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Märchenbasar

Loppi und Lappi

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Es lebte einmal ein armer Kleinbauer mit seiner Frau in einer einsamen Hütte abseits vom Dorfe. Der Mann hieß Loppi und das Weib Lappi, Es schien, als wären die beiden zum Unglück geboren, denn es wollte ihnen nichts gelingen. Gott hatte ihnen in den früheren Jahren ihrer Ehe auch Kinder geschenkt, es war aber keines am Leben geblieben, das den Eltern eine Stütze im Alter hätte sein können. Wie zwei dürre Baumstümpfe saßen Mann und Frau alle Abend auf der Ofenbank, und da lief ihnen erst ohne Grund die Galle über, und es gab Zank. Wie bekannt, sucht der Mensch im Verdruß meist die eigene Schuld auf den nächsten zu wälzen, und oft auch da, wo menschliche Bosheit nicht im Spiele war, dennoch anderen Menschen die Ursache des Unglücks aufzubürden. So konnte man nicht selten den Loppi im Ärger sagen hören: „Hätte ich nur das Glück gehabt, eine bessere Frau zu bekommen, was hätte mir da gefehlt, ich könnte heute ein reicher Mann sein.“ Aber Lappi hatte eine beflügelte Zunge, die gegen ein Wort des Mannes gleich Dutzende bereit hatte. Wenn also der Mann Worte wie die angeführten wieder verbringen wollte, so kam er nicht über den Anfang hinaus, vielmehr belferte Lappi flugs dagegen: „Da seh“ einer den Lumpenkerl! Wenn ich in meiner kindsfältigen Einfalt keinen besseren Mann zu wählen wußte, so ist das freilich meine Schuld, aber ich glaube auch sicherlich, daß nur Hexenkünste imstande waren, mich zu betören, und der Teufel mag wissen, was du mir heimlich ins Essen oder Trinken getan hast, bis mein Sinn sich dir zuwandte.

An Freiern hat es nicht gefehlt, und wärest du ein abgerissener Gesell mir nicht zum Unglück in den Wurf gekommen, so könnte ich als Dame am gedeckten Tische sitzen. Um dich nichtsnutzigen Menschen muß ich jetzt Hunger und Kummer leiden, bis der Tod mich erlöst. Daß alle unsere Kinder gestorben sind, dann bist du auch schuld, da du weder für Weib noch für Kind zu sorgen wußtest“, und so floß der einmal losgelassene Redestrom noch lange weiter und hörte oft nicht eher auf, als bis der Mann ihr mit Faust das Maul stopfte,

So saß eines Abends das Ehepaar der Hütte wieder zankend auf der Ofenbank, als eine stattliche Frau in Kleidern von deutschem Schnitt eintrat und durch ihr Erscheinen des Weibes Zungenwerk plötzlich zum Stehen und des Mannes gehobenen Arm zum Sinken brachte. Nachdem sie freundlich gegrüßt, sagte die Fremde: „Ihr seid arme Schlucker und habt bis heute viel Not zu leiden gehabt; aber nach dreien Tagen wird alle Not mit einemmal aufhören; darum haltet Frieden im Hause und saget selber, was für ein Los ihr euch als das beste wünschen wollt. Ich bin nicht, was ich euch scheine, ein menschliches, sondern ein höheres Wesen, das die Wünsche der Menschen vermöge göttlicher Kraft in Erfüllung gehen lassen kann. Drei Tage habt ihr Zeit, zu überlegen, und drei Wünsche dürft ihr aussprechen, hinsichtlich der Lage oder der guten Gabe, die ihr begehrt. Dann sprechet eure Wünsche nur aus, sie werden sich im selben Augenblick durch geheime Kraft verwirklichen. Aber seid gescheit, daß ihr euch nicht etwa unnütze Dinge herbeiwünschet.“

