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Einstmals trieb ein junger Hirt seine Herde einen Berg hinan. An jenem Tage, wie an so manchem schon bevor, herrschte ein dichter Nebel. Obgleich er nun mit der Gegend gar wohl vertraut war, verlor er dennoch seinen Weg und ging bald vorwärts und bald rückwärts, durch so manche lange Stunde.
Schließlich gelangte er an eine tiefergelegene, abschüssige Stelle, wo er vor sich kreisrunde Ringe gewahrte. Da begriff er sogleich, an welch einem Platze er sich befand, und begann für sich das Schlimmste zu befürchten.
Er hatte zu hunderten Malen schon von den traurigen Erfahrungen jener gehört, die in solche Ringe geraten waren; von manch einem Schafhirt, der zufällig den Tanzplatz oder die Kreise der Feenfamilie betreten. Er eilte daher davon, so schnell er nur konnte, damit er nicht wie die übrigen verderbe. Doch, obgleich er sich dermaßen anstrengte, daß ihm die Schweißtropfen von der Stirn liefen und der Atem ihm versagte, fand er sich doch immer wieder an derselben Stelle stehen und so blieb er denn da für geraume Zeit.
Schließlich erschien vor ihm ein altes fettes Männchen mit munteren blauen Augen, das ihn fragte, was er hier suche.
Der Jüngling antwortete, daß er bestrebt wäre, seinen Weg nach Hause zu finden.
»O«, sagte das Männlein, »folge mir nach, doch rede kein Wort, bis daß ich dir’s heiße!«
Der junge Hirt gehorchte und folgte jenem, bis daß sie zu einem ovalen Stein gelangten. Das alte dicke Männchen hob diesen nun empor, nachdem er zuvor mit seinem Spazierstocke dreimal darauf geschlagen hatte. An dessen Stelle befand sich ein schmaler Pfad in die Tiefe, der dann und wann von Treppen unterbrochen ward. Und eine Art von geisterhaftem Licht, ungefähr zwischen grau und blau, ward zwischen den Steinen zugleich sichtbar.
»Folge mir ohne Furcht«, sagte das fette Männlein, »und nichts Schlimmes soll dir widerfahren!«
So schritt denn der arme Jüngling hinterdrein, so widerwillig wie ein Kalb, das geschlachtet werden soll.
Doch alsbald breitete sich eine herrliche, fruchtbare und bewaldete Landschaft vor ihnen aus, mit zierlich angeordneten Herrenhäusern übersät, während allerlei Zeichen von Wohlstand und Pracht dem Auge sich darboten und alles in der Landschaft zu lächeln schien.
Die blitzenden Wasser der Flüsse schlängelten sich zwischen den gewundenen Ufern und die Hügel waren mit dem üppigen Grün ihrer Waldbestände überdeckt, die Berghöhen mit einem leuchtenden Vlies von glatten Weideflächen.
Mittlerweile hatten sie sich einem stattlichen Herrensitze genähert. Des jungen Mannes Sinne waren wie berauscht von den süßen Tönen der Lieder, welche die Vögel in den Büschen ringsher erklingen ließen.
Im Herrenhause gewahrte er leuchtendes Gold allüberall, das seine Augen blendete, und silberne Strahlen machten ihn vollends wirr. Er sah daselbst auch alle Arten von Musikinstrumenten und die verschiedensten Dinge zum Spiel und Vergnügen. Doch konnte er nirgends einen Bewohner entdecken!
Sodann saßen das Männlein und der Jüngling nieder, um zu essen, und da kamen die Speisen von selbst auf den Tisch vor ihre Plätze und verschwanden wieder, sobald sie genossen.
Dies machte den jungen Hirten über alle Maßen neugierig; mehr aber noch der Umstand, daß er rings um sich her Leute miteinander reden hörte, gleichwohl er, was immer er auch tat, keinen anderen um sich sehen konnte, als seinen alten Gefährten.
Schließlich sagte das fette Männlein zu ihm:
»Nun kannst du reden, so viel es dir gefällt.«
Doch als er seine Zunge bewegen wollte, da rührte sie sich nicht. Wie wenn sie ein Klumpen Eis geworden wäre, so unbeweglich war sie, was ihn gar arg erschreckte.
In diesem Augenblick erschien eine zierliche Dame bei ihnen, deren Gesicht von Gesundheit und Wohlwollen strahlte. Sie blickte leicht lächelnd auf den Hirten. Die Dame ward von ihren drei Töchtern gefolgt, welche bemerkenswert schön waren. Sie sahen mit einer Art neckischen Blicks nach ihm und begannen schließlich zu ihm zu reden; allein seine Zunge rührte sich nicht.
