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Märchenbasar

Märchen von den sieben Simeonen, den leiblichen Brüdern

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Es war einmal ein alter Mann und eine alte Frau; die lebten viele Jahre zusammen und hatten keine Kinder, und waren schon hoch bejahrt und fingen an, zu Gott zu flehen, daß er ihnen ein Kind geben möchte, das ihnen im Alter bei ihren Arbeiten helfen könnte, und sie beteten lange Zeit, und ihr Gebet um ein Kind wurde nicht erhört. Aber nach sieben Jahren wurde die alte Frau schwanger und gebar auf ein Mal sieben Söhne, welche alle Simeon genannt wurden. Als der alte Mann und seine Frau gestorben waren, da wurden sie alle im zehnten Jahre Waisen und bearbeiteten ihr Feld selbst.

Da begab sich’s einmal, daß Zar Ador bei ihnen vorüberfuhr und sie arbeiten sah auf dem Felde; und er wunderte sich sehr, daß so kleine Knaben ihr Feld selbst bestellten. Deßhalb schickte er zu ihnen seinen ältesten Bojaren und ließ sie fragen, wessen Kinder sie wären. Der Bojar kam zu den Simeonen und fragte sie, warum sie als so kleine Kinder so schwere Arbeit verrichteten. Darauf antwortete ihm der älteste Simeon, sie seien Waisen und hätten Niemanden, der für sie diese Arbeit verrichten könnte, und fügte noch hinzu, daß sie alle Simeon hießen. Der Bojar ging von ihnen und sagte dieses dem Zaren Ador, welcher sich darüber sehr verwunderte und sie mitzunehmen befahl.

Als der Zar in das Schloß kam, versammelte er alle seine Bojaren, fragte sie um Rath und sprach: »Meine Herren Bojaren! Ihr seht hier sieben Waisen, welche keine Verwandte haben; ich will sie zu solchen Leuten machen, daß sie mir später dafür danken sollen, und darum frage ich euch um Rath, in welchem Handwerk oder in welcher Kunst ich sie in die Lehre geben soll.« Darauf antworteten alle: »Gnädiger Herr, da sie jetzt schon herangewachsen sind und ihren Verstand haben, so möchte es wohl das Beste sein, jeden einzeln zu befragen, welches Handwerk oder welche Kunst er erlernen will.« –

Der Zar empfing diese Antwort mit Freuden und begann den ältesten Simeon zu fragen: »Sage mir, Freund, welches Handwerk oder welche Kunst willst du lernen? ich werde dich dazu in die Lehre geben.« – Da antwortete ihm Simeon: »Eure zarische Majestät, ich will keine Kunst lernen, aber wenn ihr befehlt in der Mitte Eures Hofes eine Schmiede zu bauen, so würde ich Euch eine Säule schmieden, die bis zum Himmel reichte.« Der Zar sah, daß es nicht nöthig sei, diesen Simeon etwas zu lehren, weil er schon ein Schmidt war und dieses Handwerk sehr künstlich auszuüben verstand, aber er glaubte nicht, daß er eine Säule bis zum Himmel schmieden könne. Deswegen befahl er, eine Schmiede in der Mitte seines Hofes zu bauen, und also begann der älteste Simeon in dieser Schmiede sein Werk.

Darauf fragte er den zweiten Simeon: »Und du, mein Freund, welches Handwerk oder welche Kunst willst du erlernen?« Dieser antwortete: »Eure Majestät, ich will weder ein Handwerk, noch eine Kunst erlernen; aber wenn mein ältester Bruder die eiserne Säule geschmiedet hat, so werde ich auf den Gipfel dieser Säule steigen, in alle Königreiche sehen und dir sagen, was in jedem Reiche geschieht.« – Der Zar befand, daß man auch diesen Sohn nichts zu lehren brauche, weil er schon ohne dies weise sei.

Darauf fragte er den dritten Simeon: »Welches Handwerk oder welche Kunst willst du lernen?« Dieser antwortete: »Eure Majestät, ich will weder ein Handwerk noch eine Kunst erlernen, aber wenn mein ältester Bruder mir ein Beil schmiedete, so würde ich blitzschnell ein Schiff bauen.« – Da rief der Zar aus: »O solche Meister sind mir nothwendig! Du brauchst also auch nichts zu lernen.«

Darauf fragte er den vierten Simeon: »Du, Simeon, welches Handwerk oder welche Kunst willst du lernen?« – »Eure Majestät, ich will nichts lernen, aber wenn mein dritter Bruder ein Schiff erbaut hat, und das Schiff wird von Feinden angefallen, so will ich es am Schnabel fassen und es in’s unterirdische Reich führen, und wenn der Feind weggegangen ist, so werde ich es wieder auf’s Meer bringen.« Der Zar erstaunte über solche Wunder und sagte zu ihm: »Auch du brauchst nichts zu lernen.«

Darauf fragte er den fünften Simeon: »Und du, Simeon, welches Handwerk oder welche Kunst willst du lernen?« – »Ich will nichts lernen, Eure Majestät,« sagte Simeon, »aber wenn mir mein ältester Bruder eine Flinte schmiedet, so werde ich mit dieser Flinte jeden Vogel anschießen, er mag so weit sein, als er will, wenn ich ihn nur sehe.« – »So wirst du mir ja ein trefflicher Jäger sein,« sagte der Zar zu ihm.

Darauf fragte er den sechsten Simeon: »Du, Simeon, welche Kunst willst du betreiben?« – »Eure Majestät,« sagte Simeon, »ich will keine Kunst betreiben; aber wenn mein fünfter Bruder in der Luft einen Vogel angeschossen hat, so werde ich ihn nicht auf die Erde fallen lassen, sondern ihn in der Luft fangen und Eurer Majestät bringen.« – »Du bist auch geschickt,« sagte zu ihm der Zar, »du kannst bei mir statt eines Hühnerhundes im Felde dienen.«

Darauf fragte der Zar auch den letzten Simeon: »Und du, Simeon, welches Handwerk oder welche Kunst willst du lernen?« – »Eure zarische Majestät,« antwortete er ihm, »ich will weder ein Handwerk, noch eine Kunst lernen, denn ich verstehe ohne dies ein kostbares Handwerk.« – »Was für ein Handwerk verstehst du denn?« fragte der Zar, »sage mir’s, sei so gut.« – »Ich verstehe gut zu stehlen,« antwortete er, »und so, daß es keiner besser versteht, als ich.« Als er von einem so schlechten Handwerk hörte, wurde der Zar zornig und sprach zu seinen Bojaren: »Meine Herren, sagt mir, wie rathet ihr mir, diesen Dieb Simeon zu strafen? welchen Tod soll er erleiden?«– »Eure Majestät,« sagten alle zu ihm, »warum soll man ihn mit dem Tode bestrafen? Vielleicht ist er ein ausgezeichneter Dieb und vielleicht kann er uns im Nothfalle nützlich sein.« – »Wie so?« fragte der Zar. »Auf diese Weise,« sagten sie: »Eure Majestät wirbt schon zehn Jahre um die Hand der Zarin, der schönen Helene, aber Ihr könnt sie nicht bekommen und habt schon viel Heere und viel Geld verloren, und dieser Dieb Simeon kann vielleicht die Zarin, die schöne Helene, irgendwie für Eure Majestät stehlen.«

Da antwortete ihnen der Zar: »Ihr sprecht wahr, meine Freunde!« Dann wendete er sich zu dem Dieb Simeon und sprach zu ihm: Nun, Simeon, kannst du durch sieben und zwanzig Länder in das dreißigste Königreich wandern und mir die schöne Königin Helene stehlen? denn ich bin sehr in sie verliebt, und wenn du sie mir stiehlst, so werde ich dich reichlich belohnen.« – »Das ist unsere Sache,« antwortete Simeon, »wenn Ihr es nur befehlet.« – »Ich befehle nicht blos, sondern ich bitte dich, verweile nicht länger an meinem Hofe und nimm dir Heere und Schätze so viel du haben willst.« – »Ich brauche nicht deine Heere und deine Schätze, entlasse nur uns Brüder alle zusammen; aber ohne die übrigen kann ich nichts thun.« – Der Zar wollte nicht gerne alle Simeonen entlassen; allein, obgleich es ihm Leid that, so war er doch genöthigt, sie alle zusammen zu beurlauben.

