Miklôs war weder ein Czikós, ein Pferdehirt, noch ein Gulyás oder Rinderhirt, sondern ein Juhas einer der Schafhirten in der weiten Puszta.
Jeden Morgen trieb der fröhliche Bursche die ihm anvertraute Herde Rackas, die Zackelschafe mit ihren riesigen Hörnern, entlang eines Sumpfes hinein in die Grassteppe, die von vielen Wacholderbüschen durchsetzt war.
Gegen Mittag erreichte der Hirte mit seinen Tieren die weit und breit einzige, inmitten des Weidegebietes aufragende, Pappel, in deren kargen Schatten er sich gerne niederließ.
Sie stand wohl schon an die hundert Jahre an diesem Platze, und antwortete seiner Begrüßung stets flüsternd und zitternd, was an dem leisen Windhauch lag, der bisweilen durch die Wacholderpuszta zog.
Selbst wenn sich acht Männer an den Händen gehalten hätten, so hätten sie die Pappel dennoch nicht umfassen können, so wuchtig war ihr Stamm.
Der Wipfel des Baumes reichte fast bis in den Himmel, aber, wie ich ja schon sagte, nur fast.
Jedenfalls kitzelte ihr Wipfel bisweilen die Wolken des Regens derart, dass diese zu lachen anfingen, und ihre Kullertränen über die Puszta sandten.
An trockenen Tagen streckte sich der Jüngling gerne im Schatten seines Lieblingsbaumes aus, und erinnerte sich an eine Legende, die er vor Jahren gehört hatte.
„Die Blätter der Pappel“, so hatte ihm einstens sein Onkel erzählt, „zittern vor Schreck!“ „Aber wovor sollten sie sich denn fürchten?“ hatte Miklôs seinen Oheim gefragt, als ihm dieser zum ersten Male die Legende erzählt hatte.
„Sie zittern deshalb vor Schrecken Bub“, hatte ihm dieser geantwortet, „weil ihr Holz das des Leidenskreuzes des Herrn Jesus war, und sie sich noch immer an diesen schrecklichen Tag erinnern.“
Na ja, das war wieder mal eine schöne Legende gewesen, denn inzwischen glaubte der Jüngling zu wissen, dass das „Zittern“ der Blätter, bei Luftbewegungen, nur durch den Bau des Blattstiels zustande kam, der nicht in der Ebene der Blattspreite, sondern senkrecht dazu stand, und der Stiel dazu auch noch abgeflacht war.
Nur das alleine war schuld an dem Zittern und sonst auch gar nichts!
Jedenfalls versank der Bursche bald in sein wohlverdientes Mittagsschläfchen, welches die ihm anvertrauten Zackelschafe auch gerne mit ihm teilten.
Eines Sommertages träumte ihm, dass der Baum eine wunderschöne Jungfrau sei, mit deren goldenem Haar der lustige Pusztawind spielte, jedoch als er erwachte, waren es nur die Blätter der Pappel, die im Hauche zitterten.
An einem der nächsten Tage erschien ihm die Pappeljungfrau erneut und von nun an, erzählte sie ihm täglich uralte Märchen, die er entweder noch niemals vernommen, oder schon längst wieder vergessen hatte.
So ging der Sommer dahin und an eines der letzten Traummärchen erinnerte sich der Jüngling genau.„Einstmals“, säuselte die goldhaarige Jungfrau, „war der Himmel von den Menschen noch nicht so unendlich weit entfernt wie heute.
Damals konnte man noch die Wolken streicheln und sogar die Sterne berühren, weil sie so nahe waren. Jedoch eines Tages hing eine Zigeunerin die schmutzige Windel ihres Söhnchens an einen Stern, anstatt diese zu waschen.
Da schämte sich das Firmament derart, ob dieser Sauerei, dass es auf ewige Zeiten in die unendliche Höhe hinaufsprang und sich dadurch von den Menschen entfernte.“
Als Miklôs am Abend in seine Lieblingscsárda einkehrte und dort den fröhlichen Zechern, wie schon oft zuvor, dieses Märchen erzählte, da luden ihn die lustigen Kumpanen gleich zu einigen Gläschen Barack- pálinka ein, so gut hatte ihnen dieses gefallen.
Eines Tages jedoch war es mit seinem Märchenglück zu Ende, denn die Jungfrau mit den goldenen Haaren säuselte, oder waren es die Blätter der Pappel im Winde?
„Heute erzähle ich dir meine letztes Geschichte. Jedoch zum Dank dafür, dass ich dir so viele Märchen erzählt habe, könntest du mir nun helfen, wieder meine menschliche Gestalt zurückzuerlangen.“
Noch ehe der Jüngling von der Pappeljungfrau Näheres erfragen konnte, war er erwacht.
Ob Miklôs der Schafhirte die Pappeljungfrau jemals erlösen konnte, das kann ich euch leider nicht sagen.
Aber besucht ihn doch selbst einmal in der Wacholderpuszta! Fragt ihn nach NYAR der Pappel, und er wird euch dann sicherlich die Geschichte fertig erzählen.
Quelle: Märchenonkel