lieben Herrgott kommst, dann frage ihn, warum in unserm Anger keine Trauben mehr wachsen?« Der Bettler versprach dies zu tun, legte sich dann zur Ruhe und schlief, bis der Hahn krähte. Dann ging er wieder seines Weges und wanderte den ganzen, langen Tag, bis er abends zur Hütte zweier armen Brüder kam, die ihn willkommen hießen und ihm eine Wassersuppe kochten. Als diese vom Zwecke seiner Reise hörten, sagte der ältere: »Wenn du den lieben Herrgott findest, so frage ihn doch, warum zwischen uns Brüdern immer Unfriede herrsche, und wie diesem Übelstande abzuhelfen sei?« Der Bettler versprach diesen Wunsch zu erfüllen, lag bei ihnen über Nacht und wanderte mit dem frühesten Morgen wieder weiter. Er war erst einige Stunden gegangen, da begegnete ihm ein ehrwürdiger alter Mann mit silberweißen Haaren und langem, grauen Barte. Der Greis fragte den Bettler: »Wohin des Weges?« Dieser antwortete: »Ich gehe unsern lieben Herrgott suchen, um ihn an ein Versprechen zu mahnen.« »Wenn dem so ist,« erwiderte der Greis, »dann bist du am Ziele; denn ich bin, den du suchest.« Da fiel der Bettler auf die Knie und sprach: »Wenn Ihr der liebe Herrgott seid, dann bitte ich um die hundert Geldstücke, die Ihr mir versprochen habt.« »Geh getrost nach Hause,« erwiderte unser Herrgott, »und ehe du heimkommst, wirst du mehr als das Hundertfache haben.« Da dankte der Bettler, sprang auf und wollte schon umkehren, doch fielen ihm noch zu rechter Zeit die Wünsche seiner Wirte ein. Er trug nun die Anliegen derselben Gott vor und dieser gab die gewünschten Bescheide. Dankend empfahl sich der Bettler und schlug eiligst den Rückweg ein.
Als er zur Hütte der zwei Brüder kam, fragten ihn diese sogleich: »Hast du ihn gefunden? Hast du ihn auch gefragt?« »Ja wohl!« erwiderte der Bettler, »ich habe ihn gefunden und euch läßt er folgendes sagen: ‚Ihr lebt in Zwist und Hader, weil keiner dem andern nachgeben will. Ihr sollt euch deshalb voneinander trennen und ein jeder soll eine eigene Wirtschaft anfangen.’« – »Ah, das hätten wir längst getan, aber wir sind zu arm und haben nichts als diese baufällige Hütte,« sprachen die Brüder. »Ei habt nur Geduld und laßt mich zu Ende reden!« versetzte der Bettler. »Der Herrgott sagte, ihr solltet den Herd in der Küche abtragen und das Weitere werde sich von selbst ergeben.« Alsogleich eilten sie in die Küche, schlugen den Herd zusammen und fanden im Grunde einen ungeheuren Topf, gefüllt mit Goldstücken. Überglücklich fielen die Brüder dem Bettler um den Hals, gaben ihm so viel Geld, daß er’s kaum ertragen konnte, und ließen ihn nach einer kargen Bewirtung seines Weges ziehen. Der Bettler war nun ein wohlhabender Mann und wanderte Gott dankend und seelenvergnügt weiter. Endlich kam er zum zweiten Hause, in dem er übernachtet hatte, und auch hier fragte man ihn sogleich, ob er bei unserm Herrgott gewesen sei, und was dieser gesagt habe? Da antwortete der Wanderer: »Der liebe Herrgott, bei dem ich gewesen bin, läßt euch sagen: Wundert euch nicht, daß in eurem Anger keine Trauben mehr wachsen! Ehedem hattet ihr um euren Garten einen so niedrigen Zaun, daß jeder Wanderer sich mit der Frucht eurer Reben erquicken konnte, und deshalb segnete ich eure Pflanzung. Nun aber habt ihr den Anger mit so hohen Mauern umgeben, daß kaum mehr ein Vöglein sich an den Trauben laben kann. Wenn ihr nicht mehr so hartherzig gegen eure Nächsten sein werdet, werde auch ich freigebig gegen euch sein und eure Reben segnen.« Die Leute sahen reuig ihren begangenen Fehler ein, beschenkten und bewirteten den Wanderer reichlich und am folgenden Morgen zog er wieder weiter, bis er zum dritten Hause kam. »Ich habe ihn gefunden,« rief er zur Türe hinein. Die Eltern begrüßten ihn aufs beste, luden ihn ins Haus und fragten nach dem Bescheide. »Ja,« antwortete er, »unser Herr läßt euch sagen: Habt ihr ganz vergessen, daß ihr euer Kind in zarter Jugend mir geschenkt habet? Wie könnt ihr nun dasselbe einem irdischen Bräutigam antrauen wollen? Wenn ihr wollt, daß eure Tochter gesund bleibe, und daß ich euer Haus segne, so denkt nicht mehr an die Vermählung eurer Tochter.«
