In einem dicht bevölkerten Dorf am Huronsee lebte einst eine berühmte Indianerschönheit, die sich der Anbetung aller jungen Krieger und Jäger brüstete, aber auch jedem, der sich ihr mit redlichen Absichten genaht, unbarmherzig die Tür gewiesen hatte. Am stärksten hatte sich ein schmucker Jüngling namens Mämondädschinin in sie verliebt; doch als er sie einst mit einem Vertrauten besuchte und ihr seine glühende Liebe zu ihr in den heitersten Farben malte, hielt sie ihm einfach als Antwort ihre geballte Hand ins Gesicht und öffnete sie plötzlich – die beleidigendste und schimpflichste Art, wie man auf indianische Weise einem einen Korb gibt.
Diese Schmach, die ihm in Gegenwart seines liebsten Freundes angetan wurde, warf den armen Jüngling kurz danach aufs Krankenbett. Wochenlang lag er stumm in seinem Wigwam und nahm nur äußerst wenig Speise zu sich. Kein Mittel auf der Welt konnte ihn bewegen aufzustehen, und auch selbst als der Frühling und damit die Zeit des Wegziehens kam – denn sein Stamm befand sich auf den jährlichen Winterjagdzügen –, blieb er regungslos liegen und kümmerte sich nicht um die Bitten seiner Freunde.
Als sich der ganze Stamm auf den Marsch zu seinen Sommerwohnungen begeben hatte, trat Mämondädschinins Schutzgeist vor sein Krankenlager und versprach ihm, die hartherzige Jungfrau gründlich zu bestrafen; denn Mämondägokwä – so hieß sie nämlich – war ihm schon seit langer Zeit ein Ärgernis gewesen.
Er hatte sich dazu einen eigenen Plan geschmiedet, der, wenn er gelang, sie sicherlich dem allgemeinen Gelächter und der Verachtung preisgab. In diesen weihte er nun seinen Schutzbefohlenen ein und versicherte ihn auch seiner stetigen ferneren Hilfe.
Danach erhob sich Mämondädschinin von seinem Pelzlager, ging zurück in die leeren, öden Wohnungen, suchte alle zurückgelassenen und verlorenen Lappen zusammen, machte dann, so gut es ging, Beinkleider und Röcke daraus und verzierte sie reichlich mit gefundenen Perlen und sonstigen Schmucksachen. Dann sammelte er noch eine Menge abgeschabter Knochen und Fetzen getrockneten Fleisches, klebte sie mit Schnee zusammen und füllte damit die Kleider aus, wodurch er eine Figur schuf, die wahrhaftig einem schön gewachsenen Jüngling nicht unähnlich sah. Sein Manitu hauchte darauf Leben hinein und gab ihm den Namen Muwis, d.h. Dreck- und Lumpenmann.
Dann gingen beide, Mämondädschinin und Muwis, ins Sommerlager ihres Stammes, wo letzterer wegen seiner blühenden Farbe und seines glänzenden Anzugs die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Chief lud ihn in sein Haus ein und setzte ihm das delikateste Fleisch vor; auch die schnöde Mämondägokwä, die sich im ersten Augenblick sterblich in ihn verliebte, hatte das Glück, ihn am ersten Abend als Gast im Zelt ihrer Mutter zu sehen.
Mämondädschinin war auch mitgegangen; er hatte seine Liebe zu ihr noch nicht vergessen und seine Hoffnung auf irgendeinen günstigen Zufall gesetzt. Aber Muwis war der Anfang und das Ende ihrer liebenswürdigsten Aufmerksamkeit; freundlichst wies sie ihm den Ehrenplatz dicht neben dem Feuer an, den er jedoch höflich einem ihrer Brüder überließ, da er dort sicherlich aufgetaut und auseinandergefallen wäre. Mämondädschinin, der längst gemerkt hatte, daß er hier höchst überflüssig war, entfernte sich unbeachtet, sah aber noch beim Hinausgehen, daß beide miteinander einig waren und sich bereits vollständig wie Braut und Bräutigam benahmen.
Noch am selben Abend verheiratete sich das verliebte Pärchen.
Am anderen Morgen stand Muwis früh auf, nahm Pfeil und Bogen und sagte seiner jungen Frau, daß er einen weiten Weg zu gehen habe, der über viele Berge und Ströme führe.
»Laß mich mit dir gehen!« sagte sie.
»Aber es ist zu weit für dich!«
»Deine Gesellschaft verkürzt mir den Weg und hilft mir, allen Gefahren freudig zu begegnen.«
»Mag sie in ihr Verderben gehen«, sagte Muwis zu sich; »es geschieht ihr ganz recht, warum hat sie auch der Stimme der Klugheit taube Ohren entgegengehalten!«
Darauf ging er fort, und sein Weib folgte ihm in einiger Entfernung, wie es einer braven indianischen Ehefrau geziemt. Der Weg war rauh und so voll Strauchwerk, daß sie unmöglich seinen Flügelschritten folgen konnte.
Als die Sonne aufging, war ihr Muwis schon vollständig aus den Augen, und das war gut, denn die Strahlen der Sonne brannten so heiß auf ihn herab, daß die Schneenähte allmählich auftauten und ein Stück nach dem anderen von ihm abfiel. Sowie ein Stück abfiel, nahm es seine ursprüngliche schmutzige Farbe wieder an, und dann wurde es vom Sturm fortgetrieben, so daß Mämondägokwä seine Spur allmählich gänzlich verlor. Doch immer eilte sie vorwärts und gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe; als sie aber zuletzt einsah, daß sie ihm am Abend nicht näher als am Morgen war, legte sie sich weinend nieder und starb vor Kummer und Gram.
Als man später im Dorf diese traurige Geschichte erfuhr, dichtete ein Medizinmann ein Lied darauf und gab es den jungen Mädchen zum Singen. Es hieß:
Muwis, Muwis, sag, wo bist du?
Sag, wo bist du, liebster Schatz?
Muwis, Muwis, komm und fliege
Zu mir an mein treues Herz!
Muwis, Muwis, in der Irre
Muß ich einsam nun verschmachten!
Muwis, Muwis, sieh, wie oben
Mich die Raben wild umkreisen!
Muwis, Muwis, sieh, ich falle,
Und die gier’gen Raben kommen,
Sich an meinem Leib zu nähren!
Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas