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Lilla Rosa und Långa Leda

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Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter. Sie hieß Lilla Rosa, und war ebenso schön als klug, so daß sie von Allen geliebt wurde, die sie sahen. Nach einiger Zeit aber starb die Königin, und der König nahm eine andere Gemahlin. Die neue Königin hatte gleichfalls eine einzige Tochter, aber diese war hochmüthigen Sinnes und von so häßlichem Aussehen, daß man sie Långa Leda nannte. Die beiden Stiefschwestern wuchsen nun zusammen am Hofe des Königs auf. Jedermann aber, der sie sah, bemerkte den großen Unterschied zwischen ihnen.
Die Königin und Långa Leda waren auf Lilla Rosa sehr neidisch, und fügten ihr so viel Uebles zu, als sie vermochten. Die Königstochter aber war immer sanft und ergeben, und verrichtete willig ihre Arbeiten, wie schwer sie auch sein mochten. Hierüber wurde die Königin noch mehr erbittert, und so wurde sie immer böser und böser, je mehr Lilla Rosa ihr in Allem es recht zu machen suchte.
Es ereignete sich eines Tages, daß die Königin und die beiden Prinzessinnen in dem Baumgarten, der in der Nähe der königlichen Burg lag, lustwandelnd umhergingen. Da hörten sie, wie der Aufseher des Krautgartens mit seinem Jungen sprach, und ihm gebot, eine Axt zu holen, die unter den Bäumen vergessen wurde. Als dies die Königin vernahm, befahl sie der Lilla Rosa, nach der Axt zu gehen. Der Aufseher des Krautgartens wollte es nicht zugeben, und meinte, daß sich eine so geringe Arbeit für eine Königstochter nicht zieme. Die Königin aber bestand fest auf ihrem Befehl.
Als nun Lilla Rosa in den Hain ging, wie die Königin befohlen hatte, sah sie sich nach der Axt um, aber drei weiße Tauben hatten sich auf den Stiel der Axt gesetzt. Da nahm die Königstochter Brot von ihrem Mittagsmahl, zerbröckelte es, und reichte es auf ihrer Hand den kleinen Tauben, und sagte freundlich: »Meine armen kleinen Tauben! nun müßt ihr weggehen, da ich beauftragt bin, die Axt zu meiner Stiefmutter zu tragen.« Die Tauben aßen aus der Hand der Jungfrau, entfernten sich willig vom Stiele, und Lilla Rosa nahm die Axt, wie ihr befohlen worden. Sie war aber nicht weit gegangen, als die Tauben mit einander zu sprechen begannen, und überlegten, wie sie es der Jungfrau lohnen wollten, die gegen sie so sanft war. Die Eine sagte: »Ich will es ihr also vergelten, daß sie noch einmal so schön werde, als sie schon ist.« Die Andere sagte: »Ich vergelte es ihr dadurch, daß ihre Haare in Goldfäden sich verwandeln.« »Und ich,« sagte die Dritte, »vergelte es damit, das jedesmal, wenn sie lacht, ein goldener Ring aus ihrem Munde fallen soll.« So sprechend flogen die Tauben davon. Alles aber ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten. Als nun Lilla Rosa wieder zu ihrer Stiefmutter kam, verwunderten sich Alle, über ihre unvergleichliche Schönheit, über ihr schönes goldenes Haar, und über die Goldringe, die ihrem Munde entfielen, wenn sie lachte. Die Königin aber forschte genau nach, wie sich Alles zugetragen, und von der Stunde an haßte sie ihre Stieftochter noch mehr, als früher, und die böse Stiefmutter dachte nun Tag und Nacht darauf, wie ihre eigene Tochter ebenso schön werden könne, als Lilla Rosa. Zu dem Ende ließ sie heimlich den Aufseher des Krautgartens rufen, und sagte ihm, was er thun soll. Hierauf ging sie mit den beiden Prinzessinnen, um sich im Blumengarten zu erlustigen, wie sie gewohnt war. Als sie nun beim Aufseher des Krautgartens vorbeigingen, sagte dieser laut, daß er seine Axt unter den Bäumen vergessen habe, und gebot dem Jungen, nach der Axt zu gehen. Da sagte die Königin, daß Långa Leda nach der Axt gehen solle. Der Aufseher des Krautgartens widersetzte sich, wie billig, und meinte, daß sich eine so geringe Arbeit für eine so vornehme Jungfrau nicht zieme. Die Königin aber bestand auf ihrem Befehl, und gebot es. Als Långa Leda in den Hain kam, wie die Königin befohlen, sah sie sich nach der Axt um, aber drei schöne weiße Tauben hatten sich auf den Stiel der Axt gesetzt. Da konnte die böse Jungfrau ihren üblen Sinn nicht beherrschen, und warf mit Steinen nach den Vögeln, schalt sie, und sagte: »Hinweg ihr häßlichen Vögel! Ihr sollt nicht hier sitzen, und den Stiel der Axt beschmutzen, den ich mit meinen weißen Händen anfassen soll.