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Als König Artus einst zu Carduel das Pfingstfest beging, erzählte Kalogreant seine letzte Abenteuerfahrt zur Wunderquelle von Broceliande, welche für ihn einen schlimmen Ausgang genommen hatte. König Artus hörte den Bericht und schwur, er wolle am Johannistage das nämliche Abenteuer bestehen, aber Iwein, der das Mißgeschick seines Vetters Kalogreant rächen wollte, brach in aller Stille nach dem Zauberwalde auf.
Ein Bauer wies ihm den Weg: »Geht nur immer geradeaus,« sagte er, »dann werdet Ihr zu der kochenden Quelle gelangen, die trotzdem so kalt ist wie Marmelstein. Der herrlichste Baum, der Sommer und Winter sein Laub behält, überschattet sie, und daran hängt an langer Kette ein metallnes Becken. Neben der Quelle werdet Ihr einen Stein finden und auf der anderen Seite eine kleine Kapelle. Wenn Ihr nun das Becken mit Wasser füllt und dieses auf den Stein ausgießt, so wird sich ein solches Unwetter erheben, daß Wild und Vögel den Wald fliehen; denn solchermaßen wird es blitzen, stürmen und krachen, regnen und donnern, daß Ihr schon gewaltiges Glück haben müßt, wenn Ihr ohne Schaden davonkommen wollt.«
Gegen Mittag gewahrte Iwein den Baum und die Kapelle. Am Baume war ein Becken aus lauterm Golde befestigt, die Quelle aber brodelte wie kochendes Wasser. Der Steinblock war ein durchbohrter Smaragd mit vier Rubinen besetzt, die flammten wie die Morgensonne. Iwein füllte das Becken und goß das Wasser auf den Stein. Auf der Stelle zuckten mehr als ein Dutzend Blitze hernieder und die Wolken gossen Schnee, Regen und Hagel aus. Iwein glaubte von den rings um ihn einschlagenden Blitzen und von den splitternden Bäumen vergehen zu müssen. Aber alsbald sandte Gott wieder schönes Wetter, die Vögel kehrten auf die Tanne zurück und trieben ihr lustiges Spiel über der Wunderquelle. Kaum hatte sich der Sturm gelegt, so erschien, vor Zorn flammend wie Kohlenglut, ein Ritter mit solchem Lärm, als jage er einen Brunsthirsch: es war der Hüter der Quelle. Beider Blick verkündete, daß sie einander auf den Tod haßten. Mit mächtigen Lanzenstößen zersprengten sie einander Schild und Harnisch, die Lanzen zersplitterten und die Trümmer flogen in die Höhe. Dann gingen sie einander mit den Schwertern an und es entbrannte ein furchtbarer Kampf, doch keiner wich um eines Fußes Breite von der Stelle. Schließlich zerhieb Herr Iwein den Helm des Gegners, so daß das Blut von dessen Haupte strömte und die Maschen seines weißen Harnischs rötete. Auf den Tod verwundet floh der Fremde; im Galopp sprengte er nach seiner Burg, die Zugbrücke rasselte herunter und das Tor öffnete sich, hinten nach aber jagte Herr Iwein, ungestüm wie ein Falke, der einen Kranich verfolgt. So galoppierten sie beide durch das Stadttor und durch die menschenleeren Straßen und gelangten mit verhängten Zügeln vor das Tor des Schlosses. Der Zugang war so eng, daß zwei Ritter nicht nebeneinander eindringen konnten. Wie bei einer Rattenfalle befanden sich unter dem Tor zwei Schlagfallen, welche eine scharf geschliffene eiserne Falltür hielten. Trat jemand auf diese Vorrichtung, so sauste die Falltür herab und er war gefangen oder gar zerhackt. Der Quellwächter sprengte geradeswegs hindurch, Iwein aber, der hinter ihm herhastete, packte ihn schon am Sattelbogen, da trat sein Roß auf das Holzbrett, welches die Eisentüre hielt. Wie die Teufel in die Hölle, so fuhr die Falltür herab, durchschnitt den Sattel und trennte das Pferd mitten auseinander, ohne indessen, Gott sei Dank, Herrn Iwein zu berühren, dem nur die beiden Sporen von den Fersen gerissen wurden. Da stürzte er und der Todwunde entkam ihm. Eine ebensolche Tür, wie sie am äußeren Eingang sich befand, war auch innen angebracht. Der Schloßherr eilte hindurch und die Tür fiel hinter ihm herab. So war Herr Iwein gefangen.
Auf einmal hörte er, wie sich das schmale Türchen eines Seitenraumes öffnete; eine wunderschöne Jungfrau trat heraus und schloß die Pforte hinter sich wieder zu. Als sie Herrn Iwein erblickte, erschrak sie: »Wenn man Euch hier bemerkt, Herr Ritter,« rief sie, »so seid Ihr verloren. Unser Herr ist auf den Tod verwundet, und wohl weiß ich, daß Ihr sein Mörder seid. Unsere Herrin und ihre Leute sind trostlos und werden Euch gewißlich töten, wenn sie Euch hier erwischen.« »Das steht bei Gott!« antwortete Iwein. »Sie sollen Euch aber nicht erwischen,« hub Lunete, die Jungfrau, wieder an, »denn ich will Euch helfen, wie Ihr mir einst am Artushofe halfet, als ich als kleines blödes Mädchen dorthin kam. Da, nehmt dies Ringlein und stellt es mir zurück, wenn Ihr wieder frei seid!« Sie fügte hinzu, daß es mit dem Ringe diese Bewandtnis habe: wenn man ihn so anstecke, daß der Stein in der Faust verborgen sei, so brauche der, welcher den Ring am Finger trage, nichts mehr zu fürchten, denn er sei für jedermann unsichtbar, ebenso wie ein Baumstamm, den die Rinde verdeckt. Nach diesen Worten führte sie den Ritter in den Nebenraum, hieß ihn sich auf ein Ruhebett niederlassen und reichte ihm Speise und Trank. Nun kamen die Ritter und Bürger, die ihren Herrn rächen wollten, sie zogen die Falltüren in die Höhe und fanden die beiden Teile des toten Rosses, aber Iwein war nirgends zu sehen. Rasend vor Wut stürzten sie in den Saal und schlugen blindlings auf Wände, Betten und Bänke ein, aber das Bett, auf dem Iwein lag, blieb unberührt.
Während sie noch in ihrer Blindheit rasend um sich schlugen, trat eine Frau in den Saal, die war so schön, wie sie kein Sterblicher je gesehen. Doch war sie so gramgebeugt, daß sie dem Tode nahe schien. Das eine Mal schrie sie laut auf, dann sank sie wieder ohnmächtig zu Boden, darauf begann sie sich zu zerfleischen und ihre Haare zu raufen. Und siehe, die Leiche des Herrn wurde auf einer Bahre vorübergetragen, Kerzenträger gingen ihr voraus und Klosterfrauen, dann folgten Geistliche mit Meßbüchern und Weihrauchkesseln. Herr Iwein hörte die Wehklagen, und die Prozession zog vorüber, um die Bahre aber drängte sich eine staunende Menge, denn das Blut floß klar und purpurn aus den Wunden des Toten. Das war der sichere Beweis, daß der, welcher den Tod des Schloßherrn veranlaßt hatte, sich noch hier im Saale befinden mußte. Von neuem begann das Suchen und Schlagen, doch Herr Iwein rührte sich nicht. Die Frau aber schrie wie eine Wahnsinnige: »Ach Gott! Soll man den Mörder, den Schurken nicht finden, der meinen guten Herrn umgebracht hat. Guten? Den Besten der Guten! Hat sich ein Geist oder der leidige Feind unter uns gemengt, bin ich behext, daß meine Augen ihn nicht sehen? Ein Feigling ist er, wenn er mir nicht steht, er, der gegen meinen Herrn so mutig war. Wahrlich, er kann nicht von dieser Welt sein, wenn er meinem unvergleichlichen Herrn standhielt.« Dann trugen sie die Leiche hinaus und begruben sie. Die Menge wurde schließlich des Suchens müde und zerstreute sich. Nun trat die Jungfrau wieder zu Iwein. »Herr«, sagte sie, »wie ein Jagdhund nach einem Rebhuhn oder einer Wachtel spürt, so haben sie jeden Winkel abgesucht. Das muß Euch in Furcht gesetzt haben!« »Das ist richtig,« antwortete Iwein, »aber nichtsdestoweniger möchte ich durch ein Fenster den Leichenzug da draußen beobachten.« So sagte er, aber in Wahrheit kümmerte er sich weder um die Leiche noch um den Zug, sondern er sprach es, weil er die Herrin der Stadt schauen wollte. Lunete führte ihn an ein Fensterchen, durch welches er die schöne Frau erspähen konnte, welche immer noch ihrem toten Gatten nachtrauerte: »Euch, lieber Herr, kam nie ein Ritter gleich an Ehren weder noch an feiner Sitte. Freigebigkeit war Eure Freundin und Mut Euer Gefährte. Unter der Schar der Heiligen möge, teurer Herr, Eure Seele weilen.« Dabei zerriß sie immer wieder mit den Händen ihr Gewand, dergestalt, daß Iwein sich nur mit Mühe zurückhalten ließ, sie daran zu hindern. Lunete mahnte ihn nochmals, ruhig und besonnen zu bleiben, dann ging auch sie, um an der Leichenfeier teilzunehmen.
Inzwischen hatte aber die Frau, ohne es zu wissen, einen Rächer für den Tod ihres Gatten gefunden, und zwar einen stärkeren als sie selbst jemals hätte finden können: Amor hatte nämlich für sie Rache genommen, dadurch, daß er Iwein durch die Augen in das Herz getroffen hatte. Hierdurch hatte Herr Iwein eine Wunde erhalten, die nie wieder heilen sollte. Je länger Iwein die Frau durch das Fenster beobachtete, desto mehr verliebte er sich in sie und desto schöner erschien sie ihm. Gewiß, er wußte, daß sie ihn wegen der Tötung ihres Gatten hassen müsse, aber eine Frau hat mehr als tausend Gefühle. Vielleicht wird sich das Gefühl, daß sie zur Zeit hegt, noch einmal ändern? Sicher wird es das, ohne »vielleicht« und er wäre töricht, wenn er zuvor verzweifeln wollte, Gott gebe nur, daß es bald wechsle. Während er noch in solchen Gedanken befangen war, kehrte Lunete zurück, um ihm Gesellschaft zu leisten, ihn zu trösten und zu zerstreuen. »Herr Iwein,« redete sie ihn an, »wie ist es Euch inzwischen ergangen?« »Nach Gefallen!« erwiderte er. »Nach Gefallen? Wie? Kann es einem nach Gefallen ergehen, wenn man zum Tode geholt werden soll?« »Gewiß, meine liebe Freundin,« entgegnete er, »ich möchte jetzt nicht sterben, denn was ich sah, hat mir sehr gefallen und gefällt mir noch und wird mir immer mehr gefallen!« »Lassen wir das,« sprach Lunete, »ich verstehe sehr wohl, worauf dieses Wort zielt, ich bin nicht so einfältig. Aber jetzt kommt, damit ich Eure Befreiung bewerkstellige. Heute Nacht noch oder morgen früh sollt Ihr in Sicherheit sein.« »Oho,« versetzte er, »ich will nicht wie ein Dieb davonschleichen. Mit mehr Ehren werde ich von dannen ziehen, wenn alles Volk draußen auf der Straße versammelt ist, als wenn ich nächtlicherweile mich aus dem Staube mache!«
Die Jungfrau erinnerte sich sehr wohl an Iweins Worte, und da sie sehr gut mit ihrer Herrin stand, so benutzte sie die nächste Gelegenheit, um die Sache zur Sprache zu bringen. »Herrin,« sprach sie, »es wundert mich sehr, daß Ihr Euch so sinnlos gebärdet; glaubt Ihr denn, den Herrn durch Eure Tränen zurückzugewinnen?« »Ach,« entgegnete jene, »ich wünschte, ich stürbe vor Schmerz!« »Warum?« »Um ihm nachzufolgen!« »Ihm nach …? Davor bewahre Euch Gott, vielmehr gebe er Euch wieder einen ebenso guten Gemahl, der auch ebenso tapfer ist.« »Einen so trefflichen kann er mir nicht wiedergeben!« »Einen besseren wird er Euch geben, wenn Ihr ihn nehmen wollt, das will ich Euch beweisen.« »Geh, schweig! Einen solchen werde ich nie finden!« »Doch, Herrin, wenn Ihr wollt. Denn, sagt mir doch – um Vergebung -, wer soll Euren Boden schützen, wenn König Artus herkommt, der, wie Ihr wißt, nächste Woche zur Quelle und zum Steinblock gelangen wird? Ihr solltet lieber einen Entschluß fassen, wie Ihr Eure Quelle verteidigen wollt, anstatt daß Ihr unaufhörlich jammert.« »Geh!« zürnte die Herrin, »ich will nichts mehr davon hören!« »Auch gut, Frau!« schmollte Lunete, »da kann man nichts machen, wenn sich die Herrin über guten Rat erzürnt.