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Lillekort

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Es waren einmal ein Paar Eheleute, die wohnten in einer elenden Hütte, worin nichts war als die liebe Armut; denn sie hatten weder zu beißen noch zu brechen. Besaßen sie aber sonst nichts, so hatten sie doch einen Gottessegen an Kindern, und jedes Jahr bekamen sie noch mehr. Nun war es eben um die Zeit, dass sie wieder eins erwarteten. Darüber war der Mann sehr verdrießlich und murrte und brummte den ganzen Tag und sagte: „Nachgerade könnte es doch einmal genug sein von diesen Gaben Gottes.“ Und als die Zeit kam, da die Frau gebären sollte, ging er fort ins Holz, weil er, wie er sagte, den neuen Schreihals nicht hören wollte; denn er bekäme ihn doch noch früh genug zu hören, sagte er, wenn er nachher nach Essen gröle.
Als der Mann gegangen war, gebar die Frau einen allerliebsten Knaben, der sah sich in der Stube rings um, tat den Mund auf und sprach: „Liebe Mutter, gib mir nur ein paar alte Kleider von meinen Brüdern und einen Schnappsack mit Essen auf ein paar Tage; dann will ich hinauswandern in die Welt und mein Glück versuchen; denn du hast, wie ich wohl sehe, doch noch Kinder genug zu ernähren.“ – „Ach, Gott helfe mir, mein Sohn!“ sagte die Mutter. „Du bist ja noch viel zu klein, um schon in die Welt auszuwandern; das kann ich nimmermehr zugeben.“ Aber der Knabe bat so lange, bis die Mutter ihm zuletzt einige alte Lappen zusammensuchte und ihm etwas Essen in ein Tuch knüpfte, und damit schritt er froh und fröhlich hinaus in die Welt.
Kaum aber war er gegangen, so gebar die Frau noch einen Knaben, der sah auch um sich her und sagte darauf: „Ach, liebe Mutter, gib mir nur ein paar alte Kleider von meinen Brüdern und auf ein paar Tage zu essen, dann will ich hinauswandern in die Welt und meinen Zwillingsbruder aufsuchen; denn du hast, wie ich wohl sehe, doch noch Kinder genug zu ernähren.“ – „Ach, Gott helfe mir, du bist ja noch viel zu klein, du armer Wicht!“ sagte die Frau. „Das kann ich nimmermehr zugeben.“ Aber der Knabe bat so lange, bis sie ihm denn einige alte Lappen zusammensuchte und ihm etwas Essen in ein Tuch knüpfte, und damit wanderte er mannhaft in die Welt hinaus, um seinen Zwillingsbruder aufzusuchen.
Als er nun eine Weile fortgewandert war, wurde er seines Bruders ansichtig. „Holla, heda!“ rief er ihm zu. „Du legst ja los, als ob’s für Geld ginge. Du hättest doch erst ein wenig warten und dich nach deinem jüngeren Bruder umsehen sollen, eh du so patzig in die Welt hinausmarschiertest.“ Der Bruder stand still und sah sich nach ihm um, und als der jüngere zu ihm gekommen war und ihm erzählt hatte, wie die Sache zusammenhing und dass er sein Bruder sei, sagte er: „Aber jetzt wollen wir uns hier niedersetzen und mal zusehen, was unsre Mutter uns zum Mundschmack mitgegeben hat.“ Und darauf setzten sie sich nieder und erfrischten sich.
Wie sie nun etwas weiter gegangen waren, kamen sie zu einem Bach, der durch ein grünes Feld floss. Da sagte der jüngere: „Hier wollen wir einander einen Namen geben, da man uns zu Hause doch nicht getauft hat, weil wir so schnell ausgewandert sind.“ – „Wie willst du denn heißen?“ fragte der ältere. „Ich will Lillekort heißen“, erwiderte der andre. „Und du?“ – „Ich will König Lavring heißen“, sagte der ältere. Nun tauften sie einander und gingen dann weiter.