« Bei diesen Worten flogen die Vögel fort, und Långa Leda nahm die Axt, wie ihr befohlen worden. Sie war aber nicht lange entfernt, so begannen die Tauben unter sich zu sprechen, und zu überlegen, wie sie die böse Jungfrau ihre Bosheit entgelten lassen sollten. Da sagte die Eine: »Ich vergelte es dadurch, daß sie noch einmal so häßlich wird, als sie schon ist.« Die Andere sprach: »Ich, daß ihre Haare wie Dornenreiser werden.« »Und ich,« fügte die Dritte hinzu, »lasse es sie damit entgelten, daß jedesmal eine Kröte aus ihrem Munde hüpfen soll, wenn sie lacht.« So sprechend flogen die drei Tauben davon. Alles aber ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten. Als nun Långa Leda wieder zu ihrer Mutter kam, verwunderten sich Alle über ihr scheußliches Aussehen, über ihr Haar, das einem Dornenbusch glich, und über die Kröte, die jedesmal aus ihrem Munde kam, wenn sie lachte. Die Königin aber härmte sich sehr über dieses große Unglück, und man sagt, daß sie und ihre Tochter selten von diesem Tage an lachten.
Die Stiefmutter konnte nun nicht länger Lilla Rosa vor Augen sehen, und trachtete, sie zu verderben, und aus dem Wege zu schaffen. In dieser Absicht ließ sie heimlich einen Schiffer rufen, der sie in ein fernes Land bringen solle, und versprach ihm viel Geld, wenn er die Königstochter an Bord nehmen, und sie in die Tiefe des Meeres versenken wolle.
Der Schiffer ließ sich durch das Geld bethören, das immer an so viel Bösem Schuld trägt, und führte Nachts die Prinzessin fort, wie ihre Stiefmutter verlangt hatte. Als aber das Fahrzeug in die See hinausstieß, und weithin auf dem wogenden Meere segelte, erhob sich ein heftiger Sturm, so daß das Schiff mit Hab‘ und Mannschaft zu Grunde ging, nur Lilla Rosa allein nicht. Sie wurde von den Wogen getragen, bis sie an eine grüne Insel kam, ferne im Meere. Hier weilte sie eine geraume Zeit, ohne irgend einen Menschen zu hören oder zu sehen; ihre Nahrung bestand aus wilden Beeren und Wurzeln, die im Walde wuchsen.
Eines Tages, als Lilla Rosa am Seestrande umherwanderte, fand sie Kopf und Beine eines Hirschkalbes, das von wilden Thieren zerrissen worden. Da das Fleisch noch frisch war, nahm die Königstochter das Beingerippe, und setzte es auf eine Stange, damit die kleinen Vögel es besser wahrnehmen und kommen sollten, um sich zu nähren. Hierauf legte sie sich auf die Erde, und schlief ein wenig. Aber sie harte nicht lange geschlafen, als sie von einem lieblichen Gesange erweckt wurde, der viel schöner war als sich Jemand vorstellen kann. Lilla Rosa lauschte auf den schönen Gesang, und glaubte, daß sie träume, denn nie hatte sie Etwas so Liebliches gehört und vernommen. Als sie jetzt umhersah, bemerkte sie, daß das Beingerippe, welches für die Nahrung der kleinen Vögel des Himmels aufgestellt war, in eine grüne Linde verwandelt war, und das Haupt des Kalbes zu einer kleinen Nachtigall ward, die zu oberst in der Krone der Linde saß.
Das kleine Lindenlaub aber klang auf eine so seltsame Weise, daß die Töne eine wunderbare Harmonie gaben, und die kleine Nachtigall saß darin, und schlug so schön, daß, wer sie hörte, gewiß denken konnte, daß er im Himmel wäre.
Seit diesem Tage schien es der Königstochter nicht so schwer, allein auf der grünen Insel zu bleiben; denn, wenn sie traurig wurde, durfte sie nur jedesmal zur singenden Linde gehen, und ihr Herz wurde entzückt. Gleichwol konnte sie nie ihre Heimat vergessen, sondern setzte sich oft an den Strand, und blickte mit großer Sehnsucht auf das Meer hinaus, dessen Wogen frei von Land zu Land wandern.
Eines Tages, als Lilla Rosa am Seestrande saß, wie sie es gewohnt war, sah sie ein schönes Schiff, das über das Meer hinsegelte. Auf dem Schiffe waren viele rüstige Jünglinge, und ihr Anführer war ein tapferer Königssohn. Als nun das Fahrzeug sich der Insel näherte, und die Schiffsmänner den lieblichen Gesang hörten, der über das Wasser tönte, dachten sie, daß dies ein verzaubertes Land sein müsse, und wollten sogleich wieder in die See stechen. Ihr Anführer aber sagte, daß er nicht fortfahren wolle, bis er erfahren habe, woher der wunderbare Sang komme, und so verblieb es bei seinem Befehl.
Als nun der Königssohn an’s Land kam, und den Gesang der Linde und den Schlag der Nachtigall hörte, ward ihm wunderlich zu Muthe, und es schien ihm, daß er nie Etwas so Schönes und Angenehmes vernommen. Noch seltsamer aber kam es ihm vor, als er weiter ging, denn unter der grünen Linde saß eine Jungfrau, deren Haar wie Gold glänzte, und deren Antlitz wie der weißeste Schnee leuchtete. Der Königssohn grüßte die schöne Jungfrau, und fragte, ob sie über die Insel herrsche. Rosa Lilla bejahte es. Der König fragte wieder, ob sie eine Meeresjungfrau, oder ein gewöhnlicher Mensch sei. Da erzählte die Jungfrau, welche Abenteuer sie bestanden, und wie sie von einem Sturm auf die einsame Insel verschlagen worden, zugleich erzählte sie von ihrem Geschlecht und von ihrer Herkunft. Da ward der Königssohn frohen Sinnes, und konnte nicht genug die Freundlichkeit und Schönheit der Jungfrau preisen. Sie sprachen nun lange mit einander, und ihr Gespräch endete damit, daß der Königssohn Lilla Rosa fragte, ob sie ihm heim folgen, und seine Königin werden wolle, wozu sie ihr Jawort und ihre Einwilligung gab. Hierauf segelten sie von der Insel fort, und kamen zum Reiche des Königssohnes. Lilla Rosa aber nahm die grüne Linde mit sich, und setzte sie in den Königshof. Und das Laub der Linde sang, und die Nachtigall schlug, so daß die ganze Nachbarschaft ihre Lust und Freude daran hatte.
Als Lilla Rosa einige Zeit verheiratet gewesen, kam sie in die Wochen, und gebar einen Knaben. Da dachte sie an ihren alten Vater, und schickte ihm Nachricht von Allem, was ihr widerfahren sei, aber sie wollte ihn nicht wissen lassen, daß die Königin an ihren Leiden Schuld gewesen. Bei diesen Nachrichten freute sich der König sehr, und mit ihm seine Mannen, denn alle hatten Lilla Rosa lieb. Die Königin aber und Långa Leda waren sehr betrübt darüber, daß Rosa noch am Leben war, und beriethen sich daher mit einander, wie sie der Königstochter Unglück bereiten könnten.
Die falsche Stiefmutter machte sich hierauf bereit, und sagte, daß sie fortfahren, und Lilla Rosa besuchen wolle. Als sie hingekommen, ward sie auf das allerbeste empfangen, denn die Königstochter wollte sich nicht an all‘ das Böse, was ihr ihre Stiefmutter angethan, erinnern, und daß sie sie ermorden wollte; die Königin aber stellte sich sehr freundlich, und sprach manches schöne Wort. Eines Abends sagte die Stiefmutter zu Lilla Rosa, daß sie ihr ein Geschenk zum Andenken ihrer Freundschaft und Liebe geben wolle. Die Stieftochter dachte an keine List, sondern dankte für die Gabe. Da nahm die Königin ein mit Seide genähtes Hemd hervor, das in jeder Falte mit Gold gestickt war. Das schöne Hemd aber war ein böser Zauber, so daß Lilla Rosa, als sie es anzog, plötzlich in eine Gans verwandelt wurde, die durch das Fenster flog, und sich in das Meer warf. Da die Königstochter aber ein schönes goldenes Haar besaß, so erhielt die Gans goldene Federn. In derselben Stunde hörte die Linde zu singen auf, die Nachtigall schwieg mit ihrem Gesang, und der ganze Königshof war mit Schmerz und Betrübniß erfüllt. Am allermeisten trauerte Lilla Rosa’s Gemahl, der junge König, und wollte sich nicht trösten lassen.
In den Nächten, wenn der Mond schien, und die Fischer des Königs auf dem Meere waren, ihre Netze zu untersuchen, gewahrten sie eine schöne Gans mit goldenen Federn, die auf den Wogen hin und her schwamm. Hierüber wunderten sie sich sehr, und es schien ihnen ein besonderes Wunderzeichen zu sein. In einer Nacht aber schwamm die schöne Gans zum Boot des Fischers hin, und begann, mit ihm zu sprechen. Die Gans grüßte, und fragte: »Guten Abend, Fischer! wie steht es daheim auf dem Königshof?«

»Singt meine Linde?
Schlägt meine Nachtigall?
Weint mein kleiner Sohn?
Ist mein Herr jemals froh?«

Als der Fischer dies hörte, und die Stimme der Königin wieder erkannte, ward ihm wunderlich zu Muthe, und er antwortete: »Dort auf dem Königshof daheim steht es schlimm:«

»Deine Linde singt nicht;
Deine Nachtigall schlägt nicht;
Dein Sohn weint Tag und Nacht;
Dein Herr ist niemals fröhlich.«

Da seufzte die schöne Gans, und schien sehr betrübt zu sein. Sie sang:

»Ich Arme!
Die nun auf den blauen Wogen zieht,
Und nie mehr werden kann, was ich gewesen. «

»Gute Nacht, Fischer! Ich komme zweimal noch hieher, und dann nie mehr.«
In demselben Augenblicke verschwand der Vogel, der Fischer fuhr heim, und erzählte dem jungen König, seinem Herrn, was er gehört, und vernommen.
Der König gab nun Befehl, daß man die goldene Gans fange, und versprach den Fischern eine große Belohnung, wenn sie seinen Auftrag vollziehen könnten. Da machten die Männer ihre Schlingen zurecht, und anderes Geräthe, und begaben sich auf die See hinaus, um ihre Netze zu besichtigen. Als der Mond aufgegangen war, kam die schöne goldene Gans wieder über die Wogen zu ihrem Boot geschwommen. Sie grüßte und sagte:
»Guten Abend, Fischer! wie steht es daheim auf dem Königshof?«

