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Märchenbasar

Griseldele

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Es war einmal ein armes, altes Bäuerlein, das hatte drei Töchter, die jüngste davon hieß Griseldele. Das Griseldele war weit schöner als seine zwei Schwestern und war auch so brav und fleißig, daß jeder Mensch darüber staunte. Sie mußte immer auf den Berg gehen und hüten, war aber mit dem Hüten allein nie zufrieden, sondern nahm sich immer noch eine andere Arbeit mit, um ja nie müßig zu sein.
Unten am Berg stand ein Grafenschloß, darin lebte ein junger Graf, der noch unverheiratet war und eben daran dachte, wen er etwa zur Gräfin ausersehen sollte. Er sah das Griseldele alle Tage auf den Berg fahren und wunderte sich nicht nur über ihre Schönheit, sondern noch viel mehr über ihren Fleiß und ihre Sittsamkeit. Da kam ihm denn einmal in den Sinn: Das fleißige, sittsame Mädchen sollst du zur Gemahlin nehmen; denn eine bessere findest du nicht, soweit der Himmel blau ist.
Dieser Gedanke setzte sich immer mehr in seinem Kopf fest, und er war bald entschlossen, das Griseldele zu seiner Frau zu nehmen. Er ließ alles zur Hochzeit zurechtmachen, sagte aber keinem Menschen etwas, wer diejenige sei, die er zur Braut ausersehen habe. Als alles in Ordnung war und zur Hochzeit nichts mehr mangelte als die Braut, da befahl er seinen Bedienten, in den Stall zu gehen und die Rosse zurechtzurichten, damit er seine Braut abholen könnte. Als der Wagen zur Abfahrt bereitstand, hieß er alle weggehen, denn er wollte nicht, daß jemand mit ihm fahre und darauf komme, daß die Braut nur von gemeinem Stand sei.
Als alle weg waren, trug er schöne Frauenkleider, die er in der Nähe versteckt hatte, in den Wagen, setzte sich auf und fuhr von dannen. Er kam bald in die Gegend, wo das Bäuerlein mit den drei Töchtern wohnte. Das Haus selbst aber stand nicht an dem Weg, sondern ein ziemliches Stück abseits. Da bog er nun von der Straße ab und fuhr zu dem Haus hin.
Das Bäuerlein, das eben vor dem Haus Holz spaltete, wunderte sich über die Kutsche, die daherkam, und dachte: Der hat schön den Weg verfehlt, da muß ich ihm doch entgegenlaufen und sagen, daß er umkehrt. Augenblicklich legte er die Hacke beiseite und lief der Kutsche entgegen. Schon von weitem deutete er mit dem Arm, daß der Fuhrmann umkehren sollte, und als er nahe kam und den Herrn sah, sagte er: »Fahren Sie nur gleich zurück, Sie sind ganz auf dem falschen Weg; da kommen Sie ja nirgends hin als zu meiner Hütte hinüber.«
Der Herr lächelte und sagte kurz: »O nein, Vaterle, ich bin schon auf dem rechten Weg.« Hiermit gab er den Rossen einen leichten Schlag und fuhr noch viel lustiger dahin als früher.
Das Bäuerlein kehrte auch wieder um und lief der Kutsche nach. Als der Herr beim Haus ankam, wartete er auf das Männlein und fragte es dann, ob es nicht etwa drei Töchter habe.
»Drei Töchter habe ich wohl«, antwortete das Männlein.
