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Es war einmal ein Vater und der hatte drei Söhne. Der Vater war aber arm und da klopfte die Not manchmal an die Türe des Hüttchens und der Hunger war oft ihr Schlafgeselle. – Einstens ging es dem Vater und den drei Knaben gar hart und da sagte der Älteste: »Ich will mich aufmachen und in die weite Welt ziehen, um etwas zu verdienen; wer weiß, wo mir mein Glücksstern aufgeht.« Der alte Vater war damit zufrieden und der älteste Sohn machte sich auf den Weg und wanderte gar weit fort, und wohin er immer kam, frug er sich um einen Dienst um, konnte aber lange, lange Zeit keinen finden. Endlich traf er einen steinreichen Herrn an, der Geld wie Laub hatte, und dieser stellte den bittenden Jungen als Gänsehirten an.
»Aber eines mußt du mir versprechen,« sagte der alte, reiche Herr. – Der läppische Junge sagte hastig »ja«, ehe er noch von dem, was er versprechen sollte, etwas wußte.
»Wenn du draußen in der Au die Gänse hütest und aus dem nahen Waldschlößchen Gesang hörst, so laß es dir beileibe nicht einfallen lauschen zu gehen,« fuhr der Herr fort. »Wenn du nur einmal horchtest, müßte ich dich aus dem Dienste jagen.«
Bei allen Heiligen im Himmel versprach der Gänsehirte nun, in alle Ewigkeit nie zu lauschen. Es hüpfte ihm vor Freude nun das Herz, als er sein Brot gefunden hatte, und froh und munter trieb er die schwarzen und weißen Gänse auf die Weide in die Nähe des Waldes hinaus.
Der neue Hirte hatte an den vielen Gänsen seine Freude und dachte, er wolle sich schon gut aufführen, damit er immer hier bleiben könne. Als der Mittag nahte und es immer heißer und heißer zu werden begann, ging er zum Walde hin und legte sich unter der ersten Tanne ins Gras. Er hatte noch nicht lange im kühlen Schatten geruht, als die Äste des Baumes gar wundersam zu säuseln anfingen, und aus der Tiefe des Waldes klangen so süße Zaubertöne, daß dem Knaben gar seltsam um das Herz wurde. Es kam ihm vor, als ob er die himmlische Musik hörte, und er lauschte und lauschte, so daß ihm am Ende die Sinne vergingen und er nimmer wußte, wo er weilte. So lag er im Klee da, bis es Abend wurde. Als es schon anfing zu dunkeln und es Ave-Maria läutete, wachte er erst auf. Allein o Schrecken und Jammer! – Da wackelten auf der Wiese wohl einige Gänse herum, allein die meisten waren verschwunden. Der Hirte lief nun nach allen Seiten, um die fehlenden Tiere zu suchen und sie zusammenzutreiben. Allein umsonst. Er mochte laufen und springen, beten und fluchen – es half alles nichts und die Gänse kamen nicht wieder zum Vorschein. – Dem Knaben war nimmer wohl, er weinte sich die Augen rot, und als er kein Mittel sah, beschloß er endlich, die noch vorhandenen Gänse nach dem Schlosse zu treiben. Da ward es ihm immer trauriger zumute, je näher er zum Schlosse kam. Kaum war er dort angekommen und hatte die Gänse eingetan, so ließ ihn der alte Herr rufen. Zitternd stieg der arme Junge die Stiege empor und trat noch zitternder in den prachtvollen Saal, wo der Gebieter seiner wartete. – Kaum war er eingetreten, so fuhr ihn der Herr mit barscher Stimme an: »Ich hatte Mitleid mit dir, aber du hast es mir mit Undank und Untreue gelohnt. Wir sind geschieden, du mußt heute noch aus dem Schlosse!« – Der Knabe fing an zu bitten und zu flehen, daß es hätte einen Stein erweichen mögen; allein der Herr fühlte kein Erbarmen, nur eine goldene Stecknadel nahm er aus einem Kästchen hervor und gab sie dem weinenden Jungen zur Erinnerung. – Der arme Knabe steckte die goldene Stecknadel an seine Juppe und sagte mit schwerem Herzen dem Schlosse Lebewohl. Er wollte nun wieder nach Hause, um seinem Vater die goldene Stecknadel zu zeigen, und wanderte durch Feld und Tal. Einmal kam er zu einem Wege, der steil den Berg hinan stieg und zu einem einsamen Gehöfte führte. »Ah, da oben kann ich einen Schluck Milch bekommen,« dachte sich der durstige Wanderer und stieg bergan. Wie er ein Stück gegangen war, kam er zu einem Bauern, der ein Heufuder hinaufführen wollte, und dieses rückte nicht von der Stelle. Der Bauer schalt und fluchte und schlug die armen Öchslein, allein diese brachten den Wagen nicht weiter. »Ha, hilf mir ein wenig schieben!« bat der Bauer. – Unser Junge war nicht ungefällig, schob aus Leibeskräften und das Fuder ging weiter. Als man beim Hofe angekommen war, bekam er Milch, soviel er wollte, und trank in voller Lust. Wie er aber wegging, da merkte er, daß er seine Goldnadel verloren hatte, und war gar traurig und niedergeschlagen. So ging er seine Wege fort und wanderte und wanderte, bis er nach Hause kam. Als er daheim war und in der Stube saß, da sahen seine Leute, daß er so traurig war, und niemand konnte sich seine Niedergeschlagenheit erklären. Endlich fragte ihn der Vater: »Was fehlt dir, daß du so sauer darein siehst wie ein Apfel um Jakobi?« – Da erzählte er nun, daß er eine gar so schöne goldene Nadel gehabt habe, und da sei er zu einem Heufuder gekommen, das sei aber stecken geblieben. Da habe er mit der Stecknadel schieben geholfen und habe dieselbe im Heu verloren.
Wie sein jüngerer Bruder das gehört hatte, wurde dieser böse und sagte: »Hättest du dir die Nadel doch auf den Hut gesteckt! – Jetzt geh‘ ich hin zu deinem Herrn, und was er mir zum Lohne gibt, mach‘ ich mir auf den Hut, damit ich es ganz sicher und gewiß heimbringe.«
Am andern Tage frühmorgens machte er sich auf und wanderte lustig fort, bis er zum steinreichen Herrn kam. Er hielt bei ihm um einen Dienst an und der Herr stellte ihn wie seinen Bruder als Gänsehirt an. »Aber eines mußt du mir versprechen,« sprach der reiche Mann. »Wenn du draußen auf der Au die Gänse hütest und du aus dem nahen Waldschlosse Gesang hörest, so lasse es dir beileibe nicht einfallen lauschen zu gehen, denn sonst muß ich dich aus dem Dienste jagen.«
Der Bursche versprach es hoch und teuer und trieb nun die Gänse auf die Au hinaus, die an den Wald grenzte. Er hatte seine Freude daran, wenn die fetten Gänse so vor ihm herwackelten, und deuchte sich reich wie ein König. So hatte er es schon einige Tage getrieben und ihm war nichts Ungewöhnliches begegnet. Wie er aber wieder einmal draußen unter dem Tannenbaum lag und so in den blauen Himmel hinaufschaute, da hörte er plötzlich eine gar schöne Musik. Anfangs schien sie gar ferne zu sein, allein immer kam sie näher und näher und war schöner und voller. Der Knabe dachte wohl an die Worte seines Herrn und wollte nicht auf die Klänge hören. Als die Musik aber immer herrlicher ward, konnte er der Lockung nicht mehr widerstehen und lauschte nach Herzenslust. Es kam ihm vor, als ob Gott-Vater selbst nicht schöner musizieren könnte, und er vergaß darüber Gänse und Wiesen, Hüten und Essen. Als er wieder zu sich kam, war die Sonne schon untergegangen und es begann schon dunkel zu werden. Da dachte er gleich an seine Gänse, aber diese waren dahin und dorthin verlaufen. Er suchte nun an allen Ecken und Enden, konnte aber die Verlorenen nicht finden. Da wurde es ihm gar schwer ums Herz und die Tränen kugelten über seine Wangen herunter. Er trieb die noch übrigen Gänse zusammen und dem Schlosse zu. Er hatte die Herde noch nicht in den Stall getrieben, als ein Diener ihm entgegenkam und ihm sagte, er solle gleich zum Herrn kommen. Mit schlotternden Füßen stieg der arme Bursche die Stiege empor und trat in den prachtvollen Saal, wo ihn der Gebieter erwartete. Kaum war er eingetreten, so fuhr ihn der Herr mit barscher Stimme an: »Ich erbarmte mich deiner und habe dich in den Dienst genommen, aber du hast es mir mit Undank und Untreue gelohnt. Wir sind geschiedene Leute. Du mußt heute noch aus dem Schlosse.«
