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Märchenbasar

Kleine Lilith-Böse Lilith

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Es war einmal ein rechtschaffener Köhler mit seiner Frau. Josch und Jette lebten schon acht Jahre in trauter Zweisamkeit. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlte ihnen nur ein Kind. Der Wunsch danach wurde in Jettes Herz so übermächtig, dass sie heimlich alle möglichen Geister beschwor.

Wieder einmal lief die Köhlerfrau in den Wald zur tausendjährigen Eiche. Dort entzündete sie drei Kerzen, legte einen Armreif dazu und flehte erneut um die Erfüllung ihres Kinderwunsches. Während sie so jammerte, trat Numia, eine alte, geächtete Kräuterhexe, aus dem Unterholz und sprach zu ihr:
,,Jette, ach Jette! Du wünschest dir geradezu dein Unglück herbei. Gehe rasch heim und kehre nimmermehr zurück!”
Dann verschwand die Alte augenblicklich im Gestrüpp.
,,Was weißt du alte Hexe denn schon”, murmelte Jette und fuhr mit ihren Beschwörungen fort.
Plötzlich knackte es im Dickicht und eine Bewegung ging durch die Sträucher.
,,Wer ist da?”, rief die Köhlerfrau, sich ängstlich umschauend.
Obwohl weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, antwortete eine tiefe, kratzige Stimme:
,,Weib! Du hast mich gerufen. Das war recht so, denn ich kann dir wahrhaftig in deiner Not helfen.”
,,Aber … Warum kann ich dich nicht sehen?”
,,Das ist besser so, glaube mir. Willst du nun bald ein Kind in den Armen wiegen, oder nicht?”
Völlig besessen von ihrem Wunsch, ließ die Frau jegliche Bedenken außer acht. Sie kniete nieder, neigte ihr Haupt und antwortete:
,,Großer Wohltäter, ich begebe mich in deine Hand!”
Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, verschwand der Armreif. An seiner Stelle stand ein Becher mit tiefschwarzem Gebräu.
Die Stimme hub erneut an:
,,Wenn du das Elixier bis zum letzten Tropfen trinkst, dann wirst du übers Jahr eine Tochter gebären.”
,,Ich danke dir von ganzem Herzen!”, rief Jette.
,,Nicht so schnell Weib. Du wirst am dritten Geburtstag des Kindes mit ihm hierher zurückkehren!”
Sie zuckte zusammen und fragte misstrauisch:
,,Ihr wollt mir doch nicht mein Töchterchen wieder wegnehmen?”
Höhnisches Lachen erklang.
,,Nein! Sie wird nur ein Patengeschenk von mir erhalten und muss einen Becher leeren. Geschieht dies nicht, so ereilt deine Tochter noch am gleichen Tag der Tod!”
Die Köhlerfrau sah sich schon ihr Kindlein wiegen und versprach dem Unsichtbaren, den Pakt einzuhalten.

Wie vorausgesagt, schenkte Jette bald darauf ihrem Josch eine Tochter mit Namen Lilith. Nun schien ihr Glück vollkommen zu sein. Die Kleine gedieh prächtig, war allerliebst anzusehen und von sanftmütigem Wesen. Das Kind ließ die Köhlerfrau ihr Versprechen vergessen. Aber unweigerlich kam der dritte Geburtstag. In der Nacht zuvor erinnerte ein gar böser Albtraum Jette an den Pakt. Schweißgebadet erwachte sie, nahm Liliths Hand und ging mit ihr bei Sonnenaufgang in den Wald. Unter der alten Eiche brannten bereits drei Kerzen. In dem Becher befand sich ein blauer Trank. Neben dem Gefäß lag ein Amulett mit seltsamen Zeichen darauf. Unschlüssig wanderten die Blicke der Frau zwischen ihrem Kind und dem Elixier hin und her.
Dann ertönte jene Stimme durch die Grabesstille:
,,Es ist an der Zeit, Weib, reiche deiner Tochter den Becher!”
Im Glauben, Lilith sei des Todes, tat Jette, was ihr geheißen. Folgsam trank die Kleine den Becher bis zum Grunde leer. Danach legte ihr die Mutter das Amulett um den Hals.
,,Gut gemacht!”, sagte der Unsichtbare und befahl ihr, mit dem Kinde heimzukehren.
Erleichtert und sicher, dass jegliche Gefahr vorüber wäre, brachte Jette ihre Tochter nach Hause.
Von Stunde an wendete sich das Glück der Köhlerfamilie in Unglück.

Lilith veränderte sich zusehends. Ihre sanften Augen blickten kalt und leer. Die zarten, kleinen Händchen wurden groß und plump. Das Mädchen schien eine verschrobene Gestalt zu bekommen. Aber nicht genug damit. Obendrein war es plötzlich böse und gemein.
Eines Tages, als die nun Fünfjährige ihren Vater während des Abendmahles mit der Gabel stach, sprach dieser zu seiner Frau:
,,Jette, was geht mit unserem Kind vor? Ich verstehe es nicht.”
,,Ich kann es mir auch nicht erklären, Josch. Lilith treibt in deiner Abwesenheit die schlimmsten Sachen. Gestern warf sie mir erst einen Stein an den Kopf und dann biss sie mir ins Bein.”
,,Nein! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Sie war ein so liebreizendes, folgsames Mädchen. Wir müssen besser auf sie achten, Frau.”