Darauf trat eines der Mädchen zu ihm heran, spielte mit seinen blonden gekrausten Locken und gab ihm schließlich einen herzhaften Kuß auf seine jugendroten Lippen. Dies löste den Bann, der seine Zunge gefesselt, und er begann nun zu sprechen, freimütig und beredt.
Und so stand er denn unter dem Zauber jenes Kusses, das Herz erfüllt von der Wonne höchster Glückseligkeit. In diesem Banne verblieb er ein Jahr und einen Tag, ohne daß er selbst es ahnen mochte, daß er mehr als einen Tag bei dem Mädchen verbracht; denn er war in ein Land gelangt, wo man die Zeit nicht rechnete.
Doch nach und nach begann er etwas wie Sehnsucht nach seinem alten Heim zu empfinden, das er besuchen wollte, und er fragte daher das feiste Männlein, ob er dahin gehen könnte.
»Harre noch ein wenig«, sagte jener, »und du sollst für geraume Zeit dahin können.«
Auch diese Frist verging und er machte sich zum Aufbruch bereit; doch Olwen – so hieß die junge Fee, die ihn geküßt hatte – zeigte sich sehr ungehalten darüber, daß er sie verlassen wollte. Sie sah ein jedesmal betrübt darein, wenn er von seinem Fortgehen sprach. Aber auch er dachte nur ungern daran, daß er sie verlassen sollte, und er tat dies niemals, ohne einen kalten Schauer zu empfinden, der seinen ganzen Körper durchrieselte.
Gegen das Versprechen der baldigen Rückkehr erlangte er schließlich auch ihre Einwilligung, sich zu entfernen, und er ging dahin, versehen mit einer Menge Gold und Silber, mit Flitterwerk und Edelsteinen.
Als er daheim anlangte, erkannte ihn niemand; hatte man doch den Glauben gehegt, daß er durch einen anderen Schafhirt getötet worden, der sich genötigt sah, eilends zu flüchten, ansonst er sicherlich gehenkt worden wäre.
Doch nun war Einion Lâs zu Hause und jedermann erstaunte gar sehr, ihn zu erblicken und zu sehen, daß er das Äußere eines Weltmannes hatte. Seine Manieren, seine Kleidung, seine Redeweise und die Schätze, die er mit sich brachte, all das trug dazu bei, ihm den Anstrich von Vornehmheit zu geben.
In einer Donnerstagnacht aber, am ersten Neumond in jenem Monat, entfernte er sich wieder und verschwand ebenso plötzlich wie einstmals und niemand wußte, wohin er geraten.
Da war große Freude in dem unterirdischen Lande, als Einion dahin zurückkehrte, doch niemand freute sich wohl mehr darüber als Olwen, seine geliebte Braut.
Die beiden ersehnten nun nichts heißer, als sich verheiraten zu können; doch mußte dies unbedingt in aller Stille geschehen; denn die Familie in der Unterwelt verabscheute nichts mehr als Lärm und Getöse.
So wurden sie denn in einer halb geheimen Weise einander vermählt.
Einion war nun außerordentlich begierig, noch einmal unter seine Landsleute zu gehen, begleitet natürlich diesmal von seiner Gattin. Nachdem er längere Zeit den alten Mann um Erlaubnis gedrängt, machten sich beide auf zwei schneeweißen Ponys dahin auf den Weg.
So gelangte er denn mit seiner Gemahlin in sein altes Heim und aller Meinungen stimmten darin überein, daß Einions Gattin die schönste Frau war, die sie jemals gesehen. Dieweil sie daheim weilten, wurde ihnen ein Söhnchen geboren, dem sie den Namen Taliessin gaben.
Einion erfreute sich nun des höchsten Ruhmes unter seinen Landsleuten, die auch seiner Frau den gebührenden Respekt entgegenbrachten. Ihr Vermögen war ansehnlich und sie erstanden sich einen ausgedehnten Grundbesitz.
Doch währte es nicht lange, daß die Leute nach der Familie von Einions Gattin zu forschen begannen. In der Gegend war man der Ansicht, daß es nicht mit rechten Dingen zugehen müsse, wenn man keine Familienzugehörigkeit nachzuweisen habe. Einion wurde darüber befragt, ohne daß er jedoch eine zufriedenstellende Antwort gegeben hätte. Und da kam denn einer zu der Vermutung, daß sie von einer Feenfamilie herstammen müßte.
»Gewiß«, entgegnete Einion, »da kann kein Zweifel sein, daß sie aus einer wahren Feenfamilie ist, denn sie besitzt zwei Schwestern, die ebenso feenhaft schön sind, wie sie; wenn ihr sie beisammen sehen möchtet, würdet ihr zugeben müssen, daß ‚Feenfamilie‘ die einzig zutreffende Bezeichnung für sie ist.«
Dies ist der Grund, weshalb die vornehmste Familie in der Gegend von Hud a Lledrith heute noch die »Feenfamilie« genannt wird.