Endlich kamen sie zu einem Kreuzweg, und nun wurden sie darüber einig, dass jeder seine eigne Straße ziehen sollte. Sie trennten sich daher; aber sie waren noch nicht sehr weit gegangen, so trafen sie wieder zusammen. Sie trennten sich darauf abermals, und jeder zog seine Straße. Aber ehe sie sich’s versahen, waren sie wieder beisammen. Und so geschah es auch zum dritten Mal. Da verabredeten sie, dass jeder nach einer besonderen Richtung, nämlich der eine nach Osten und der andre nach Westen, gehen sollte. „Kommst du aber einmal in Not und große Gefahr“, sagte der ältere, „dann rufe mich nur dreimal laut bei Namen; alsdann werde ich dir zu Hilfe kommen. Aber du musst mich ja nicht rufen, eh du nicht in der äußersten Not bist!“ – „Dann wird’s wohl lange dauern, eh wir uns wieder sehen“, versetzte Lillekort. Darauf sagten sie einander Lebewohl, und jeder zog seines Weges: Lillekort nach Osten und König Lavring nach Westen.
Als nun Lillekort eine gute Weile gewandert war, begegnete ihm ein altes, krummpuckliges Weib, das nur ein Auge hatte, das stahl Lillekort ihr. „Au, au!“ rief das Weib. „Wo ist mein Auge geblieben?“ – „Was gibst du mir, wenn ich’s dir wiedergebe?“ – „Ich gebe dir ein Schwert, womit du eine ganze Kriegsmacht niedermetzeln kannst, und wenn sie auch noch so groß wäre“, antwortete das Weib. „Ja, gib her!“ sagte Lillekort. Das Weib gab ihm darauf das Schwert und erhielt dafür ihr Auge zurück.
Nun ging Lillekort weiter, und nach einer Weile begegnete ihm wieder ein krummpuckliges Weib mit einem Auge, das stahl Lillekort ihr, eh sie wusste, wie ihr geschah. „Au! Au! Wo ist mein Auge geblieben?“ rief sie. „Was gibst du mir, wenn ich’s dir wiedergebe?“ sagte Lillekort. „Ein Schiff, das über Süß- und Salzwasser, über Berg‘ und tiefe Täler geht“, antwortete das Weib. „Ja, gib her!“ sagte Lillekort. Das Weib gab ihm darauf ein ganz kleines Schiff, so klein, dass man’s in die Tasche stecken konnte, und dafür erhielt sie ihr Auge zurück, und jeder ging seines Weges.
Als Lillekort nun wieder eine gute Strecke gewandert war, begegnete ihm zum dritten Mal ein altes krummpuckliges Weib mit einem Auge. Das stahl Lillekort ebenfalls, und als das Weib schrie und sich gebärdete und fragte, wo ihr Auge geblieben sei, sagte Lillekort: „Was gibst du mir, wenn ich’s dir wiedergebe?“ – „Ich lehre dich die Kunst, hundert Lasten Malz auf einmal zu verbrauen“, sagte sie. Für diese Kunst erhielt nun das Weib ihr Auge zurück, und jeder zog seines Weges.
Als nun Lillekort ein kleines Ende gegangen war, wollte er einmal das Schiff probieren. Er nahm es daher aus der Tasche und steckte den einen Fuß hinein; da ward das Schiff weit größer. Und als er nun auch den andern Fuß nachzog, ward es so groß wie die Schiffe; die in der See gehen. Da sprach Lillekort: „Fahr hin über Salzwasser und Süßwasser wie ein Vogel durch die Luft, bis dass du kommst zu des Königs Schloss!“ Und fort sauste das Schiff wie ein Vogel durch die Luft, bis dass es zum Königsschloß kam. Da stand es still.
Drinnen im Schloss aber hatten die Leute von den Fenstern aus gesehen, wie Lillekort dahergesegelt kam. Darüber waren nun alle sehr verwundert und liefen hinunter, um zu sehen, was das für einer wäre, der so auf einem Schiff durch die Luft gefahren kam. Während sie aber hinunterliefen, war Lillekort schon aus seinem Schiff heraus gestiegen und hatte es wieder in die Tasche gesteckt; denn sowie er nur mit den Füßen hinaustrat, ward es wieder so klein, wie es war, da er es von der Alten bekommen hatte. Die Leute vom Königsschloß sahen nun nichts anders als einen kleinen in Lumpen gehüllten Knaben, der da am Ufer stand. Der König fragte ihn, wo er her wäre. Der Knabe aber sagte, das wüsste er nicht, und ebenso wenig wusste er zu sagen, auf welche Weise er hergekommen sei, bat aber inständig um einen Dienst auf dem Schloss und sagte, wenn sie nichts anders für ihn zu tun hätten, so könne er ja der Köchin Holz und Wasser zutragen. Diese Bitte ward ihm denn auch gewährt.