« Aber ihre Worte hatten doch gewirkt, die Dame hätte gar zu gern gewußt, wie Lunete beweisen wollte, daß sie einen besseren Ritter finden könne, als ihr Gatte gewesen war, und bald kam das Gespräch wieder auf diesen Gegenstand. »Gesetzt, daß zwei Ritter sich bewaffnet im Kampfe gegenüberstehen«, sagte Lunete, »und daß der eine den anderen besiegt, wer, glaubt Ihr, ist wohl der bessere? Ich meinerseits würde dem Sieger den Preis zuerkennen. Und Ihr?« »Mir scheint, du willst mir auflauern, um mich dann beim Wort zu nehmen.« »Ich sage die reine Wahrheit, ich will Euch nur beweisen, daß der, welcher Euren Gatten besiegte, ein besserer Ritter ist als jener war.« Nun brach der Zorn der Herrin los und Lunete eilte wieder zu Iwein, der bekümmert darüber war, daß er den Anblick der Schloßherrin entbehren mußte. Diese sorgte sich indessen doch darum, wie sie ihre Quelle verteidigen sollte, und sie bereute ihre harten Worte gegen Lunete. Am anderen Morgen entschuldigte sie sich bei ihr und fragte sie nach Name und Art des Siegers. »Ich werde ihn«, sagte sie, »dafür bürge ich dir, zum Herrn über mich und mein Land machen. Aber es muß so geschehen, daß über mich keine üble Nachrede entsteht, etwa: das ist die, die den Mörder ihres Gatten genommen hat.« »Gewiß, Herrin, Ihr werdet den edelsten und vornehmsten und schönsten Mann bekommen, der je aus dem Stamme Abels geboren wurde.« »Wie heißt er denn?« »Herr Iwein.« »Bei Gott, der ist nicht übel. Er ist von edler Geburt, ich weiß wohl, er ist der Sohn des Königs Urian.« »So ist es.« »Und wann kann ich ihn haben?« »In fünf Tagen.« »Das ist zu lange, er sollte schon da sein. Er soll heute Nacht oder doch spätestens morgen kommen.« Lunete versprach nun, den Ritter herbeizuschaffen und beriet ihre Herrin, wie sie ihre Barone mit ihrer schnellen Wiederverheiratung versöhnen könne: es müßte doch jedem einleuchten, daß die Quelle einen neuen Verteidiger haben müsse.
Iwein wurde also vor die Schloßherrin geführt, um von ihr, wie die listige Lunete sagte, ins Gefängnis geworfen zu werden, und er folgte demütig und krank vor Liebe und Sehnsucht. Und hatte die Jungfrau nicht recht, wenn sie ihn einen Gefangenen nannte? Denn wer liebt, ist in Ketten. Gebeugten Hauptes trat Iwein vor die Schloßherrin, er faltete die Hände und ließ sich vor ihr auf die Knie nieder. »Herrin, ich bitte nicht um Gnade. Gern will ich alles leiden, was Ihr mit mir vorhabt, und ich will Euch noch dafür danken.« »Und wenn ich Euch töten lasse, wie Ihr meinen Herrn getötet habt?« »Wenn Euer Herr mich angriff, welches Unrecht tat ich, mich zu verteidigen?« »Wenn Ihr Euch schuldlos fühlt, warum wollt Ihr dann meinen Willen über Euch ergehen lassen? Setzt Euch und steht mir Rede!« »Herrin, mein Herz treibt mich dazu!« »Und wer trieb Euer Herz?« »Herrin, meine Augen!« »Und wer die Augen?« »Die hohe Schönheit, die ich an Euch sah!« »Die Schönheit, was hat die damit zu tun?« »Herrin, sie heißt mich lieben!« »Lieben? Und wen?« »Euch, teure Frau!« »Mich? Und wie?« »So, daß ich nur noch an Euch denke, daß ich Euch mehr liebe als mich selbst, daß ich für Euch leben oder sterben will!« »Und werdet Ihr meine Quelle schützen?« »Gegen die ganze Welt!« »Dann sind wir also einig.«
Darauf führte sie ihn in den Saal zu den Baronen, welchen seine ritterliche Gestalt gewaltig in die Augen stach und welche ihn ohne Widerrede als ihren Herrn anerkannten. Noch am gleichen Tage vermählte sich Herr Iwein mit Laudine von Landuc, der Tochter des sangesberühmten Herzogs Landunet.
Am Tage darauf kam König Artus mit seinen Begleitern zur Wunderquelle und zum Stein. »Nun?« spottete Kei, »was ist aus Iwein geworden, der sich nach dem Mahle vom Weine berauscht rühmte, seinen Vetter rächen zu wollen. Er ist feige geflohen!« »Gnade, Herr Kei,« versetzte Gawein, »wenn Herr Iwein nicht hier ist, so hat er sicherlich einen Entschuldigungsgrund.« Kei schwieg und der König goß Wasser aus dem Becken auf den Stein unter der Tanne, und sogleich begann es in Strömen zu regnen. Alsbald erschien Herr Iwein bewaffnet im Walde. Kei bat den König, als erster mit dem Hüter der Quelle kämpfen zu dürfen und diese Bitte wurde ihm sogleich gewährt. Herr Iwein aber versetzte ihm einen Stoß von solcher Heftigkeit, daß er einen Purzelbaum von seinem Sattel herab schoß und sein Helm am Boden rollte. Iwein ließ ihn liegen und trat vor den König, indem er Keis Roß am Zügel führte. »Herr,« sprach er, »nehmt dieses Roß. Ich würde übel tun, wenn ich etwas von Eurer Habe zurückbehalten wollte.« »Und wer seid Ihr?« fragte König Artus, »ich kenne Euch nicht, wenn ich nicht Euren Namen höre oder Euch unbewaffnet erblicke.« Da gab sich Iwein zu erkennen und Kei war äußerst niedergeschlagen, zumal da er noch kurz zuvor über ihn gespottet hatte. Gawein aber freute sich hundertmal mehr als alle anderen, daß er seinen Gefährten wiedergefunden hatte. Nun mußte Iwein dem König sein Abenteuer erzählen, aber als er seinen Bericht beendet hatte, ersuchte er Artus, er möge mit all seinen Rittern bei ihm Herberge nehmen. Der König erwiderte, gern wolle er ihm für eine Woche Ehre, Freude und Gesellschaft verschaffen. Iwein dankte dem König und nun begaben sich alle zur Burg, nachdem zuvor ein Bote an Laudine abgeschickt worden war, der sie von dem bevorstehenden Besuch in Kenntnis setzen sollte. Durch die gaffende Menge ging die Schloßherrin, umgeben von tanzenden Jungfrauen, in ein Hermelingewand gehüllt und mit einer rubingeschmückten Krone auf dem Kopfe, dem König entgegen und bewillkommnete ihn. Den Tag beschloß ein großes Fest und Gawein dankte es Lunete durch mannigfache Gunstbezeigungen, daß sie seinen Freund vom Tode gerettet hatte. Die ganze Woche verging unter Feiern, Jagden und Besichtigen der Schlösser. Als aber der König nicht mehr länger verweilen wollte, ließ er alles zur Abreise rüsten.
