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Märchenbasar

Märchen vom goldenen Berge

1.7
(3)
In einem Reiche lebte ein Zar mit seiner Gemahlin, die hatten drei schöne Söhne, der älteste hieß Wasili Zarewitsch, der mittelste Fedor Zarewitsch und der jüngste Iwan Zarewitsch. Eines Tages ging der Zar mit seiner Gemahlin im Garten spazieren; auf ein Mal erhob sich ein gewaltiger Sturm und entführte die Zarin aus seinen Augen. Der Zar war sehr betrübt und trauerte lange Zeit, wegen seiner Gemahlin. Die zwei älteren Söhne baten ihren betrübten Vater um den Segen, um auszuwandern, und ihre Mutter aufzusuchen. Er gab ihnen seinen Segen, und sie gingen lange Zeit, und kamen in eine öde Wüste. Sie schlugen ihre Zelte auf und warteten, bis Jemand kommen möchte, der ihnen den Weg zeigte. Aber drei Jahre blieben sie liegen und sahen Niemanden. Unterdessen erwuchs der jüngste Bruder Iwan Zarewitsch, ging auch zu seinem Vater, um ihn um seinen Segen zu bitten, und nahm Abschied von ihm. Er wanderte lange Zeit und erblickte endlich in der Ferne Zelte, und er ritt hin nach ihnen, und als er näher gekommen war, erkannte er, daß es seine Brüder waren. »Warum seid ihr in so öder Wüste liegen geblieben, meine Brüder?« sprach er zu ihnen, »laßt uns lieber reisen, und unsere Mutter aufsuchen.«

Die Brüder folgten seinem Rathe, und machten sich auf den Weg. Sie ritten lange Zeit, bis sie in der Ferne ein Schloß von Krystall erblickten, das von einem eben solchen Zaune umgeben war. Sie näherten sich dem Schlosse, und Iwan Zarewitsch öffnete die Pforte und ritt in den Hof. Als er zur Thürtreppe kam, sah er eine Säule, in welche zwei Ringe eingeschraubt waren. Der eine war von Gold, der andere von Silber. Er zog den Zügel durch beide Ringe und band sein Ritterroß an. Dann ging er auf die Treppe; da kam ihm der König selbst entgegen, und nach langer Besprechung erkannte der König, daß Iwan Zarewitsch sein Neffe sei. Da führte er ihn in sein Gemach und lud auch die Brüder dahin ein.