Der Knabe fing nun zu weinen und zu bitten an, daß es einen Felsen hätte rühren mögen. Der Schloßherr war aber von seinem Entschlusse nicht abzubringen. »Ich kann und darf dich nicht mehr im Schlosse behalten,« sprach er. »Doch, daß du nicht ganz leer von mir gehst, gebe ich dir ein Lämmlein mit.« – Er klingelte einem Diener und befahl diesem, dem Knaben das Lämmlein zu geben. Der Diener ging und der weinende Junge mit ihm. Im Hofe drunten bekam er nun ein Lämmlein. Das war so weiß wie der frischgefallene Schnee und hatte eine Wolle so fein wie die feinste Seide. Er dankte und ging nun mit dem schönen Lämmlein aus dem Schlosse. Wie er aber vor dem Tore war, fiel ihm ein, daß sein Bruder die Goldnadel nicht verloren hätte, wenn er sie auf seinen Hut gesteckt hätte. Er nahm nun das Lämmlein und setzte es auf seinen Hut. So wanderte er nun der Heimat zu und freute sich seines Lämmleins. Da kam er zu einem Bache, über den nur ein schmaler Steg führte. Er ging nun über den Steg, allein ein Tannenast, der herniederhing, streifte ihm Lämmlein und Hütlein ab und beides fiel in den Bach und dieser trug es fort. Da war der Junge gar traurig und wußte sich nicht zu trösten. Er ging und ging, bis er nach Hause kam. Da fragte ihn aber der Vater: »Wo hast du deinen Lohn?« – Der Knabe begann nun zu weinen und erzählte dem Vater und den Brüdern, wie er’s Lämmlein verloren habe, obgleich er’s auf dem Hut gehabt hätte. Da lachte der Älteste ihn aus und der jüngste Bruder sagte: »Hättest du dir ein Stricklein gekauft und das Lämmlein daran gehängt und geführt, hättest du es gewiß nicht verloren. Jetzt mache ich mich auf und werde gewiß nicht aufs Singen hören. Und was ich verdiene, das werde ich gewiß an einem Strick heimführen, daß ich es gewiß nicht verliere. Dann wollen wir uns gütlich tun und wohl sein lassen.«
Tags darauf machte sich der Jüngste nun auf die Beine und wanderte, bis er zum Schlosse kam. Dort ließ er sich bei dem Grafen melden und bat um einen Dienst. »Ja,« sprach der Graf, »du kannst mein Gänsehirt werden. Allein eines mußt du mir versprechen. Wenn du im nahen Walde eine Musik hörst, so horche nicht darauf! Denn horchest du zu, so mußt du auf der Stelle aus dem Dienste und aus dem Schlosse.«
Bei allem, was heilig ist, versprach der Gänsehirt, in alle Ewigkeit nie zu lauschen. Er ging nun in den Hof, ließ die Gänse aus dem Stalle und trieb sie hinaus auf die grüne Au neben dem Walde. Er hatte die größte Freude an den weißen und grauen Gänsen und deuchte sich so reich wie ein Kaiser, wenn die fetten Vögel so vor ihm hertrottelten. Draußen hütete er fleißig und gab auf seine Tiere genau acht. Und wenn er abends heimfuhr, brachte er alle Tiere nach Hause. So ging es einige Wochen und der Schloßherr war mit dem Knaben zufrieden. Da war dieser wieder einmal auf dem Felde draußen und es war so heiß, daß selbst die Gänse den Schatten suchten. Er ging nun zum Walde hin und streckte sich im Schatten der nächsten besten Tanne ins Gras. Er hatte noch nicht lange ausgeruht, als eine gar schöne Musik sich hören ließ. Sie wurde immer schöner und schöner, so daß dem Hirten Sehen und Denken vergingen und er auf alles andere vergaß.
