‚Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!‘
so bin ich da.“
Damit flog das Goldvögelein fort und der Mann und die Frau waren froh, daß sie nicht mehr in dem sauern Essigkrug wohnten, und freuten sich über ihr nettes Häuschen und grünes Gärtchen. Das dauerte aber nur eine Weile, denn wie sie nun ein paar Wochen in dem Häuschen gewohnt hatten, und in der Nachbarschaft herum gekommen waren, da hatten sie die großen stattlichen Bauernhöfe gesehen, mit großen Stallungen, Gärten, Äckern, vielem Gesinde und Vieh. Und da hat es ihnen schon wieder nicht mehr gefallen in ihrem winzigen Häuslein, und sind’s ganz überdrüssig geworden, und an einem schönen Morgen haben sie alle zwei fast zu gleicher Zeit in die Hände geklatscht und haben gerufen:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“
Witsch, da ist das goldige Vöglein zum Fenster herein geflogen gekommen, und hat sie gefragt, was sie denn schon wieder wollten?
„Ach“, haben sie gesagt: „das Häuslein ist doch gar zu klein, wenn wir nur auch so einen großen prächtigen Bauernhof hätten, hernach wollten wir zufrieden sein.“ Das goldige Vöglein blinzte ein wenig mit seinen Guckäugelein, sagte aber nichts, und führte den Mann und die Frau an einen großen prächtigen Bauernhof, wo viele Äcker daran waren, und Stallungen mit Vieh, und Knechten und Mägden, und hat ihnen alles geschenkt.
Der Mann und die Frau sprangen deckenhoch, und konnten sich vor Freuden gar nicht lassen. Und jetzt sind sie ein ganzes Jahr lang zufrieden und fröhlich gewesen und haben sich gar nichts Besseres denken können. Aber länger hat’s auch nicht gedauert, keinen Tag, denn weil sie jetzt manchmal in die Stadt gefahren sind, haben sie die schönen großen Häuser und die schöngeputzten Herren und Madamen sehen spazieren gehn, da haben sie gedacht: Ei, in der Stadt muß es aber herrlich sein, und da braucht man nicht viel zu tun und zu arbeiten; und die Frau hat sich gar nicht können satt sehen an dem Staat und dem Wohlleben und hat zu ihrem Mann gesagt: „Wir wollen auch in die Stadt, ruf du dem goldigen Vöglein! Wir sind nun schon lange genug auf dem Bauernhof.“ Der Mann hat aber gesagt: „Frau, ruf du ihm!“ Endlich hat die Frau dreimal in die Hände geklatscht und hat gerufen:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“
Da ist das goldige Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen, und hat gesagt: „Was wollet ihr nur von mir?“ „Ach“, hat die Frau gesagt: „wir sind das Bauernleben müde, wir möchten auch gern Stadtleute sein, und schöne Kleider haben, und in so einem großen prächtigen Haus wohnen, hernach wollen wir zufrieden sein.“ Das goldne Vöglein hat wieder mit seinen Guckäugelein geblinzt, hat aber nichts gesagt, und hat sie in das schönste Haus in der Stadt geführt, da war alles raritätisch aufgeputzt, und waren Schränke darin und Kommoden, da hingen und lagen Kleider drinnen nach der neuesten Mode. Jetzt haben der Mann und die Frau gemeint, es gibt auf der Welt nichts Besseres und Schöneres, und waren vor lauter Freude außer sich. Das hat aber leider wieder nicht lange gedauert, so hatten sie es wieder satt, und sprachen zueinander: „Wenn wir’s nur so hätten wie die Edelleute! Die wohnen in herrlichen Palästen und Schlössern, und haben Kutschen und Pferde, und Bedienten mit goldbordierten Röcken stehen auf den Kutschen. Ja das wär erst etwas Rechtes; so ist’s doch nur eine armselige Lumperei.“ Und die Frau hat gesagt: „Jetzt ist’s an dir, dem goldigen Vögelein zu rufen.“ Der Mann hat doch wieder lange nicht gewollt, endlich, wie die Frau gar nicht nachgelassen hat mit Dringen und Drängen, hat er dreimal in die Hände geklatscht und gerufen:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“
Das ist das goldene Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen und hat gefragt: „Was wollt ihr nur von mir?“ Da sagte der Mann: „Wir möchten gern Edelleute werden, hernach wollen wir zufrieden sein.“ Da hat aber das goldene Vöglein gar arg mit den Äuglein geblinzelt, und hat gesagt: „Ihr unzufriednen Leute! Werdet ihr denn nicht einmal genug haben? Ich will euch auch zu Edelleuten machen, es ist euch aber nichts nutz!“ und hat ihnen gleich ein schönes Schloß geschenkt, Kutschen und Pferde und eine zahlreiche Bedienung. Jetzt sind sie nun Edelleute gewesen, und sind alle Tage spazieren gefahren, und haben an nichts mehr gedacht, als wie sie die Tage herum bringen wollten in Freuden und mit Nichtstun, außer daß sie die Zeitungen gelesen haben.