Als Lillekort aber auf das Schloss kam, sah er, dass alles, sowohl inwendig als auswendig, selbst die Wände und das Dach, mit Schwarz bezogen war. Er fragte deshalb die Köchin, was das zu bedeuten hätte. „Das will ich dir sagen“, antwortete die Köchin. „Die Königstochter ist schon vor langer Zeit an drei Trolle versprochen worden, und am nächsten Donnerstagabend wird der eine kommen und sie abholen. Der Ritter Röd hat sich zwar verbürgt, sie zu befreien; aber Gott mag wissen, ob er’s kann, und darum ist hier alles so voll Sorge und Betrübnis, wie du wohl denken kannst.“
Als es nun am Donnerstagabend um die Zeit war, führte der Ritter Röd die Prinzessin ans Meerufer – denn da war es, wo der Troll sie abholen wollte -, und da sollte nun der Ritter Röd sie in Schutz nehmen. Aber er tat dem Troll eben keinen großen Schaden, will ich glauben; denn kaum hatte die Prinzessin sich am Ufer niedergesetzt, so kroch der Ritter auf einen großen Baum, welcher da stand, und verbarg sich zwischen den Zweigen, so gut er konnte. Die Prinzessin weinte und bat ihn so flehentlich, er möchte sie doch nicht verlassen, aber der Ritter Röd achtete nicht auf ihr Bitten, sondern sagte: „Es ist besser, dass einer das Leben verliert, als dass zwei umkommen.“
Inzwischen bat Lillekort die Köchin um Erlaubnis, ein wenig an den Strand zu gehen. „Oh, was willst du da?“ sagte die Köchin. „Du hast da nichts zu tun.“ – „Ach ja, liebe Köchin, lass mich nur hingehen“, sagte Lillekort. „Ich wollte so gern mit den andern Kindern ein wenig spielen.“ – „Na, geh denn!“ sagte die Köchin. „Aber dass du mir nicht länger ausbleibst, als bis der Kessel zum Abendessen übers Feuer gehängt und der Braten an den Spieß gesteckt wird! Und bring dann einen tüchtigen Armvoll Holz mit in die Küche!“ Ja, das wollte Lillekort nicht vergessen, und damit lief er fort ans Ufer.
Als er eben dort ankam, wo die Königstochter saß, kam auch schon der Troll dahergesaust. Er war so groß und so dick, dass er ganz abscheulich aussah, und fünf Köpfe hatte er. „Feuer!“ schrie der Troll. „Feuer gleichfalls!“ sagte Lillekort. „Kannst du fechten?“ rief der Troll. „Kann ich’s nicht, so kann ich’s lernen“, sagte Lillekort. Darauf schlug der Troll mit einer dicken eisernen Stange, die er in der Faust hielt, nach ihm, so dass die Erde ihm fünf Ellen hoch über den Kopf flog. „Twi!“ sagte Lillekort. „Das war auch was Rechtes! Nun sollst du aber einen Schlag von mir sehen!“ Und damit ergriff er sein Schwert, das er von dem alten krummpuckligen Weib bekommen hatte, und hieb damit nach dem Troll, so dass alle fünf Köpfe übenden Sand flogen.
Als die Prinzessin sich nun befreit sah, war sie so froh, dass sie sich vor Freude gar nicht zu lassen wüsste. „Schlaf nun ein Stündchen auf meinem Schoß!“ sagte sie zu Lillekort. Und während er auf ihrem Schoß lag und schlief, zog sie ihm ein goldenes Kleid an.
Nun dauerte es nicht lange, so kroch der Ritter Röd wieder vom Baum herunter, weil er sah, dass jetzt keine Gefahr mehr für ihn vorhanden war. Er brachte die Prinzessin durch Drohungen dahin, dass sie sagen musste, er sei es, der sie befreit habe, und wenn sie das nicht sagte, wollte er ihr das Leben nehmen. Darauf schnitt er dem Troll die Lungen aus dem Leib und die Zungen aus den Köpfen und führte dann die Prinzessin wieder zurück nach dem Königsschloß. Und hatte man dem Ritter zuvor keine Ehre angetan, so tat man es jetzt. Der König wusste gar nicht, was er alles ersinnen sollte, um ihn zu ehren, und immer musste der Ritter Röd bei der Tafel ihm zur Seite sitzen.