Die Eltern sahen ein, daß sie gefehlt hatten, bereuten es und beschenkten den Wanderer so reichlich, daß er nun nicht nur hundertfach, sondern tausendfach für sein Geldstück belohnt war. Er blieb einige Tage in diesem Hause und schickte von hier die Hälfte seines Geldes den Seinigen, denn ihn selbst wandelte die Lust an, sich ein wenig in der Welt umzusehen. Er zog nun weiter und kam eines Tages zu einem wunderschönen Garten. Neugierig blieb er am Gitter stehen, um die prächtigen Blumen und schönen Bäume näher zu betrachten. Da sah er, wie der Gärtner die zarten Bäumchen auf eine erbärmliche Weise beschnitt, und er mußte über das läppische Treiben laut auflachen. Dies vernahm der Graf, dem der Garten gehörte, und fragte ihn, warum er denn lache. »Und wer sollte nicht lachen,« sprach der Wandersmann, »wenn man so schöne Bäumchen auf so ungeschickte Weise behandelt?« »Wärest du imstande, es besser zu machen?« fragte der Graf. »Ja, ich hätte zu lange gelebt, wenn ich es nicht besser verstünde,« antwortete der Befragte. »Nun dann komm und laß deine Kunst sehen!« sprach der Graf und öffnete das Gitter. Unser Wanderer ließ sich das nicht zweimal sagen, ging in den Garten, nahm das Messer und beschnitt die Bäumchen so kunstgerecht, daß der staunende Graf ihn fragte, ob er nicht bei ihm bleiben und den Garten besorgen möchte. »Warum nicht,« versetzte der Mann, »wenn guter Lohn und ordentliche Verpflegung herausschaut?« »Das soll dir nicht fehlen,« sprach der Graf, und sogleich wurde der Wanderer als Gärtner angestellt. Der Garten gedieh nun unter der Hand des fleißigen, klugen Mannes dergestalt, daß der Graf Stolz und Freude darüber empfand und den Gärtner von Tag zu Tag lieber gewann. Dieser hatte aber selbst die größte Lust an seiner Beschäftigung und deren glänzenden Erfolgen, daß ihm Wochen wie Stunden vorkamen und ihm einige Jahre vergingen, ohne daß er daran dachte weiter zu gehen. Endlich aber erhielt doch die Sehnsucht, die Seinigen und die liebe Heimat zu sehen, die Oberhand und er entschloß sich nach Hause zu wandern. Er teilte dem Grafen sein Vorhaben mit und bat ihn um den Lohn. Der Herr wollte ihn aber nicht wegziehen lassen, denn er glaubte, daß er keinen so geschickten Gärtner jemals mehr bekommen werde. Da aber der Gärtner auf seinem Entschlusse bestand, sprach der Graf: »Nun denn, wenn es sein muß, geh in Gottes Namen! Zum Lohne gebe ich dir nichts als diese drei Lehren: Erstens, wenn du auf deiner Reise zu zwei Wegen kommst, einem alten und einem neuen, so folge immer dem alten; zweitens, frage nie in fremden Häusern, warum dieses oder jenes da sei, oder was dies oder jenes zu bedeuten habe; drittens, tue nie etwas in der Aufwallung des Zornes.« Da dachte sich der Gärtner, das ist ein schöner Lohn, ging und packte seine Sachen zusammen. Als er aber sein Bündel geschnürt hatte und Abschied nahm, gab ihm der Graf eine Torte und sprach: »Zum Angedenken gebe ich dir diese Torte, schneide aber dieselbe nicht an außer im Augenblicke deiner höchsten Freude!« Der Gärtner dankte, nahm Abschied und machte sich auf den Heimweg. Er war noch nicht weit gegangen, da holte ihn ein prächtiger Wagen ein und der Herr desselben lud den Fußgänger ein, mit ihm zu fahren. Unser Wanderer ließ sich dies nicht zweimal sagen und nahm die Einladung mit Dank an. Als sie eine Strecke gefahren waren, teilte sich der Weg. Da bemerkte der Gärtner, daß der Kutscher den neuen einschlage, bat zu halten, stieg aus und folgte der alten Straße, bis er dorthin gelangte, wo der neue Weg wiederum mit dem alten zusammenlief. Hier erkundigte er sich im Wirtshause, ob nicht eine Kutsche vorübergefahren sei. Man verneinte seine