Man hatte sich die ganze Woche bemüht, Iwein zu veranlassen, daß er mitziehe. »Wie?« hatte Gawein zu ihm gesagt, »gehört Ihr auch zu denen, die weniger taugen, sobald sie beweibt sind? Verflucht sei, wer nur heiratet, um sich zu verliegen, man soll umgekehrt tüchtiger werden durch den Umgang mit schönen Frauen. Brecht die Fessel, die Euch bindet, dann wollen wir beide wieder zu Turnieren reiten, damit niemand Euch eifersüchtig schilt. Jedes Gut wird begehrenswerter, wenn man seinen Genuß hinausschiebt, schöner ist es, ein geringes Glück nach einem Aufschub zu kosten, als ein großes alle Tage. Späte Liebesfreude gleicht einem brennenden grünen Busch, der um so heißer brennt, je länger er zögert, Feuer zu fangen.« So lange redete Gawein auf seinen Freund ein, bis dieser ihm versprach, mitzuziehen. Aber zuvor müsse er seine Herrin fragen, ob sie ihm Urlaub gewähren wolle, um nach Britannien zurückzukehren. Er sprach also zu Laudine: »Meine teuere Frau, die Ihr mein Herz und meine Seele seid, wollt Ihr mir um Eurer und meiner Ehre willen etwas versprechen?« »Lieber Herr,« versetzte sie, »Ihr mögt mir befehlen, was Euch gut dünkt!« Nun bat sie Iwein um Urlaub, dem König zu folgen und zu Turnieren zu reiten, damit man ihn nicht träge schelte. Sie sprach: »Ich gewähre Euch den Urlaub bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Aber meine Liebe, die ich zu Euch trage, wird sich in Haß verwandeln, wenn Ihr diesen Zeitpunkt, den ich Euch angeben werde, überschreitet. Wenn Ihr Euch meiner Liebe fürderhin erfreuen wollt, so seid darauf bedacht, in spätestens einem Jahre zurück zu sein, acht Tage nach dem Feste St. Johannis. Los und ledig sollt Ihr meiner Liebe werden, wenn Ihr an diesem Tage nicht wieder bei mir seid.« Iwein konnte ihr vor Gram kaum antworten: »Herrin, diese Zeitspanne ist zu lang. Könnte ich eine Taube sein, gar oft wäre ich bei Euch! Ich bitte Gott, daß er mich nicht so lange verharren läßt. Aber was soll werden, wenn Krankheit oder Haft mich hindern?« »Wenn Gott Euch vor dem Tode bewahrt, so wird Euch keine Verzeihung zuteil, wenn Ihr nicht mein zur rechten Zeit gedenkt. Nehmt diesen Ring an Euren Finger, er wird Euch vor Kerker und Wunden bewahren. Wenn ein wahrhaft Liebender ihn trägt, so wird er dadurch so hart wie Eisen: der Ring soll Euer Schild und Harnisch sein!« Weinend trennte sich Iwein von ihr, mit Tränen waren ihre Abschiedsküsse besät und von Zärtlichkeit umduftet.
Nun begann ein bewegtes Leben. Überall, wo man turnierte, waren Iwein und Gawein zu sehen. So ging das Jahr vorüber, und immer noch gelang es Gawein, seinen Freund zurückzuhalten. Das andere Jahr brach an und es war schon zu Mitte August, als König Artus Hoftag in Chester hielt. Gerade am Tage vorher waren die beiden Gefährten von einem Turnier zurückgekehrt, bei welchem Iwein den Hauptpreis davongetragen hatte. Sie hatten nicht in der Stadt absteigen wollen, sondern hatten ihre Zelte außerhalb der Mauern aufgeschlagen. Dort suchte sie König Artus auf und setzte sich zwischen sie auf das Lager. Da begann Herr Iwein in Gedanken zu verfallen und nie, seit er von seiner Herrin Abschied genommen hatte, war ihm ein Gedanke so schwer aufs Herz gefallen wie dieser, denn er wußte wohl, daß er sein Versprechen nicht gehalten hatte und daß der Zeitpunkt überschritten war. Noch grübelte er so, da sah man auf schwarz- und weißgeflecktem Roß eine Jungfrau heranreiten. Vor dem Zelte stieg sie ab, aber niemand kam, ihr zu helfen, niemand nahm ihr Roß in Hut. Als sie den König erblickte, ließ sie den Mantel fallen und trat ins Zelt. Sie sagte, ihre Herrin lasse den König grüßen und Gawein ebenso und alle außer dem Verräter Iwein, dem Lügner und gleißnerischen Schwätzer, der sie verlassen und betrogen habe. »Als Heuchler hat sich der erwiesen, der sich als wahrhaft Liebender ausgab und doch ein falscher Verräter war. Er hat ihr Herz gestohlen und ist damit geflohen. Herr Iwein hat meine Herrin dem Tode nahegebracht. Ach, sie glaubte, er wolle ihr Herz bewahren und ihr nach Jahresfrist zurückstellen. Alle Tage des Jahres hat sie in ihrer Kammer angekreidet und jede Nacht hat sie die Tage gezählt, die verstrichen waren und die noch kommen sollten. Doch du kamst nicht. Ich will dich nicht anklagen, aber so viel will ich sagen, daß uns der verraten hat, der dich mit unserer Herrin verheiratete. Iwein, nun sorgt sie sich nicht mehr um dich, sondern sie befiehlt dir durch mich, daß du ihr nie wieder unter die Augen tretest und ihren Ring nicht länger behaltest. Gib ihn zurück, Verräter, dann geh, wohin du willst!«
Wie Iwein vor Kummer wahnsinnig wurde, wie er durch eine Zaubersalbe geheilt wurde und dann nach endlosen Abenteuern und Gefahren schließlich doch seine Laudine zurückgewann, das alles mögt ihr bei Meister Christian selber nachlesen.
