Vor undenklich langer Zeit lebte einmal ein König, dem es an nichts fehlte. Im ganzen Land war er als Feinschmecker bekannt und liebte das Essen mehr als alles andere in seinem Leben. Es war schwierig, fast unmöglich, ihm etwas recht zu machen und er bestand darauf, nur das Beste auf seinem Teller vorzufinden. Auch duldete König Ludwig keine Wiederholung. Die Küche hatte ihm stets neue Kreationen vorzusetzen. Irgendwann gingen den Köchen die Ideen aus, was dazu führte, dass der König ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, befahl, das Schloss zu verlassen.
So gingen Jahr für Jahr viele Köche ein und aus. Zur Zeit hatte eine ältere Köchin die Ehre, die Launen des Königs zu ertragen. Schmeckte ihm etwas nicht, warf er wütend seinen Teller zu Boden. „Was ist denn das für ein Fraß? Ungenießbar!“, schallte es durch den Thronsaal und die Köchin zog jedes Mal erschrocken die Schürze über den Kopf, als könnte sie sich so unsichtbar machen.
Einmal klopfte es am Schlosstor. Draußen stand ein Bettelweib, das Hunger hatte und um eine Schüssel Suppe bettelte. Doch der König hatte kein Mitleid mit ihr. Lieber fütterte er seine Schweine mit dem vermeintlich ungenießbaren Essen.
Unmengen an Speisen wurden täglich weggeworfen, weil der König etwas daran auszusetzen hatte. Er probierte nicht einmal, wenn er der Meinung war, dass die Farben nicht zusammen passten oder irgendein Gemüse nicht die rechte Form besaß.
Irgendwann platzte auch der letzten Köchin der Kragen. Sie musste sich entscheiden, entweder konnte sie dem König neue Genüsse beschaffen, sich eine andere Dienststelle suchen, oder ihm einen Denkzettel verpassen. Letzteres gefiel ihr am besten. Doch wie sollte sie das anstellen? Da wurde ihr zugetragen, dass weit draußen im Wald eine Hexe hauste, die gern Schabernack trieb.
„Vielleicht sollte ich einen Versuch wagen und diese Hexe um Hilfe bitten“, dachte die Köchin. Also machte sie sich ohne langes Zögern auf den Weg. Die Hexe stand bei ihrem Eintreffen am Feuer über dem großen Kessel gebückt, begrüßte ihren Gast und fragte nach dem Begehr. Die Köchin atmete tief ein. „Ich brauche deine Hilfe! Weißt du einen Rat, wie ich König Ludwig, den Feinschmecker, dazu bewegen kann, nicht mehr so unausstehlich zu sein?“
Ein schauriges Lachen erfüllte das Hexenhaus: „Was bekomme ich, wenn ich dir helfe?“
„Wie wär’s, wenn ich dir wöchentlich die besten Kräuter aus dem Schlossgarten zukommen lasse?“, meinte die Köchin.
Damit war die Hexe einverstanden. Schnell lief sie zu ihrer Zauberkugel und murmelte ein paar unverständliche Wörter. Ihre Augen funkelten und blitzten. Nach einem lauten Knall sagte sie: „So, es ist vollbracht! Geh‘ nach Hause! Der König wartet bereits auf sein Abendmahl. Hihihi…!“
Die Köchin bedankte sich, eilte ins Schloss, kochte das Abendessen und deckte den Tisch. Da sich der König nicht blicken ließ, wurde sie unruhig und begann nach ihm zu suchen, letztendlich rief sie gar nach ihm. Doch so sehr sie sich auch mühte, sie konnte ihn nirgendwo sehen. Erst als sie ganz nahe vor dem Thron stand, bemerkte sie einen glitschigen Regenwurm, der sich auf dem Thronsessel hin und her warf, dabei schrie er: „Hilfe! Hilfe!“
Zuerst erschrak die Köchin, aber schon bald konnte sie sich zusammenreimen, was geschehen war: Der König hatte sich in einen fetten Regenwurm verwandelt!
„Oh!“, rief die Köchin aus. „Eure Majestät! Solch ein Schicksal habe ich mir nun auch nicht für Euch gewünscht. Eigentlich hätte ich mir solcherlei denken können, als ich die Hexe um Rat bat. Nicht umsonst ist sie für ihren Schabernack bekannt. Jetzt ist es zu spät!“ Die Köchin wollte dem König Regenwurm wenigstens noch ein ehrwürdiges Leben bescheren. Sie holte einen Topf mit Erde, legte den Wurm hinein und marschierte mit ihm in den Wald. Am Wegesrand ließ sie ihn frei.
Nun war es vorbei mit dem König, der ein Feinschmecker war. König Ludwig glaubte, in einem bösen Traum gefangen zu sein. Jedenfalls weigerte er sich, von der Erde zu fressen. Lieber wollte er verhungern und grausamst sterben.
