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König Chlodwig jagte einst mit seinem Neffen Parthonopeus im Ardennerwalde. Ein Eber floh vor dem Jüngling und lockte ihn immer tiefer in den Wald hinein. In der Irre tappend gelangte er schließlich zum Ufer des Meeres. Hier fand er eine herrlich geschmückte Barke liegen. Der Jüngling hoffte, auf diesem Schiffe an den Hof seines Oheims zurückkehren zu können oder doch zum wenigsten zu erfahren, wo er sei. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er keine lebendige Seele auf dem Schiff antraf. Er zog sein Roß hinter sich her, streckte sich ermüdet auf dem Deck aus und schlummerte ein. Als er die Augen wieder öffnete, war kein Land noch Wald mehr zu erblicken, nur Himmel und Wasser, und ein heftiger Wind schwellte die Segel. Lieber wäre Parthonopeus noch im Walde gewesen, denn die Gefahren des Landes sind geringer als die des Meeres. Als aber die Sonne aufging und er das Wunderwerk betrachtete, das ihn trug, wurde er ruhiger. Die ganze Ausrüstung der Barke war von Seide und ein strahlender Glanz durchfloß ihr Inneres. Schneller als der Hirsch vor dem Jagdhund flieht, glitt das Fahrzeug durch die Wellen und landete abends von selbst am Fuße eines Bergschlosses. Parthonopeus stieg aus und führte sein Reittier, das ebenso abgemagert war wie er selber, am Zaume nach.
Die hohen Mauern der Feste waren aus rotem und weißem Marmor erbaut, der schachbrettartig wechselte. Der Hafen war groß und tief, wohl hundert Schiffe hätte er gefaßt, rechts und links davon dehnte sich ein unbebauter Sandplatz aus. Durch einen hohen und breiten Turm, der so weiß war wie Elfenbein, betrat der Jüngling die Stadt. Eine Straße, zu deren Seiten marmorne Paläste mit goldenen Dächern in der Sonne glänzten, führte zum Schloß hinauf. Parthonopeus glaubte zu träumen, bald dünkte ihn das alles ein Trug der Hölle, bald vermeinte er im Paradiese zu wandeln, nur sein knurrender Magen mahnte ihn an die Wirklichkeit. Unter dem Schirmdach des Schloßtores war ein Mosaik aus Gold, das Sonne, Mond und Sterne und die Heldentaten der Alten darstellte. Weit öffneten sich die Tore des Palastes und Parthonopeus durchschritt eine Anzahl prächtiger Säle, bis er in einen gelangte, in welchem ein reiches Mahl gedeckt worden war. Große Kerzen brannten im Saale, Messer, Löffel, Becher und Gold- und Silberschalen standen auf der Tafel, aber in der ganzen Stadt war kein lebendes Wesen zu erblicken, kein Ritter und keine Dame saß am Tisch, keine Harfe und keine Geige ließ ihre Saiten erklingen. Der Hunger nötigte den Jüngling, daß er beschloß, von den bereitstehenden Speisen zu kosten. Sogleich bot ihm eine unsichtbare Hand ein Becken mit Wasser und eine andere ein Handtuch dar, und als er sich die Hände gewaschen hatte, setzte er sich auf den Ehrensitz der Tafel, denn inmitten des höllischen Spuks und Blendwerks blieb er sich bewußt, daß er aus königlichem Stamme geboren sei. Von selbst stellten sich die Schüsseln vor ihn, und wenn er von einem Gerichte genommen hatte, wurden die Platten wieder von ebenso unsichtbaren Händen abgetragen. Feenhafte Schenken gossen roten Wein in goldene Schalen, mit welchen sie den Becher des Jünglings füllten, der aus einem einzigen Safir bestand, den ein funkelnder Rubin bedeckte. Nach dem Mahle wurden ihm wieder Wasserbecken und Tücher gereicht und dann ein Würzwein aufgetischt. Parthonopeus fühlte den Schlaf nahen und trat zum Ausgang des Saales. Sogleich erschienen zwei brennende Kerzen, die ihn zu einem reichgeschmückten Lager führten. Die Decke war aus dem Pelze eines Salamanders gefertigt, der nur im Feuer leben kann, und der Teppich vor dem Bette bestand aus Federn des Vogels Phönix, das ganze Gemach aber war mit Porphyr eingelegt. Parthonopeus setzte sich in einen Lehnstuhl, um sich die goldenen Sporen abzunehmen, aber schon war ihm eine dienende Hand zuvorgekommen, die ihn entkleidete.
