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Meine tollste Weihnachtsüberraschung

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An einem Sonntagabend im Dezember schaute mein Vater die Lottoziehung im Fernsehen. Als er die Zahlen auf den Zeitungsrand unserer Tageszeitung aufschrieb, wurde er stutzig.
„Ich glaube, wir haben in unserer Tippgemeinschaft auf der Arbeitsstelle vier Richtige im Zahlenlotto.“ Fünf aus neunzig Zahlen hieß die Lottovariante in der ehemaligen DDR.
Meine Mama erwiderte: „Da wirst du Pech haben! Du bist bis morgen krankgeschrieben und warst die letzten vierzehn Tage nicht im Stellwerk. Wann hast du deinen Einsatz für den Monat Dezember bezahlt?“
Mein Vater versank in seinen Sessel und sagte kleinlaut: „Gar nicht, aber ich spiele doch jede Woche mit. Außerdem war ich krank.“
“Du hast aber das Geld für das Spiel nicht bezahlt, also hast du keinen Anspruch auf den Gewinn.“
Mein Vater wurde kreidebleich und dann wieder puterrot. Plötzlich sprang er auf und sagte voller Hoffnung: „Hermann wird das Geld schon für mich ausgelegt haben!“
„Hoffst du“, meinte meine liebe Mama. „Wenn es um Geld geht, ist sich jeder am nächsten und die Freundschaft hört auf.“

Am folgenden Tag hatte mein Vater Frühschicht. Da war immer viel zu tun. Es wurden die Kohlenzüge für die größeren Städte zusammengestellt, denn in unserer Gemeinde standen eine große Brikettfabrik und ein Kraftwerk. Die Kohle förderte man im Tagebau.
Als dann Papa Schichtende hatte und nach Hause kam, sah ihm meine Mutter schon von weitem an, dass er wirklich Pech gehabt hatte. Nix war mit dem Gewinn!
„Es wäre so schön gewesen, wenn wir auch mit gewonnen hätten. Zwanzigtausend Mark gab es bei vier Richtigen.“
Doch Mutti nahm ihn in die Arme und sagte: „Ist doch egal, dann kommt der Weihnachtsmann in diesem Jahr aus ‚Ermsleben’ und nicht aus ‚Reichbach’.“
Ich hörte alles mit an und war traurig. Mein Wunsch, eine elektrische Eisenbahn, hätten mir meine Eltern bestimmt erfüllt. Da draußen Schnee lag, zog ich mir dicke Sachen an, nahm meinen Schlitten und ging auf die Rodelbahn, um so auf andere Gedanken zu kommen.

Der Kalender zeigte den vierundzwanzigsten Dezember, und das Schöne an dem Tag war, dass mein Vater nicht ins Stellwerk musste.
Sein Kollege Hermann musste allerdings über Weihnachten arbeiten und darüber freute ich mich ein bisschen. Er hätte den Lottoeinsatz für meinen Papa ruhig auslegen können.
Nachmittag war Bescherung. Ich bekam eigentlich sehr viel, da meine Oma, auch die Tante und der Onkel jedem von uns ein Weihnachtspaket aus Duisburg geschickt hatte. Es kamen Süßigkeiten, Nüsse, Apfelsinen und noch manch andere Leckerreinen zum Vorschein, aber auch Kleidungstücke für die ganze Familie.
Ich sagte zu meinen Eltern: „Der Weihnachtsmann ist doch aus ‚Reichenbach’ gekommen.“
Die schönen Sachen ließen mich die elektrische Eisenbahn vergessen.
Nach dem Abendessen klingelte es an unserer Wohnungstür. Mein Klassenkammerad stand davor.
Er wohnte unter uns und sein Vater war der Vorsteher des Bahnhofes, in dessen Stellwerk mein Papa arbeitete. Dieser hatte auch mit den anderen Kollegen im Zahlenlotto gewonnen.
Klaus fragte mich: „Kommst du mit zu uns runter und schaust dir mein Weihnachtsgeschenk an?“
Meine Mutter nickte mir freundlich zu und ich ging mit hinunter.
Im Wohnzimmer unseres Nachbarn war eine wunderschöne, elektrische Eisenbahn aufgebaut. Ich bekam große Augen. Doch im gleichen Augenblick freute ich mich darüber. Klaus war mein Freund und wir würden des Öfteren damit spielen. Natürlich taten wir das noch am selben Abend.
Sein Vater sagte dann zu mir: „Nach dem Lottogewinn ist die Bahn etwas größer ausgefallen.“ Und schon waren wir wieder beim Thema.
Doch ich erwiderte: „Ich freue mich, dass Ihr Sohn solch eine schöne Modelleisenbahn bekommen hat. Die hat er sich so sehr gewünscht und er lässt mich sogar mitspielen.“
Wir spielten ungefähr noch eine Stunde, bis mein Vater klingelte und mich nach oben holte.
Dann gingen wir ins Wohnzimmer und ich weinte sogleich Freudentränen. Auf dem Fußboden war eine elektrische Eisenbahn aufgebaut und sie fuhr mit vollem Licht unter unseren Wohnzimmertisch entlang. Ich konnte es gar nicht richtig glauben. Was für eine Freude? Ich drückte meine Eltern und spielte mit ihnen, bis ich ins Bett gehen musste.
Auf dem Boden unserer Wohnung hatte mein Vater gleich am ersten Weihnachtsfeiertag das Gleisbett der Modellbahn auf eine große Sperrholzplatte montiert, die über zwei alten Tischen lag. Papa und ich verbrachten dort oben jede gemeinsame Minute.

In den nächsten fünf Jahren bekam ich zu Weihnachten immer etwas Neues für die elektrische Eisenbahn, sodass sich ein riesiges Modell entwickelte. Mein Vater dekorierte die Platte mit zwei Bahnhöfen, Stellwerken, Abstellgleisen und einem Berg, unter dem der Zug durch einen Tunnel fuhr. Er begrünte das Modell noch und es sah alles fast echt aus, nur eben kleiner. Es war für mich und meinem Vater das allerliebste Spielzeug vor allem bei schlechtem Wetter.
Meine Mutter erzählte mir später, dass sie die elektrische Eisenbahn bereits im Sommer gekauft hatte und mich nur zu Klaus geschickt hatte, damit sie und Papa die Bahn ohne mich aufbauen konnten.
Ich erinnere mich noch heut gern an die gemeinsamen Eisenbahnspielstunden mit meinem Vater.
Und der Lottogewinn war uns am Ende egal, denn Geld macht nicht immer glücklich.

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