Als sie eine Zeit lang bei dem König zu Gaste gewesen waren, erhielten sie von ihm eine Zauberkugel, welche sie fortrollten, und der sie nachritten bis an einen hohen Berg, wo sie stehen blieben. Der Berg war so hoch und steil, daß man ihn nicht ersteigen konnte. Iwan Zarewitsch ging lange um den Berg herum, und fand endlich eine Spalte. Er schritt hinein und erblickte eine eiserne Thüre mit einem kupfernen Ringe, und als er sie geöffnet, fand er eiserne Klauen, um sie an Händen und Füßen zu befestigen und mit ihrer Hülfe auf den Gipfel des Berges zu klettern. Er war aber sehr ermüdet, als er die Höhe erreicht hatte, und setzte sich nieder, um auszuruhen, und sobald er die Klauen abgenommen, verschwanden sie plözlich. Da sah er in der Ferne auf dem Berge ein Zelt von feinem Batist, auf welchem ein kupfernes Reich dargestellt war, und auf dessen Spitze sich eine kupferne Kugel befand. Und er ging hin zu dem Zelte; bei dem Eingang lagen aber zwei große Löwen, welche Niemanden einließen in das Zelt. Iwan Zarewitsch sah zwei kupferne Becken bei ihnen stehen; er goß Wasser hinein und stillte damit den Durst der Löwen. Darauf ließen sie ihm freien Eingang in das Zelt. Als er in dasselbe eintrat, erblickte er auf dem Sofa eine schöne Königin, und zu ihren Füßen schlief ein dreiköpfiger Drache, welchem er mit einem Hiebe alle Köpfe abschlug. Die Königin dankte ihm dafür, und schenkte ihm ein kupfernes Ei, in welchem ein kupfernes Reich enthalten war. Darauf nahm der Zarewitsch Abschied von ihr und ging weiter, und nachdem er eine lange Zeit gegangen war, erblickte er ein Zelt aus feinem Flore, welches silberne Schnuren an Zederbäume befestigt hielten. An diesen Schnuren waren die Quasten von Smaragd, und aus dem Zelte war ein silbernes Reich dargestellt, und auf der Spitze des Zeltes befand sich eine silberne Kugel. Bei dem Eingange in dasselbe lagen zwei große Tiger, deren Durst er eben so stillte, damit sie ihm den Eingang frei machten. Als er in das Zelt trat, erblickte er auf dem Sofa eine schöne, sehr reich gekleidete Königin, welche die vorige an Schönheit weit übertraf. Zu ihren Füßen lag ein sechsköpfiger Drache, der noch ein Mal so groß war, als der vorige. Iwan Zarewitsch schlug ihm mit einem Hiebe alle Köpfe ab, und die Königin schenkte ihm für seine Unerschrockenheit ein silbernes Ei, in welchem ein silbernes Reich enthalten war. Darauf nahm er auch von dieser Königin Abschied und ging weiter. Endlich erreichte er ein drittes Zelt aus Seide, auf welchem ein goldenes Reich gestickt war, und auf dessen Spitze eine Kugel vom reinsten Golde stand. Es war mit goldenen Schnuren an Lorbeerbäume befestigt, und an die Schnuren waren Quasten von Diamanten angeknüpft. Vor dem Eingange lagen zwei große Krokodille, welche vor großer Hitze Flammen von sich spien. Der Zarewitsch tränkte sie und machte sich dadurch den Eingang in das Zelt frei, und erblickte auf einem Sofa eine Königin, welche an Schönheit die vorigen weit übertraf. Zu ihren Füßen lag ein zwölfköpfiger Drache, welchem Iwan Zarewitsch mit zwei Hieben alle Köpfe abschlug. Die Königin schenkte ihm dafür ein goldenes Ei, in welchem ein goldenes Reich enthalten war; und mit dem Eie schenkte sie ihm auch ihr Herz. Unter andern Gesprächen fragte sie Iwan Zarewitsch, ob sie nicht wisse, wo sich seine Mutter aufhalte. Sie zeigte ihm die Wohnung seiner Mutter und wünschte ihm, daß er sein Unternehmen glücklich ausführen möchte.

Nach langer Reise gelangte er in ein Schloß. Er ging hinein und durchschritt viele Zimmer, aber er traf keinen einzigen Menschen. Endlich gelangte er in einen großen, reichen Saal, und erblickte seine Mutter in königlicher Tracht, auf einem Sessel. Nachdem sie sich auf das Zärtlichste begrüßt hatten, sagte er ihr, daß er mit seinen Brüdern schon lange Zeit reise, um seine liebe Mutter aufzusuchen. Da sagte die Königin zu Iwan Zarewitsch, der Geist würde sogleich kommen, und befahl ihm, sich mit ihrem Kleide zu verhüllen. »Wenn der Geist erscheint,« sprach sie weiter zu ihm, »und mir mit Liebkosungen schmeichelt, so bemühe dich, mit beiden Händen seinen Zauberstab zu ergreifen. Er wird sich mit dir empor heben, aber fürchte dich nicht, und laß es ruhig geschehen; er wird sich dann wieder auf die Erde niederlassen, und in kleine Stücke zerfallen. Sammle diese alle, verbrenne sie, und zerstreue die Asche auf dem Felde.« Kaum hatte die Mutter diese Worte geendigt und ihn unter ihre Kleider versteckt, so kam der Geist und fing an, der Königin mit Liebkosungen zu schmeicheln. Da sprang Iwan Zarewitsch nach dem Rath seiner Mutter hervor, und ergriff den Zauberstab. Der Geist ergrimmte gegen den Zarewitsch, flog in die Höhe mit ihm, ließ sich dann auf die Erde nieder, und zerfiel in kleine Stücke. Darauf sammelte der Zarewitsch die Stücke, und verbrannte sie, und behielt für sich den Zauberstab. Er nahm seine Mutter und die drei Königinnen mit sich, die er befreit hatte, kam an eine Eiche, und ließ sie auf einer Leinewand alle vom Berge hinunter gleiten. Als seine Brüder sahen, daß er noch allein auf dem Berge war, rissen sie ihm die Leinewand aus den Händen, zogen mit ihrer Mutter und den Zarentöchtern in ihr Reich zurück, und nahmen diesen einen Schwur ab, daß sie ihrem Vater sagen sollten, sie wären von ihnen gefunden worden.