Kaum hatte er sich in die Decke gehüllt, als alle Kerzen erloschen und das Gemach so dunkel wurde, wie es zuvor in Helle gestrahlt hatte. Den Jüngling lähmte ein unbeschreibliches Grauen, aber er konnte nicht schlafen. Mit einem Male kam ein Mensch ans Bett, Schritt vor Schritt, leise, leise. Parthonopeus fürchtete, es möge der Böse selber sein, aber es war eine Jungfrau, welche die Bettdecke lüpfte und sich neben ihn legte. Er hielt sich ganz ruhig und drückte sich zur Seite, aber auf einmal berührte ihn das Fräulein mit dem Fuße und rief: »Wie? Wer bist du? Bin ich betrogen? Mein ist dies Reich, wie wagtest du, ohne meine Erlaubnis deinen Fuß in meinen Palast zu setzen und dich obendrein in mein Bett zu legen?« Der Jüngling erzählte, durch welche seltsame Reihe von Abenteuern er hierher gekommen sei und entschuldigte sich damit, daß er niemanden gesehen habe, den er um Erlaubnis hätte fragen können. »Frau,« bat er, »habt Erbarmen mit mir! Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, wenn Ihr mich verstoßt. Ich bin Euer Gefangener, Frau, beschließt über mein Leben oder meinen Tod!« Sie aber bestand darauf, daß er gehen solle und drohte, ihre Ritter zu rufen. »Frau,« flehte er wieder, »ich kann nicht mehr gehen, ich bin zu müde. Macht mit mir, was Ihr wollt, wenn Ihr Euch meiner nicht erbarmen mögt.« Er seufzte tief auf und erwartete den Tod. Als die Jungfrau ihn so stöhnen hörte, begann ihr das Herz zu zittern, Mitleid erfaßte sie mit dem jungen Manne, den sie so geschmäht hatte, fast hätte sie ihn um Verzeihung gebeten, und sie bereute unter Tränen ihre harten Worte. So machen es die Frauen. So kam es, daß ihr Widerstreben schwächer und schwächer wurde, während der Jüngling sie an sich zog. Er nahm ihr die Blüte der Jungfrauschaft; Blüten nahm er und gab Blüten, denn nie hatte er bisher ein Weib berührt.