»Nun, so heiße sie herausgehen.«
Das Bäuerlein wunderte sich sehr, warum der Graf die drei Töchter begehre, aber zu fragen getraute er sich nicht, und er mußte nun einmal seinen Willen tun, wenn er auch nicht wußte, warum. Er ging hinein und holte die Töchter. Da kamen die älteren zwei heraus in ihrem grauen Gewand, das sie immer anhatten. Der Graf sah, daß die rechte nicht darunter war, und fragte das Bäuerlein: »Hast du nicht noch eine? Du hast ja gesagt, daß du drei hast? Wo ist denn die dritte, daß sie sich nicht sehen läßt?«
Das Bäuerlein entschuldigte sich und sagte: »Das Griseldele hab‘ ich auch gebeten, herabzugehen, es ist mir aber um alles in der Welt nicht gegangen, weil es sich gerade so viel geschämt hat.«
»Heiße sie nur doch herausgehen«, sagte der Herr, »und sage ihr, ich möchte sie durchaus sehen, und sollte sie so schlecht gekleidet sein, wie sie wollte.«
Das Bäuerlein ging hinein, um sie zu holen, und endlich kam das Griseldele im grauen Kittel heraus. Sie scheute sich so vor dem fremden Herrn, daß sie brennrot war im ganzen Gesicht, aber dem Grafen gefiel es so weit besser, als wenn sie recht frech und keck vor ihn getreten wäre. Er erkannte sogleich, daß es die jenige war, die er sich schon lange gewünscht hatte, und fragte sie, ob sie seine Frau werden möchte. Man weiß wohl, daß sie anfangs meinte, es sei nur Spaß und der gräfliche Herr habe sie zum besten. Wie er aber zwei-, dreimal dieselbe Frage wiederholte und ihr hoch und teuer versicherte, daß es sein voller Ernst sei und die Leute schon auf die Hochzeit warteten, da fing sie an, es nach und nach zu glauben, und stotterte ein verschämtes Ja.
Der Graf dankte ihr, gab ihr die schönen Kleider aus dem Wagen und sagte, sie sollte jetzt das graue Kittele wegwerfen und das seidene Gewand dafür anziehen. Da ging das Griseldele in seine Kammer, und als es in den seidenen, goldgestickten Kleidern herauskam, da leuchtete seine Schönheit erst recht, und der Graf sah wohl ein, daß er nicht nur die bravste, sondern auch die schönste Braut gefunden habe. Er gab nun ihrem Vater und den zwei Schwestern reiche Geschenke, damit sie doch zufrieden seien, weil er sie nicht zur Hochzeit laden wollte. Dann hieß er das Griseldele einsteigen, kehrte um und fuhr lustig in sein Schloß.
Als er in den Hof kam, lief alles an den Wagen, um die unbekannte Braut zu sehen. Jedermann wunderte sich über die Schönheit der Jungfrau, aber kein Mensch getraute sich, den Grafen zu fragen, wo er sie geholt habe. Das Griseldele wußte nicht, wie ihm war unter den vielen vornehmen Leuten, und wenn es nicht den Grafen sogleich liebgewonnen hätte, so hätte es sich über neunundneunzig Meilen hinweggewünscht.
Es wurde nun die Hochzeit mit aller erdenklichen Pracht gefeiert, und der Graf und das Griseldele lebten von nun an als Mann und Weib in Frieden und Liebe beisammen.
Es dauerte ein Jahr, da schickte ihnen der Herr ein Kindlein zu, und das war ein Mädchen. Kaum war es auf der Welt, ging der Graf zum Griseldele hin, bemühte sich, ein finsteres Gesicht zu machen, und sagte: »Jetzt gib mir nur sogleich das Kind, ich will es in den Abgrund werfen, damit die Leute nichts davon erfahren. Ich muß mich ja lange schon schämen, daß ich dich zur Frau genommen habe, wie müßte mir erst zumute sein, wenn ein Kind aus dieser Ehe mein Erbe werden sollte.«
Wie weh die Rede und das Verlangen des Grafen dem Griseldele taten, das kann man sich wohl denken. Sie sagte aber kein Wort, unterdrückte dem Gemahl zuliebe ihren Schmerz, bekreuzigte und küßte das Kind und gab es ihm. Er nahm es, setzte sich damit in eine Kutsche und fuhr weit fort zu braven Leuten. Diesen gab er das Kind und trug ihnen auf, es vor allem zu taufen und in der Taufe Maria zu nennen. Dann sollten sie es fleißig ernähren und erziehen, er werde schon alles gut bezahlen und von Zeit zu Zeit nachsehen kommen, wie es seinem Töchterlein ginge. Als er alles in Ordnung hatte, fuhr er wieder heim, ging zu seiner Gemahlin und sagte: »Jetzt wird wohl kein Mensch mehr etwas erfahren davon, weil ich es heimlich in den Abgrund hinabgeworfen habe.«
Dem Griseldele ging bei diesen Worten wieder ein tiefer Stich durch das Herz, und sie hätte bittere Tränen weinen mögen, unterdrückte aber ihren Schmerz gewaltsam und ertrug alles voll Demut und aus Liebe zu ihrem Herrn.
