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Märchenbasar

Müllers Töchterlein

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Des Müllers Töchterlein war ein keckes Mädchen und hätte es wohl auch mit Männern aufgenommen. Einmal mußte es, während die andern Bewohner in der entlegenen Kirche waren, im einsamen Häuschen zurückbleiben, um es zu hüten. Das Mädchen sperrte sich brav ein, und weil ihm das Alleinsein so langweilig vorkam, wartete es mit Sehnsucht auf die Ankunft der übrigen, die doch nicht lange mehr ausbleiben konnten. Wie sie so durchs Fenster sah und auf die Kirchgänger harrte, sah es von weitem drei wilde Männer daherkommen, die gar verdächtig aussahen. Die Männer gingen gerade auf das Müllerhaus zu, als ob es sich so gehörte, besichtigten alles und jedes und klopften endlich an die Haustüre.
Der Maria, so hieß das Mädchen, gefiel der ganze Handel nicht und es hätte sie beinahe gegruselt, doch bald hatte sie sich gefaßt, hielt sich mausstille und öffnete nicht. Da fiel ihr ein, daß auch aus dem Keller eine Hintertüre auf die Straße führe und daß in derselben ein großes Lugloch sei. Gleich vermutete sie, die drei wilden Männer könnten dort hereinkommen, holte sich ein Beil und ging in den Keller hinunter. Sie war noch nicht lange auf der Lauer, als einer von den dreien den Schieber beiseite schob und durch die Öffnung hereinzukriechen versuchte. Maria, die stramm hinter der Türe sich verbarg, war nicht faul und hieb mit einem Streiche dem Einbrechenden den Kopf ab, daß er weit von dannen kugelte, packte dann gleich den Rumpf und zog ihn zu sich herein.
Wie der erste so durch die Luke verschwunden war, glaubten die beiden andern, es sei dem ersten gelungen, in den Keller zu steigen, und der zweite machte sich an die Reihe. Er steckte seinen Kopf durchs Loch hinein und die kecke Maria stund hinter der Türe bereit und machte es ihm wie dem ersten.
Der dritte wollte auch hinein, allein Maria war dieses Mal zu voreilig; denn kaum hatte sein Kopf zum Loche hineingeguckt, als sie mit dem Beile losschlug und ihm nur eine kleine Wunde beibrachte. Er zog rasch den Kopf zurück und wußte nun, wie es seinen zwei Kameraden ergangen sei. Ohne zu säumen, eilte er mit blutigem Kopfe zu seinen Kameraden, den Räubern, in den Wald zurück und ließ sich dort die Wunde heilen.
Maria war nach diesem Besuche nicht mehr lange allein; denn bald war der Gottesdienst geendet und die Kirchgänger kamen nach Hause. Mit pochendem Herzen und doch mit Freude eilte sie ihnen entgegen und erzählte ihren Leuten das, was sich zugetragen hatte. Alle verwunderten sich über die Geistesgegenwart des Mädchens und konnten seine Tat nicht genug loben. Die zwei erschlagenen Räuber wurden dann dem Gerichte ausgeliefert und unter dem Galgen begraben.
Die Felder waren seit dieser Begebenheit zweimal fahl und wieder grün geworden, als eines Morgens ein schmucker Müllergeselle in die Mühle kam und sich dort um einen Dienst erkundigte. Dem Meister gefiel der schöne Bursche und er nahm ihn als Gesellen an. Der neue Müller arbeitete sehr fleißig und hatte sich bald das Zutrauen und die Liebe aller Bewohner der Mühle erworben. Man hatte vor ihm kein Hehl und alle Geheimnisse und Geschichten der Mühle, somit auch die Tat der Tochter, wurden ihm, wenn nicht heute, doch morgen mitgeteilt. Maria selbst erzählte ihm von jenem Besuche öfters mit der größten Freude und nur, wenn sie vom dritten zu sprechen kam, unterdrückte sie eine gewisse Furcht und Angst nie ganz. »Den, der mir so durchkam, fürchte ich noch immer«, gestand sie öfters. Der Geselle lächelte dann und schob dann auch zuweilen das rote Häubchen, das nie von seinem Kopfe kam, etwas in die Runde. Oft erzählte er auch, was er für ein reicher Müllerssohn sei und wie viele Gründe sein Vater besitze. Maria glaubte alles und gewann nach und nach den Gesellen so lieb, daß er ihr über alles ging, und er behauptete auch, daß er die Maria recht lieb habe.
Es dauerte nicht lange mehr und er hielt beim Müller um die Hand der Tochter an, die ihm der alte Meister nicht versagte. Einige Tage vor der Trauung wollte er seine Braut auf den Beschau führen und ihre Eltern hatten nichts dagegen einzuwenden. Der Geselle führte die liebe Maria nun eines Tages weiter und sie war voll Freude, daß sie ihre künftige Heimat bald sehen sollte.