Frage. Doch während er noch sprach, sprengte allein ein Pferd daher, und als man nun ging, um zu sehen, ob ein Unglück begegnet sei, fand man den Herrn schwer verwundet auf der neuen Straße liegen. Räuber hatten den Wagen überfallen, den Kutscher erschlagen und den Herrn beraubt und arg zugerichtet. Unser Mann dankte Gott, daß er dem Rate des Grafen gefolgt war, und nahm sich ernstlich vor, immer dessen Lehren zu beobachten. Ernst und nachdenkend wanderte er weiter, bis er abends zu einer einsamen Schenke kam, in welcher er Nachtherberge nahm. Wie erschrak er aber, als er aus dem Fenster blickte und im Hofe Arme, Hände, Füße eines Menschen liegen sah. Schon wollte er fragen, was dies zu bedeuten habe, als er sich der Mahnung des Grafen erinnerte und das Wort auf der Zunge unterdrückte. Er legte sich zu Bette, konnte aber vor Angst und Furcht die ganze Nacht hindurch kein Auge schließen. Frühmorgens stand er auf und wollte seine Zeche bezahlen. Da fragte ihn der Wirt, ob er sich nicht verwundert habe wegen der im Hofe liegenden Menschenglieder, und warum er nicht Aufschluß darüber verlangt habe. Unser Mann antwortete: »Weil ich nicht gewohnt bin, nach Dingen zu fragen, die mich nicht angehen.« »Du hast wohl getan,« versetzte der Wirt, »denn hättest du gefragt, hättest auch du ein Glied zurücklassen müssen.« Gott und dem Grafen im stillen dankend nahm er Abschied und setzte seine Reise mit verdoppelten Schritten fort, denn er war seiner Heimat schon nahe. Im heimatlichen Dorfe angekommen, kehrte er im Wirtshause, das seiner Hütte gerade gegenüber lag, ein und erquickte sich. Wie er nun am Fenster saß, sah er einen jungen Priester in seine Hütte treten, der von seinem Weibe auf das freundlichste empfangen wurde. Ja, sie fiel ihm an den Hals, küßte ihn und drückte ihn an ihr Herz. Das däuchte dem Heimgekehrten zu arg, er sprang auf und wollte ins Haus hinüber eilen, um die Untreue zu züchtigen. Da fiel ihm der dritte Rat des Grafen ein, er hielt sich zurück und fragte, wer der junge Pfaffe sei. Darauf antwortete man ihm, es sei der Sohn jener Witwe, der ihr Mann längst davongegangen sei. Der neugeweihte Priester sei eben nach Hause gekommen, um morgen die erste heilige Messe zu lesen. Es sei dies ein Fest für die ganze Gemeinde. Da ertönten auf einmal die Glocken und es krachten die Böller zur Vorfeier des Tages. Der Mann konnte sich vor Rührung kaum der Tränen enthalten und pries im Herzen die wunderbaren Fügungen Gottes. Am folgenden Tage wurde die Primiz in feierlichster Weise begangen. Als der Gottesdienst vollendet war, zogen alle Gäste in das Wirtshaus zum festlichen Mahle. Der Fremde saß auch ungekannt am Tische. Als aber Lebehochs auf den Neugeweihten und dessen Mutter ausgebracht wurden, stimmte der Gast mit lauter Stimme ein und sprach dann: »Soll aber der Vater des Priesters, dessen Ehrentag heute gefeiert wird, ganz vergessen bleiben? – Kennt mich denn niemand mehr? Auch du nicht, geliebtes treues Weib? Auch ihr nicht, liebe Kinder?« – Da erscholl es wie aus einem Munde: »O lieber, lieber Mann!« »O lieber, lieber Vater!« und der Freude war kein Maß. Nachdem man sich umarmt und geküßt hatte, rief der Vater: »Dies ist gewiß der freudigste Augenblick meines ganzen Lebens und deshalb will ich dem Grafen folgen und die schwere Torte anschneiden.« Er holte nun die Torte, stellte sie in die Mitte des Tisches und schnitt sie an. Sie war aber so hart, daß kein Messer durchdringen wollte. Endlich brach sie entzwei – und sieh, es rollten unzählige Goldstücke aus dem Kuchen, die ihm der Graf als Lohn für seine treuen Dienste in der Torte gespendet hatte. Des Staunens war kein Ende. Der Vater blickte aber gegen Himmel und sprach mit feierlicher Stimme: »Sehet, so bezahlt der Herrgott das ihm Geliehene.«

(Luserna)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]

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