Nach einem Jahre bekam sie wieder ein Kind, und das war ein Knabe. Kaum war er auf der Welt, so kam der Graf zur Gräfin, machte ein finsteres Gesicht und sagte: »Jetzt gib mir sogleich den Buben, damit ich ihn in den Abgrund werfen kann. Ich bin so vor den Leuten nimmer sicher, weil ich dich geheiratet habe, was würden sie erst sagen, wenn ich ein Kind, das dir so gut angehört wie mir, als meinen Erben aufziehen wollte?«
Griseldele sagte wieder kein Wort, nahm das Knäblein, bekreuzigte und küßte es und reichte es ihm hin. Er ging damit fort, setzte sich in eine Kutsche und fuhr damit zu den nämlichen Leute, zu denen er auch das Mädchen gebracht hatte. Diesen übergab er das Kind, trug ihnen auf, ihm in der Taufe den Namen Johann zu geben und es ordentlich zu erziehen. Dann fuhr er heim, ging zur Gräfin und sagte: »Ist gut, daß der Bub jetzt im Abgrund liegt, damit doch die Leute davon nichts erfahren.« Griseldele sagte wieder nichts, so tief ihr auch diese Rede in der Seele weh tat.
Der Graf fuhr öfter hin, zu sehen, wie es den Kindern ginge, sagte ihnen auch, als sie es verstehen konnten, daß er ihr Vater sei, und hatte eine große Freude, als er sah, daß sie recht kräftig heranwuchsen und von den fremden Leuten so tugendhaft erzogen wurden, daß er wegen ihres Wohles nicht die geringste Sorge zu haben brauchte. Griseldele aber erfuhr nie etwas von ihren Kindern und dachte oft mit Schmerz daran, wie fein sie es jetzt hätte, wenn die zwei Kinder noch am Leben wären. Sie ließ aber nie ein Wort der Klage hören, sondern ergab sich geduldig und demütig in ihr Geschick.
Siebzehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes kam der Graf einmal zum Griseldele und sagte: »Jetzt hilft es nichts mehr, du mußt aus dem Schloß. Die Leute wundern sich schon alle, daß ich dich so lange hier leiden mochte, und sind wild über mich, weil ich mein Geschlecht so verunehrte. Geh du wieder heim, leg dein graues Kittele an und schicke das gräfliche Gewand zurück.«
Griseldele erschrak über diesen Befehl, wurde aber nicht zornig, sondern nahm Abschied von ihrem Gemahl, als ob er ihr immer nur Gutes getan hätte. Schweigend verließ sie das Schloß und machte sich auf den Weg, der Heimat zu. Da hatte sie allerlei schwere Gedanken und fürchtete sich, der Vater werde vielleicht lange schon tot sein. Und was werden erst meine Schwestern sagen, dachte sie, wenn ich erzähle, daß mich der Graf verjagt hat. Sie werden mich auslachen und mir mein Unglück gönnen, weil ich mich früher so hoch über sie erheben wollte.
Mit solchen Gedanken ging sie der Heimat zu und kam endlich in dem Bauernhäuslein an. Da hatte sie doch eine Freude, weil sie den Vater noch am Leben traf und ihm ihr tiefes Herzeleid klagen konnte. Sie bat ihn dann, er möge sie wieder bei sich behalten, sie wolle gern alle Arbeit tun und sich gar nicht anmerken lassen, daß sie einmal etwas anderes gewesen sei als das arme Griseldele. Der Vater erbarmte sich über sie, sprach ihr Trost zu, hieß sie bleiben und sagte:

»Leg nur an das graue Kittele,
Und iß mit mir ein Überschüttele.«

Griseldele zog nun wieder ihr graues Kittele an und schickte die kostbaren seidenen Kleider dem Grafen ins Schloß zurück. Sie lebte wieder wie früher, bei bäurischer Arbeit und ländlicher Kost, und wenn sie auch mit Liebe und Sehnsucht an ihren Gemahl zurückdachte, so hoffte sie doch nicht, jemals wieder in das Grafenschloß zurückzukehren.