Er lauschte und lauschte und konnte sich nicht satt hören, bis endlich die Musik verstummt war. Da kam er endlich zu sich. Es stand aber der Mond schon hoch am Himmel und die Sterne glänzten wie goldene Punkte am Firmamente. Da machte er sich nun hastig auf und wollte die Gänse zusammen und nach Hause treiben. Doch da war’s eine Not! Es schnatterten nur mehr zwei auf der ganzen Wiese, alle übrigen waren längst schon auf und davon. Er suchte nun links und rechts und klopfte in die Stauden, doch nirgends konnte er eine dritte mehr finden. Es blieb ihm endlich nichts mehr übrig, als die zwei Gänse heimzutreiben. Das war aber eine traurige Fahrt! Er weinte, daß es ihm fast das Herz abstieß, denn er fürchtete gar so sehr den Schloßherrn. Er war noch nicht zum Schloßtore gekommen, als ihm schon ein Diener entgegenkam und ihm sagte, er solle gleich zum Herrn kommen. Da ward ihm noch trauriger zumute und dazu schnatterten die zwei Gänse so laut und machten einen solchen Lärm, daß er ihnen hätte die Krägen umdrehen mögen. Kaum war er im Schlosse angekommen und hatte die Gänse eingetan, so ging er zum Herrn in den Saal hinauf. Der Graf war aber sehr böse und empfing ihn ganz zornig. »Ich hatte Mitleid mit dir und du hast dasselbe mit Untreue und Undank gelohnt,« sprach er. »Packe dich fort und geh dahin, woher du gekommen bist.«
Der Junge fing nun an zu bitten und zu weinen, daß es hätte einen Eisklotz rühren mögen. Da sprach der Graf: »Daß du auf dem Wege nicht verhungerst, kannst dir in der Küche einen Butterweck geben lassen.«
Der Knabe stieg weinend die Stiege hinunter, ging in die Küche und meldete, was der Herr gesagt hatte. Da gab ihm der Koch einen Butterweck und der Junge nahm nun vom Schlosse Abschied und wanderte der Heimat zu. Als er aber vor dem Burgtor war, dachte er an das Schicksal seines Bruders, der das Lämmlein verloren hatte, weil er es nicht an einem Stricke geführt hatte. Er wollte seinen Butterweck nicht auch verlieren, nahm deswegen ein Stricklein aus seinem Juppensacke und band den Weck daran. So wanderte er nun eine Strecke weiter und zog das Stück Brot über Stock und Stein nach. Bald wurde er aber schläfrig und müde. Da legte er sich unter eine Eiche und nahm den Weck in seinen Arm. Er schlief, bis die Vögel ihr Morgenlied sangen und es im Walde lebendig wurde. Da machte er sich wieder auf die Füße und wanderte der Heimat zu. Nicht lange war er so fortgegangen, als er zu einem Meierhofe kam. Da stund ein großer, großer Hund und bellte schon von ferne aus Leibeskräften. Als der abgedankte Gänsehirt mit dem Butterweck vorüberzog, machte das ungezogene Tier einen Satz auf den Weck, faßte ihn und verschluckte ihn, ohne erst um die Erlaubnis zu fragen.
So hatte denn auch der dritte Sohn seinen Lohn verloren und hatte nichts als einen Stock, den leeren Sack und ein trauriges Herz. So wanderte er nun weiter, bis er endlich müde und hungerig in die Heimat zurückkam. Hier saßen die Brüder und der Vater am warmen Ofen bei der Abendsuppe. Wie sie den Jüngsten sahen, stunden sie auf und grüßten ihn. »Und was hast du denn mitgebracht?« fragte der Älteste.