Ein Bauer wies ihm den Weg: »Geht nur immer geradeaus,« sagte er, »dann werdet Ihr zu der kochenden Quelle gelangen, die trotzdem so kalt ist wie Marmelstein. Der herrlichste Baum, der Sommer und Winter sein Laub behält, überschattet sie, und daran hängt an langer Kette ein metallnes Becken. Neben der Quelle werdet Ihr einen Stein finden und auf der anderen Seite eine kleine Kapelle. Wenn Ihr nun das Becken mit Wasser füllt und dieses auf den Stein ausgießt, so wird sich ein solches Unwetter erheben, daß Wild und Vögel den Wald fliehen; denn solchermaßen wird es blitzen, stürmen und krachen, regnen und donnern, daß Ihr schon gewaltiges Glück haben müßt, wenn Ihr ohne Schaden davonkommen wollt.«
Gegen Mittag gewahrte Iwein den Baum und die Kapelle. Am Baume war ein Becken aus lauterm Golde befestigt, die Quelle aber brodelte wie kochendes Wasser. Der Steinblock war ein durchbohrter Smaragd mit vier Rubinen besetzt, die flammten wie die Morgensonne. Iwein füllte das Becken und goß das Wasser auf den Stein. Auf der Stelle zuckten mehr als ein Dutzend Blitze hernieder und die Wolken gossen Schnee, Regen und Hagel aus. Iwein glaubte von den rings um ihn einschlagenden Blitzen und von den splitternden Bäumen vergehen zu müssen. Aber alsbald sandte Gott wieder schönes Wetter, die Vögel kehrten auf die Tanne zurück und trieben ihr lustiges Spiel über der Wunderquelle. Kaum hatte sich der Sturm gelegt, so erschien, vor Zorn flammend wie Kohlenglut, ein Ritter mit solchem Lärm, als jage er einen Brunsthirsch: es war der Hüter der Quelle. Beider Blick verkündete, daß sie einander auf den Tod haßten. Mit mächtigen Lanzenstößen zersprengten sie einander Schild und Harnisch, die Lanzen zersplitterten und die Trümmer flogen in die Höhe. Dann gingen sie einander mit den Schwertern an und es entbrannte ein furchtbarer Kampf, doch keiner wich um eines Fußes Breite von der Stelle. Schließlich zerhieb Herr Iwein den Helm des Gegners, so daß das Blut von dessen Haupte strömte und die Maschen seines weißen Harnischs rötete. Auf den Tod verwundet floh der Fremde; im Galopp sprengte er nach seiner Burg, die Zugbrücke rasselte herunter und das Tor öffnete sich, hinten nach aber jagte Herr Iwein, ungestüm wie ein Falke, der einen Kranich verfolgt. So galoppierten sie beide durch das Stadttor und durch die menschenleeren Straßen und gelangten mit verhängten Zügeln vor das Tor des Schlosses. Der Zugang war so eng, daß zwei Ritter nicht nebeneinander eindringen konnten. Wie bei einer Rattenfalle befanden sich unter dem Tor zwei Schlagfallen, welche eine scharf geschliffene eiserne Falltür hielten. Trat jemand auf diese Vorrichtung, so sauste die Falltür herab und er war gefangen oder gar zerhackt. Der Quellwächter sprengte geradeswegs hindurch, Iwein aber, der hinter ihm herhastete, packte ihn schon am Sattelbogen, da trat sein Roß auf das Holzbrett, welches die Eisentüre hielt. Wie die Teufel in die Hölle, so fuhr die Falltür herab, durchschnitt den Sattel und trennte das Pferd mitten auseinander, ohne indessen, Gott sei Dank, Herrn Iwein zu berühren, dem nur die beiden Sporen von den Fersen gerissen wurden. Da stürzte er und der Todwunde entkam ihm. Eine ebensolche Tür, wie sie am äußeren Eingang sich befand, war auch innen angebracht. Der Schloßherr eilte hindurch und die Tür fiel hinter ihm herab. So war Herr Iwein gefangen.
Auf einmal hörte er, wie sich das schmale Türchen eines Seitenraumes öffnete; eine wunderschöne Jungfrau trat heraus und schloß die Pforte hinter sich wieder zu. Als sie Herrn Iwein erblickte, erschrak sie: »Wenn man Euch hier bemerkt, Herr Ritter,« rief sie, »so seid Ihr verloren. Unser Herr ist auf den Tod verwundet, und wohl weiß ich, daß Ihr sein Mörder seid. Unsere Herrin und ihre Leute sind trostlos und werden Euch gewißlich töten, wenn sie Euch hier erwischen.« »Das steht bei Gott!« antwortete Iwein. »Sie sollen Euch aber nicht erwischen,« hub Lunete, die Jungfrau, wieder an, »denn ich will Euch helfen, wie Ihr mir einst am Artushofe halfet, als ich als kleines blödes Mädchen dorthin kam. Da, nehmt dies Ringlein und stellt es mir zurück, wenn Ihr wieder frei seid!« Sie fügte hinzu, daß es mit dem Ringe diese Bewandtnis habe: wenn man ihn so anstecke, daß der Stein in der Faust verborgen sei, so brauche der, welcher den Ring am Finger trage, nichts mehr zu fürchten, denn er sei für jedermann unsichtbar, ebenso wie ein Baumstamm, den die Rinde verdeckt. Nach diesen Worten führte sie den Ritter in den Nebenraum, hieß ihn sich auf ein Ruhebett niederlassen und reichte ihm Speise und Trank. Nun kamen die Ritter und Bürger, die ihren Herrn rächen wollten, sie zogen die Falltüren in die Höhe und fanden die beiden Teile des toten Rosses, aber Iwein war nirgends zu sehen. Rasend vor Wut stürzten sie in den Saal und schlugen blindlings auf Wände, Betten und Bänke ein, aber das Bett, auf dem Iwein lag, blieb unberührt.
