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Märchen des Rotfuchses

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Der Rotfuchs ist ein Tier, an dem die böse Nachrede kein gutes Wort gelassen hat. Er soll wie die Hyäne die Toten ausgraben und sie verzehren; aus seinem nächtlichen Geheul weiß man allerlei Sterbefälle und sonstige traurige Geschichten zu weissagen. Sein Körper war früher ganz rot; seine schwarzen Beine hat er erst später, und zwar auf folgende Art bekommen:
Einst hatte ein mächtiger Chief, der eine allerliebste Tochter besaß, ein großes Gastmahl bereitet und alle Tiere der Erde dazu eingeladen. Als dem Rotfuchs seine Einladung überbracht wurde, fragte er den betreffenden Boten: »Sagt mir doch, lieber Freund, was wird uns denn zum Abendessen serviert?«
»Fein gekochtes Korn«, erwiderte der Bote.
»O wenn’s weiter nichts ist«, entgegnete naserümpfend der Rotfuchs, »dann ist’s ja nicht der Mühe wert, daß ich vor die Tür gehe; denn solch ein Gericht kann ich mir geradesogut in meiner eigenen Hütte zubereiten lassen!« Darauf drehte er ihm höhnisch lachend den Rücken zu.
Der Bote ging zurück zum Chief und erzählte ihm, wie ihn der Rotfuchs behandelt habe.
»Geh so schnell wie möglich wieder zurück«, sagte der Chief, »bitte ihn so höflich, wie du kannst, um Entschuldigung, und sage, daß ihm die delikatesten Fleischspeisen, durch die erprobteste Köchin bereitet, vorgesetzt würden.«
Diese Nachricht gefiel dem alten Rotfuchs schon bedeutend besser, und schmunzelnd versprach er, zur rechten Zeit zu kommen. Gleich darauf reinigte er sich das Fell ganz gründlich und ging zur Hütte des Chiefs.
Die Gesellschaft empfing ihn dort äußerst höflich; ein jeder stand ehrerbietig auf und offerierte ihm bereitwilligst seinen Sitz, ja der Chief wies ihm sogar den Ehrenplatz neben dem Feuer an, der Meister Reineke auch am besten zusagte, nämlich deshalb, weil er von dort prächtig in den Fleischkessel sehen konnte. Doch nach und nach kamen noch so viele Tiere in den Wigwam, daß sie kaum alle Platz hatten, und unser Rotfuchs wurde dadurch so nahe ans Feuer gedrückt, daß er es bald vor Hitze nicht länger mehr aushalten konnte. Als er nun deshalb aufstehen wollte, bekam er auf einmal einen so kräftigen Stoß, daß er mit allen vieren in den Kessel fiel und sich jämmerlich verbrannte.
Heulend und klagend lief er nun nach Hause zu seiner Großmutter, die ihm, wie das so bei den Tieren Sitte war, den Haushalt besorgte. »Du hast dir«, sagte sie zu ihm, »zwei große Fehler zuschulden kommen lassen: Zuerst warst du zu unhöflich gegen den Boten, und dann warst du zu unbescheiden gegen die ganze Gesellschaft, indem du gleich den Ehrensitz einnahmst. Hättest du dich ruhig mit dem ersten Sitz neben der Tür begnügt, so wäre dir sicherlich ein solches Unglück nicht zugestoßen.«
Das klang allerdings wenig tröstlich für den Patienten, und er hätte sicherlich mit der Alten einen Streit angefangen, wenn sie ihm nicht schnell die wunden Beine verbunden und den herkömmlichen Medizintanz getanzt hätte. Diesen Tanz tanzte sie die liebe lange Nacht hindurch, denn ihr Enkel jammerte und schrie unaufhörlich. Als sie am folgenden Morgen den Verband abnahm, sah sie, daß die Beine überall ganz kohlschwarz geworden waren.
Jetzt war der Jammer des Rotfuchses erst recht groß: »Ach, meine Beine, meine schönen roten Beine!« schrie er. »Wie werden mich jetzt die jungen Mädchen auslachen, wenn sie mich sehen! Ach, jetzt kann ich mich nirgends mehr sehen lassen!«
Da die alte Großmutter während der Nacht ihre steifen Glieder tüchtig angestrengt hatte, so fiel sie während dieses Gejammers in tiefen Schlaf. Als dies der Rotfuchs merkte, stand er leise auf, schlich sich geräuschlos vor die Hütte des Chiefs und ließ sein unheilbedeutendes Geheul ertönen, und zwar so laut, wie er nur konnte.
Kurze Zeit danach wurde die Tochter des Häuptlings bedenklich krank und starb, trotzdem die berühmtesten Mediziner des ganzen Landes lange Zeit ihr Lager umstanden hatten.
