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Merlin – Merlinchen

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Es waren einmal zwei arme Leute, die lebten davon daß sie im Walde Holz fällten, und sie waren Nachbarn, und jeder hatte einen Esel, und dieser Esel bediente sie bei ihrer Hantierung. Und einer von den zweien hatte Weib und Kinder, und sie kosteten ihn viel Geld, und er stand des Morgens in aller Frühe auf und legte sich spät in der Nacht nieder, und von dem, was er abends nach Hause brachte, hatte er am Morgen nichts mehr. Der andere, der keine Kinder hatte, eilte, kaum daß er den Esel mit einer mäßigen Last beladen hatte, heim; er aber blieb noch lange im Walde, traurig und bekümmert, und gar oft klagte er: „Ach Herr, was kann ich tun? Ich und mein Tier, wir sterben noch Hungers, und das Beil fällt mir schier vor Schwäche aus der Hand! Ach, und kein Geld, daß ich Brot für uns kaufen könnte! Wahrhaftig, es ist ein traurig Los, als Armer geboren zu sein!“ Und so klagte er oft und oft, bis ihn einmal eine Stimme aus dem Dickicht anrief, warum er so jammere, und der Holzhauer erzählte sein ganzes Unglück, und die Stimme antwortete: „Wenn ich die aus deiner Not hülfe, würdest du wohl die hl. Dreifaltigkeit verehren und die Armen in Treue lieben?“

„Ja“, sagte er, „das würde ich gewiß und wahrhaftig tun.“ – „Dann geh auf der Stelle nach Hause, und ganz hinten in deinem Garten hinter dem Holunderbaum wirst du einen großen Schatz finden.“ Dies gehört, neigte sich der Bauer in frommer Demut und fragte: „Herr, wer seid Ihr?“ – „Merlin, nennt man mich.“ – „Ach, gnädiger Herr Merlin, ich mache mich auf den Weg, und ich befehle Euch Gott, der aus Wasser Wein gemacht hat!“ – „Geh denn; es wird sich ja zeigen, wie du dein Leben einrichten und dem Herrn Jesu Christo dienen willst. Und heute über ein Jahr kommst du wieder hieher zu mir und legst mir Rechenschaft ab.“ – „Gern, gnädiger Herr! Und noch einmal großen Dank!“

Und er ging heim, ohne den Esel beladen zu haben, und als ihn seine Frau solcherweise daherkommen sah, lief sie ihm entgegen, um ihn zu schelten, aber er lachte übers ganze Gesicht, als sie begann: „Du schlechter Mensch, hast du etwa einen Beutel Geld gefunden? Was werden wir heute essen, wenn du so ledig daherkommst?“ Antwortete er: „Schilt mich nicht, Weib; als bald werden wir, so Gott es beliebt, Geld genug haben, und mit der Holzfällerei hat es ein Ende!“ Und er erzählte ihr alles, und sie gingen in den Garten und gruben mit Haue und Spaten unter dem Holunderbaum, und schließlich fanden sie den Schatz, und da gab es eine große Freude. Und nun waren sie reich und lebten nach ihrem Behagen; aber Gott und die Armen liebten sie trotzdem nicht mehr als vordem. Und jetzt, wo der Mann reich war, jedermann gut Freund mit ihm, und alle nannten ihn Vetter.

Und als ein Jahr vergangen war, ging der Bauer wieder in den Wald und zu jenem Dickicht, und er rief: „Ach, gnädiger Herr Merlin, Ihr meine einzige Hoffnung, kommt und sprecht mit mir; ich liebe und ehre Euch von Herzen!“ – „Was willst du? wie geht es dir?“ – „Gut, gnädiger Herr Merlin! Ihr habt mir ein großes Gut gegeben, und Weib und Kinder sind trefflich genährt und gekleidet, und alltäglich wächst meine Habe.“ – So ist’s recht, lieber Freund; aber sag mir, hast du einen Wunsch?“ – „Ach, gnädiger Herr Merlin, ich wäre gern Schulze meines Dorfes.“ – „In sechs Wochen sollst du es sein; sei gut und fromm!“ – „Tausend Dank, gnädiger Herr!“ Und in sechs Wochen ward der Bauer zu dem Schulzen seines Dorfes bestellt; aber gegen die Armen, die seine Vettern waren, hatte er nur Verachtung und Härte und beschimpfte sie gar oft, und die Reichen, die ehrte er, als wären sie seine Vettern gewesen.

