Vor Zeiten lebte einmal ein grausamer Schah, der eine Tochter mit Namen Husnobad hatte. Das Mädchen war von ungewöhnlicher Schönheit, ich würde sie mit dem Mond vergleichen, aber sie hat ja ein Antlitz. Ich würde sie mit der Sonne vergleichen, aber sie hat ja Augen. Neben dem Glanz ihrer Schönheit erschien sogar der Vollmond trübe. Aus vielen Ländern kamen Freier, aber der Schah wollte seine Tochter niemandem geben. Husnobads Mutter stammte aus einer armen Familie, und häufig warf ihr der Schah vor: „Du bist die Frau eines Schahs, hast satt zu essen und kannst dich schön kleiden! Hätte dich ein Armer geheiratet, würdest du kein Brot, sondern Lehm kauen!“ Dann weinte Husnobads Mutter, die Tochter aber streichelte sie und sagte: „Vermähle mich mit keinem Schah! Gib mich lieber einem armen Mann! Wenn ich Glück haben sollte, werde ich selbst meinen Mann zum Schah machen, ihn auf den Thron meines Vaters setzen, und für alle armen Menschen wird das Leben leichter werden.“
Als der Schah eines Tages auf seinem Thron saß, kam ein Rabe geflogen, ließ sich auf einem Baum vor dem Fenster nieder und begann zu krächzen: „Karrr! Karrr! Karrr!“ Der Schah rief vierhundert seiner Ratgeber herbei und fragte sie: „Ihr klugen Räte, was sagt dieser Rabe?“ Die Ratgeber dachten lange nach. Endlich antworteten sie: „Wir wissen es nicht. Er ist ein Rabe, und wir sind Menschen. Wahrscheinlich hat er gute Laune, darum krächzt er.“ – „Henker herbei!“, schrie der erboste Schah. Wie schreckliche schwarze Vögel erschienen vor dem Schah vierzehn Henker mit scharfen Schwertern. „Wessen Todesstunde ist gekommen? Noch ehe das Licht den Schatten streift, wird sein Kopf gefallen sein!“ – „Führt alle Ratgeber hinaus und schlagt ihnen die Köpfe ab!“ befahl der Schah. Da warf sich Husnobad vor ihrem Vater auf die Knie und bat: „O Vater! Wirst du sie am Leben lassen, wenn ich deine Frage beantworte?“ – „Wenn du sie beantwortest, dann verzeihe ich ihnen“, versprach der Schah. „Das Gekrächze des Raben bedeutet: Das Glück bringt dem Mann seine Frau und das Unglück wiederum die Frau.“ Der Schah geriet so sehr in Wut, dass sich jedes Härchen an seinem Körper wie eine spitze Nadel empor sträubte. „Oh, du schamloses Geschöpf! Also kommt all mein Glück von deiner Mutter, der Tochter eines Habenichts! Schwatze keinen Unfug! Ich Lass dich in den Kerker werfen und nach sieben Jahren stopfe ich deine Haut mit Stroh aus und hänge sie auf dem Markt zur Schau! Soll sie alle Mädchen abschrecken, damit sie es nicht wagen, ihrem Vater zu trotzen!“ Der Schah befahl, Husnobad in einen dunklen Kerker zu werfen, und ließ die Ratgeber frei.
Eine ganze Woche lang saß der Schah mit finsterer Miene und trüben Gedanken in seinem Palast. „Es ist nicht gut, nur im Hause zu sitzen!“ versuchte sein Großwesir ihn umzustimmen. „Vergnügt Euch! Lasst uns auf die Jagd reiten!“ Der Schah nahm seine vierhundert Ratgeber und vierundvierzig Wesire und ritt mit ihnen auf die Jagd. Sieben Tage lang streiften sie auf der Suche nach Wild durch die Steppe, konnten aber nicht einmal ein Mäuschen erlegen. Der Schah war sehr verstimmt. Plötzlich zeigte sich in der Ferne ein Fluss. Der Schah ritt zum Ufer. Dort sah er einen weißbärtigen Alten sitzen, der aus dem Wasser Steinchen holte, auf ihnen etwas suchte und sie dann in den Fluss zurückwarf. „He, Alter, was machst du denn da?“ wollte der Schah wissen. „Ich bin doch ein armer Bettler. Darf ich es denn wagen, mit dem Schah zu sprechen?“ – „Antworte mir, sonst erschlage ich dich mit meinem Schwert!“ – „Ich weissage den Menschen ihr Schicksal“, antwortete der Greis. „Und was erwartet meine ungehorsame Tochter?“ Der Alte tauchte die Hand ins Wasser und holte ein Häuflein Steine aus dem Fluss. „Im Lande Schachri-Dshardshan lebt ein Recke, der Sohn eines armen Hirten. Diesen Hirtensohn wird deine Tochter heiraten“, weissagte der Alte. Vor Wut lief der Schah dunkelblau an. „Wie viele Tagesritte sind es bis zu diesem Lande?“ fragte er. „Selbst wenn man ein gutes Pferd besteigt, muss man achtzehn Monate lang reiten.“ Der Schah kehrte heim und verbrachte drei Tage mit Nachdenken: „Was soll ich tun, damit dieser einfache Hirte meine Tochter nicht bekommt? Sie hier im Kerker verhungern lassen oder sie töten?“
Der Großwesir erfuhr von den Gedanken des Schahs, und das Mädchen tat ihm leid. Des Nachts holte er es aus dem Kerker und brachte es in sein Haus. Dann suchte er einen Tischler, gab ihm Geld und verlangte, dass er eine Truhe anfertige, durch die weder Wind noch Wasser dringen könnten. Als die Truhe fertig war, sagte der Großwesir: „So, Husnobad, steige in die Truhe! Ich gebe dir Nahrung für vierzig Tage und lasse die Truhe in den Fluss. Wenn es dein Los ist, dann bleibst du am Leben. Besser, du weidest Schafe in der Steppe, als dass du unter dem Schwert des Schahs stirbst oder im finsteren Kerker verhungerst!“ Das Mädchen war einverstanden und stieg in die Truhe. Um Mitternacht schob der Großwesir die Truhe in den Fluss. Drei Monate lang schwamm die Truhe dahin, und das Mädchen, das seine Nahrung für einen Tag auf vier Tage verteilte, blieb am Leben.
In einem fernen Lande lebte ein anderer Schah mit Namen Karaschah. Eines Tages befahl er, dass ihm jemand Feuerholz in den Palast bringe. „Das kann ich besorgen!“ meldete sich ein alter Mann. „Mein Haus ist voller Enkelkinder, die nichts zu essen haben. Wenn Ihr mir meine Arbeit entlohnt, werden wir zu essen haben.“ Die Axt über der Schulter und ein Seil um den Leib, machte sich der Alte auf den Weg. Als er ein Bund dürres Holz beisammen hatte, wollte er den Heimweg antreten, doch ihn plagte der Durst. „Ich gehe erst einmal zum Fluss und trinke Wasser“, meinte er. Als er zum Fluss kam, sah er nahe beim Ufer eine Truhe schwimmen. Er warf seine Kleidung ab, sprang ins Wasser und zog die Truhe ans Ufer. Er betrachtete sie von allen Seiten, konnte sie aber nicht öffnen. Da nahm er seine Axt, hieb in den Deckel ein Loch, blickte hinein und gewahrte ein Mädchen von wunderbarer Schönheit. Der Alte war ganz betroffen. ‚Sicher ist sie Tochter eines Kaufmanns!‘ dachte er. ‚Sie muss mit ihrem Vater eine Reise gemacht haben, dann ist das Schiff untergegangen und nur die Truhe ist auf dem Wasser geblieben.‘ „He, Mädchen, lebst du oder bist du tot?“ rief der Alte. „Ich lebe!“, antwortete Husnobad und setzte sich auf. ‚Was mache ich nur?‘ überlegte der Alte. ‚Wenn ich dem Schah das Holz bringe, gibt er mir zwanzig Kupfermünzen. Wenn ich das Mädchen zu ihm führe, gibt er mir nichts. Besser, ich bringe die Truhe in die Stadt und verkaufe sie. Es weiß ja niemand, was darinnen ist.‘ Kaum war der Alte auf dem Basar angelangt, entdeckte ihn Karaschah. „Wo ist das Brennholz? Ich habe dir doch befohlen, mir Holz zu bringen, du aber hast irgendein Haus bestohlen und die Truhe hergeschleppt!“ Karaschah erschlug den Alten mit seinem Säbel und befahl, die Truhe in seinen Palast zu bringen.
Als man sie aufbrach und Karaschah Husnobads ansichtig wurde, verliebte er sich sofort in sie und forderte sie auf: „Werde meine Frau!“ Husnobad begann zu weinen, denn sie dachte: ‚Ich habe doch mein Wort gegeben, einen armen Mann zu heiraten, was soll ich nun tun?‘ „Gib mir vierzig Tage Frist!“ bat sie. „Drei Monate habe ich in dieser Truhe verbracht, nun möchte ich mich ein wenig erholen und mit den Mädchen vergnügen.“ – „Wenn du nicht sofort einwilligst, meine Frau zu werden, bist du des Todes!“ drohte Karaschah. Da jammerte Husnobad: „Lass mir doch wenigstens drei Tage Zeit! Ich werde mit den Mädchen spielen. Dann möge dein Wille geschehen!“ – „Für dein Vergnügen reicht ein Tag aus“, herrschte Karaschah sie an und erlaubte ihr zu gehen, nachdem er vierzig Mädchen befohlen hatte, auf Husnobad zu achten und sie nicht aus den Augen zu lassen.
Husnobad schritt mit den Mädchen durch den Garten. Hinter diesem Garten strömte ein Fluss. „Gehen wir baden, Mädchen!“ forderte Husnobad die Gespielinnen auf und lief zum Fluss. Kaum war sie im Wasser, tauchte plötzlich ein ungeheurer Fisch aus der Tiefe empor und verschlang sie, peitschte das Wasser mit seiner Schwanzflosse und verschwand. Die Mädchen liefen zu Karaschah und berichteten ihm von dem Unglück. Karaschah stöhnte auf, warf seine Krone und seinen goldenen Gürtel zu Boden, legte ein Bettlergewand an und ging in die Wüste.
Nun hört, was sich in dem anderen Land, in Schachri-Dshardshan, ereignete. Am Ufer eines Flusses hütete ein junger Hirt seine Schafe. Unweit von ihm warfen Fischer ihre Netze aus. Der Hirt beklagte sich bei ihnen: „Mein Vater ist krank und kann nicht in die Stadt gehen, um sich Brot zu kaufen. Ich selbst täte es gern, darf aber meine Herde nicht verlassen. Schenkt mir einen Fisch, damit mein Vater etwas zu essen hat!“ – „Gut, alles, was wir jetzt fangen, gehört dir“, sagten die Fischer und zogen das Netz heraus. Im Netz zappelte ein ungeheurer Fisch. „Nimm ihn dir, Hirt!“ Der Hirt konnte den Fisch nicht heben, so groß war er. Er spannte fünf Ochsen vor, die den Fisch mit Mühe zu seinem Haus zogen. Er ließ den Fisch bei seinem Vater, selbst eilte er zu seiner Herde. Erfreut schnitt der Vater des Hirten den Fisch auf und fand in seinem Bauche ein Mädchen. Er flößte ihm einige Tropfen Wasser ein. Husnobad kam zu sich, erhob sich und verneigte sich tief vor dem Alten. „Vater, ich bin hungrig, gebt mir etwas zu essen!“, bat sie. Der Alte briet ein Stück von dem Fisch und gab es ihr. „Was ist Euer Gewerbe, Vater?“ fragte das Mädchen. „Früher war ich Hirt, nun aber bin ich alt, und mein Sohn versorgt statt meiner die Herde.“ Da freute sich das Mädchen. „Nun geht mein Wunsch in Erfüllung!“ rief es. „Wenn Ihr einverstanden seid, werde ich die Frau Eures Sohnes. Auch meine Mutter war aus einer armen Familie.“ – „Wir haben kein Geld für die Hochzeit.“ – „Da ich nach meinem eigenen Willen heirate, brauchen wir kein Hochzeitsmahl“, entgegnete das Mädchen. Und der Alte vermählte seinen Sohn, den Hirten, mit Husnobad.
Am Tage nach der Hochzeit verbarg Husnobad ihre Zöpfe unter einem Tuch und ging zu dem Kessel, in dem das Essen gekocht wurde. Da sah sie an den Kesselwänden so viel Schmutz, dass beide Henkel beinahe einander berührten. Auch das übrige Geschirr war nicht sauberer. Husnobad säuberte alles, kratzte es aus und wusch auch die Wäsche. Des alten Mannes Herz wurde heller als ein Spiegel. Er erhob sich und ging auf seine Schwiegertochter zu. „Ach, meine liebe Tochter!“ sagte er. „Ich bin alt und kann mich nicht mehr um den Haushalt kümmern. Mein Sohn aber geht schon im Morgengrauen für den ganzen Tag weg und kehrt erst zurück, wenn es schon dunkel ist. Wenn ich sehe, wie fleißig du bist, möchte ich dir gern helfen, sag mir, was ich tun kann, liebe Tochter!“ Da nahm Husnobad das Gehänge von ihrem rechten Ohr und reichte es dem Alten. „Bringt das auf den Basar! Wenn man fragt, was es kostet, dann sagt: Gebt nach eigenem Gewissen! Wie viel man gibt, für soviel verkauft es!“
Der Alte nahm das Ohrgehänge und ging auf den Basar. Gerade an diesem Tage erwarben dort Kaufleute verschiedene Waren. Einer von ihnen sah, dass der Alte ein Ohrgehänge von nie gesehener Schönheit in der Hand hielt. „Was kostet es, Vater?“ fragte der Kaufmann. „Gebt etwas nach eigenem Gewissen!“ Der Kaufmann füllte einen Kasten von Ellenlänge mit Gold und gab ihn dem Alten. „Reicht das oder ist es zu wenig?“ – „Ich habe doch gesagt, zahlt nach eigenem Gewissen!“ Da gab ihm der Kaufmann noch ein Säckchen mit Gold. „Bringt alles nach Hause!“ sagte er und gab ihm noch einen Esel dazu. Der Alte ergrimmte: Will der Mann mich etwa verhöhnen? Ihm zum Trotz nehme ich das ganze Gold – und verschwinde damit auf Nimmerwiedersehen! Er gab dem Esel einen Schlag mit der Rute und zog heim. Der Kaufmann aber dachte: Wenn ich noch so ein Ohrgehänge fände, würde ich es meinem Schah für die Zölle und Steuern aus sieben Weltteilen verkaufen. Daheim gab der Alte das Gold seiner Schwiegertochter.
In der nächsten Woche nahm Husnobad das Gehänge von ihrem linken Ohr und schickte den Alten wieder auf den Basar. Dort gewahrte derselbe Kaufmann das Ohrgehänge und fragte: „Was willst du dafür, Vater?“ – „Dir verkaufe ich es nicht!“ entgegnete der Alte. „Du hast mich damals ausgelacht!“ – „Dann komm mit mir!“ sagte der Kaufmann und führte den Alten in sein Haus. Er gab ihm zwei Kästen voller Gold, zog ihm einen seidenen Chalat an und schenkte ihm zwei Esel. „Wo ist Euer Haus, Vater?“ fragte er. ‚Wenn ich es ihm sage, da nimmt er mir das ganze Gold wieder weg‘, dachte der Alte. „Ich habe kein Haus“, antwortete er.