Also blieb Iwan Zarewitsch allein auf dem Berge, und wußte nicht, wie er herunter kommen sollte. Gedankenvoll ging er auf dem Berge herum, und warf den Zauberstab aus einer Hand in die andere, als plözlich vor ihm ein Mensch erschien, und ihn fragte: »Was ist dir gefällig, Iwan Zarewitsch?« Dieser verwunderte sich, als er einen Menschen vor sich sah, und fragte ihn, wer er sei, und wie er auf diesen unbewohnten Berg gekommen. »Ich bin ein Geist, und war dem unterthänig, welchen du vernichtet hast; da du aber jezt seinen Zauberstab besitzest, und ihn aus einer Hand in die andere geworfen hast, was du immer thun mußt, wenn du meiner bedarfst, so bin ich gekommen, um dir zu dienen.« – »Gut,« sagte Iwan Zarewitsch zu dem Geiste, »so leiste mir jezt den ersten Dienst und trage mich in mein Reich.«

Sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, erschien er in einem Augenblicke in seiner Vaterstadt. Aber er wollte erst wissen, was in dem Schlosse vorgehe, deßhalb ging er nicht sogleich dahin, sondern trat bei einem Schuster in Arbeit, weil er glaubte, daß man ihn in diesem Stande so bald nicht erkennen würde. Den folgenden Morgen ging der Schuster in die Stadt, um Leder einzukaufen, und besoff sich tüchtig. Deßwegen konnte er nicht selbst arbeiten, und gab Alles seinem neuen Gesellen; dieser aber, weil er nichts von solcher Arbeit verstand, rief seinen Geist zu Hülfe, befahl ihm, aus dem Leder Schuhe zu verfertigen, und legte sich selbst schlafen. Als der Meister frühmorgens erwachte, ging er, nachzusehen, was sein Geselle gemacht habe. Da er aber sah, daß dieser noch schlief, ward er zornig und schrie ihn an: »Ach du fauler Mensch, habe ich dich denn zum Schlafen angenommen?« – »Schimpfe nicht,« antwortete ihm Iwan Zarewitsch, indem er sich langsam dehnte, »gehe erst in die Werkkammer und siehe zu, was du findest.« Der Meister ging in die Werkkammer, und wie groß war sein Erstaunen, als er viele Paare Schuhe fertig da stehen sah. Er trat näher und nahm einen Schuh, um die Arbeit zu betrachten, aber da wurde sein Erstaunen noch größer, und er traute seinen Augen kaum, denn die Schuhe hatten keine Nath, und waren wie gegossen. Darauf nahm er seine Waare und ging in die Stadt, sie zu verkaufen, und als man die wunderbaren Schuhe sah, kaufte man sie in wenigen Augenblicken alle. Bald wurde er so berühmt, daß man auch im Schlosse von ihm hörte; da ließen ihn die Königstöchter zu sich rufen, und bestellten viele Dutzend Schuhe bei ihm; aber er sollte sie alle den folgenden Morgen fertig gemacht haben. Er wollte ihnen vorstellen, daß dies nicht möglich sei, aber sie droheten ihm, wenn er ihrem Willen nicht sich füge, so würde ihm der Kopf abgeschlagen werden, denn sie merkten, daß dies nicht mit natürlichen Dingen zugehe. Der Schuster verließ das Schloß mit gesenktem Kopfe, ging in die Stadt, kaufte Leder und besoff sich vor Kummer noch weit mehr, als vorher. Spät Abends kam er nach Hause, warf das Leder auf die Diele und sprach zu seinem Gesellen: »Höre, du Verfluchter, was du mit deiner teuflischen Arbeit gemacht hast.« Er erzählte, was ihm die Königstöchter befohlen, und womit sie ihn bedroht, wenn er nicht ihren Befehl vollbrächte. »Kümmere dich nicht,« sagte Iwan Zarewitsch zu ihm, »lege dich getrost schlafen. Morgenstunde hat Gold im Munde.« Sein Meister dankte ihm für den Rath, warf sich auf die Bank hin und fing bald an, laut zu schnarchen. Iwan Zarewitsch rief sogleich seinen Geist und befahl ihm, Alles fertig zu machen, dann legte er sich selbst schlafen.