Und wieder nach einem Jahr ging er in den Wald und rief: „Herr Merlin, kommt und sprecht mit mir, denn ich liebe Euch von Herzen.“ – „Was willst du?“ – „Ich möchte Euch bitten, daß mein Sohn, der Geistliche, den ich gar sehr liebe, Bischof werde; der Bischof ist vorgestern begraben worden, und damit hättest du mich für immer jeder Sorge entledigt.“ – „Geh nur, in sechs Wochen wird er es sein.“ Und der Wicht ging heim in großer Freude, aber seinem schlechten Wesen entsagte er nicht, und er ließ nicht ab von seiner Roheit gegen die Armen; und sein Sohn ward Bischof, und nun meinte er, jeder Mühsal und jeden Kummer für immer enthoben zu sein.

Und übers Jahr ging er in den Wald und er rief: „Merlin, wo bist du? Sprich mit mir!“ Und die Stimme sagte alsbald kurz: „Was wünschst du, Mann?“ – Ich bitte dich, mache, daß meine Tochter den Sohn des Statthalters zum Gatten erhält; sie ist schön und anmutig und klug und zu allen Leuten höflich, und es ist kein Makel an ihr.“ – „In sechs Wochen soll die Hochzeit sein; Gott gebe dir frohen Mut!“ Und es geschah, wie die Stimme gesagt hatte, und der Bauer gewann die ganze Verwandtschaft. Aber obwohl er so hoch gestiegen war, hatte er für Gott keinen Dank noch Vergeltung, sondern prangte nur in Ruhm und Ehren, und schließlich sagte er zu seinem Weibe: „Nun gehe ich nicht mehr in den Wald; ich bin reich genug an Geld und Gut, an Freunden und Sippen.“ Sie aber riet ihm, doch noch einmal hinzugehen und recht höflich Abschied von Merlin zu nehmen.

Und als das Jahr um war, stieg er zu Pferde und nahm zwei Knechte mit und ritt in den Wald und rief: Merlinchen!“ Und die Stimme kam von einem Baume herab, und er fragte: „Warum bist du da oben?“ – „Weil mich sonst dein Pferd getreten hätte.“ Und der Wicht sagte: „Merlinchen, ich nehme Abschied: nun schere ich mich nicht mehr um dich; habe ich doch Geld über alle Maßen!“ Antwortet die Stimme: „Ein Wicht bist du gewesen, ein Wicht sollst du wieder sein. Im ersten Jahre, da hast du dich vor mir verneigt und mich ehrfürchtig deinen gnädigen Herrn genannt, im zweiten warst du schon so stolz, daß du zu mir nur noch Herr sagtest, und dann hast du mich mit Merlin angesprochen und jetzt nennst du mich gar Merlinchen! Und ich sage dir kurz; in dir war nie Tugend und Sitte, du warst ungetreu gegen Gott und die Armen, du warst ein Wicht voller Grausamkeit. Und nun werde ich dich wieder arm machen zum gerechten Lohne.“

Und der Wicht kehrte heim und verlachte nur die Drohung, an die er nicht glaubte, Aber in wenigen Tagen starben sein Sohn und seine Tochter, und darob grämte er sich sehr, ohne jedoch, weil auf seinen Reichtum baute, von seinem Stolze zu lassen. Und sein Landsherr begann einen Krieg mit einem andern und hatte große Verluste am beweglichen Gut, und als der Krieg aus war, brauchte er, da Kisten und Kasten leer waren, Geld, und da sagte man ihm, sein Dorfschulze habe dessen genug, aber seine Art sei es nicht, milde und gut zu sein.
Und der Herr entbot ihn zu sich und forderte tausend Pfund, und der Schulze antwortete, er habe nichts und der Herr soll das Geld anderswo verlangen. Darob erbost, nahm ihm der Herr alles, was er hatte, Geld, fahrende und liegende Habe. Nun, da er alles verloren hatte, die Kinder sowohl als auch sein Gut, nun sagte er sich, daß Merlin die Wahrheit gesprochen hatte, und er bejammerte sein Schicksal, daß ihm nicht einmal den Esel gelassen hatte, dessen er zu seinem alten Handwerk bedurfte. Und er arbeitete und sparte, bis er sich einen Esel kaufen konnte, und mit dem begann er alltäglich, wie einst, in den Wald zu geben. Und in dieser Armut verblieb er, bis er elendiglich starb.

 
Märchen aus Schottland

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