Es trug sich zu, dass auch das Bettelweib hungrig diesen Weg beschritt. Wie freute sie sich, als sie einen fetten Regenwurm auf dem Boden liegen sah: „Endlich etwas Essbares! Besser einen Regenwurm essen als gar nichts!“
Sie hob den Regenwurm hoch und wollte ihn gerade zu Munde führen. Da begann dieser fürchterlich zu schreien: „Halt! Halt! Ich bin König Ludwig!“
Das Bettelweib musste lachen: „Was? Du? König Ludwig? Das ist das Lustigste, das ich seit Jahren gehört habe.“
„Bitte, lass mich leben!“, jammerte der Regenwurm. Mitleidig und neugierig zugleich schaute das Bettelweib den Regenwurm an. „Glaube mir, das würde ich liebend gerne. Aber ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen! Ich will dir mal was erzählen: Dieser König Ludwig, der lebt in Saus und Braus und verfüttert den Braten lieber an seine Schweine, als mir, einem armen Bettelweib, etwas davon abzugeben. Du verstehst, wenn ich ausnahmsweise mal keine Rücksicht auf andere nehmen kann!“
Schon wieder führte sie den Regenwurm zum Mund. Dieser zappelte wild herum und schrie abermals: „Nein, nicht! Ich bin’s wirklich! König Ludwig, der Feinschmecker! Ich erinnere mich an dich und möchte mich hiermit höflichst bei dir entschuldigen. Hilf mir, dass ich wieder menschliche Gestalt annehme!“, bettelte er.
„Wie soll ich dir helfen?“, zuckte das Bettelweib gleichgültig mit den Schultern. „Und was nützt es mir, wenn ich dir helfe?“
„Ich will dich reich belohnen!“, entgegnete der Wurm. Das klang doch recht gut in den Ohren der Frau und sie forderte: „Ich will deine Gemahlin werden und fortan im Schloss wohnen!“
König Ludwig willigte ein. Ihm war alles lieber als seine jetzige Gestalt. Er erzählte dem alten Weibe von der Hexe und bat sie, ihn zu ihr zu bringen, was die Bettlerin nur zu gern tat. Sie erreichten schon bald das Hexenhäuschen, aus dem es rauchte und qualmte. Das Bettelweib fürchtete sich ein wenig beim Anblick der Hexe, die eine krumme Nase mit einer großen Warze, grüne Augen, ein spitzes Kinn und einen großen Buckel hatte.
„Was führt dich zu mir?“, krächzte diese. Das Bettelweib zeigte auf den Regenwurm in ihrer Hand. Die Hexe schnupperte daran: „Mmmmh! Welch eine leckere Zutat für meinen neuen Zaubertrank!“
„Nein!“, schrie das Bettelweib. „Du musst mir helfen! Dieser Regenwurm ist in Wirklichkeit König Ludwig. Bitte, gib ihm seine menschliche Gestalt zurück!“
Da fiel der Hexe ein, wen sie vor sich hatte. Sie lachte, dass ihr Häuschen wackelte und sagte: „Na gut, aber nur unter einer Bedingung! Ich will als Zauberin ins Königsschloss ziehen! Es ist langweilig, immer nur alleine zu hausen.“
König Ludwig war mit allem einverstanden, sofern sein Wunsch in Erfüllung ging.
Also lief die Hexe zu ihrer Zauberkugel und murmelte ein paar unverständliche Wörter. Ihre Augen funkelten und blitzten. Nach einem lauten Knall stand König Ludwig in menschlicher Gestalt vor den beiden Frauen. Gemeinsam flogen sie auf dem Hexenbesen zum Schloss.
Das Bettelweib nahm ein Bad, wurde in die schönsten Gewänder gekleidet und die Hochzeit nahm ihren Lauf. Der König hielt Wort und gab der Alten, wenn auch angewidert, vor dem Traualtar einen kleinen Kuss auf den Mund. Da verwandelte sich die Bettlerin in eine wunderschöne junge Frau, an deren Schönheit sich der König kaum sattsehen konnte. Die Hexe verwandelte sich zwar nicht, stand aber von nun an dem König mit Rat und Tat zur Seite.
König Ludwig stellte nach und nach fest, dass ihm eigentlich alles schmeckte, er musste nur einfach alles probieren.
Mit seiner lieben Frau, die einstmals ebenfalls über jede Speise die Nase rümpfte und von der gleichen Hexe in eine Bettlerin verzaubert wurde, kochte er nun sogar gemeinsam in der Schlossküche. Gelang ein Gericht einmal nicht so ganz makellos, probierten sie es aufs Neue, denn ein Leben als Regenwurm oder hässliche Bettlerin zu fristen, danach stand weiß Gott keinem von beiden der Sinn.
Quelle: Carmen Kofler