Während sie noch in ihrer Blindheit rasend um sich schlugen, trat eine Frau in den Saal, die war so schön, wie sie kein Sterblicher je gesehen. Doch war sie so gramgebeugt, daß sie dem Tode nahe schien. Das eine Mal schrie sie laut auf, dann sank sie wieder ohnmächtig zu Boden, darauf begann sie sich zu zerfleischen und ihre Haare zu raufen. Und siehe, die Leiche des Herrn wurde auf einer Bahre vorübergetragen, Kerzenträger gingen ihr voraus und Klosterfrauen, dann folgten Geistliche mit Meßbüchern und Weihrauchkesseln. Herr Iwein hörte die Wehklagen, und die Prozession zog vorüber, um die Bahre aber drängte sich eine staunende Menge, denn das Blut floß klar und purpurn aus den Wunden des Toten. Das war der sichere Beweis, daß der, welcher den Tod des Schloßherrn veranlaßt hatte, sich noch hier im Saale befinden mußte. Von neuem begann das Suchen und Schlagen, doch Herr Iwein rührte sich nicht. Die Frau aber schrie wie eine Wahnsinnige: »Ach Gott! Soll man den Mörder, den Schurken nicht finden, der meinen guten Herrn umgebracht hat. Guten? Den Besten der Guten! Hat sich ein Geist oder der leidige Feind unter uns gemengt, bin ich behext, daß meine Augen ihn nicht sehen? Ein Feigling ist er, wenn er mir nicht steht, er, der gegen meinen Herrn so mutig war. Wahrlich, er kann nicht von dieser Welt sein, wenn er meinem unvergleichlichen Herrn standhielt.« Dann trugen sie die Leiche hinaus und begruben sie. Die Menge wurde schließlich des Suchens müde und zerstreute sich. Nun trat die Jungfrau wieder zu Iwein. »Herr«, sagte sie, »wie ein Jagdhund nach einem Rebhuhn oder einer Wachtel spürt, so haben sie jeden Winkel abgesucht. Das muß Euch in Furcht gesetzt haben!« »Das ist richtig,« antwortete Iwein, »aber nichtsdestoweniger möchte ich durch ein Fenster den Leichenzug da draußen beobachten.« So sagte er, aber in Wahrheit kümmerte er sich weder um die Leiche noch um den Zug, sondern er sprach es, weil er die Herrin der Stadt schauen wollte. Lunete führte ihn an ein Fensterchen, durch welches er die schöne Frau erspähen konnte, welche immer noch ihrem toten Gatten nachtrauerte: »Euch, lieber Herr, kam nie ein Ritter gleich an Ehren weder noch an feiner Sitte. Freigebigkeit war Eure Freundin und Mut Euer Gefährte. Unter der Schar der Heiligen möge, teurer Herr, Eure Seele weilen.« Dabei zerriß sie immer wieder mit den Händen ihr Gewand, dergestalt, daß Iwein sich nur mit Mühe zurückhalten ließ, sie daran zu hindern. Lunete mahnte ihn nochmals, ruhig und besonnen zu bleiben, dann ging auch sie, um an der Leichenfeier teilzunehmen.
Inzwischen hatte aber die Frau, ohne es zu wissen, einen Rächer für den Tod ihres Gatten gefunden, und zwar einen stärkeren als sie selbst jemals hätte finden können: Amor hatte nämlich für sie Rache genommen, dadurch, daß er Iwein durch die Augen in das Herz getroffen hatte. Hierdurch hatte Herr Iwein eine Wunde erhalten, die nie wieder heilen sollte. Je länger Iwein die Frau durch das Fenster beobachtete, desto mehr verliebte er sich in sie und desto schöner erschien sie ihm. Gewiß, er wußte, daß sie ihn wegen der Tötung ihres Gatten hassen müsse, aber eine Frau hat mehr als tausend Gefühle. Vielleicht wird sich das Gefühl, daß sie zur Zeit hegt, noch einmal ändern? Sicher wird es das, ohne »vielleicht« und er wäre töricht, wenn er zuvor verzweifeln wollte, Gott gebe nur, daß es bald wechsle. Während er noch in solchen Gedanken befangen war, kehrte Lunete zurück, um ihm Gesellschaft zu leisten, ihn zu trösten und zu zerstreuen. »Herr Iwein,« redete sie ihn an, »wie ist es Euch inzwischen ergangen?« »Nach Gefallen!« erwiderte er. »Nach Gefallen? Wie? Kann es einem nach Gefallen ergehen, wenn man zum Tode geholt werden soll?« »Gewiß, meine liebe Freundin,« entgegnete er, »ich möchte jetzt nicht sterben, denn was ich sah, hat mir sehr gefallen und gefällt mir noch und wird mir immer mehr gefallen!« »Lassen wir das,« sprach Lunete, »ich verstehe sehr wohl, worauf dieses Wort zielt, ich bin nicht so einfältig. Aber jetzt kommt, damit ich Eure Befreiung bewerkstellige. Heute Nacht noch oder morgen früh sollt Ihr in Sicherheit sein.« »Oho,« versetzte er, »ich will nicht wie ein Dieb davonschleichen. Mit mehr Ehren werde ich von dannen ziehen, wenn alles Volk draußen auf der Straße versammelt ist, als wenn ich nächtlicherweile mich aus dem Staube mache!«
Die Jungfrau erinnerte sich sehr wohl an Iweins Worte, und da sie sehr gut mit ihrer Herrin stand, so benutzte sie die nächste Gelegenheit, um die Sache zur Sprache zu bringen. »Herrin,« sprach sie, »es wundert mich sehr, daß Ihr Euch so sinnlos gebärdet; glaubt Ihr denn, den Herrn durch Eure Tränen zurückzugewinnen?« »Ach,« entgegnete jene, »ich wünschte, ich stürbe vor Schmerz!« »Warum?« »Um ihm nachzufolgen!« »Ihm nach …? Davor bewahre Euch Gott, vielmehr gebe er Euch wieder einen ebenso guten Gemahl, der auch ebenso tapfer ist.« »Einen so trefflichen kann er mir nicht wiedergeben!« »Einen besseren wird er Euch geben, wenn Ihr ihn nehmen wollt, das will ich Euch beweisen.« »Geh, schweig! Einen solchen werde ich nie finden!« »Doch, Herrin, wenn Ihr wollt. Denn, sagt mir doch – um Vergebung -, wer soll Euren Boden schützen, wenn König Artus herkommt, der, wie Ihr wißt, nächste Woche zur Quelle und zum Steinblock gelangen wird? Ihr solltet lieber einen Entschluß fassen, wie Ihr Eure Quelle verteidigen wollt, anstatt daß Ihr unaufhörlich jammert.« »Geh!« zürnte die Herrin, »ich will nichts mehr davon hören!« »Auch gut, Frau!« schmollte Lunete, »da kann man nichts machen, wenn sich die Herrin über guten Rat erzürnt.