Einmal sind sie in die Hauptstadt gefahren, ein großes Fest zu sehen. Da sind der König und die Königin in ihrer ganz vergoldeten Kutsche gesessen, in goldgestickten Kleidern, und vorn und hinten und auf beiden Seiten sind Marschälle, Hofleute, Edelknaben und Soldaten geritten, und alle Leute haben die Hüte und Taschentücher geschwenkt, wo der König und die Königin vorbeigefahren sind. Ach, wie hat da dem Manne und der Frau vor Ungeduld das Herz geklopft! Kaum waren sie wieder nach Hause, so sprachen sie: „Jetzt wollen wir noch König und Königin werden, hernach wollen wir aber einhalten.“ Und da haben sie wieder alle zwei miteinander in die Hände geklatscht, und haben gerufen, was sie nur rufen konnten:
„Goldvögelein im Sonnenstrahl!
Goldvögelein im Demantsaal!
Goldvögelein überall!“
Da ist das goldne Vöglein wieder zum Fenster herein geflogen, und hat gefragt: „Was wollt ihr nur von mir?“ Da haben sie beide geantwortet: „Wir möchten gern König und Königin sein.“ Da hat aber das Vöglein ganz schrecklich mit den Augen geblinzelt, hat alle Federchen gesträubt, hat mit den Flügeln geschlagen und hat gesagt: „Ihr wüsten Leute, wann werdet ihr denn einmal genug haben? Ich will euch auch noch zum König und zur Königin machen, aber dabei wird’s doch nicht bleiben sollen, denn ihr habt nimmermehr genug!“
Jetzt sind sie nun König und Königin gewesen, und haben übers ganze Land zu gebieten gehabt, haben sich einen großen Hofstaat gehalten und ihre Minister und Hofleute haben müssen auf die Kniee niederfallen, wenn sie eines von ihnen ansichtig wurden. Auch haben sie nach und nach alle Beamten im ganzen Lande vor sich kommen lassen, und ihnen vom Thron herab ihre strengsten Befehle erteilt. Und was es nur Teures und Prächtiges in aller Herren Ländern gab, das mußte herbeigeschafft werden, daß ein Glanz und ein Reichtum sie umgab, der unbeschreiblich ist. Und doch sind sie jetzt noch nicht zufrieden gewesen, und sagten immer: „Wir müssen noch etwas mehr werden!“ Da sprach die Frau: „Werden wir Kaiser und Kaiserin.“ „Nein!“ sagte der Mann. „Wir wollen Papst werden!“ „Hoho! Das ist alles nicht genug!“ schrie die Frau in ihrem Eifer. „Wir wollen lieber Herrgott sein!“
Kaum aber hatte sie dies Wort ausgeredet, so ist ein mächtiger Sturmwind gekommen, und ein großer schwarzer Vogel mit funkelnden Augen, die wie Feuerräder rollten, ist zum Fenster herein geflogen, und hat gerufen, daß alles erzitterte: „Daß ihr versauern müßt im Essigkrug!“
Pautz, und da war alle Herrlichkeit zum Kuckuck, und da saßen sie alle beide, der Mann und die Frau, wieder in ihrem engen Essigkrug drin; da sitzen sie noch und können drin bleiben bis an den jüngsten Tag.
Das ist eine Lehre für solche, die nie genug bekommen können.
Quelle:
(Ludwig Bechstein 1857)