Lillekort aber begab sich auf das Trollschiff, nahm eine ganze Menge goldne und silberne Fassreifen, und damit kehrte er zurück nach dem Schloss. Als die Köchin all das Gold und Silber sah, das er brachte, war sie ganz erstaunt darüber und sagte: „Mein lieber kleiner Lillekort, wo hast du denn all die schönen Sachen her?“ Denn sie befürchtete, er möchte nicht auf eine ehrliche Weise dazu gekommen sein. „Oh“, antwortete Lillekort, „ich bin zu Hause gewesen, und da hab ich sie für dich mitgenommen.“ Als die Köchin hörte, dass sie die Reifen haben solle, fragte sie nicht weiter, sondern bedankte sich bei Lillekort, und damit war alles gut.
Den andern Donnerstagabend ging es wieder ebenso: Alle waren voller Sorge und Betrübnis; allein der Ritter Röd sagte, hätte er die Königstochter von dem einen Troll befreit, so würde er sie jetzt auch wohl von dem zweiten befreien, und damit geleitete er sie noch so kecklich wieder hinaus ans Meerufer. Aber er tat auch diesmal dem Troll eben keinen großen Schaden; denn als es um die Zeit war, dass man den Troll erwartete, sagte er wieder, wie das vorige Mal: „Es ist besser, dass einer das Leben verliert, als dass zwei umkommen“, und damit kroch er wieder auf den Baum.
Lillekort aber bat die Köchin wieder um Erlaubnis, ein wenig an den Strand zu gehen. „Oh, was willst du da?“ sagte die Köchin. „Ja, liebe Köchin, lass mich nur gehen“, sagte Lillekort. „Ich wollte gern mit den andern Kindern ein wenig spielen.“ Da gab sie ihm denn auch diesmal Erlaubnis; aber das musste er ihr versprechen, dass er zurück sein wolle, wenn der Braten gewendet werden sollte, und dann müsste er einen guten Armvoll Holz mitbringen.
Kaum war Lillekort am Ufer angelangt, so kam auch schon der Troll daher, dass es nur so sauste. Er war noch einmal so groß wie der vorige und hatte zehn Köpfe. „Feuer!“ schrie der Troll. „Feuer gleichfalls!“ sagte Lillekort. „Kannst du fechten?“ rief der Troll. „Kann ich’s nicht, so kann ich’s lernen“, sagte Lillekort. Darauf schlug der Troll mit einer eisernen Stange nach ihm – die war noch einmal so groß wie die des ersten Trolls -, so dass die Erde ihm zehn Ellen hoch über den Kopf flog. „Twi!“ sagte Lillekort. „Das war auch was Rechtes! Nun sollst du einen Schlag von mir sehen!“ Und damit ergriff er sein Schwert und hieb nach dem Troll, so dass alle zehn Köpfe über den Sand hintanzten.
Darauf sagte die Königstochter wieder zu ihm: „Schlaf jetzt ein Stündchen auf meinem Schoß!“ Und während Lillekort nun auf ihrem Schoß lag und schlief, zog sie ihm ein silbernes Kleid an. Sobald der Ritter Röd merkte, dass keine Gefahr mehr vorhanden war, kroch er wieder vom Baum herunter und zwang die Prinzessin abermals durch Drohungen, zu sagen, dass er es sei, der sie befreit habe. Darauf nahm er die Zungen und die Lungen des Trolls, knüpfte sie in sein Taschentuch und geleitete die Königstochter wieder zurück nach dem Schloss. Hier war nun lauter Freude und Jubel, wie man sich wohl denken kann, und der König wusste gar nicht, was er alles angeben sollte, um dem Ritter Röd genugsam Ehre und Achtung zu erweisen.
Lillekort aber ging auf das Trollschiff und nahm einen ganzen Armvoll Gold- und Silberreifen mit sich. Als er zurück auf das Schloss kam, schlug die Köchin die Hände über dem Kopf zusammen und konnte sich nicht genug wundern über all das Gold und Silber, das er mitbrachte. Aber Lillekort sagte, er wäre zu Hause bei seiner Mutter gewesen, und da hätte er die Reifen gesammelt, die von den Eimern abgefallen wären, um sie der Köchin zu bringen.