Als der Alte vom Basar zurückkam, verbarg Husnobad das Gold und sagte zu ihrem Mann und dessen Vater: „Holt zwanzig Maurer her – wir werden eine Stadt bauen!“ Sie kamen mit den Maurern. „Bringt eure Familien mit!“ befahl ihnen Husnobad. Die Maurer taten es. Auf Husnobads Geheiß begannen sie eine große Mauer aufzuführen. Jeden Tag bekamen alle Brot, Geld und warmes Essen. Alle Bauleute wurden gut eingekleidet. Auch andere Meister hörten von Husnobad, und aus allen Gegenden strömten sie herbei. Husnobad nahm alle auf, kleidete und verpflegte sie. Wandersleute, die vorbeikamen, fragten: „Wer baut diese Mauer?“ – „Die Frau eines Hirten“, antworteten die Meister. „Wenn ihr Arbeit braucht, so kommt! Hier wird man gut bezahlt und bekommt Essen und Trinken.“ Nach fünfzehn Tagen hatten sich Leute aus fünftausend Häusern eingefunden. Im Laufe von drei Monaten erhob sich die Mauer um eine Fläche von zehn Tagesreisen in der Länge und in der Breite. An zwölf Stellen gab es Tore. An allen Toren befestigte man Husnobads Bildnis und schrieb dazu: „Diese Stadt heißt Husnobad. Wer Brot und warmes Essen braucht, der komme her und diene!“ Ein Jahr später hatten sich fünfundsiebzigtausend Familien eingefunden. Für jede Familie ließ Husnobad ein Haus mit Terrasse und Schuppen bauen. An jedes Tor der Stadtmauer stellte sie fünfundzwanzig Krieger auf und befahl ihnen: „Führt jeden zu mir, der mein Bildnis lange betrachten sollte!“
Von der neuen Stadt erfuhr der Schah des Landes Schachri-Dshardshan und geriet in Wut. „Wer ist so vermessen, in meinem Lande nach der Macht des Schahs zu trachten? Wer baut da auf meinem Boden eine Stadt? Er darf seinen Kopf nicht behalten! Ich reite hin und erschlage ihn mit meinem Säbel!“ Der Schah ritt zur Stadt Husnobad und sah die Wache am Tor. „Wer hat diese Stadt gebaut?“ fragte er.
„Die, welche hier auf diesem Bildnis zu sehen ist“, antwortete die Wache. „Als wir Euch dienten, habt Ihr uns schlecht ernährt und unseren Familien überhaupt nichts gegeben. Unsere Husnobad aber ernährt uns gut und obendrein noch unsere Frauen und Kinder. Sie geizt nicht mit Brot für uns und lässt unsere Kinder lernen. Viele haben schon allerlei Handwerk erlernt.“ Der Schah betrachtete Husnobads Bildnis und verliebte sich in die schöne Frau. Er ritt in die Stadt und gelangte zum Palast. „Der Schah von Schachri-Dshardshan ist gekommen und bittet Euch um Eure Hand“, meldete man Husnobad. Empört befahl Husnobad, den Schah herbeizuführen. „Wie viel Frauen hast du denn, Schah?“ fragte sie. „Es sind ihrer vierzig…“ – „Vierzig Frauen, und auch das reicht dir nicht?“ Der Schah geriet in Wut: „Du wagst es, mich zu beschämen, du niedriges Geschöpf!“ Er zog seinen Säbel aus der Scheide, doch da liefen Diener herbei, packten den Schah, legten ihn in Ketten und schleppten ihn in den Kerker. Das Volk freute sich. „Gut so! Soll der Schah im Kerker sitzen, seine Macht aber übergeben wir Husnobad!“ Gesandte des Volkes kamen und baten Husnobad, im Staate Schachri-Dshardshan zu regieren.