Wieder einige Tage später kam der Köhler von seinem Tagwerk heim und fand sein Weib bitterlich weinend zwischen den toten Hühnern sitzen.
,,Heiliger Nepomuk! Was ist denn hier geschehen? Wer hat das angerichtet?”
,,Lilith”, schluchzte Jette auf, ,,Lilith war es!”
,,Das kann nicht sein! Wie sollte ein kleines Kind fünfzehn Hühnern die Köpfe abreißen?”
,,Doch! Doch! Lilith war es!”, rief sie verzweifelt, ,,ich habe es mit eigenen Augen ansehen müssen.”
Unterdessen schaute die Kleine gleichgültig zu. Josch hockte sich nieder, zog sie sanft heran und fragte:
,,Mein Herz, das hast du doch nicht getan?”
Wortlos schlug ihn das Mädchen mit der Kraft von drei Männern gegen den Wanst, dass er sich vor Schmerzen nur so krümmte. Während Jette ihrem Manne aufhalf, dämmerte ihr plötzlich etwas. Sie nahm allen Mut zusammen und beichtete ihm die einstigen Geisterbeschwörungen.
,,Bist du des Teufels, Frau!”, rief er entsetzt.
Ahnend, dass sie einen Frevel begangen hatte, schwieg sie. Der Köhler dachte nach und erklärte dann seinem Weib:
,,Es gibt nur einen Ausweg. Wir müssen die alte Numia um Hilfe bitten.”
,,Nein!”, wehrte Jette ab, ,,sie ist eine Hexe.”
,,Mag sein, dass sie sich auf Hexenkünste versteht, aber dennoch ist sie eine sehr weise Frau. Numia hat entgegen böser Gerüchte schon manch einem Gutes getan.”
Am nächsten Morgen ging Josch zur Kräuterhexe. Als sie von ihm erfuhr, was geschehen war, begleitete die Alte ihn auf der Stelle zum Köhlerhaus. Dort angekommen, nahm sie ohne Zeit zu verlieren das Kind in Augenschein und schenkte dem Amulett besondere Aufmerksamkeit. Die seltsamen Zeichen schienen ihr nicht unbekannt zu sein. Endlich wandte sich Numia den Köhlerleuten zu:
,,Hättest auf meine Warnung hören sollen, Jette. Wie ich sehe, bist du dem Finsterdämon in die Falle gegangen. Erst hat er dir mit seinem Fruchtbarkeitselixier zu einem Kind verholfen, aber dann, drei Jahre später, hat er seine eigene Brut in eure Tochter gesät.”
Schreckensbleich schrie Jette auf:
,,Wieso … Warum?”
,,Die Dämonen der Finsternis können nur auf diese Weise Nachkommen hervorbringen. Sie vermischen ihr Blut mit dem eines kleinen Kindes und dieses wird im Laufe von drei Jahren zu einem Dämon.”
,,Numia, gute Numia!”, brach es aus Josch hervor, ,,unsere Lilith ist gerade fünf, aber du sagtest, dass sie erst mit dem sechsten Lebensjahr ein fertiges dämonisches Geschöpf sein wird. Du weißt bestimmt einen Ausweg, unser Kind zu retten, bitte!”
Das weise alte Weib entgegnete:
,,Wahrhaftig, es gibt eine Möglichkeit. Aber die wird euch nicht gefallen.”
,,So sprich! Sag an, was muss getan werden!”, flehte Jette unter Tränen.
,,Nun gut! So höret: Köhler, nimm Weib und Kind, dann gehe mit ihnen zur tausendjährigen Eiche. Dort musst du dich zur Ader lassen, deiner Frau damit das Herz bestreichen und Lilith darin baden. Dann sieh selbst, was weiter geschieht.”

Nachdem Numia das Köhlerhaus verlassen hatte, schickte sich Josch an, sein Töchterchen zu erlösen.
,,Komm Frau, es ist an der Zeit, wir müssen in den Wald.”
,,Ich kann das nicht tun”, flüsterte sie, sich heftig sträubend.
Dem Köhler gelang es nach liebevollem Zureden, sein Weib zur Eiche zu führen.
Dort verfuhr er, wie ihm geheißen ward. Kaum war es vollbracht, da erhob sich ein mächtiger Sturm. Liliths kleiner Körper wurde wie im Fieberwahn hin und her geworfen. Dann fuhr der unreife Dämon aus ihrem Leib und der Wind legte sich.
Jette konnte nicht fassen, was sie sah. Josch und die Kleine standen völlig unversehrt vor ihr. Überglücklich kehrten sie heim. Lilith wuchs liebevoll umsorgt auf und Numia war ein stets willkommener Gast im Köhlerhaus.

Quelle: Ulla Magonz

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