Obgleich sich der Schuster berauscht hatte, so kam es ihm, als er früh morgens erwachte, doch nicht aus dem Sinne, daß er heute seinen Kopf verlieren sollte. Er trat zu seinem Gesellen und sprach zu ihm: »Laß uns eine Flasche austrinken, damit ich mehr Muth habe, mich unter das Beil zu bücken.« – »Sei unbesorgt,« antwortete ihm Iwan Zarewitsch, »gehe in die Werkkammer und nimm die Arbeit, die gefordert worden ist.« Er ging mißtrauisch in die Werkkammer, aber da er die ganze Arbeit fertig sah, wußte er vor Freude nicht, was er anfangen sollte, umarmte seinen Gesellen und nannte ihn seinen Retter. Darauf nahm er alle Schuhe und ging in das Schloß. Als die Königstöchter dies Alles sahen, da wurden sie noch fester überzeugt, daß Iwan Zarewitsch in der Stadt sein müßte und sprachen zu dem Schuster: »Du hast deine Sache recht gut gemacht, aber noch einen Dienst mußt du uns leisten: heute Nacht muß vor unserem Schlosse ein goldenes Schloß stehen, und von diesem bis zu dem unsrigen muß eine mit Sammet überzogene Porzellanbrücke führen.« Der Schuster blickte sie bestürzt an und sprach: »Ich bin ja nur ein Schuster, wie sollte ich so etwas machen können?« – »Nun, wenn du unsern Willen nicht vollziehst,« drohten sie, »so wird dir der Kopf abgeschlagen werden.« Der Schuster ging alsbald aus dem Schlosse und weinte bitterlich; doch kehrte er in eine Kneipe ein, um seinen Kummer im Wein zu vertrinken, kam berauscht nach Hause und erzählte Iwan Zarewitsch, was ihm zu vollbringen befohlen worden. »Lege dich schlafen,« sagte dieser: »Morgenstunde hat Gold im Munde.« Und der Schuster warf sich wieder auf die Bank, und schlief ein. Iwan Zarewitsch rief seinen Geist zu sich, und befahl ihm, Alles auszuführen, was dem Schuster befohlen worden; dann legte er sich selbst nieder, um zu schlafen.

Frühmorgens weckte Iwan Zarewitsch seinen Meister auf, gab ihm einen Flederwisch in die Hand, und sagte: »Gehe dort auf die Brücke und kehre überall den Staub ab.« Er selbst aber ging in das goldene Schloß. Als der Zar und die Königstöchter früh morgens erwachten, gingen sie auf ihren Balkon, und erstaunten, als sie das Alles sahen. Die Königstöchter aber wußten vor Freude nicht, was sie machen sollten, denn nun waren sie fest überzeugt, daß Iwan Zarewitsch in der Stadt sei, und bald erblickten sie ihn sogar im Fenster des goldenen Schlosses. Sie baten daher den Zaren und die Zarin, mit ihnen in das Schloß zu gehen, und als sie die Treppe des Schlosses betreten hatten, da kam ihnen Iwan Zarewitsch entgegen. Seine Mutter und die drei Königstöchter eilten auf ihn zu, umarmten ihn und sprachen: »Das ist unser Retter!« Seine Brüder schlugen beschämt die Augen nieder, und der Zar blickte alle starr und verwundert an; aber bald erklärte ihm seine Gemahlin, was dies Alles zu bedeuten habe. Da wurde der Zar so zornig auf seine ältesten Söhne, daß er sie sogleich wollte tödten lassen. Aber Iwan Zarewitsch fiel ihm zu Füßen und sprach: »Lieber Vater, wenn Ihr mich für meine Anstrengungen belohnen wollt, so schenkt meinen Brüdern das Leben, und ich werde zufrieden sein.« Da hob ihn der Vater auf, küßte ihn, und sprach: »Sie sind deiner in der That nicht werth.« Darauf gingen alle in ihr Schloß zurück.

Den folgenden Tag wurden drei Hochzeiten gefeiert. Der älteste Sohn Wasili Zarewitsch nahm die Königin von dem kupfernen Reiche, Fedor Zarewitsch, der mittelste, nahm die Königin von dem silbernen Reiche, und Iwan Zarewitsch trat ihnen auch diese Reiche ab; er selbst aber ließ sich mit seiner Königin in dem goldenen Reiche nieder. Auch den Schuster nahm er zu sich, und so lebten sie viele Jahre in Glück und Frieden.

Anton Gotthelf Dietrich (Russische Volksmärchen 1831)

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