Nach einigen Monaten kam eines Tages ein Bettler zum Stadttor, betrachtete das Bildnis und begann zu weinen. Die Wächter nahmen ihn fest und führten ihn zu Husnobad. Sie sah durchs Fenster und erkannte Karaschah auf den ersten Blick. Da bestieg sie ihren Thron und verhüllte ihr Antlitz. „Warum weinst du, Bettler?“ fragte sie. „Wenn du mein erbärmliches Leben schonst, dann sage ich es“, antwortete Karaschah. „Sprich, ich werde dich schonen.“ – „Ich liebte ein Mädchen, das Husnobad hieß. Nun sah ich ihr Bildnis am Tor dieser Stadt.“ – „Und wo ist dieses Mädchen?“ – „Es ist baden gegangen und im Fluss ertrunken. So hat man es mir gesagt. Wenn sie mich aber betrogen und die Sklavinnen bestochen hat und geflohen ist, dann soll sie mir nicht in die Hände fallen! Ich lasse sie an den Schweif eines wilden Pferdes binden und dasselbe in die Steppe jagen, damit an jedem Dorn ein Stück ihres Körpers zurückbleibt.“ – „Sie ist schuldlos. Hör auf, ihr zu zürnen!“ – ‚Ob das nicht meine Husnobad ist?‘ dachte der Schah, zog den in seinem Gewand verborgenen Säbel hervor und schwang ihn über Husnobads Haupt. „Enthülle dein Gesicht! Ich will sehen, wer du bist!“ rief er. Aber da packten die Diener Karaschah und warfen ihn in den Kerker.
Husnobad rief ihren Großwesir herbei: „Zähle nach, wie viele Krieger wir haben!“ Der Wesir zählte siebenhunderttausend Reiter und Fußsoldaten. „Bereite sie auf den Feldzug vor!“ befahl Husnobad. Vierzig Tage lang wurde das Heer zum Marsch ausgerüstet. Dann zog Husnobad, zusammen mit ihrem Mann, dem Hirten, an der Spitze des Heeres nach der Stadt ihres Vaters aus. Die Krieger ritten fröhlich durch Steppen und Wüsten, von See zu See.
Mögen sie dahin reiten, ihr aber hört, wie es Husnobads bösem Vater erging.
Eines Tages träumte ihm, ein Adler käme geflogen, packe ihn, bliebe hoch oben zwischen Himmel und Erde stehen und sage: „Du wirst mein Sklave, oder ich reiße dir den Kopf ab! Da flehte ihn der Schah an: „Ich gebe dir meine Stadt und meine Schätze, nimm alles, nur schone mein Leben!“ – „Ich brauche deine Schätze nicht“, antwortete der Adler. „Ich will das Blut deiner Tochter Husnobad!“ Als er den Namen seiner Tochter hörte, begann der Schah zu weinen. Plötzlich erschien hinter einem Berge Husnobad, in der einen Hand einen blanken Säbel, in der anderen einen Spieß mit Schaschlyk aus Gänsefleisch. Husnobad holte mit ihrem Säbel nach dem Adler aus und hieb ihn in zwei Teile, streckte den Arm aus, fasste ihren Vater am Gürtel und stellte ihn vorsichtig auf die Erde. Dann reichte sie ihm den Schaschlyk und bat: „Vater, wenn ich schuldig bin, dann verzeiht mir!“ Der Schah schrie auf und erwachte.
Am Morgen rief er vierhundert Weise und vierundvierzig Wesire herbei und befahl ihnen, seinen Traum zu deuten. Alle schwiegen. Da drohte der Schah: „Wenn ihr meinen Traum nicht deutet, lasse ich keinen von euch am Leben!“ Da erhob sich der alte Großwesir: „Wenn du mich nicht hinrichtest, sage ich dir, was dein Traum bedeutet.“ – „Sprich!“ – „Der Adler, der dich am Kopf packte, muss ein Feind sein. Wenn er dein Land erobert und dich gefangen nimmt, wird deine Tochter erscheinen und dich befreien. Aber deinen Thron wird ein anderer besteigen!“ – „Ach du Lügner!“ schrie der Schah. „Wie viele Jahre sind vergangen, seitdem meine ungehorsame Tochter zu Staub wurde? Du sagst das, um mein Herz zu verdüstern und mich zu erschrecken! Ich werfe dich ins Gefängnis. Mögen deine Knochen neben meiner Tochter vermodern!“ Der Schah ließ den alten Großwesir in den Kerker werfen. Von diesem Augenblick an konnte der Schah des Nachts vor Angst nicht mehr schlafen. Wie ein verwundeter Eber im Schilf irrte er durch seine Gemächer.