Unterdessen hatte der älteste Simeon die eiserne Säule in der Schmiede auf dem Schloßhof schon vollendet. Der zweite Simeon kletterte hinauf und sah nach allen Seiten sich um, wo das Reich des Vaters der schönen Helene sei, und plözlich rief er dem Zaren Ador zu: »Eure Majestät, hinter sieben und zwanzig Ländern im dreißigsten Königreiche sitzt die Zarin, die schöne Helene, am Fenster. Wie sie schön ist! Man sieht bei ihr, wie das Mark aus einem Knochen in den andern fließt.« Der Zar wurde dadurch noch mehr gereizt und rief laut zu den Simeonen: »Meine Freunde, begebt euch auf die Reise und kommt bald wieder. Ich kann ohne die Zarin, die schöne Helene, nicht mehr leben.«

Der älteste Simeon schmiedete dem dritten eine Flinte und nahm, was zur Reise nothwendig war, d. h. Brod. Der Dieb Simeon nahm eine Katze mit sich und dann machten sie sich auf den Weg. Der Dieb Simeon hatte diese Katze so an sich gewöhnt, daß sie ihm überall, wie ein Hund, nachlief, und wenn er stehen blieb, stellte sie sich auf die Hinterpfoten, schmeichelte um ihn und schnurrte. So gingen sie auf ihrem Wege fort, bis an das Ufer des Meeres, über welches sie segeln mußten. Sie gingen lange am Ufer des Meeres herum und suchten sich Holz, um ein Schiff zu bauen. Endlich fanden sie eine ungeheure Eiche. Der dritte Simeon nahm sein Beil und hieb die Eiche an der Wurzel um, und auf dieselbe Eiche schlug er und blitzschnell wurde ein Schiff daraus und war ganz segelfertig, und in dem Schiffe befanden sich verschiedene kostbare Waaren. Alle Simeonen bestiegen das Schiff und segelten ab.

Nach einigen Monaten gelangten sie glücklich an den Ort, wohin ihnen nöthig war. Sobald sie in den Hafen kamen, warfen sie die Anker aus. Den folgenden Tag nahm Simeon, der Dieb, seine Katze, und ging in die Stadt; er kam an das Schloß des Zaren und blieb vor den Fenstern der Königin Helene stehen. Sogleich stellte sich seine Katze auf die Hinterpfoten, fing an, um ihn zu schmeicheln und zu schnurren. Man muß aber wissen, daß in diesem Reiche Niemand eine Katze kannte und nicht gehört hatte, was das für ein Thier sei. Die schöne Zarin Helene saß um diese Zeit am Fenster, und als sie die Katze erblickte, schickte sie alsbald ihre Wärterinnen und Zofen, um sich bei Simeon zu erkundigen, was das für ein Thier sei und ob er es nicht verkaufe, und wenn er es verkaufte, sollten sie ihn um den Preis fragen. Die Zofen eilten alsbald zu Simeon und fragten im Namen der Zarin Helene, was das für ein Thier sei, und ob er es nicht verkaufe. Simeon antwortete: »Meldet ihrer Majestät, der schönen Helene, daß dieses Thier Katze genannt wird; allein ich verkaufe es nicht; wenn es ihrer Majestät aber gefällig ist, so werde ich es ihr unentgeltlich verehren.« – Die Wärterinnen liefen in das Gemach und meldeten, was sie von Simeon gehört hatten. Als die Zarin Helene dies hörte, freute sie sich sehr, ging selbst aus ihren Zimmern und fragte Simeon, ob er die Katze nicht verkaufe. Simeon sprach zu ihr: »Eure Majestät, diese Katze verkaufe ich nicht, aber wenn es Euch gefällig ist, so schenke ich sie Euch.« Die Zarin nahm die Katze auf ihre Arme, ging in ihre Zimmer und befahl dem Simeon, auch mit zu kommen. Als sie in das Schloß kamen, ging die Zarin zu ihrem Vater, dem Zaren Sarg, zeigte ihm die Katze und sagte, daß ein Fremder sie ihr geschenkt habe. Der Zar besah das wunderbare Thier, freute sich sehr darüber und befahl, den Dieb Simeon zu ihm zu rufen, und als dieser kam, wollte ihn der Zar für die Katze mit Schätzen belohnen. Da aber Simeon nichts nehmen mochte, sprach der Zar zu ihm: »Mein Freund, wohne einstweilen in meinem Hause und unterdessen kann sich die Katze in deiner Gegenwart besser an meine Tochter gewöhnen.« Aber Simeon hatte keine Lust und sagte zu dem Zaren: »Eure Majestät, ich würde mit großem Vergnügen in einem Hause wohnen, wenn ich nicht ein Schiff hätte, auf dem ich in Euer Reich gekommen bin und das ich Niemandem anvertrauen kann; aber wenn Ihr so befehlet, so werde ich jeden Tag zu Eurer Majestät kommen und die Katze an Eure liebe Tochter gewöhnen.« Da befahl ihm der Zar, jeden Tag zu ihm zu kommen.