« Aber ihre Worte hatten doch gewirkt, die Dame hätte gar zu gern gewußt, wie Lunete beweisen wollte, daß sie einen besseren Ritter finden könne, als ihr Gatte gewesen war, und bald kam das Gespräch wieder auf diesen Gegenstand. »Gesetzt, daß zwei Ritter sich bewaffnet im Kampfe gegenüberstehen«, sagte Lunete, »und daß der eine den anderen besiegt, wer, glaubt Ihr, ist wohl der bessere? Ich meinerseits würde dem Sieger den Preis zuerkennen. Und Ihr?« »Mir scheint, du willst mir auflauern, um mich dann beim Wort zu nehmen.« »Ich sage die reine Wahrheit, ich will Euch nur beweisen, daß der, welcher Euren Gatten besiegte, ein besserer Ritter ist als jener war.« Nun brach der Zorn der Herrin los und Lunete eilte wieder zu Iwein, der bekümmert darüber war, daß er den Anblick der Schloßherrin entbehren mußte. Diese sorgte sich indessen doch darum, wie sie ihre Quelle verteidigen sollte, und sie bereute ihre harten Worte gegen Lunete. Am anderen Morgen entschuldigte sie sich bei ihr und fragte sie nach Name und Art des Siegers. »Ich werde ihn«, sagte sie, »dafür bürge ich dir, zum Herrn über mich und mein Land machen. Aber es muß so geschehen, daß über mich keine üble Nachrede entsteht, etwa: das ist die, die den Mörder ihres Gatten genommen hat.« »Gewiß, Herrin, Ihr werdet den edelsten und vornehmsten und schönsten Mann bekommen, der je aus dem Stamme Abels geboren wurde.« »Wie heißt er denn?« »Herr Iwein.« »Bei Gott, der ist nicht übel. Er ist von edler Geburt, ich weiß wohl, er ist der Sohn des Königs Urian.« »So ist es.« »Und wann kann ich ihn haben?« »In fünf Tagen.« »Das ist zu lange, er sollte schon da sein. Er soll heute Nacht oder doch spätestens morgen kommen.« Lunete versprach nun, den Ritter herbeizuschaffen und beriet ihre Herrin, wie sie ihre Barone mit ihrer schnellen Wiederverheiratung versöhnen könne: es müßte doch jedem einleuchten, daß die Quelle einen neuen Verteidiger haben müsse.
Iwein wurde also vor die Schloßherrin geführt, um von ihr, wie die listige Lunete sagte, ins Gefängnis geworfen zu werden, und er folgte demütig und krank vor Liebe und Sehnsucht. Und hatte die Jungfrau nicht recht, wenn sie ihn einen Gefangenen nannte? Denn wer liebt, ist in Ketten. Gebeugten Hauptes trat Iwein vor die Schloßherrin, er faltete die Hände und ließ sich vor ihr auf die Knie nieder. »Herrin, ich bitte nicht um Gnade. Gern will ich alles leiden, was Ihr mit mir vorhabt, und ich will Euch noch dafür danken.« »Und wenn ich Euch töten lasse, wie Ihr meinen Herrn getötet habt?« »Wenn Euer Herr mich angriff, welches Unrecht tat ich, mich zu verteidigen?« »Wenn Ihr Euch schuldlos fühlt, warum wollt Ihr dann meinen Willen über Euch ergehen lassen? Setzt Euch und steht mir Rede!« »Herrin, mein Herz treibt mich dazu!« »Und wer trieb Euer Herz?« »Herrin, meine Augen!« »Und wer die Augen?« »Die hohe Schönheit, die ich an Euch sah!« »Die Schönheit, was hat die damit zu tun?« »Herrin, sie heißt mich lieben!« »Lieben? Und wen?« »Euch, teure Frau!« »Mich? Und wie?« »So, daß ich nur noch an Euch denke, daß ich Euch mehr liebe als mich selbst, daß ich für Euch leben oder sterben will!« »Und werdet Ihr meine Quelle schützen?« »Gegen die ganze Welt!« »Dann sind wir also einig.«
Darauf führte sie ihn in den Saal zu den Baronen, welchen seine ritterliche Gestalt gewaltig in die Augen stach und welche ihn ohne Widerrede als ihren Herrn anerkannten. Noch am gleichen Tage vermählte sich Herr Iwein mit Laudine von Landuc, der Tochter des sangesberühmten Herzogs Landunet.
Am Tage darauf kam König Artus mit seinen Begleitern zur Wunderquelle und zum Stein. »Nun?« spottete Kei, »was ist aus Iwein geworden, der sich nach dem Mahle vom Weine berauscht rühmte, seinen Vetter rächen zu wollen. Er ist feige geflohen!« »Gnade, Herr Kei,« versetzte Gawein, »wenn Herr Iwein nicht hier ist, so hat er sicherlich einen Entschuldigungsgrund.« Kei schwieg und der König goß Wasser aus dem Becken auf den Stein unter der Tanne, und sogleich begann es in Strömen zu regnen. Alsbald erschien Herr Iwein bewaffnet im Walde. Kei bat den König, als erster mit dem Hüter der Quelle kämpfen zu dürfen und diese Bitte wurde ihm sogleich gewährt. Herr Iwein aber versetzte ihm einen Stoß von solcher Heftigkeit, daß er einen Purzelbaum von seinem Sattel herab schoß und sein Helm am Boden rollte. Iwein ließ ihn liegen und trat vor den König, indem er Keis Roß am Zügel führte. »Herr,« sprach er, »nehmt dieses Roß. Ich würde übel tun, wenn ich etwas von Eurer Habe zurückbehalten wollte.« »Und wer seid Ihr?« fragte König Artus, »ich kenne Euch nicht, wenn ich nicht Euren Namen höre oder Euch unbewaffnet erblicke.« Da gab sich Iwein zu erkennen und Kei war äußerst niedergeschlagen, zumal da er noch kurz zuvor über ihn gespottet hatte. Gawein aber freute sich hundertmal mehr als alle anderen, daß er seinen Gefährten wiedergefunden hatte. Nun mußte Iwein dem König sein Abenteuer erzählen, aber als er seinen Bericht beendet hatte, ersuchte er Artus, er möge mit all seinen Rittern bei ihm Herberge nehmen. Der König erwiderte, gern wolle er ihm für eine Woche Ehre, Freude und Gesellschaft verschaffen. Iwein dankte dem König und nun begaben sich alle zur Burg, nachdem zuvor ein Bote an Laudine abgeschickt worden war, der sie von dem bevorstehenden Besuch in Kenntnis setzen sollte. Durch die gaffende Menge ging die Schloßherrin, umgeben von tanzenden Jungfrauen, in ein Hermelingewand gehüllt und mit einer rubingeschmückten Krone auf dem Kopfe, dem König entgegen und bewillkommnete ihn. Den Tag beschloß ein großes Fest und Gawein dankte es Lunete durch mannigfache Gunstbezeigungen, daß sie seinen Freund vom Tode gerettet hatte. Die ganze Woche verging unter Feiern, Jagden und Besichtigen der Schlösser. Als aber der König nicht mehr länger verweilen wollte, ließ er alles zur Abreise rüsten.