Schließlich gelangte er an eine tiefergelegene, abschüssige Stelle, wo er vor sich kreisrunde Ringe gewahrte. Da begriff er sogleich, an welch einem Platze er sich befand, und begann für sich das Schlimmste zu befürchten.
Er hatte zu hunderten Malen schon von den traurigen Erfahrungen jener gehört, die in solche Ringe geraten waren; von manch einem Schafhirt, der zufällig den Tanzplatz oder die Kreise der Feenfamilie betreten. Er eilte daher davon, so schnell er nur konnte, damit er nicht wie die übrigen verderbe. Doch, obgleich er sich dermaßen anstrengte, daß ihm die Schweißtropfen von der Stirn liefen und der Atem ihm versagte, fand er sich doch immer wieder an derselben Stelle stehen und so blieb er denn da für geraume Zeit.
Schließlich erschien vor ihm ein altes fettes Männchen mit munteren blauen Augen, das ihn fragte, was er hier suche.
Der Jüngling antwortete, daß er bestrebt wäre, seinen Weg nach Hause zu finden.
»O«, sagte das Männlein, »folge mir nach, doch rede kein Wort, bis daß ich dir’s heiße!«
Der junge Hirt gehorchte und folgte jenem, bis daß sie zu einem ovalen Stein gelangten. Das alte dicke Männchen hob diesen nun empor, nachdem er zuvor mit seinem Spazierstocke dreimal darauf geschlagen hatte. An dessen Stelle befand sich ein schmaler Pfad in die Tiefe, der dann und wann von Treppen unterbrochen ward. Und eine Art von geisterhaftem Licht, ungefähr zwischen grau und blau, ward zwischen den Steinen zugleich sichtbar.
»Folge mir ohne Furcht«, sagte das fette Männlein, »und nichts Schlimmes soll dir widerfahren!«
So schritt denn der arme Jüngling hinterdrein, so widerwillig wie ein Kalb, das geschlachtet werden soll.
Doch alsbald breitete sich eine herrliche, fruchtbare und bewaldete Landschaft vor ihnen aus, mit zierlich angeordneten Herrenhäusern übersät, während allerlei Zeichen von Wohlstand und Pracht dem Auge sich darboten und alles in der Landschaft zu lächeln schien.
Die blitzenden Wasser der Flüsse schlängelten sich zwischen den gewundenen Ufern und die Hügel waren mit dem üppigen Grün ihrer Waldbestände überdeckt, die Berghöhen mit einem leuchtenden Vlies von glatten Weideflächen.
Mittlerweile hatten sie sich einem stattlichen Herrensitze genähert. Des jungen Mannes Sinne waren wie berauscht von den süßen Tönen der Lieder, welche die Vögel in den Büschen ringsher erklingen ließen.
Im Herrenhause gewahrte er leuchtendes Gold allüberall, das seine Augen blendete, und silberne Strahlen machten ihn vollends wirr. Er sah daselbst auch alle Arten von Musikinstrumenten und die verschiedensten Dinge zum Spiel und Vergnügen. Doch konnte er nirgends einen Bewohner entdecken!
Sodann saßen das Männlein und der Jüngling nieder, um zu essen, und da kamen die Speisen von selbst auf den Tisch vor ihre Plätze und verschwanden wieder, sobald sie genossen.
Dies machte den jungen Hirten über alle Maßen neugierig; mehr aber noch der Umstand, daß er rings um sich her Leute miteinander reden hörte, gleichwohl er, was immer er auch tat, keinen anderen um sich sehen konnte, als seinen alten Gefährten.
Schließlich sagte das fette Männlein zu ihm:
»Nun kannst du reden, so viel es dir gefällt.«
Doch als er seine Zunge bewegen wollte, da rührte sie sich nicht. Wie wenn sie ein Klumpen Eis geworden wäre, so unbeweglich war sie, was ihn gar arg erschreckte.
In diesem Augenblick erschien eine zierliche Dame bei ihnen, deren Gesicht von Gesundheit und Wohlwollen strahlte. Sie blickte leicht lächelnd auf den Hirten. Die Dame ward von ihren drei Töchtern gefolgt, welche bemerkenswert schön waren. Sie sahen mit einer Art neckischen Blicks nach ihm und begannen schließlich zu ihm zu reden; allein seine Zunge rührte sich nicht.
Darauf trat eines der Mädchen zu ihm heran, spielte mit seinen blonden gekrausten Locken und gab ihm schließlich einen herzhaften Kuß auf seine jugendroten Lippen. Dies löste den Bann, der seine Zunge gefesselt, und er begann nun zu sprechen, freimütig und beredt.
Und so stand er denn unter dem Zauber jenes Kusses, das Herz erfüllt von der Wonne höchster Glückseligkeit. In diesem Banne verblieb er ein Jahr und einen Tag, ohne daß er selbst es ahnen mochte, daß er mehr als einen Tag bei dem Mädchen verbracht; denn er war in ein Land gelangt, wo man die Zeit nicht rechnete.
Doch nach und nach begann er etwas wie Sehnsucht nach seinem alten Heim zu empfinden, das er besuchen wollte, und er fragte daher das feiste Männlein, ob er dahin gehen könnte.
»Harre noch ein wenig«, sagte jener, »und du sollst für geraume Zeit dahin können.«
Auch diese Frist verging und er machte sich zum Aufbruch bereit; doch Olwen – so hieß die junge Fee, die ihn geküßt hatte – zeigte sich sehr ungehalten darüber, daß er sie verlassen wollte. Sie sah ein jedesmal betrübt darein, wenn er von seinem Fortgehen sprach. Aber auch er dachte nur ungern daran, daß er sie verlassen sollte, und er tat dies niemals, ohne einen kalten Schauer zu empfinden, der seinen ganzen Körper durchrieselte.
Gegen das Versprechen der baldigen Rückkehr erlangte er schließlich auch ihre Einwilligung, sich zu entfernen, und er ging dahin, versehen mit einer Menge Gold und Silber, mit Flitterwerk und Edelsteinen.
Als er daheim anlangte, erkannte ihn niemand; hatte man doch den Glauben gehegt, daß er durch einen anderen Schafhirt getötet worden, der sich genötigt sah, eilends zu flüchten, ansonst er sicherlich gehenkt worden wäre.
Doch nun war Einion Lâs zu Hause und jedermann erstaunte gar sehr, ihn zu erblicken und zu sehen, daß er das Äußere eines Weltmannes hatte. Seine Manieren, seine Kleidung, seine Redeweise und die Schätze, die er mit sich brachte, all das trug dazu bei, ihm den Anstrich von Vornehmheit zu geben.
In einer Donnerstagnacht aber, am ersten Neumond in jenem Monat, entfernte er sich wieder und verschwand ebenso plötzlich wie einstmals und niemand wußte, wohin er geraten.
Da war große Freude in dem unterirdischen Lande, als Einion dahin zurückkehrte, doch niemand freute sich wohl mehr darüber als Olwen, seine geliebte Braut.
Die beiden ersehnten nun nichts heißer, als sich verheiraten zu können; doch mußte dies unbedingt in aller Stille geschehen; denn die Familie in der Unterwelt verabscheute nichts mehr als Lärm und Getöse.
So wurden sie denn in einer halb geheimen Weise einander vermählt.
Einion war nun außerordentlich begierig, noch einmal unter seine Landsleute zu gehen, begleitet natürlich diesmal von seiner Gattin. Nachdem er längere Zeit den alten Mann um Erlaubnis gedrängt, machten sich beide auf zwei schneeweißen Ponys dahin auf den Weg.
So gelangte er denn mit seiner Gemahlin in sein altes Heim und aller Meinungen stimmten darin überein, daß Einions Gattin die schönste Frau war, die sie jemals gesehen. Dieweil sie daheim weilten, wurde ihnen ein Söhnchen geboren, dem sie den Namen Taliessin gaben.
Einion erfreute sich nun des höchsten Ruhmes unter seinen Landsleuten, die auch seiner Frau den gebührenden Respekt entgegenbrachten. Ihr Vermögen war ansehnlich und sie erstanden sich einen ausgedehnten Grundbesitz.
Doch währte es nicht lange, daß die Leute nach der Familie von Einions Gattin zu forschen begannen. In der Gegend war man der Ansicht, daß es nicht mit rechten Dingen zugehen müsse, wenn man keine Familienzugehörigkeit nachzuweisen habe. Einion wurde darüber befragt, ohne daß er jedoch eine zufriedenstellende Antwort gegeben hätte. Und da kam denn einer zu der Vermutung, daß sie von einer Feenfamilie herstammen müßte.
»Gewiß«, entgegnete Einion, »da kann kein Zweifel sein, daß sie aus einer wahren Feenfamilie ist, denn sie besitzt zwei Schwestern, die ebenso feenhaft schön sind, wie sie; wenn ihr sie beisammen sehen möchtet, würdet ihr zugeben müssen, daß ‚Feenfamilie‘ die einzig zutreffende Bezeichnung für sie ist.«
Dies ist der Grund, weshalb die vornehmste Familie in der Gegend von Hud a Lledrith heute noch die »Feenfamilie« genannt wird.
[Keltisch: M. Brusot: Keltische Volkserzählungen]