Der Weg führte sie durch einen Wald. Wilde Rosenhecken, riesige Farnblätter und altersgraue Tannen standen nur in dieser Wildnis, sonst sah man nichts und keines Menschen Tritt oder Stimme schlug an das Ohr der Wanderer. Wie sie so einsam, allen Menschen ferne, durchs Dickicht wanderten, stund der Geselle plötzlich stille, maß das Mädchen mit wildem Blicke, zog das rote Häubchen ab und fragte: »Kennst du dieses Zeichen?« Dabei deutete er auf die Schramme, die ganz jener glich, die sie dem wilden Räuber beigebracht hatte.
»Jesus Maria!« entfuhr der Kehle der armen bleichen Dirne, die vor Schrecken fast zusammensank.
»Zwei meiner Kameraden hast du getötet und gegen mich hattest du schon das Beil erhoben, dafür soll dir der Tod nicht ausbleiben,« fuhr ihr Begleiter weiter.
Maria flehte und weinte, allein es half alles nicht und er schleppte und zerrte sie weiter, wie ein Tier, das man zur Schlachtbank führt.
Sie waren nicht mehr lange gegangen, als der Räuber bei einem Hause haltmachte. Wie sie nun dort stunden, stürzten viele, viele wilde Kerle aus der Türe, bewillkommneten ihn und fragten, ob die es sei. Er nickte ja und alle frohlockten und führten das Paar in die Stube, in der ein großer, großer Ofen stand. Der Häuserin wurde nun befohlen, recht stark einzuheizen, denn man wollte einen guten Braten bereiten.
Die Wirtschafterin feuerte nun ein und dann brachte sie den polternden Räubern Wein und Gesottenes und Gebratenes, an dem sich die bärtigen Waldmenschen gütlich taten. Maria hängten sie aber beim heißen Ofen an und lachten, wenn sie sich vor Hitze wie ein Wurm krümmte und bog. Schon glaubte sie vor Hitze vergehen zu müssen, als ein Bote mit der Nachricht kam, daß im Walde Kaufleute sich verirrt hätten. – Wie auf einen Zauberschlag stunden nun alle auf, stürzten die Gläser aus und eilten aus der Stube.
Die alte Häuserin und die geängstigte Maria waren nun allein zu Hause. Da bat des Müllers Töchterlein die Alte, sie solle ihr doch zur Flucht behilflich sein, sie würde ihr dafür ewig dankbar sein, und Tränen so hell und klar wie der Morgentau kugelten über die roten feinen Wangen des Mädchens so zahlreich, daß eine die andere schlug.
Die Alte erbarmte sich endlich des jungen Blutes, band Marien los und eilte mit ihr fort; denn wäre sie allein zurückgeblieben, so wäre es um sie geschehen gewesen.
Häuserin und Müllers Töchterlein gingen stille durch den Wald, um dem Tode zu entrinnen und das Freie zu suchen. Sie hatten aber kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie die Räuber von ferne daherkommen und lärmen hörten. Was war nun zu tun, wenn nicht beide dem Tode in den Rachen laufen wollten? Maria war gleich entschlossen, sie sah in der Nähe einen großen, hohen Baum und den kletterte sie so behend und leicht wie ein Eichhorn hinan. Die Räuberwirtschafterin war auch nicht faul und folgte ihrer Vorgängerin und so schwebten beide auf den schwanken Ästen droben, die sich unter ihnen auf und nieder bogen. Indessen waren die zweiundzwanzig Räuber bis zum Baume gekommen, ließen sich am Fuße desselben nieder und hielten Rast. Zur Kurzweile verabredeten sie, wie sie des Müllers Tochter im Ofen braten werden.
Die beiden Gäste auf dem Baume droben hörten jede Silbe und gerieten in eine so große Furcht, daß der Angstschweiß vom Baume niedertropfte. –
Als die Räuber dies Tropfenfallen merkten, fürchteten sie einen nahenden Regen, griffen hastig nach ihren Waffen und eilten spornstreichs nach Hause. –
Kaum hatten die beiden Flüchtigen das gesehen, als sie eiligst herunterstiegen und, ohne jemals umzusehen, durch den Wald eilten, bis sie die Lichtung erreicht hatten. Auch dort rasteten sie noch nicht, sondern eilten dem nächstgelegenen Dorfe zu, in dem Bekannte der Maria wohnten. Zu diesen nahmen sie ihre Zuflucht und erzählten ihnen alles. Die Sache wurde nun im Dorfe gleich laut, die Bewohner desselben scharten sich zusammen und eilten bewaffnet dem Waldhause zu. Sie fanden die Räuber alle beisammen und töteten sie bis auf den letzten.
Maria kam aber mit ihrer Begleiterin noch am nämlichen Tage zu ihren Eltern zurück und die alte Häuserin lebte bei ihnen, bis sie starb.

(Meran)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]

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