Als nun der dritte Donnerstagabend kam, ging es wieder ebenso, wie die beiden vorigen Male: Das ganze Schloss war aus- und inwendig mit Schwarz behängt, und alle waren voll Sorge und Betrübnis. Aber der Ritter Röd sagte, sie hätten eben nicht nötig, in Furcht zu sein; denn hätte er die Prinzessin von zwei Trollen befreit, so könnte er sie auch wohl von dem dritten befreien.
Darauf führte er die Prinzessin hinaus ans Ufer. Als es aber um die Zeit war, dass der Troll kommen sollte, kroch der Ritter Röd wieder auf den Baum und verbarg sich. Die Prinzessin weinte und bat; aber es half alles nichts. Er blieb bei dem alten: Es sei besser, dass einer das Leben verlöre, als dass zwei umkämen. Lillekort bat wieder um Erlaubnis, an den Strand hinauszugehen. „Ach, was willst du da?“ sagte die Köchin. Aber er bat so lange, bis sie es ihm denn zuletzt erlaubte. Doch musste er versprechen, wieder zu Hause zu sein, wenn der Braten gewendet werden sollte. Kaum aber war er ans Ufer gekommen, so sauste auch schon der Troll herbei. Er war wohl weit größer als der vorige und hatte fünfzehn Köpfe. „Feuer!“ schrie der Troll. „Feuer gleichfalls!“ sagte Lillekort. „Kannst du fechten?“ rief der Troll. „Kann ich’s nicht, so kann ich’s lernen“, sagte Lillekort. „Ich will dich belernen!“ rief der Troll und holte mit seiner eisernen Stange aus, dass die Erde fünfzehn Ellen hoch in die Luft fuhr. „Twi!“ sagte Lillekort. „Das war auch was Rechtes! Nun sollst du aber einen Schlag von mir sehen!“ Und damit ergriff er sein Schwert und hieb nach dem Troll, dass alle fünfzehn Köpfe über den Sand hintanzten.
Da war nun die Prinzessin erlöst. Sie dankte Lillekort für ihre Rettung und sagte dann wieder: „Schlaf jetzt ein Stündchen auf meinem Schoß!“ Und während Lillekort nun dalag und schlief, zog ihm die Prinzessin ein Kleid von Messing an.
Als er aufwachte, fragte sie ihn: „Wie soll es aber jetzt an den Tag kommen, dass du es bist, der mich erlöst hat?“ – „Das will ich dir sagen“, versetzte Lillekort. „Wenn nun der Ritter Röd dich wieder nach Hause geleitet und sich für den ausgibt, der dich erlöst hat, dann, weißt du wohl, soll er dich und das halbe Reich haben. Wenn man dich aber am Hochzeitstage fragt, wen du zum Mundschenk haben willst, dann sollst du sagen: ‚Ich will den kleinen Buben haben, der in der Küche ist und der Köchin Holz und Wasser zuträgt.‘ Wenn ich dir dann den Wein einschenke, werde ich einen Tropfen auf des Ritters Teller verschütten, aber nicht auf deinen. Dann wird er wohl böse werden und mich schlagen. Und das wiederholt sich dreimal. Das dritte Mal aber sollst du sagen: ‚Schande über dich, dass du meinen Herzgeliebten schlägst! Denn er hat mich befreit, und ihn will ich haben.'“
Nachdem Lillekort mit der Prinzessin diese Vereinbarung getroffen, begab er sich wieder aufs Schloss. Zuvor aber nahm er aus dem Trollschiff noch eine ganze Menge Gold und Silber und andere Kostbarkeiten mit, und der Köchin brachte er wieder einen ganzen Armvoll Gold- und Silberreifen.
Kaum sah der Ritter Röd, dass alle Gefahr vorbei war, als er vom Baum herunter kroch und die Königstochter wieder durch Drohungen dahin brachte, zu sagen, er sei es, der sie befreit habe. Darauf geleitete er sie zurück nach dem Schloss. Und hatte man ihm zuvor noch nicht Ehre genug erwiesen, so tat man es jetzt. Der König sann und dachte auf nichts anders, als wie er ihn gebührend dafür belohnen sollte, dass er seine Tochter von den drei Trollen befreit hatte, und es deuchte ihm jetzt das Allergeringste, wenn er ihm die Prinzessin und das halbe Reich gäbe.
