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Märchenbasar

Kapitän Hikmet

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Es gab eine Zeit. da war er groß, reich und mächtig. Kapitän Hikmet, ein Herr der Meere, ein Fürst der Räuber, ein Händler mit dunklem Menschenfleisch. Und er genoß, was die Erde an Genüssen des Leibes bietet denen, die sich nicht scheuen, zu vergessen, das sie Söhne sind Allahs. Alles das kann vergeben werden. Alles Böse wandelt sich unter Allahs Hand zu Gutem, so die Hand, die alles hält, was sichtbar bleibt. Wenn aber vergessen wird, daß es Allahs Hand ist, die Brot schenkt, die Wasser gibt, und daß es die ziemliche Pflicht des Nehmenden ist, dem Gebenden zu danken…was dann? Kapitän Hikmet ruhte auf dem Deck seines großen und mächtigen Schiffes, und die Sklaven brachten ihm erlesene Speisen. Er aß von allem, trank Wein von den Inseln dazu, lachte, lachte, griff nach dem schlanken, schmalen Krug aus Ton, darin das Wasser, das süße, köstliche, auf den salzigen Meeren, so kostbare, gekühlt und frisch verwahrt wurde, erhob sich, ging zur Bordwand, schüttete das Wasser auf die Meereswellen, rief: “ Da, ihr Fische, da habt ihr! Kostet einmal anderes Wasser als das gewohnte!“, wandte sich zurück, nahm ein frisch gebackenes Brot von der Tafel, warf es auf das Wasser, schrie: „Und Brot gehört noch dazu…Wasser und Brot sind Bruder und Schwester…kostet, ihr Fische, kostet!“, stand dort und lachte, lachte.

Da geschah es, daß ihm ein Lachen antwortete, dem seinen gleich, spottend, hart. Kapitän drehte sich eilends um, gesonnen, den frechen Seemann zu strafen, der ihn so zu verhöhnen wagte. Aber er sah niemanden, und seine scharfen Augen konnten weit und breit nichts entdecken. Kalt lief es ihm über den Rücken, und es war das erste Mal in seinem Leben wilder Kämpfe, daß Kapitän Hikmet so etwas wie Furcht kennen lernte oder Grausen. Der helle Mittag schien plötzlich verdunkelt, und um das, was ihn packte, abzuschütteln, schrie Kapitän Hikmet mit allem Aufwand seiner befehlsgewohnten Stimme: „Wer da lachte, der Feigling, zeige sich!“ Wieder erscholl das Lachen, und eine Stimme rief: „Hier oben sitzt der Feigling, schau auf deine Mastspitze, o tapferer Kapitän!“ Kapitän Hikmet war mit einigen schnellen Schritten aus dem Schatten des seidenen Sonnendaches getreten, schaute zum Mast hinauf und sah auf der leicht wankenden Spitze einen roten Vogel sitzen, der zugleich golden leuchtete und so hell, so sonnengleich war, daß der Kapitän geblendet die lichtgewohnten Augen schützte. Wieder erklang das Lachen, und obgleich des Vogels scharfer Schnabel unbeweglich zu bleiben schien, war deutlich aus ihm einen Menschenstimme zu vernehmen: „Du hast mir schon viel Freude bereitet, Kapitän, und ich rechne dich zu meinen liebsten Söhnen. Heute aber und soeben hast du dich mir ganz zu eigen geschenkt. Ich bin gekommen, dir zu danken und dir zu sagen, daß du von mir wünschen kannst, was du willst, es soll dir gehören.“ Der rote Vogel schwieg. Kapitän Hikmet schaute hinauf, und unter der beschattenden Hand hervor fragte er mit so leiser Stimme, wie seine Untergebenen sie noch niemals von ihm gehört hatten: „Was bist du, Djin oder Dew, der du als Vogel zu mir redest und die Anmaßung besitzt, mich deinen Sohn zu nennen?“ Wieder das seltsame Lachen und die klare Stimme, die von anderen Fernen her zu kommen schien: „Ich bin Djin, ich bin kein Dew, ich bin Eblis, dem du gehörst, Hikmet, mein Kind, der du heute und soeben die große Gabe meines geliebten Feindes verhöhntest.Rede nun, was kann ich dir schenken und geben du, auf den ich stolz bin und dem zuliebe ich mich in diese elenden Federn kleidete?“ Die Stimme schwieg. Auf dem leeren Deck war Hikmet in sich zusammengesunken. Eblis, der Engel der Dunkelheit! Eblis, der Feind Allahs! Elis war hier, war bei ihm! Warum nur, warum jetzt? Hikmet murmelte vom Boden her kaum vernehmlich: „Was tat ich, daß du heute kamst, o Eblis, o Großer? Warum jetzt, da ich nur spielte und lachte mit Wasser und Brot?“ Hell erklang wieder das Lachen des Eblis, und er rief wie ein Sieger: „Wasser und Brot, sie sind meines geliebten Feindes größte Gaben. Da du sie verhöhntest, den Fischen, den stinkenden, gabst, verlachtest du ihn, gabst dich so ganz in meine Hand, der ich ihn niemals verlache, nein, liebe, bewundere, aber mich ihm widersetze. Nun also, Hikmet, mein Kind, fordere, frage…ich gebe dir alles, was du willst, denn der Weg zu dir ist frei, da du noch nie zu ihm sprachst.“ Kapitän Hikmet, immer noch am Boden auf dem Deck kauernd so leise sprechend, daß ihn Menschenohr niemals vernommen hätte, fragte zaghaft: „Wie meinst du, daß ich noch niemals zu ihm sprach, deinem Feinde, Allahs, o Eblis, du Großer?“

Wie bisher, so leitete auch jetzt das Lachen die Worte ein, die klar wie fallende Tropfen eines Springbrunns erklangen: „Die Menschen nennen es beten. Ich nenne es sprechen. Du hast nie fünfmalig zu ihm gerufen; du hast nie fünfmalig auf ihn gehört; du bist von ihm geschieden und getrennt. Darim, Hikmet, mein Sohn, bist du mein, weil du heute Brot und Wasser verlacht hast, und ich biete dir zum dritten Male den Wunsch. Sprich nun!“ Doch ehe Kapitän Himet sprechen konnte, der in Wahrheit auch nicht wußte, wie reden und was sagen, breitete sich über die Ferne und Meere ein bläuliches Dämmern, das die Glut und das Glitzern des Mittags auslöschte und den Glanz der Federn des roten Vogels verblassen ließ. Und aus dem blauen, ruhig schwebenden Licht erklang eine tiefe, eine wunderbar friedvolle Stimme, die sprach, wie ein milder Wind weht: „Eblis, geliebter Sohn, du mein Schatten, was ist es, daß du anstellst? Sei so hart nicht zu diesem, der noch mein Sohn ist, denn er weiß nicht, was er verlachte. Laß ihn aus deinem Wunschnetz, mein geliebter Eblis, auf daß ich nicht gezwungen werde, dich für viertausend Menschenzeiten aus meiner Nähe zu verbannen, was mich schmerzt, du weißt es, Eblis?“

Der rote Vogel war beim ersten Schimmer des blauen Lichtes in sich zusammengesunken, wie es eine welkende Blume tut. Er legte jetzt die leuchtenden Schwingen über seinen Kopf und saß dort still auf der Mastspitze, eine kleine verglühende Flamme. Aber die tiefe, die ruhe volle Stimme sagte, und es klang fast wie Heiterkeit in ihr: „O Eblis, mein geliebtester Sohn, wie kennst du doch Spiel und Lachen, das mir so selten erlaubt ist! Wer dich dort sähe und kennte dich nicht, würde meinen, Demut und Zerknirschung zu erblicken, du armer, kleiner roter Vogel! Und was ist es in Wahrheit? Verstecktes Lachen!“ Aber die Stimme der Wassertropfen sagte klar, doch leise: „Erbarmenster, du Licht der Welt, du irrst. Ich verstecke mich, weil ich weiß, was du sagen wirst, wenn es um dieses kleine Menschenwesen geht. Ist es so, daß du ihm vergibst, oder irre ich?“

Heiter klang auch jetzt die blaue, tiefe, die friedevolle Stimme die in sich ruhte: „Du sagst es, Sohn, du irrst. Ich verzeihe Vergehen gegen Wasser und Brot nicht sogleich, weil sie Vergehen sind gegen das wachsende, das ewig werdende Leben. Aber ich kam, um mich zwischen deinen Wünsche und ihre Erfüllung zu stellen, weil ich weiß, dann verliere ich immer. Und ich verliere nicht gern.“ Jubelnd klang die Wassertropfenstimme: „Großer Gewaltiger, was oder wer könnte dich übertreffen? Wer übertrifft jemals den, der bereit ist, sich eines Fehlers zu verzeihen? O dreifach gelobt und gesegnet sei jener, der aus seiner Größe heraus mag zu sagen, daß er nicht gerne verliert…Ja Allah…Jahu Allah, Yaha Allah…“ Und die Himmel erklangen vom Lobgesang Eblis, der den pries, der ihn als seinen Sohn, als den Schatten des Lichts benannte. In all dieser Zeit hatte Kapitän Hikmet wie in tiefem Traum auf den Planken seines Schiffes gelegen. Er erwachte davon, daß eine gewaltige Stimme, die alle Fernen und alle Meere zu erfüllen schien, rief und verkündete dieses: „Hikmet, der du ein Sohn Allahs warst und ein Sohn wurdest des Eblis, seines Schattens, höre, was ich dir künde: Da du verlachtest, was der Erde Heiligstes und Bestes ist, Brot und Wasser, wirst du über die Meere irren, bis du findest, wie du Brot und Wasser aus den tiefsten Gründen ziehen kannst. Bis dahin wirst du dürsten und hungern, auch wenn du reiche Kost genießest und dich des verbotenen Weines erfreust. Suche, suche, Hikmet, der du auch mein Sohn bist, bis du jenseits der Meere und ihrer Bitterkeit die Süße der Erde findest.“

Seitdem geschieht es, daß Kapitän Hikmet durch alle Meere der Welt zieht, der Erde Süßes suchend, nach der Bitternis der Weltweiten. Wenn einmal eine Möwe mit einem Brotkrumen im Schnabel in die Nähe seines Schattensegelns kommt, so bittet er, so fleht er sie an um einen Teil ihrer Beute. Doch ist’s vergebens, denn wie könnte ihn der Raubvogel verstehen? Wann, ach, wann wird auch ihm, dem ewigen Wanderer der Meer, das blaue, das friedevolle Licht erstrahlen? Wann wird ihm die Stimme erklingen, die einstmals seinen Traum füllte, ihm kündend, daß der Hafen aller Erdenwanderungen ihn erwarte? Bis wir es wissen, o Freunde, seid bereit, ein jedes verirrte Schiff der Weltenmeere zu betreten und andächtig in Händen zu tragen einen Laib Brot und einen Krug Wassers. Tut es, o Freunde, auch wenn ihr nichts seht als nur zerfetzte Segel, gebleichte Planken, Geheimnisse verborgener Schatten. Tut es um Allahs Barmherzigkeit willen, die in jedem Bissen Brot lebt und in jedem Schluck süßen Wassers…Allah Kerim…

 
Märchen der alttürkischen Nomaden

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