»Nichts,« sagte der Jüngste.
»Ah so, auch nichts, da bist du freilich gescheiter als unsereins,« sprachen die Brüder und fingen an zu lachen. Und der Jüngste lachte auch mit, und wenn sie zu lachen nicht aufgehört haben, lachen sie heute noch fort.
»Aber eines mußt du mir versprechen,« sagte der alte, reiche Herr. – Der läppische Junge sagte hastig »ja«, ehe er noch von dem, was er versprechen sollte, etwas wußte.
»Wenn du draußen in der Au die Gänse hütest und aus dem nahen Waldschlößchen Gesang hörst, so laß es dir beileibe nicht einfallen lauschen zu gehen,« fuhr der Herr fort. »Wenn du nur einmal horchtest, müßte ich dich aus dem Dienste jagen.«
Bei allen Heiligen im Himmel versprach der Gänsehirte nun, in alle Ewigkeit nie zu lauschen. Es hüpfte ihm vor Freude nun das Herz, als er sein Brot gefunden hatte, und froh und munter trieb er die schwarzen und weißen Gänse auf die Weide in die Nähe des Waldes hinaus.
Der neue Hirte hatte an den vielen Gänsen seine Freude und dachte, er wolle sich schon gut aufführen, damit er immer hier bleiben könne. Als der Mittag nahte und es immer heißer und heißer zu werden begann, ging er zum Walde hin und legte sich unter der ersten Tanne ins Gras. Er hatte noch nicht lange im kühlen Schatten geruht, als die Äste des Baumes gar wundersam zu säuseln anfingen, und aus der Tiefe des Waldes klangen so süße Zaubertöne, daß dem Knaben gar seltsam um das Herz wurde. Es kam ihm vor, als ob er die himmlische Musik hörte, und er lauschte und lauschte, so daß ihm am Ende die Sinne vergingen und er nimmer wußte, wo er weilte. So lag er im Klee da, bis es Abend wurde. Als es schon anfing zu dunkeln und es Ave-Maria läutete, wachte er erst auf. Allein o Schrecken und Jammer! – Da wackelten auf der Wiese wohl einige Gänse herum, allein die meisten waren verschwunden. Der Hirte lief nun nach allen Seiten, um die fehlenden Tiere zu suchen und sie zusammenzutreiben. Allein umsonst. Er mochte laufen und springen, beten und fluchen – es half alles nichts und die Gänse kamen nicht wieder zum Vorschein. – Dem Knaben war nimmer wohl, er weinte sich die Augen rot, und als er kein Mittel sah, beschloß er endlich, die noch vorhandenen Gänse nach dem Schlosse zu treiben. Da ward es ihm immer trauriger zumute, je näher er zum Schlosse kam. Kaum war er dort angekommen und hatte die Gänse eingetan, so ließ ihn der alte Herr rufen. Zitternd stieg der arme Junge die Stiege empor und trat noch zitternder in den prachtvollen Saal, wo der Gebieter seiner wartete. – Kaum war er eingetreten, so fuhr ihn der Herr mit barscher Stimme an: »Ich hatte Mitleid mit dir, aber du hast es mir mit Undank und Untreue gelohnt. Wir sind geschieden, du mußt heute noch aus dem Schlosse!« – Der Knabe fing an zu bitten und zu flehen, daß es hätte einen Stein erweichen mögen; allein der Herr fühlte kein Erbarmen, nur eine goldene Stecknadel nahm er aus einem Kästchen hervor und gab sie dem weinenden Jungen zur Erinnerung. – Der arme Knabe steckte die goldene Stecknadel an seine Juppe und sagte mit schwerem Herzen dem Schlosse Lebewohl. Er wollte nun wieder nach Hause, um seinem Vater die goldene Stecknadel zu zeigen, und wanderte durch Feld und Tal. Einmal kam er zu einem Wege, der steil den Berg hinan stieg und zu einem einsamen Gehöfte führte. »Ah, da oben kann ich einen Schluck Milch bekommen,« dachte sich der durstige Wanderer und stieg bergan. Wie er ein Stück gegangen war, kam er zu einem Bauern, der ein Heufuder hinaufführen wollte, und dieses rückte nicht von der Stelle. Der Bauer schalt und fluchte und schlug die armen Öchslein, allein diese brachten den Wagen nicht weiter. »Ha, hilf mir ein wenig schieben!