Man hatte sich die ganze Woche bemüht, Iwein zu veranlassen, daß er mitziehe. »Wie?« hatte Gawein zu ihm gesagt, »gehört Ihr auch zu denen, die weniger taugen, sobald sie beweibt sind? Verflucht sei, wer nur heiratet, um sich zu verliegen, man soll umgekehrt tüchtiger werden durch den Umgang mit schönen Frauen. Brecht die Fessel, die Euch bindet, dann wollen wir beide wieder zu Turnieren reiten, damit niemand Euch eifersüchtig schilt. Jedes Gut wird begehrenswerter, wenn man seinen Genuß hinausschiebt, schöner ist es, ein geringes Glück nach einem Aufschub zu kosten, als ein großes alle Tage. Späte Liebesfreude gleicht einem brennenden grünen Busch, der um so heißer brennt, je länger er zögert, Feuer zu fangen.« So lange redete Gawein auf seinen Freund ein, bis dieser ihm versprach, mitzuziehen. Aber zuvor müsse er seine Herrin fragen, ob sie ihm Urlaub gewähren wolle, um nach Britannien zurückzukehren. Er sprach also zu Laudine: »Meine teuere Frau, die Ihr mein Herz und meine Seele seid, wollt Ihr mir um Eurer und meiner Ehre willen etwas versprechen?« »Lieber Herr,« versetzte sie, »Ihr mögt mir befehlen, was Euch gut dünkt!« Nun bat sie Iwein um Urlaub, dem König zu folgen und zu Turnieren zu reiten, damit man ihn nicht träge schelte. Sie sprach: »Ich gewähre Euch den Urlaub bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Aber meine Liebe, die ich zu Euch trage, wird sich in Haß verwandeln, wenn Ihr diesen Zeitpunkt, den ich Euch angeben werde, überschreitet. Wenn Ihr Euch meiner Liebe fürderhin erfreuen wollt, so seid darauf bedacht, in spätestens einem Jahre zurück zu sein, acht Tage nach dem Feste St. Johannis. Los und ledig sollt Ihr meiner Liebe werden, wenn Ihr an diesem Tage nicht wieder bei mir seid.« Iwein konnte ihr vor Gram kaum antworten: »Herrin, diese Zeitspanne ist zu lang. Könnte ich eine Taube sein, gar oft wäre ich bei Euch! Ich bitte Gott, daß er mich nicht so lange verharren läßt. Aber was soll werden, wenn Krankheit oder Haft mich hindern?« »Wenn Gott Euch vor dem Tode bewahrt, so wird Euch keine Verzeihung zuteil, wenn Ihr nicht mein zur rechten Zeit gedenkt. Nehmt diesen Ring an Euren Finger, er wird Euch vor Kerker und Wunden bewahren. Wenn ein wahrhaft Liebender ihn trägt, so wird er dadurch so hart wie Eisen: der Ring soll Euer Schild und Harnisch sein!« Weinend trennte sich Iwein von ihr, mit Tränen waren ihre Abschiedsküsse besät und von Zärtlichkeit umduftet.
Nun begann ein bewegtes Leben. Überall, wo man turnierte, waren Iwein und Gawein zu sehen. So ging das Jahr vorüber, und immer noch gelang es Gawein, seinen Freund zurückzuhalten. Das andere Jahr brach an und es war schon zu Mitte August, als König Artus Hoftag in Chester hielt. Gerade am Tage vorher waren die beiden Gefährten von einem Turnier zurückgekehrt, bei welchem Iwein den Hauptpreis davongetragen hatte. Sie hatten nicht in der Stadt absteigen wollen, sondern hatten ihre Zelte außerhalb der Mauern aufgeschlagen. Dort suchte sie König Artus auf und setzte sich zwischen sie auf das Lager. Da begann Herr Iwein in Gedanken zu verfallen und nie, seit er von seiner Herrin Abschied genommen hatte, war ihm ein Gedanke so schwer aufs Herz gefallen wie dieser, denn er wußte wohl, daß er sein Versprechen nicht gehalten hatte und daß der Zeitpunkt überschritten war. Noch grübelte er so, da sah man auf schwarz- und weißgeflecktem Roß eine Jungfrau heranreiten. Vor dem Zelte stieg sie ab, aber niemand kam, ihr zu helfen, niemand nahm ihr Roß in Hut. Als sie den König erblickte, ließ sie den Mantel fallen und trat ins Zelt. Sie sagte, ihre Herrin lasse den König grüßen und Gawein ebenso und alle außer dem Verräter Iwein, dem Lügner und gleißnerischen Schwätzer, der sie verlassen und betrogen habe. »Als Heuchler hat sich der erwiesen, der sich als wahrhaft Liebender ausgab und doch ein falscher Verräter war. Er hat ihr Herz gestohlen und ist damit geflohen. Herr Iwein hat meine Herrin dem Tode nahegebracht. Ach, sie glaubte, er wolle ihr Herz bewahren und ihr nach Jahresfrist zurückstellen. Alle Tage des Jahres hat sie in ihrer Kammer angekreidet und jede Nacht hat sie die Tage gezählt, die verstrichen waren und die noch kommen sollten. Doch du kamst nicht. Ich will dich nicht anklagen, aber so viel will ich sagen, daß uns der verraten hat, der dich mit unserer Herrin verheiratete. Iwein, nun sorgt sie sich nicht mehr um dich, sondern sie befiehlt dir durch mich, daß du ihr nie wieder unter die Augen tretest und ihren Ring nicht länger behaltest. Gib ihn zurück, Verräter, dann geh, wohin du willst!«
Wie Iwein vor Kummer wahnsinnig wurde, wie er durch eine Zaubersalbe geheilt wurde und dann nach endlosen Abenteuern und Gefahren schließlich doch seine Laudine zurückgewann, das alles mögt ihr bei Meister Christian selber nachlesen.
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]