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Märchenbasar

Ohneseele

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Es war einmal ein junger Bursch, der hieß Körper-ohne-Seele, oder auch schlechtweg Ohneseele und das war ein Menschenfresser, und er mochte anders nichts als junge Mädchen. Es war aber Brauch im Land, daß alle Mädchen um’s Loos zogen, und welche es traf, die mußte ihm übergeben werden. Nun geschah es einmal, daß das Loos auf die Königstochter fiel. Der König war darüber außermaßen betrübt, aber er konnte nichts gegen das Gesetz machen und man führte die Königstochter zu dem Schlosse, auf welchem Ohneseele wohnte; der sperrte sie in ein Kämmerchen ein und trug ihr alle Tage gut Essen auf, um sie recht fett zu machen.
Obwohl sie nun schon in den Händen von Ohneseele war, verlor der König doch noch nicht alle Hoffnung, er ließ ein Gebot im Lande ausgehen und überall verkünden, wer die Königstochter erlösen werde, der solle sie zur Frau haben. Es waren aber nicht viel, die sich zu dem Wagstück anboten, denn ein jeder fürchtete dem Menschenfresser zwischen die Zähne zu kommen. Endlich aber kam doch ein ganz einfacher Soldat und der sprach, er wolle es unternehmen und die Königstochter erlösen; da war der König froh und schenkte ihm einen ganzen Sack voll Geld für die Zehrung auf der Reise und der Soldat machte sich auf den Weg. Indem er nun so dahinmarschirte, sah er auf einem Stücke Land zur Seite der Heerstraße vier Thiere sitzen, eine Fliege, einen Adler, einen Bären und einen Löwen und die zankten sich um ihr Antheil an einem todten Pferde. Der Soldat ging auf sie zu und frug sie: »Was zankt ihr euch da?« Da schrieen sie alle vier zugleich, aber der Soldat sprach: »Ps, ps, Einer vor und der Andre nach,« und hörte sie alle vier einzeln an, und als er wußte, warum es sich handle, da nahm er sein Käsmesser aus der Scheide und theilte ihnen das Pferd, so daß sie alle zufrieden waren. Als er darauf wieder weiter gehen wollt‘, riefen sie ihm nach: »Warte doch, wir wollen dir alle etwas geben für den Gefallen, den du uns gethan.« Da lachte der Soldat und sprach: »Was könntet ihr mir wol geben wollen; ihr habt ja alle vier nichts.« – »Das kannst du nicht wissen,« sprach der Adler; »sieh hier, da hast du zum Beispiel eine Feder von mir; damit kannst du dich, so oft du willst, in einen Adler verwandeln.« – »Das ist nicht schlecht,« sprach der Soldat, »man kann nicht wissen, die könnte mir zugute kommen.« Nun sprach die Fliege: »Da ist ein halb Pfötchen von mir, damit kannst du dich, so oft du willst, in eine Fliege verwandeln.« – »Das ist auch eine schöne Kunst,« erwiderte der Soldat. Der Löwe und der Bär wollten ihm auch was zum Lohne geben, aber er bedankte sich und sprach, er habe schon genug.
Des Abends machte er sich zum Adler und flog auf einen hohen Baum; da schaute er ein bischen um sich, aber er sah nichts als Bäume. Des andern Morgens flog er in der Gegend umher und sah von fern ein großes Schloß; darauf flog er zu. Am Thor fand er ein groß, schwarz Bret und darauf stand geschrieben: »Hier wohnt Herr Ohneseele.« Als er das las, da war er froh und verwandelte sich sogleich in eine Fliege, um das Schloß ein wenig auszuspioniren. Er flog von einem Fenster zum andern und schaute in jedes hinein, bis er endlich auch an das Fenster kam, wo die schöne Königstochter gefangen saß. Der gab er sich alsbald zu erkennen und sprach: »Ich komme, um euch zu erlösen, aber dazu muß ich wissen, wo eigentlich die Seele von Ohneseele sitzt.« Da sprach die Königstochter: »Das weiß ich nicht, aber ich will’s fragen.« – »Gut,« sprach der Soldat, »ich komme morgen wieder.« Als nun der Menschenfresser kam und ihr Essen brachte, da sprach sie: »Ach, ich möchte doch noch etwas wissen, bevor ich sterbe.« – »Was denn?« frug der Menschenfresser. »Wo deine Seele ist.« – Da sprach der Menschenfresser: »Da werd‘ ich mich wol hüten, dir das zu sagen, denn wenn du das wüßtest, dann wärest du erlöst,« und damit ging er weg. Des Abends flog der Soldat wieder zu dem Fenster und frug die Königstochter: »Wisset ihr nun, wo seine Seele ist?« – »Ach nein,« sprach sie, »er will es mir nicht sagen.« Da sprach der Soldat: »Ihr müsset ihm ein wenig schmeicheln und einen Fußfall thun, dann wird er es euch schon sagen und dann kann ich euch erlösen.«
Am andern Tage, als Ohneseele ihr das Essen wieder brachte, schnauzte er sie an: »Da ist dein Essen. Du hast nun noch dreizehn Tage zu leben, dann freß ich dich.« Da fiel sie vor ihm auf die Knie und sprach flehentlich: »Ach, ich möchte gern sterben, wenn ich nur wüßte, wo deine Seele wär.« Da sprach er: »Nun ja, du kannst es wissen, aber du darfst es keinem wiedersagen.« – »Wem sollte ich das wol sagen können?« frug sie. »Ich sehe hier ja Niemand.« – »Nun ja, anders sagte ich es dir auch nicht. Sieh, meine Seele sitzt in einem Kistchen und das steht auf einem Felsen, mitten in der rothen See.« – »Nun sterb‘ ich noch einmal so gerne,« sprach die Königstochter und er ging weg. Des Abends kam der Soldat wieder in Gestalt einer Fliege an das Fenster und frug wieder: »Wisset ihr nun, wo seine Seele ist?« – »Ja wohl,« sprach sie, »in einem Kistchen auf einer Klippe inmitten der rothen See.« – »Nun weiß ich genug,« sprach der Soldat, »nun brauchet ihr nicht lange mehr auf eure Erlösung zu warten.« Damit flog er wieder weg, verwandelte sich in einen Adler und ging in einem hohen Baum schlafen. Morgens früh schaute er einmal um sich und sah von Weitem ein ander Schloß stehen. Darauf flog er zu. Als er nicht weit mehr davon war, verwandelte er sich wieder in seine gewöhnliche Menschengestalt und ging zu dem Thore des Schlosses. Da sah er ein großes Schild auf dem Thore und darauf stand geschrieben: »Hier wohnen die vier Winde.« Er klopfte und ein steinalt Mütterlein machte ihm die Thür auf, das hatte nur ein Auge, nämlich auf der Stirn. »Ach, Frauchen, könnt ich nicht heute hier bleiben, um etwas auszuruhen?« frug er. »Ich bin nur ein armer Soldat und ich habe kein Geld.« Das Mütterchen sprach: »Ja wohl, ich bin’s zufrieden, wenn nur meine Söhne es zufrieden sind. Aber dafür bin ich sehr bang, denn wenn die kommen und dich finden, dann fressen sie dich.« – »Ach Gott, laßt mich doch ein,« bat der Soldat, »ich will mich gleich ins Bett legen.« Da ließ das Mütterchen ihn ein und er ging gleich auf den Speicher. Noch keine fünf Minuten war er da, als der Südwind noch Haus kam und zugleich auch schrie: »Mutter, ich rieche, rieche Menschenfleisch.« – »Ja, da riechst du gut,« sprach die Alte, »aber laß den armen Teufel nur noch leben; es liegt noch ein ganzer halber Mensch in Salz und Pfeffer.« – »Nun, ich bin’s zufrieden,« sprach der Südwind, »wenn meine Brüder es nur auch zufrieden sind.« Ein bischen nachher kam der Nordwind und brummte: »Mutter, ich rieche, rieche Menschenfleisch.« – Da sprach die Alte: »Deine Nase ist nicht schlecht, aber ’s ist ein ganz magerer Kerl, an dem nichts als Haut und Knochen zu sehen ist. Darum laß ihn nur in Ruhe, es kommt wol noch ein Fetterer.« – »Hm hm hm,« brummte der Nordwind, »nun ja, ich will ihn leben lassen, aber dann muß er morgen so schnell fliegen wie wir.«
Wo blieben denn die andern Winde? – Die kamen nicht, oder wenn sie kamen, dann gaben sie sich doch zufrieden; denn der Soldat blieb am Leben und schlief ruhig fort auf dem Speicher, daß er schnarchte.
Am andern Tage Morgens ging die Alte schon ganz früh zu ihm auf den Speicher und gab ihm ein Hütchen und sprach zu ihm: »Da nimm das Hütchen und setz es auf, dann hast du Kraft, so schnell zu fliegen als meine Söhne.« Der Soldat bedankte sich schön und setzte das Hütchen auf und sprach: »Ich will ein Adler sein;« im selben Augenblicke wurde er zum Adler und er flog mit den Winden aus weit über die See, und als sie schon lang zusammen geflogen waren, da hielten sie still auf einem Felsen. Da sprachen die Winde: »Nun sag uns, was du haben willst und alles soll dir gewährt werden.« Der Soldat wünschte nichts besser und sprach: »Ich möchte gerne ein Kistchen haben, das mitten in der rothen See auf einem Felsen steht.« »Das sollst du haben,« sprachen die Winde und sie beschwuren die See, daß sie still stand, und riefen die Fische zusammen und befahlen ihnen, daß sie das Kistchen holen sollten. Die Fische schwammen alsbald nach allen Seiten weg und suchten und suchten, aber sie konnten es lange nicht finden. Endlich kam ein Krüppel von Weißling ganz zufällig in die Nähe des Felsens, schlug einmal tüchtig mit seinem Schwänzlein und war in zwei Sprüngen oben; da packte er das Kistchen mit dem Maul, sprang wieder ins Wasser und schwamm guten Muthes zu dem Felsen, wo der Soldat mit den Winden stand. Der Soldat hatte Freude! Herr Gott, er wedelte mit seinem Adlerschwanz und schlug mit den Flügeln und sprang mit seinen dünnen Beinen, daß die Winde sich halb krank lachten. Dann nahm er das Kistchen zwischen die Klauen, bedankte sich noch aus Herzensgrund bei den Winden und dem krummen Weißling und flog, daß es rauschte, auf das Schloß von Ohneseele zu. Da klopfte er, als wenn es gebrannt hätte. Ohneseele wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, und kam und machte selbst die Thüre auf. Da stand der Soldat wieder in Menschengestalt davor. Ohneseele wurde blitzböse, als er ihn sah, und schrie: »Was hast du hier so zu klopfen? Gleich freß ich dich mit Haut und Haar.« Der Soldat aber lachte ihn aus und sprach: »Das würde dir schlecht bekommen, denn hier habe ich deine Seele in dem Kistchen.« Als der Menschenfresser das hörte, da fiel ihm sein ganzer Muth in die Waden und er bat und flehte den Soldaten, ihm doch die Seele zu geben, versprach ihm auch Gott weiß was noch, aber der Soldat kehrte sich nicht daran, schloß das Kistchen schnell auf, nahm die Seele und warf sie hinterrücks über seinen Kopf; im selben Augenblicke fiel der Menschenfresser hin und war stockmausetodt. Der Soldat ging nun zu dem Zimmer, wo die Königstochter gefangen saß, und sie fielen einander in die Arme und waren alle beide froh. Darnach verließen sie das Schloß und gingen zu dem König und da heiratheten sie und lebten noch sehr lang zufrieden und glücklich. Da kroch eine Maus in des Pastors Haus und das Verzählchen ist aus.

[Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Märchen und Sagen]

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