Da bekam sie einmal von ihrem Gemahl einen Brief, darin hieß es, sie solle sogleich in das Schloß kommen und alle Böden spülen, denn es müsse im Schloß alles gesäubert werden, weil er aufs neue Hochzeit halten und sich mit einer Braut vermählen wolle, die so schön sei wie die Sonne. Griseldele besann sich keinen Augenblick, ging in das Schloß, rutschte dort im grauen Kittele auf allen Böden umher und spülte den ganzen Tag wie die gemeinste Bauernmagd.
Als sie alle Böden im ganzen Schloß gespült hatte, kam einmal der Graf zu ihr und sagte: »Ich will jetzt gehn, meine Braut zu holen, du kannst während der Hochzeit in der Küche abspülen oder sonst tun, was man dir anschafft.«
Griseldele sagte kein unwilliges Wort, wünschte ihm Glück zur Reise und blieb in dem Schloß.
Daraufhin fuhr der Graf mit einer schönen Kutsche zu seinen Kindern und führte sie in das Schloß. Er verbot ihnen aber so lange, ihn Vater zu nennen, bis er wieder die Erlaubnis dazu geben würde. Auch gab er ihnen sonst Weis‘ und Lehre, wie sie sich zuerst im Schloß zu benehmen hätten, und sagte besonders der Tochter, sie solle gerade so tun, als ob sie seine Braut wäre.
Sie kamen nun in das Schloß, und jedermann staunte über die Schönheit der neuen Braut.
Der Graf hieß Griseldele kommen, stellte ihr die schöne Jungfrau vor und sagte: »Nicht wahr, diesmal habe ich eine schöne und vornehme Braut?«
Griseldele antwortete wenig und dachte bei sich: Schön und vornehm ist sie wohl, aber ich wünsche ihr Glück zu einer solchen Ehe.
Nun sollte vor allem der Handschlag gefeiert werden, und von nah und fern kamen die geladenen Gäste herbei. Während der Mahlzeit sagte der Graf auf einmal: »Sagt zum Griseldele, jetzt soll sie einmal auftragen, und zwar frisch vom Abspülen weg im schmutzigen Gewand und grauen Kittele.«
Die Bedienten gingen hinaus und sagten das dem Griseldele. Sie erschrak über diesen Befehl und ließ den Grafen bitten, er sollte ihr doch das nachsehen. Er aber schickte noch einmal hinaus und befahl ihr, sie solle nur sogleich mit der nächsten Speise hereinkommen. Da gehorchte sie ohne weitere Widerrede und trug in ihrem schmutzigen Gewand und grauen Kittele ein Gericht herbei. Da sah sie nun den Grafen neben der schönen Jungfrau sitzen, und auf seiner anderen Seite saß ein schöner Jüngling, den sie aber ebensowenig erkannte wie die vermeintliche Braut. Als sie wieder hinausgegangen war, sagte der Graf zu seinen Kindern: »Jetzt dürft ihr mich Vater heißen, und die eben aufgetragen hat, sollt ihr beim nächsten Eintreten als eure Mutter begrüßen. Sie hat ihre Probe ausgehalten und lange Zeit gelitten; jetzt aber soll des Leidens ein Ende sein, und wir wollen alle zusammen ein freudiges Leben führen.«
Sobald sie das nächstemal hereinkam, hörte sie, wie die Braut und der Jüngling den Grafen ihren Vater nannten, und als sie die Schüssel auf den Tisch gestellt hatte, da sprangen ihr alle drei entgegen und nannten sie und begrüßten sie als Gemahlin und Mutter. Der Graf hieß sie nun ihre gräflichen Kleider wieder anziehen und sich zu ihnen an den Tisch setzen. Jetzt wurde die Hochzeit mit Ernst gefeiert, und Griseldele hatte von nun an keine schlimmen Tage mehr, sondern nur frohe und glückliche.

(von einer Passeierin in Meran gehört)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]

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