« bat der Bauer. – Unser Junge war nicht ungefällig, schob aus Leibeskräften und das Fuder ging weiter. Als man beim Hofe angekommen war, bekam er Milch, soviel er wollte, und trank in voller Lust. Wie er aber wegging, da merkte er, daß er seine Goldnadel verloren hatte, und war gar traurig und niedergeschlagen. So ging er seine Wege fort und wanderte und wanderte, bis er nach Hause kam. Als er daheim war und in der Stube saß, da sahen seine Leute, daß er so traurig war, und niemand konnte sich seine Niedergeschlagenheit erklären. Endlich fragte ihn der Vater: »Was fehlt dir, daß du so sauer darein siehst wie ein Apfel um Jakobi?« – Da erzählte er nun, daß er eine gar so schöne goldene Nadel gehabt habe, und da sei er zu einem Heufuder gekommen, das sei aber stecken geblieben. Da habe er mit der Stecknadel schieben geholfen und habe dieselbe im Heu verloren.
Wie sein jüngerer Bruder das gehört hatte, wurde dieser böse und sagte: »Hättest du dir die Nadel doch auf den Hut gesteckt! – Jetzt geh‘ ich hin zu deinem Herrn, und was er mir zum Lohne gibt, mach‘ ich mir auf den Hut, damit ich es ganz sicher und gewiß heimbringe.«
Am andern Tage frühmorgens machte er sich auf und wanderte lustig fort, bis er zum steinreichen Herrn kam. Er hielt bei ihm um einen Dienst an und der Herr stellte ihn wie seinen Bruder als Gänsehirt an. »Aber eines mußt du mir versprechen,« sprach der reiche Mann. »Wenn du draußen auf der Au die Gänse hütest und du aus dem nahen Waldschlosse Gesang hörest, so lasse es dir beileibe nicht einfallen lauschen zu gehen, denn sonst muß ich dich aus dem Dienste jagen.«
Der Bursche versprach es hoch und teuer und trieb nun die Gänse auf die Au hinaus, die an den Wald grenzte. Er hatte seine Freude daran, wenn die fetten Gänse so vor ihm herwackelten, und deuchte sich reich wie ein König. So hatte er es schon einige Tage getrieben und ihm war nichts Ungewöhnliches begegnet. Wie er aber wieder einmal draußen unter dem Tannenbaum lag und so in den blauen Himmel hinaufschaute, da hörte er plötzlich eine gar schöne Musik. Anfangs schien sie gar ferne zu sein, allein immer kam sie näher und näher und war schöner und voller. Der Knabe dachte wohl an die Worte seines Herrn und wollte nicht auf die Klänge hören. Als die Musik aber immer herrlicher ward, konnte er der Lockung nicht mehr widerstehen und lauschte nach Herzenslust. Es kam ihm vor, als ob Gott-Vater selbst nicht schöner musizieren könnte, und er vergaß darüber Gänse und Wiesen, Hüten und Essen. Als er wieder zu sich kam, war die Sonne schon untergegangen und es begann schon dunkel zu werden. Da dachte er gleich an seine Gänse, aber diese waren dahin und dorthin verlaufen. Er suchte nun an allen Ecken und Enden, konnte aber die Verlorenen nicht finden. Da wurde es ihm gar schwer ums Herz und die Tränen kugelten über seine Wangen herunter. Er trieb die noch übrigen Gänse zusammen und dem Schlosse zu. Er hatte die Herde noch nicht in den Stall getrieben, als ein Diener ihm entgegenkam und ihm sagte, er solle gleich zum Herrn kommen. Mit schlotternden Füßen stieg der arme Bursche die Stiege empor und trat in den prachtvollen Saal, wo ihn der Gebieter erwartete. Kaum war er eingetreten, so fuhr ihn der Herr mit barscher Stimme an: »Ich erbarmte mich deiner und habe dich in den Dienst genommen, aber du hast es mir mit Undank und Untreue gelohnt. Wir sind geschiedene Leute. Du mußt heute noch aus dem Schlosse.«