Nach diesen Worten grüßte die stattliche Frau abermals und war wie der Blitz zur Tür hinaus.
Loppi und Lappi, welche ihren Zank vergessen hatten, starrten jetzt sprachlos auf die Tür, zu der die Wundererscheinung hereingekommen, und durch die sie wieder verschwunden war; endlich sagte der Mann: „Legen wir uns zur Ruhe; wir haben drei Tage Zeit, zu überlegen, und wollen sie weislich anwenden, damit wir uns das allerbeste Glückslos wünschen mögen.“ Allein obgleich ihnen drei Tage Bedenkzeit vergönnt waren, so verbrachten sie doch schon über die Hälfte derselben Nacht unter der Last der Gedanken und überlegten, welcher Wunsch wohl der allerbeste wäre, Oh, was für ein köstlicher Friede jetzt drei Tage ununterbrochen in der Hütte wohnte! Loppi und Lappi waren andere Menschen geworden, sprachen freundlich miteinander an den Augen abzusehen, wie jegliches verlangte.

Den größte Teil des Tages saßen beide stumm im Winkel und überlegten, was sie wünschen sollten. Am dritten Tage , nach Tisch, ging Loppi ins Dorf, wo den Morgen ein Schwein geschlachtet war und der Wurstkessel gerade auf dem Feuer stehen mußte. Er nahm von zu Hause den Butternapf samt Deckel und wollte des Nachbarn Frau um etwas Wurstwasser bitten, abends seinen Kohl darin kochen. Loppi dachte, wenn der Magen mit guter Suppe gefüllt ist, so kommen dem Menschen gleich bessere Gedanken. Als er wieder heimkam, stellte er den Kohl aufs Feuer, damit die Speise zu rechter Zeit auf den Tisch käme.
Als nun die Abendstunde und mit ihr die Zeit herangekommen war, die Wünsche kundzutun, dampfte der Kessel mit Kohlsuppe auf dem Tische, und Mann und Frau setzten sich zum Essen – zugleich sollten sie nun auch ihre Wünsche sich vollziehen lassen. Sie hatten schon manchen Löffel von dem schmackhaften Süppchen hinuntergebracht, da sagte Lappi vergnügt: „Gott sei gedankt für das schöne Süppchen, davon kann der Mensch schon satt werden; aber noch viel besser würde die Suppe schmecken, wenn nur auch eine Wurst dabei wäre!“

Bums! fiel von der Zimmerdecke eine große Wurst mitten auf den Tisch. Mann und Frau waren ein Weilchen über das Geschenk so erschrocken, daß es ihnen nicht einfiel, sich der Wurst zu bemächtigen. Loppi merkte, daß mit der Wurst der erste Wunsch in Erfüllung gegangen war, und das brachte ihn so auf, daß er mit vollem Munde rief: „Daß dich der Böse hole und dir die Wurst an die Nase setze! Wenn…“ Aber das arme Männlein konnte vor Schrecken nicht weitersprechen, denn die Wurst hing der Lappi schon an der Nase; und zwar nicht mehr die wirkliche Wurst, sondern als ein mit der Nase aus einer und derselben Wurzel herausgewachsenes Stück Fleisch. Was jetzt tun? Zwei Wünsche waren schon verpufft, und der zweite hatte obendrein die Nase der Frau so verunstaltet, daß sie sich nicht getrauen konnte, den Leuten unter die Augen zu treten.

Immerhin blieb noch ein Wunsch, und der war noch nicht ausgesprochen: mit diesem konnten sie klugerweise alles zum Guten wenden. Aber die arme Lappi hatte in diesem Augenblicke keinen sehnlicheren Wunsch als den, daß ihre Nase von der langen Wurst befreit würde, darum sprach sie diesen Wunsch aus, und die Wurst war verschwunden. Jetzt war es mit den drei Wünschen vorbei, und Loppi und Lappi mußten wieder wie früher armselig in ihrer Hütte leben. Wohl warteten sie eine Zeitlang darauf, daß die schöne Frau wiederkomme, allein die teure Fremde erschien nicht mehr.Wer ein unerwartetes Glück nicht gleich beim Schopf oder Zipfel zu fassen und festzuhalten weiß, der hat es verscherzt.

 
Märchen aus Estland

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