Am Hochzeitstage aber bat die Prinzessin, dass man ihr den kleinen Buben, der in der Küche sei und der Köchin Holz und Wasser zutrüge, zum Mundschenk bei der Hochzeitstafel geben möchte. „Ach, was willst du mit dem schmutzigen Lumpenjungen?“ sagte der Ritter Röd. Aber die Prinzessin sagte, dass sie ihn zum Mundschenk haben wolle und keinen andern; und da musste man ihr denn nachgeben. Hierauf ging alles so, wie es zwischen Lillekort und der Königstochter verabredet war. Lillekort verschüttete dreimal einen Tropfen Wein auf den Teller des Ritters Röd, und jedes Mal ward der Ritter zornig und schlug ihn. Beim ersten Schlag fiel dem Knaben das Lumpenkleid ab, das er in der Küche trug. Beim zweiten Schlag fiel ihm das Kleid von Messing ab und beim dritten Schlag das silberne Kleid, so dass er nun dastand in seinem goldnen Kleide, so blank und prächtig, dass es nur so glitzerte. Da sagte die Königstochter: „Schande über dich, dass du meinen Herzliebsten schlägst; denn er hat mich befreit, und ihn will ich haben!“ Der Ritter Röd schwur und fluchte, dass er es sei, der sie befreit hätte, und kein andrer. Da sprach der König: „Wer meine Tochter befreit hat, der kann auch wohl die Wahrzeichen aufweisen.“ Da lief der Ritter Röd hin und holte sein Tuch mit den Zungen und Lungen. Lillekort aber holte das Gold und Silber und alle die Kostbarkeiten, die er aus dem Trollschiff mitgenommen hatte, und jeder legte das Seinige vor den König hin. Da sprach der König: „Wer solche kostbaren Sachen von Gold und Silber und Diamanten aufzuweisen hat, der muss auch wohl die Trolle getötet haben; denn dergleichen findet man nicht bei andern.“ Und darauf wurde der Ritter Röd in die Schlangengrube geworfen, und Lillekort sollte jetzt die Prinzessin und das halbe Reich haben.
Als nun der König eines Tages mit Lillekort spazieren ging, fragte dieser ihn, ob er nicht noch mehr Kinder hätte. „Ja“, sagte der König, „ich habe noch eine Tochter gehabt. Aber die hat mir ein Troll genommen, weil hier niemand war, der ihr helfen konnte. Kannst du sie aber befreien, so sollst du auch sie und das andre halbe Reich dazu haben.“ – „Ich will’s versuchen“, sagte Lillekort. „Dann muss ich aber eine eiserne Kette haben, fünfhundert Ellen lang, und fünfhundert Mann muss ich mithaben und Proviant für sie auf fünfzehn Wochen; denn ich muss weit zur See fort.“ Ja, das sollte er alles bekommen. Nur befürchtete der König, er möchte kein Schiff haben, welches groß genug wäre, alles das zu tragen. „Ich habe selbst ein Schiff“, sagte Lillekort und nahm aus seiner Tasche das Schiff hervor, welches das alte Weib ihm gegeben hatte. Der König lachte und meinte, es wäre bloß ein Scherz. Aber Lillekort sagte, man solle ihm nur alles geben, was er verlangt hätte, dann werde der König nachher schon sehen.
Man brachte hierauf alle die Sachen zusammen, und nun wollte Lillekort, dass man zuerst die eiserne Kette ins Schiff legen sollte. Aber da war kein einziger, der sie aufzuheben vermochte. Und viele konnten nicht auf einmal Platz um das kleine Schiff bekommen. Da nahm Lillekort selbst die Kette an dem einen Ende und legte einige Ringe davon ins Schiff. Und wie er sie nach und nach weiter hineinbrachte, ward das Schiff immer größer. Und zuletzt war es so groß, dass sowohl die Kette als die fünfhundert Mann nebst dem Proviant und Lillekort sehr gut Platz darin hatten. Da sprach Lillekort: „Fahr hin über Süßwasser und Salzwasser, über Berge und tiefe Täler, bis dass du kommst, wo des Königs Tochter ist!“ Und sogleich fuhr das Schiff davon, dass es zischte und brauste, über Land und Wasser.
Als sie nun eine lange, lange Zeit gesegelt waren, stand das Schiff eines Tages plötzlich auf der See still. „Ja, nun sind wir glücklich an Ort und Stelle“, sagte Lillekort. „Wie wir aber wieder fortkommen werden, das steht noch dahin.“ Darauf nahm er die eiserne Kette und band sich das eine Ende um den Leib. „Jetzt muss ich zu Boden“, sagte er. „Wenn ich aber nachher wieder herauf will und einen starken Ruck an der Kette tu, dann müsst ihr alle auf einmal anziehen wie ein Mann, sonst kostet es mich und euch das Leben.“ Und damit sprang er ins Wasser, dass die Wellen über ihm zusammenschlugen. Er sank tiefer und immer tiefer, und endlich kam er auf den Grund. Dort sah er einen Berg, worin eine Tür war, und da ging er hinein. In dem Berge nun fand er die Prinzessin, welche eben mit ihrem Nähzeug beschäftigt war. „Ach, Gott sei Lob!“ rief sie, als sie Lillekort erblickte, und klatschte in die Hände. „Noch habe ich keine Menschenseele gesehen, solange ich hier bin.“
Lillekort sagte ihr, dass er gekommen sei, um sie wieder zu ihrem Vater zurückzubringen. „Ach, mich bekommst du nicht mit“, sagte sie. „Das wird dir nicht gelingen; denn bekommt der Troll dich zu sehen, kostet es dich das Leben.“ – „Gut, dass du von ihm sprichst!“ sagte Lillekort. „Wo ist er? Es könnte spaßhaft sein, ihn zu sehen.“
Die Königstochter erzählte ihm darauf, dass der Troll ausgegangen wäre und jemanden suchte, der hundert Lasten Malz auf einmal zu Bier brauen könne; denn der Troll wollte ein Gastmahl geben, und dabei verschlug keine geringere Quantität. „Das kann ich“, sagte Lillekort. „Wenn nur der Troll nicht so jähzornig wäre, dass ich es ihm sagen könnte, eh er dich erblickt“, versetzte die Prinzessin. „Aber er ist so wütend, dass er dich den Augenblick in Stücke zerreißt, wenn er dich gewahr wird. Indessen verbirg dich nur hier solange in dem Bettverschlag, dann will ich sehen, was zu tun ist.“
Das tat denn Lillekort, und kaum war er in seinem Versteck, kam auch schon der Troll an. „Houf! Es riecht hier so nach Menschenfleisch!“ rief er. „Ja, es flog hier ein Vogel übers Dach mit einem Menschenknochen im Schnabel, den ließ er durch den Schornstein fallen“, versetzte die Königstochter. „Ich habe mich zwar beeilt, ihn hinwegzuschaffen, aber es muss wohl noch der Geruch davon zurückgeblieben sein.“ – „Ja, das ist’s wohl!“ sagte der Troll. Darauf fragte die Prinzessin ihn, ob er jemanden gefunden habe, der hundert Lasten Malz auf einmal zu Bier brauen könne. „Nein, da ist keiner, der das kann“, sagte der Troll. „Vor einer Weile war einer hier, der sagte, er könnte es“, versetzte die Königstochter. „Du bist nun immer so klug“, sagte der Troll, „warum ließest du ihn denn gehen? Du wusstest doch, dass ich eben einen solchen suche.“ – „Ich hab ihn auch nicht gehen lassen“, versetzte die Königstochter. „Aber du bist nun immer gleich so jähmütig. Darum verbarg ich ihn derweil in dem Bettverschlag. Wenn du also noch keinen tüchtigen Brauer gefunden hast, so kannst du’s ja mit ihm versuchen.“ – „Ja, lass ihn kommen!“ sagte der Troll. Als Lillekort nun hervorkam, fragte der Troll ihn, ob es wahr sei, dass er hundert Lasten Malz auf einmal zu Bier brauen könne. „Ja, das ist wahr“, antwortete Lillekort. „So ist’s gut, dass ich dich bekam“, sagte der Troll. „Mach dich nur gleich an die Arbeit! Aber gnade dir Gott, wenn du das Bier nicht stark genug braust.“ – „Es soll schon Geschmack kriegen“, sagte Lillekort und stellte sogleich das Geschirr zurecht. „Ich muss aber mehr Männer zum Zutragen haben“, sagte er, „denn die paar, die ich bekommen habe, können nicht viel ausrichten.“
Er erhielt nun noch mehr Leute, so viele, dass es von ihnen wimmelte, und darauf ging das Brauen los. Als nun die Würze fertig war, wollten alle sie kosten, zuerst der Troll selbst und nachher die ändern. Aber Lillekort hatte die Würze so stark gebraut, dass sie tot umfielen wie die Fliegen, sowie sie davon tranken. Da war er sie alle insgesamt los.