Der Knabe fing nun zu weinen und zu bitten an, daß es einen Felsen hätte rühren mögen. Der Schloßherr war aber von seinem Entschlusse nicht abzubringen. »Ich kann und darf dich nicht mehr im Schlosse behalten,« sprach er. »Doch, daß du nicht ganz leer von mir gehst, gebe ich dir ein Lämmlein mit.« – Er klingelte einem Diener und befahl diesem, dem Knaben das Lämmlein zu geben. Der Diener ging und der weinende Junge mit ihm. Im Hofe drunten bekam er nun ein Lämmlein. Das war so weiß wie der frischgefallene Schnee und hatte eine Wolle so fein wie die feinste Seide. Er dankte und ging nun mit dem schönen Lämmlein aus dem Schlosse. Wie er aber vor dem Tore war, fiel ihm ein, daß sein Bruder die Goldnadel nicht verloren hätte, wenn er sie auf seinen Hut gesteckt hätte. Er nahm nun das Lämmlein und setzte es auf seinen Hut. So wanderte er nun der Heimat zu und freute sich seines Lämmleins. Da kam er zu einem Bache, über den nur ein schmaler Steg führte. Er ging nun über den Steg, allein ein Tannenast, der herniederhing, streifte ihm Lämmlein und Hütlein ab und beides fiel in den Bach und dieser trug es fort. Da war der Junge gar traurig und wußte sich nicht zu trösten. Er ging und ging, bis er nach Hause kam. Da fragte ihn aber der Vater: »Wo hast du deinen Lohn?« – Der Knabe begann nun zu weinen und erzählte dem Vater und den Brüdern, wie er’s Lämmlein verloren habe, obgleich er’s auf dem Hut gehabt hätte. Da lachte der Älteste ihn aus und der jüngste Bruder sagte: »Hättest du dir ein Stricklein gekauft und das Lämmlein daran gehängt und geführt, hättest du es gewiß nicht verloren. Jetzt mache ich mich auf und werde gewiß nicht aufs Singen hören. Und was ich verdiene, das werde ich gewiß an einem Strick heimführen, daß ich es gewiß nicht verliere. Dann wollen wir uns gütlich tun und wohl sein lassen.«
Tags darauf machte sich der Jüngste nun auf die Beine und wanderte, bis er zum Schlosse kam. Dort ließ er sich bei dem Grafen melden und bat um einen Dienst. »Ja,« sprach der Graf, »du kannst mein Gänsehirt werden. Allein eines mußt du mir versprechen. Wenn du im nahen Walde eine Musik hörst, so horche nicht darauf! Denn horchest du zu, so mußt du auf der Stelle aus dem Dienste und aus dem Schlosse.«
Bei allem, was heilig ist, versprach der Gänsehirt, in alle Ewigkeit nie zu lauschen. Er ging nun in den Hof, ließ die Gänse aus dem Stalle und trieb sie hinaus auf die grüne Au neben dem Walde. Er hatte die größte Freude an den weißen und grauen Gänsen und deuchte sich so reich wie ein Kaiser, wenn die fetten Vögel so vor ihm hertrottelten. Draußen hütete er fleißig und gab auf seine Tiere genau acht. Und wenn er abends heimfuhr, brachte er alle Tiere nach Hause. So ging es einige Wochen und der Schloßherr war mit dem Knaben zufrieden. Da war dieser wieder einmal auf dem Felde draußen und es war so heiß, daß selbst die Gänse den Schatten suchten. Er ging nun zum Walde hin und streckte sich im Schatten der nächsten besten Tanne ins Gras. Er hatte noch nicht lange ausgeruht, als eine gar schöne Musik sich hören ließ. Sie wurde immer schöner und schöner, so daß dem Hirten Sehen und Denken vergingen und er auf alles andere vergaß.