Simeon ging jeden Tag zu der schönen Königin Helene, und einstmals sagte er zu ihr: »Gnädige Frau, Eure Majestät, ich gehe schon lange zu Euch; aber ich bemerke nicht, daß Ihr irgend wohin spazieren gehet. Wenn Ihr nur einmal auf mein Schiff gehen wolltet, so würde ich Euch viele schöne Waaren, Goldstoffe und Diamanten zeigen, wie Ihr sie noch nie gesehen habt.« – Die Zarin ging sogleich zu ihrem Vater und bat ihn um die Erlaubnis, auf den Kai spazieren zu gehen. Der Zar gestattete es und befahl ihr, die Wärterinnen und Zofen mit sich zu nehmen. Die Zarin that dies alles sogleich und ging mit Simeon. Sobald sie auf den Kai kamen, bat Simeon die Zarin auf sein Schiff, und nachdem sie es bestiegen hatte, fing Simeon, der Dieb, sammt seinen Brüdern an, der Zarin verschiedene Waaren zu zeigen. Darauf sagte Simeon, der Dieb, zur schönen Helene: »Befehlet nun Euren Wärterinnen und Zofen, vom Schiffe zu gehen, denn ich will Euch nun kostbare Waaren zeigen, die sie nicht sehen dürfen.« Die Zarewna befahl ihnen sogleich, das Schiff zu verlassen. Und sobald sie ausgestiegen waren, befahl Simeon, der Dieb, seinen Brüdern, die Ankertaue zu kappen und mit allen Segeln auf das Meer zu fahren. Unterdessen wickelte er selbst der Zarin verschiedene Waaren aus und beschenkte sie mit manchen. Also verflossen einige Stunden, da er ihr die Waaren zeigte. Endlich sagte sie zu ihm, es sei nun Zeit, nach Hause zu gehen, denn der Zar, ihr Vater, würde sie erwarten. Darauf ging sie aus der Kajüte und sah, daß das Schiff sich schon in offener See befand, und daß sogar die Ufer schon verschwunden waren. Da schlug sie sich an die Brust, verwandelte sich in einen Schwan und flog auf. Der fünfte Simeon ergriff sogleich seine Flinte und schoß sie an, und der sechste ließ sie nicht in’s Wasser fallen, sondern fing sie in der Luft auf und brachte sie auf das Schiff, wo die Zarin wieder zur Jungfrau wurde. Die Wärterinnen und Zofen, welche auf dem Kai standen und sahen, daß das Schiff mit der Zarin fortsegelte, erzählten dem Zaren Simeon’s Betrug. Da befahl der Zar sogleich der ganzen Flotte, ihm nachzujagen, und sie waren dem Schiffe der Simeonen sehr nahe schon, als der vierte Simeon das Schiff beim Schnabel faßte und in das unterirdische Reich führte. Und als ihr Schiff entwich, da sah die Flotte, wie es verschwand, und alle meinten, daß das Schiff mit der schönen Zarin Helene versunken sei, und sie meldeten dem Zaren Sarg, das Schiff Simeon’s sei mit der schönen Helene untergegangen.

Die Simeonen aber fuhren glücklich in ihr Reich, und überlieferten die schöne Zarin Helene dem Zaren Ador, welcher den Simeonen für ihren so großen Dienst die Freiheit gab und viel Gold und Silber und Edelsteine schenkte. Und er lebte mit der schönen Königin Helene viele Jahre in Glück und Frieden.

Anton Gotthelf Dietrich (Russische Volksmärchen 1831)

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