Als er nun dastand und sich umsah, ward er eine große Kiste gewahr, die nahm Lillekort und packte sie voll Gold und Silber, umschlang dann sich und die Prinzessin und die Kiste mit der eisernen Kette und tat einen Ruck daran aus allen Kräften. Da zogen die Leute auf dem Schiff alle auf einmal an und brachten sie gesund und wohlbehalten wieder herauf.
Nun sprach Lillekort: „Fahr hin über Süßwasser und Salzwasser, über Berge und tiefe Täler, bis dass du kommst zu des Königs Schloss!“ Und sogleich fuhr das Schiff davon, dass der Schaum zu beiden Seiten stand. Als die, welche auf dem Schloss waren, das Schiff ankommen sahen, zogen sie alsbald hinaus mit Gesang und Spiel und empfingen Lillekort mit großer Freude. Am frohesten von allen aber war der König, der jetzt seine Tochter wiederbekommen hatte.
Nun war aber Lillekort in Verlegenheit wegen der Prinzessinnen; denn beide wollten ihn haben, und er wollte nur die haben, welche er zuerst befreit hatte, und das war die jüngste. Er sann und dachte lange darüber nach, wie er sich aus der Verlegenheit ziehen sollte. Denn die jüngste wollte er nicht fahren lassen, und der andern wollte er auch nicht gern zuwider sein.
Da fiel es ihm ein, wenn jetzt sein Bruder, König Lavring, da wäre, der ihm so ähnlich sah, dass keiner sie voneinander zu unterscheiden vermochte, so könnte der die andre Prinzessin und das halbe Reich bekommen. Denn er selbst wollte sich gern mit der einen Hälfte begnügen. Wie gedacht, so getan: Er ging vors Schloss und rief laut den König Lavring bei Namen. Aber es kam niemand. Da rief er noch lauter. Aber es fand sich auch diesmal keiner ein. Zuletzt rief er aus allen Kräften – und da stand plötzlich sein Bruder vor ihm. „Ich sagte dir doch, du solltest mich nicht eher rufen, als bis du in der äußersten Not wärst“, sprach er. „Und hier ist ja keine Mücke, die dir was zuleide tun kann“, und damit schlug er auf ihn ein, dass Lillekort über die Wiese hinpurzelte. „Schande über dich, dass du mich so schlägst!“ sagte Lillekort. „Erst hab ich die eine Königstochter und das halbe Reich gewonnen und nachher die andre Königstochter und das andre halbe Reich dazu, und nun wollte ich es mit dir teilen und dir die eine Prinzessin und die Hälfte des Königreichs abgeben. Deucht es dir denn recht, mich also zu schlagen?“
Als König Lavring das hörte, bat er seinen Bruder um Verzeihung, und da vertrugen sie sich alsbald und waren wieder gute Freunde. Darauf sprach Lillekort: „Du weißt, dass wir einander so ähnlich sehen, dass niemand uns zu unterscheiden vermag. Darum tausche du jetzt deine Kleider mit mir und geh hinauf auf das Schloss. Dann werden die Prinzessinnen glauben, dass ich es bin, und die, welche dich zuerst küsst, die nimmst du, und die andre behalte ich.“
Also sprach Lillekort. Denn er wusste wohl, dass die älteste Königstochter auch die stärkste war, und konnte sich daher wohl denken, wie’s kommen würde. König Lavring war sogleich bereit, zu tun, wie sein Bruder ihm gesagt hatte: Er tauschte mit ihm seine Kleider und ging aufs Schloss. Als er nun zu den Prinzessinnen eintrat, glaubten sie, es sei Lillekort, und liefen beide sogleich auf ihn zu. Aber die älteste, welche die größere und stärkere war, schob die jüngere Schwester beiseite, fasste König Lavring um den Hals und küsste ihn. Und so bekam denn König Lavring die älteste und Lillekort die jüngste Prinzessin. Da kann sich’s denn wohl ereignet haben, dass eine Hochzeit ward, wovon man sich in sieben Königreichen zu erzählen wusste.

Quelle:
(Unbekannt-Norwegen)

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