Er lauschte und lauschte und konnte sich nicht satt hören, bis endlich die Musik verstummt war. Da kam er endlich zu sich. Es stand aber der Mond schon hoch am Himmel und die Sterne glänzten wie goldene Punkte am Firmamente. Da machte er sich nun hastig auf und wollte die Gänse zusammen und nach Hause treiben. Doch da war’s eine Not! Es schnatterten nur mehr zwei auf der ganzen Wiese, alle übrigen waren längst schon auf und davon. Er suchte nun links und rechts und klopfte in die Stauden, doch nirgends konnte er eine dritte mehr finden. Es blieb ihm endlich nichts mehr übrig, als die zwei Gänse heimzutreiben. Das war aber eine traurige Fahrt! Er weinte, daß es ihm fast das Herz abstieß, denn er fürchtete gar so sehr den Schloßherrn. Er war noch nicht zum Schloßtore gekommen, als ihm schon ein Diener entgegenkam und ihm sagte, er solle gleich zum Herrn kommen. Da ward ihm noch trauriger zumute und dazu schnatterten die zwei Gänse so laut und machten einen solchen Lärm, daß er ihnen hätte die Krägen umdrehen mögen. Kaum war er im Schlosse angekommen und hatte die Gänse eingetan, so ging er zum Herrn in den Saal hinauf. Der Graf war aber sehr böse und empfing ihn ganz zornig. »Ich hatte Mitleid mit dir und du hast dasselbe mit Untreue und Undank gelohnt,« sprach er. »Packe dich fort und geh dahin, woher du gekommen bist.«
Der Junge fing nun an zu bitten und zu weinen, daß es hätte einen Eisklotz rühren mögen. Da sprach der Graf: »Daß du auf dem Wege nicht verhungerst, kannst dir in der Küche einen Butterweck geben lassen.«
Der Knabe stieg weinend die Stiege hinunter, ging in die Küche und meldete, was der Herr gesagt hatte. Da gab ihm der Koch einen Butterweck und der Junge nahm nun vom Schlosse Abschied und wanderte der Heimat zu. Als er aber vor dem Burgtor war, dachte er an das Schicksal seines Bruders, der das Lämmlein verloren hatte, weil er es nicht an einem Stricke geführt hatte. Er wollte seinen Butterweck nicht auch verlieren, nahm deswegen ein Stricklein aus seinem Juppensacke und band den Weck daran. So wanderte er nun eine Strecke weiter und zog das Stück Brot über Stock und Stein nach. Bald wurde er aber schläfrig und müde. Da legte er sich unter eine Eiche und nahm den Weck in seinen Arm. Er schlief, bis die Vögel ihr Morgenlied sangen und es im Walde lebendig wurde. Da machte er sich wieder auf die Füße und wanderte der Heimat zu. Nicht lange war er so fortgegangen, als er zu einem Meierhofe kam. Da stund ein großer, großer Hund und bellte schon von ferne aus Leibeskräften. Als der abgedankte Gänsehirt mit dem Butterweck vorüberzog, machte das ungezogene Tier einen Satz auf den Weck, faßte ihn und verschluckte ihn, ohne erst um die Erlaubnis zu fragen.
So hatte denn auch der dritte Sohn seinen Lohn verloren und hatte nichts als einen Stock, den leeren Sack und ein trauriges Herz. So wanderte er nun weiter, bis er endlich müde und hungerig in die Heimat zurückkam. Hier saßen die Brüder und der Vater am warmen Ofen bei der Abendsuppe. Wie sie den Jüngsten sahen, stunden sie auf und grüßten ihn. »Und was hast du denn mitgebracht?« fragte der Älteste.
»Nichts,« sagte der Jüngste.
»Ah so, auch nichts, da bist du freilich gescheiter als unsereins,« sprachen die Brüder und fingen an zu lachen. Und der Jüngste lachte auch mit, und wenn sie zu lachen nicht aufgehört haben, lachen sie heute noch fort.
(Meran)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]