Die Alten sagen, dass die Erde zuerst von Riesen bewohnt gewesen sei, die so stark waren, dass sie vor nichts Angst hatten, nicht einmal vor Nesaru, der im Himmel wohnt. Zornig sah dieser ihrem Treiben zu und beschloss, sie zu vernichten. Daher sandte er die Spitzmaus auf die Erde, damit sie die Menschen, die ganz am Ende der Welt lebten und sich sehr vor den Riesen fürchteten, in Maiskörner verwandeln sollte. Die Spitzmaus verwandelte die Menschen in Maiskörner und versteckte sie tief unter der Erde. Auch die Tiere versteckte sie dort, damit sie sicher seien vor dem Vernichtungswerk.
Dann sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, die Maismutter auf die Erde, hieß sie die Menschen um sich sammeln, denn die kleinen Körner hätten sonst gar zu leicht verloren gehen können. Danach kehrte die Maismutter zurück zu Nesaru, der im Himmel wohnt, während die Spitzmaus bei den Menschen blieb.
Nun sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, sein Strafgericht über die Riesen. Aber die Menschen waren tief unter der Erde zu dieser Zeit, daher weiß heute niemand, wie die Riesen umgekommen sind. Einige behaupten, dass es durch ein großes Feuer geschehen sei, während andere von einem großen Wasser wissen wollen. Nur Nesaru, der im Himmel wohnt, weiß es genau, aber er schweigt.
Während die Menschen als Maiskörner tief unter der Erde waren, hatte Nesaru, der im Himmel wohnt, dort oben Mais gepflanzt, damit er die Menschen in ihrem Versteck nicht vergesse. Als der Himmelsmais zu sprießen begann, sprach Nesaru, der im Himmel wohnt: „Jetzt ist es Zeit, dass die Menschen hervorkommen, denn der Mais will ans Licht.“
Als der Himmelsmais reif war, nahm Nesaru, der im Himmel wohnt, einen Kolben und sprach zu ihm: „Maismutter, gehe wieder hinunter und führe die Menschen hinaus, denn es ist Zeit.“ Da verwandelte sich der Kolben in eine alte Frau, die sich sogleich auf den Weg zur Erde machte.
Lange irrte sie über die Welt, denn sie konnte keine Menschen finden. Auch die Stelle, wo die Menschen verborgen waren, hatte sie vergessen. Da hörte sie im Osten den Donner rollen. Sie folgte dem Laut und kam zu den Menschen unter der Erde. Als die Menschen und die Tiere in ihrem Versteck die Maismutter rufen hörten, beschlossen sie, an die Oberwelt zu kommen, denn Nesaru, der im Himmel wohnt, hatte seinen Boten geschickt.
Dachs, Maulwurf und Wühlmaus machten sich an die Arbeit, um ein Loch bis an die Oberwelt zu graben. Unter der Leitung von Spitzmaus arbeiteten sie an dem Tunnel, der sie hinausführen sollte aus der Dunkelheit. Dachs grub eine Weile, dann wurde er müde und sagte: „Oh, ich kann nicht mehr!“ Nur Maulwurf grub emsig weiter und sah mit einem Male die Sonne scheinen. „Die Sonne scheint! Die Sonne scheint!“ rief er aufgeregt. Da fand der Dachs seine Kräfte wieder und begann das Loch zu erweitern. Der Maulwurf jedoch, der zu lange in die Sonne gestarrt hatte, kann seit diesem Tage kaum mehr sehen. Daher blieb er zurück unter der Erde, wo es dunkel war und wo er sich auskannte. Die übrigen Tiere aber begaben sich nach oben, dorthin, wo die Sonne ihr Licht verbreitete, und auch die Menschen machten sich auf den Weg an die Oberwelt.