Doch so schlimm hatte es der Rotfuchs mit seinem Bellen nicht gemeint, denn er liebte das schöne Mädchen über alle Maßen und ging mit dem Gedanken um, sie später zu seiner Frau zu machen. Traurig saß er nun in seiner Hütte und sagte kein Wort. Währenddem wurden die Vorbereitungen zu ihrem Begräbnis getroffen, und alle Freunde und Freundinnen der Verewigten versammelten sich, um sich wegen der geratensten Bestattung zu besprechen.
»Legen wir die Tote in die Erde«, sagten einige davon, »so kommt der Rotfuchs und frißt sie, denn er hat sie auch totgebellt; verbergen wir sie daher besser in den Ästen eines hohen Baumes, denn in der Luft wird er sie wohl nicht suchen.«
Das geschah denn auch; aber da die alte Großmutter als entfernte Verwandte ebenfalls zugegen war, so erfuhr Reineke die Stelle sehr bald, lief am nächsten Abend hin und sah die ganze liebe lange Nacht zum Leichnam hinauf. Ach, die Tote war so wunderschön, und ihr Gesicht leuchtete so freundlich zu ihm herunter, als sei sie noch am Leben. Mit Anbruch des Tages verschwand jedoch ihre Schönheit, und sie bekam die allgemeine Totenfarbe wieder.
Da ging der Rotfuchs wieder langsam nach Hause und setzte sich trübselig in eine Ecke, und als ihn die Großmutter fragte, ob er vielleicht den Körper des toten Mädchens verstümmelt habe, sagte er kein Wort, sondern blieb regungslos sitzen, bis es wieder Abend wurde und die Alte einschlief, wonach er abermals unbemerkt seinen Schatz besuchen konnte. Am Morgen stellte er sich natürlich wieder zeitig ein, um nicht den ihm auflauernden Feinden in die Hände zu fallen.
Im Laufe der Zeit machte nun der Rotfuchs die freudige Entdeckung, daß sein totes Schätzchen immer mehr und mehr ein frischeres Aussehen bekam, ja daß sie zuletzt so blühend aussah wie damals, als er sie zuerst sah und sich in sie verliebte.
»Großmutter«, sagte er eines Tages, »reiche mir meine Pfeife, und stopfe sie recht voll, damit ich wieder einmal große Wolken blasen kann.«
»Ach«, rief da die Alte freudig, »wie bin ich doch so froh, daß du dich wieder wohl fühlst; denn seit dem Tod der schönen Häuptlingstochter hast du weder an mich noch an deine Pfeife gedacht.«
Nun legte er sich behaglich in die wärmste Stubenecke und qualmte wigwamgroße Wolken. Als er seine Pfeife ausgeraucht und die Asche ausgeklopft hatte, stand er auf und befahl der alten Frau, die Hütte schnell so schön wie nur möglich zu putzen, da er ihr heute noch eine Schwiegertochter zuführen würde. Das tat sie denn auch; sie nahm ihren neuesten Besen, kehrte alles so rein und sauber wie geleckt und stellte alle Geräte auf die passenden Plätze.
Nach einer Weile klopfte es.
»Tintitschinn danis! – Komm herein, meine Tochter!« rief die Großmutter.
Eine Schattengestalt trat herein, die in ihren Umrissen jedoch deutlich das auferstandene Mädchen erblicken ließ. Bald nahm sie auch Fleisch und Blut an, fing an zu sprechen und erklärte sich als das Weib des Rotfuchses, in dessen Hütte sie nun für immer bleiben wollte.
Als dies nach einigen Wochen der alte Chief erfuhr, sagte er zu sich selbst: »Der schlaue Rotfuchs hat zwar meine Tochter lebendig gemacht, aber das gibt ihm noch lange kein Recht, sie auch als Frau zu behalten; besonders, da ich sie schon vor Jahren dem schönsten Tier der Welt, dem Hirsch, versprochen habe, der mich nun beim Wort nehmen wird.«
Darauf versammelte er alle seine Freunde und ging mit ihnen in die Hütte des Rotfuchses; nur der Hirsch blieb allein davor stehen, um sich im Fall der Not schnell aus dem Staub machen zu können. Der Rotfuchs wurde nach langen Kämpfen übermannt, und seine teure Ehehälfte wurde vor die Tür geführt, wo der Hirsch sie augenblicklich auf seinen Rücken packte und damit zu seiner Hütte lief. Als er sie aber dort abnehmen wollte, war sie nicht mehr da; sie war nämlich unterwegs unbemerkt abgesprungen und wieder zu ihrem alten Gatten zurückgekehrt.
Einige andere Versuche, sie wiederzubekommen, schlugen ebenfalls fehl. »Es ist wahr«, sagten darauf die Leute, »der Rotfuchs hat ihren Tod verursacht, aber er hat sie auch wieder ins Leben zurückgerufen, und darum hat er auch ein Recht auf sie. Möge daher das junge Ehepaar noch lange in Ruhe und Freude leben!«

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas

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