»Singt meine Linde?
Schlägt meine Nachtigall?
Weint mein kleiner Sohn?
Ist mein Herr jemals fröhlich?«

Der Fischer antwortete, wie früher: »Daheim auf dem Königshof steht es schlimm:«

»Deine Linde singt nicht;
Deine Nachtigall schlägt nicht;
Dein Sohn weint Tag und Nacht;
Dein Herr ist niemals fröhlich.«

Da ward die schöne Gans sehr betrübt, und sang:

»Ich Arme!
Die nun auf den blauen Wogen zieht,
Und nie mehr werden kann, was ich gewesen.«

»Gute Nacht, Fischer! Ich komme noch einmal hieher, und dann nie mehr.«
Bei diesen Worten wollte der Vogel wieder entfliehen; die Fischer aber waren bereit, und warfen schnell ihre Schlingen über sie. Da begann die Gans mit den Flügeln zu schlagen, und schrie entsetzlich: »Laßt schnell los, oder haltet euch tapfer; laßt schnell los, oder bleibt herzhaft.« In demselben Augenblicke verwandelte sie ihre Gestalt in die von Schlangen, Drachen, und anderen wilden Thieren. Als die Fischer dies bemerkten, fürchteten sie für ihr Leben, und ließen die Schlingen, fahren, so daß der Vogel entkam. Als der König aber den Ausgang ihres Abenteuers hörte, ward ihm schlimm zu Muthe, und er sagte, daß sie sich von keiner Täuschung erschrecken lassen sollten.
Er ließ hierauf neue und stärkere Schlingen zubereiten, um die goldene Gans zu fangen, und verbot den Fischern bei Lebensstrafe, sie entkommen zu lassen, wenn sie sich das nächste Mal wieder zeigen sollte.
Die dritte Nacht, als der Mond aufgegangen war, schifften die Fischer des Königs wieder auf das Meer hinaus, um ihre Netze zu besichtigen. Sie warteten lange, aber keine goldene Gans erschien. Endlich kam sie wieder über die Wogen geschwommen, und schwamm zu ihrem Boote hin. Der Vogel grüßte sie, wie früher: »Guten Abend, Fischer! wie steht es daheim auf dem Königshof?«

»Singt meine Linde?
Schlägt meine Nachtigall?
Weint mein kleiner Sohn?
Ist mein Herr jemals fröhlich?«

Der Fischer entgegnete: »Dort heim auf dem Königshof steht es schlimm:«

»Deine Linde singt nicht;
Deine Nachtigall schlägt nicht;
Dein kleiner Sohn weint Tag und Nacht;
Dein Herr ist niemals fröhlich.«

Da seufzte die schöne Gans, und schien sehr traurig zu seyn. Sie sang:

»Ich Arme!
Die ich nun auf den blauen Wogen ziehe,
Und nie mehr werden kann, was ich gewesen.«