Als alle aus der unteren Welt verschwunden waren, sprach die Maismutter zu denen, die sich auf der Erde versammelt hatten: „Ihr Menschen sollt mir folgen, wohin die Sonne wandert. Alles Getier aber soll dorthin ziehen, woher die Sonne gekommen ist. Wenn Menschen und Tiere sich fortan treffen, sollen sie sich nicht mehr erkennen, keine gemeinsame Sprache mehr haben, und Menschen sollen Menschen, Tiere aber Tiere bleiben, bis Nesaru, der im Himmel wohnt, alle zu sich ruft.“ Und so geschah es denn auch, doch damals gab es eine Anzahl Wesen, die erst später zu Tieren geworden sind.
Lange folgten die Menschen der Maismutter über die Erde, und viele Hindernisse mussten überwunden werden. Bei jedem Hindernis aber blieben einige Menschen zurück und wurden zu Tieren. Dachs, Wühlmaus und Spitzmaus waren schon am ersten Tage umgekehrt, entschlossen, doch lieber bei Maulwurf zu bleiben. Am Flusse blieb Königsfischer zurück mit seiner Familie, während die Eule sich im Walde verirrte. Taucher konnte sich nicht vom See trennen, den sie alle überquert hatten, und Specht hatte einen hohlen Baum gefunden, der ihm besonders zusagte. Coyote aber hatte sich schon zu Beginn auf die Seite geschlichen und selbständig gemacht. Schließlich kamen die Menschen im Gefolge der Maismutter an eine Stelle, von der die Maismutter sagte, dass hier das erste Dorf stehen sollte. Da machten sich die Menschen daran, Hütten zu bauen. Die Maismutter aber sprach: „Ich will euch von mir geben, damit ihr pflanzen könnt und zu essen habt. Denn fortan werdet auch ihr essen müssen, damit ihr zahlreich werdet wie die Maiskörner, die ihr einst gewesen seid.“ Als sie all ihre Schätze verteilt hatte, ging sie zurück zu Nesaru, der im Himmel wohnt.
Während die Maismutter fort war, begannen die Menschen zu streiten, daher sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, den Schwarzen Meteor auf die Erde. Dieser sollte Frieden stiften und den Menschen beibringen, wie sie zu leben hätten. Von ihm lernten die Menschen den Gebrauch von Werkzeugen aus Stein, die Wettspiele, die heiligen Gesänge und die Kriegsregeln, denn Schwarzer Meteor, der die heilige Pfeife brachte, war der erste Häuptling der Menschen. Seit dieser Zeit hat es bei den Menschen Häuptlinge gegeben. Doch Nesaru, der im Himmel wohnt, war noch immer nicht mit den Menschen zufrieden. Noch einmal schickte er die Maismutter auf die Erde, damit sie den Menschen ihre Weisheit bringen sollte. Von ihr lernten die Menschen das Geheimnis der heiligen Medizinbündel, die großen Feste und Tänze, und von ihr haben auch die Medizinmänner ihre Kunst, Kranke zu heilen und Zauber zu bannen.
Die Maismutter jedoch trug den Menschen auf, sie in den Fluss zu werfen und zu ihr zu beten, wenn sie ihre Hilfe brauchten. Noch heute muss man daher an den Fluss gehen, wenn man die Maismutter um Hilfe bitten will. Für die Menschen ist sie Nährerin und Mutter zugleich, Sinnbild der Erde, aus der sie stammen. Ihr. heiliges Zeichen ist die ungebeugte Zeder, immergrünes Symbol der ewigen Mutter. Daher stellen die Menschen zu den heiligen Festen eine Zeder vor den Eingang zur Ratshütte, damit die Mutter bei ihren Gebeten zugegen sei. Neben der Zeder aber liegt der Stein, Sinnbild des Schwarzen Meteors, der vom Himmel kam und die heilige Pfeife brachte. Wenn Zeder und Stein nicht mehr vor dem Ratszelt sein werden, dann ist die Zeit da, zu der die Maismutter wiederkehren wird, um ihre Kinder hinaufzuführen zu Nesaru, der im Himmel wohnt.
Quelle:
(Nordamerika – Arikara)