Nach einer Woche kam ein reitender Bote herbeigeeilt. „Der Schah von Schachri-Dshardshan zieht mit seinem Heer gegen dich“, meldete der Bote. „Gehe ihm schnell mit Ehrfurcht entgegen und kreuze deine Arme demütig auf der Brust! Gibst du dein Reich her, ist es gut, gibst du es nicht her, wirst du sehen, was geschieht! Da hast du einen Gruß von unserem Gebieter!“ Der Bote stürzte sich auf den Schah und versetzte ihm einen Faustschlag. Vor Schreck versteckte sich der Schah hinter der Rückenlehne seines Thrones. „Wenn dieser Schah solche Boten hat““, sagte er zitternd zu seinen Wesiren, nachdem der Bote davon geritten war, was hat er da erst für Krieger? Was sollen wir tun, meine Wesire?“ – „Wir können Euch nichts raten“, antworteten die Wesire. „Sagen wir, es sei gut, dann lässt du uns hinrichten, sagen wir, es sei schlecht, dann ebenfalls. Lass den alten Großwesir aus dem Kerker, möge er mit Geschenken zum Schah von Schachri-Dshardshan ziehen, das weitere wird sich finden.“
Der Schah befahl, den alten Großwesir freizulassen und sagte zu ihm: „Ziehe zum Schah von Schachri-Dshardshan und verneige dich tief vor ihm! Wenn er sagt, er wollte meine Stadt haben, so gib sie ihm! Mein Hals schmerzt mich noch immer vom gestrigen Schlage. Falls er aber droht, er wolle mein Blut, dann nehme ich einen Wanderstab und verlasse die Stadt. Ich habe keine Kraft, um noch so einen Schlag auszuhalten!“ Da lachte der Großwesir: „Als ich deinen Traum deutete, bist du in Wut geraten. Und wer hatte Recht? Der Feind wird kommen, dich an den Schweif einer Stute binden, sie in die wilde Steppe durch die Dornen jagen, und du wirst eines erbärmlichen Todes sterben!“ Der Schah ließ den Kopf hängen wie ein Esel, der im Schlamm stecken blieb.
Der alte Großwesir nahm kostbare Geschenke und machte sich auf den Weg. Unterwegs schrieb er einen Brief an den Schah von Schachri-Dshardshan, setzte seinen Namen darunter und sandte ihn mit einem Boten an diesen Herrscher. Husnobad erhielt den Brief und befahl, den alten Großwesir herbeizurufen. Der alte Großwesir trat ein, verneigte sich tief und ließ sich nieder. Er hielt Umschau und sah den Schah vor sich sitzen (es war Husnobads Mann, der Hirt). Rings um den Thron standen vierzig Leibwächter, die Arme auf der Brust gekreuzt und zum Dienen bereit. Neben dem Thron saß jemand mit verhülltem Antlitz. „Großwesir“, sagte die verhüllte Gestalt. „Hast du denn keine Angst, ins feindliche Lager zu kommen? Du bist doch schutzlos. Was geschieht, wenn ich dich töte?“ Der alte Großwesir erkannte Husnobad an ihrer Stimme. „Wer wird den fürchten, den er vor dem Tode errettet hat?“ Da hob Husnobad den Schleier vom Gesicht und ging auf den alten Großwesir zu. „O mein lieber Vater! Dir habe ich zu verdanken, dass ich am Leben bin! Wenn ich dir das Land meines Vaters gebe, wirst du dann gerecht in ihm regieren?!“ Der Großwesir verbeugte sich und erwiderte: „O meine Tochter, ich bin doch alt! Wenn du mir das Land übergibst, dann trete ich es diesem Schah ab, der vor mir auf dem Thron sitzt.“ Husnobad zog mit ihrem Heer in die Stadt ein. Man suchte nach dem bösen Schah, konnte ihn aber nicht finden. Vor Angst war er am selben Tage davongelaufen, und niemand hat ihn mehr gesehen. Mit ihrem Mann, dem Hirten, regierte Husnobad nun das Land und ließ die schuldlosen Häftlinge aus den Kerkern frei. Einige von ihnen ernannte sie zu Statthaltern. So erreichte Husnobad die Erfüllung ihrer Wünsche.
Quelle:
(Usbekistan)