»Gute Nacht, Fischer! nun komme ich nie mehr hieher.«
Die Gans wollte fortziehen, die Fischer aber warfen ihre Schlingen, und hielten sie fest; da ward dem Vogel sehr ängstlich, er schlug heftig mit den Schwingen, und schrie: »Laßt mich schnell los, oder seid herzhaft! Laßt mich schnell los, oder seid herzhaft!« Sie verwandelte hierauf ihre Gestalt in die von Schlangen, Drachen und anderen gefährlichen Thieren. Die Fischer aber fürchteten den Zorn des Königs, und hielten sie fest in den Schlingen. Endlich fingen sie die goldene Gans, und brachten sie heim zum Königshof, wo man sie genau bewachte, damit sie nicht entkomme. Der Vogel aber war schweigsam und traurig, und wollte nicht sprechen, und so wurde der Schmerz des Königs noch größer, als er früher gewesen.
Es ereignete sich einige Zeit darauf, daß ein altes Weib von seltsamen Aussehen an den Königshof kam, und bat, mit dem König sprechen zu dürfen. Der Wächter antwortete, wie es befohlen war, daß der König aus Trauer und Betrübniß mit Niemanden sprechen wolle; das Weib aber war sehr beharrlich, und so ward sie eingelassen. Als sie nun zum König kam, fragte er nach ihrer Angelegenheit. Das Weib antwortete: »Herr und König! es ist mir gesagt worden, daß deine Königin in eine goldene Gans verwandelt worden sei, und daß du Tag und Nacht über dieses große Unglück trauerst. Nun bin ich hieher gekommen, diesen Zauber zu lösen, und dir die Gemahlin wieder zu geben, wenn du anders versprichst, die Bedingung zu erfüllen, die ich machen will.« Als der König dies hörte, freute er sich sehr, und fragte, was das Weib verlange. Da nahm das Weib das Wort: »Ich habe meine Heimath auf einer kleinen Anhöhe, die auf der andern Seite des schwarzen Flusses liegt; nun bitte ich, daß du eine Steinmauer rund um den Berg anlegen lassest, damit dein Vieh nicht dorthin komme, und mich beunruhige, wenn es auf die Weide gelassen wird.« Dieses schien dem König eine kleine Bitte zu sein, und er versprach, gerne dieser nachzukommen, obschon er sehr zweifelte, daß das Weib ihr Wort halten könne, wie sie es betheuerte.
Das Weib fing nun umständlich zu erzählen an, von Allem, was Lilla Rosa von ihrer bösen Stiefmutter widerfahren sey. Dem König aber fiel es schwer, dies zu glauben, denn er konnte nicht denken, daß die alte Königin ein so falsches Herz habe. Da bat das Weib, das schöne seidene Hemd besehen zu dürfen, welches Lilla Rosa von ihrer Stiefmutter zum Geschenk bekommen hatte. Der König ließ das Hemd holen, und nun gingen sie zusammen in das Zimmer, wo die goldene Gans eingesperrt war. Als sie nun hingekommen, ging die Hexe zu der schönen Gans, und zog das Hemd über sie. Da wurde der Zauber gelöst, Lilla Rosa erhielt wieder ihre wirkliche Gestalt, und anstatt der goldenen Gans, stand sie da, ein schönes Weib mit goldenem Haar, wie früher. In demselben Augenblicke aber begann die Linde wieder zu singen, und die Nachtigall schlug auf ihrem Wipfel, so daß es eine Lust und Freude war. Nun freute sich Alles am ganzen Königshofe. Der König aber erkannte, daß das alte Weib die Wahrheit gesprochen, und hielt redlich sein Versprechen, das er zugesagt hatte.
Lilla Rosa und ihr Gemahl machten sich nun bereit, zum König hinzufahren, der Rosa’s Vater war. Als sie nun hinkamen, war der alte König sehr erfreut, so daß er von Neuem fast jung wurde, und mit ihm freute sich das ganze Reich; denn Alle hatten mit Trauer vernommen, welches Unglück die Königstochter betroffen. Nur Eine aber freute sich nicht, und dies war die Königin, denn sie konnte wol merken, daß ihre Falschheit aufgedeckt worden war, und ihre Zeit aus sei. Als nun der alte König vernahm, welche List und welches Unrecht seine Tochter von ihrer bösen Stiefmutter erlitten, ward er sehr erzürnt, und verdammte die Königin zum Tode. Lilla Rosa aber bat für das Leben ihrer Stiefmutter, und der König ließ sich bestimmen, seine Gemahlin gefangen in einen Thurm für die ganze Lebenszeit setzen zu lassen. Die Tochter der Königin Långa Leda erlitt dieselbe Strafe, wie ihre Mutter. Der junge König aber und Lilla Rosa kehrten wieder in ihr Reich zurück.
Und dort singt die Linde, dort schlägt die Nachtigall, dort weint der Prinz weder bei Tag noch bei Nacht; dort ist der König immer fröhlich.

[Gunnar Hyltén-Cavallius/George Stephens: Schwedische Volkssagen und Märchen ]

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