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Oma Trudchens Weihnachtsgeschichte

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„Endlich ist bald Weihnachten!“, jubelt Max und kuschelt sich in sein Kopfkissen.
„Dann kommt der Weihnachtsmann und bringt uns viele Geschenke“, strahlt seine kleine Schwester Marie und zieht sich die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch.
„Na, wie sieht’s aus? Alles fertig zur Gutenachtgeschichte?“, fragt Oma Trudchen und setzt sich wie immer in ihren Schaukelstuhl zwischen die beiden rechts und links vom Fenster stehenden Bettchen ihrer Enkelkinder.
Draußen schneit es und der Wind heult ab und zu ums Haus, als ob er wüsste, dass Oma sich heute etwas ganz Besonderes ausgedacht hat und zuhören möchte.
„Aber nicht wieder ein Märchen, das ich schon kenne“, mault Max und schaut seine Omi trotzig an.
„Wo hast du denn das Märchenbuch? So kannst du ja gar nicht vorlesen!“, stellt Marie verdutzt fest und will schon aus dem Bett springen, um es zu holen.
„Halt! Halt! Marie, steig wieder ins Bett. Das hat schon seine Richtigkeit. Heut lese ich nichts vor. Heut erzähle ich euch eine Geschichte und zwar die Geschichte von der Weihnachtsfee Mariella.“ Omas Stimme klingt richtig spannend. Aber Max nuschelt: „Och, die kenne ich doch schon. Was ist denn da neu?“
„Wart’s nur ab! Oder weißt du, wer die Weihnachtsfee einmal war?“, fragt Oma schelmisch.
„Wieso? Eine Fee wird doch als Fee geboren, so wie ein Mensch ein Mensch bleibt für immer und immer!“ Max schüttelt den Kopf über soviel Unverstand.
„Dann passt mal auf und spitzt die Ohren!“, beginnt Oma verheißungsvoll zu erzählen. „Es war einmal ein kleines, obdachloses Waisenkind namens Mariella. Sie war vielleicht so alt wie du Marie.“
„Also sieben“, wirft Max‘ Schwesterchen ein.
„Richtig! Aus ihrem Zuhause wurde sie erbarmungslos vertrieben, da die Eltern hoch verschuldet waren. So trieb sie sich überall herum, doch nie bettelte sie. Am liebsten schlenderte sie über den täglich geöffneten Marktplatz. Hier konnte sie immer einem Standbesitzer helfen, wofür sie als Lohn etwas zu essen erhielt. Sie war bei allen bekannt und beliebt, doch niemand kam auf die Idee, sich ihrer anzunehmen. Soweit ging die Nächstenliebe der Menschen dann doch nicht. Ihr müsst wissen, dass die Leute meist selbst kaum das Nötigste zum Leben hatten und einen Esser mehr konnten sie sich halt nicht leisten. Die, die genug hatten, waren zu geizig und herzlos, als dass sie die Not dieses kleinen, in Lumpen gehüllten Bündels Mensch hätten sehen wollen.
Schlimm wurde es, als der Winter mit Schnee und Kälte Einzug hielt. Doch solange der Markt offen war, durfte sie sich am Feuer des alten Fischers auch über Nacht wärmen. Seine Feuerstelle erlosch nie, da er die Fische, die nicht verkauft wurden, gleich am nächsten Morgen knusprig röstete und sie dann köstlich duftend doch noch an den Mann bringen konnte. Auch er hatte wohl kein Zuhause, denn wenn er nicht auf dem Markt war, fuhr er auf den See hinaus, um zu angeln.

Am Weihnachtstag kam der alte Fischer nicht mehr zum Markt und seine Feuerstelle erlosch für immer. Das Elend des Mädchens war nun besonders groß. Der Markt wurde zeitig geschlossen. Alle waren mit Vorbereitungen zum Weihnachtsfest beschäftigt. Niemand kümmerte sich um die arme Waise. Wo sollte sie nur hin? Mutterseelenallein stapfte sie in Richtung Wald durch den hohen Schnee. Vor Kälte spürte das Mädchen kaum noch Hände und Füße. Da sah sie plötzlich in der Ferne ein Licht. In ihrer Herzensnot lief sie schnurstracks darauf zu, schneller und immer schneller. Ihr kleines Herz pochte wild vor Aufregung und Hoffnung. Als sie die ersehnte Stelle erreichte, lag da ein großer, silberner Stern, der nur so funkelte. Geblendet hielt sich das Mädchen zuerst die Hände vor die Augen, doch allmählich nahm das Glitzern ab und der Stern sprach mit heller Stimme: „Kleine Mariella! Ich bin gekommen, um dich ins Feenreich zu bringen.“
„Woher weißt du wie ich heiße? Und außerdem, meine Mutter hat immer gesagt, dass ich nicht mit Fremden mitgehen darf“, erwiderte das Mädchen, wobei ihre Zähne vor Kälte nur so klapperten.
Der Stern lachte und sprach weiter: „Das ist auch richtig! Doch die Feenkönigin hat dich seit dem Tode deiner Eltern beobachtet. Du warst gut, hast jedermann geholfen, dich aber nur recht und schlecht durchgeschlagen, so allein wie du bist. Da sich niemand erbarmt hat, dich aufzunehmen, will sie es tun. Sie hat etwas ganz besonderes mit dir vor. Du sollst zur Weihnachtsfee ausgebildet werden und nach der Feenabschlussprüfung dem Weihnachtsmann bei unlösbaren Aufgaben zur Seite stehen. Glaub mir, du wirst es nicht bereuen! Oder möchtest du so weiterleben wie bisher? Komm, setzt dich auf mich!“
Was sollte das Mädchen dagegen sagen. Der Stern hatte in allem recht. Kaum dass sie einen Fuß auf ihn gesetzt hatte, wurde ihr wohlig warm. Die Kälte wich schnell aus ihrem kleinen Körper. Ihr war so heimelig, wie früher, als sie zu Hause vor dem Ofen saß und der Mutter beim Kochen zusah.
Der Stern hob ab und sein Schweif war an diesem Heilig Abend weithin zu sehen.
So wurde aus der kleinen Waise die Weihnachtsfee Mariella“, endete Oma Trudchen ihre Geschichte.
„Oh, war das schön! Ich möchte auch eine Fee werden!“, seufzt Marie von ganzem Herzen. Schnell schläft sie ein und lächelt im Traum.
„Pah, unser kleiner Teufel und eine Fee!“, murmelt Max leise, schon ist auch er eingeschlafen. Oma Trudchen gibt beiden einen Gutenachtkuss und tappt leise aus dem Kinderzimmer.

Der Wind heult nicht mehr, sicher hat auch ihm die Geschichte gefallen. Nun streicht er leise durch die sternklare, kalte Winternacht, erhellt von märchenhaftem Mondlicht.

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