Nun enthüllte ihm die Fee, die sich Meliur nannte, daß sie ihn schon zuvor gekannt und geliebt habe und daß sie es gewesen sei, die dem König den Gedanken zur Jagd eingegeben, den Eber aufgescheucht, das Schiff geschickt und ihn durch ihre Geister bewirtet habe. Parthonopeus dankte der Fee und versicherte sie seiner Liebe: »So sehr liebe ich Euch,« sagte er, »daß alles andere für mich versunken ist. Nur eines fehlt mir noch: ich habe Eure Reize gefühlt, nun möchte ich Euch auch sehen.« »Süßer Freund,« entgegnete die Frau, »jede Nacht dürft Ihr meine Gunst genießen, aber sehen dürft Ihr mich nicht. Ich will nicht eher erblickt werden, als bis die Stunde gekommen ist, die ich meinen Baronen zur Wahl meines Gatten bestimmt habe. Dritthalb Jahre müssen bis dahin noch verstreichen. Bis dahin gehört alles Euch: Hunde und Falken und schöne Rosse, die wildreichen Wälder und die Ströme voll von Fischen, Speisen und Kleider, die Stadt und das Schloß und ich selbst. Aber Ihr dürft mit niemandem reden als mit mir allein bis zu dem Tage, da mich mit Einwilligung all meiner Könige Parthonopeus von Blois zur Gattin erhalten soll. Denn erst dann, süßer Freund, könnt Ihr Ritter werden, nie würden meine Vasallen einen Knappen als Herrn anerkennen. Solltet Ihr aber versuchen, mich vorher mit List zu erblicken, so werden Tränen und Unglück die Folge sein.« »Welche Gründe Euch auch zu diesem Gebote treiben, ich achte sie und unterwerfe mich,« entgegnete Parthonopeus, »da ich Eurer Liebe gewiß bin; was fehlt mir noch zu meinem Glück?«
Einige Wochen verlebte der junge Mann unter unaufhörlichen Freuden im Feenlande, dann aber begann er Sehnsucht nach seiner Heimat zu empfinden. Nächtlicherweile, als er mit Meliur das Lager teilte, gestand er ihr sein Sehnen und bat sie, ihm die Reise zu gestatten. »Geht, Freund,« sagte diese, »geht, und haltet Eurer Freundin die Treue. Frankreich bedarf Eurer Hand, denn viele Feinde bedrängen es. Chlodwig ist tot, auch Euer Vater ist verschieden, und Blois, Euer Erbe, belagert der Feind. Geht und begeht Taten des Ruhms und vergeßt nicht, freigebig zu sein, denn stets will ich Euch reichlich mit Geld versehen. Seid freundlich gegen die Armen und ehrt Gott und seine heilige Kirche, aber laßt Euch nicht verleiten, mich sehen zu wollen. Wenn der Friede wiederhergestellt ist, so verweilt nicht länger im Frankenlande, sondern kehrt um meiner Liebe willen zu mir zurück.« »Frau,« entgegnete Parthonopeus, »ich habe Eure Lehren gehört und werde Eurem Gebote getreu handeln.« Mit Schätzen reich beladen gelangte der junge Mann in die väterliche Burg, verjagte seine Feinde und befreite das Frankenreich von den Normannen und Sarazenen. Dann kehrte er nach Blois zurück, aber das Verlangen nach Meliur ließ ihn nicht ruhen, und die Mutter, die seinen Kummer alsbald bemerkte, stellte ihn deshalb zur Rede und fragte ihn, ob ihn Liebessorge quäle. »Mutter,« antwortete er, »ja, ich habe eine Liebste, die reichste und sanftmütigste, die irgend zu finden ist.« »Ist sie schön?« »Das weiß ich nicht.« »Wie? Das weißt du nicht, wenn du sie so oft gesehen hast?« Nun erfuhr die Mutter das Verbot der Fee, und obwohl sie ihren Sohn darin bestärkte, den Wunsch seiner Geliebten zu achten, sann sie doch darauf, wie sie ihn den Krallen des Teufels, denn für einen solchen hielt sie Meliur, entreißen könne. Man veranstaltete ein Mahl und setzte Parthonopeus einen Vergessenheitstrunk vor; und wirklich vergaß sich dieser soweit, daß er mit seiner freundlichen Nachbarin plauderte und nahe daran war, sich in sie zu verlieben. Das aber war es, was die Mutter beabsichtigt hatte: das junge Mädchen sollte ihn an die Heimat fesseln. Fast wäre das Ziel erreicht worden, da entschlüpften diesem die unbedachten Worte: »Wir haben unser Spiel gewonnen, Freund, du bist der Macht der schönen Fee entrissen!« Als Parthonopeus so an seine Geliebte erinnert wurde, dachte er nach, mit einem Male fiel ihm alles wieder ein und eine drückende Angst beklemmte ihn. Er sprang auf, entriegelte die Tür, durcheilte die Säle und fand sein Roß am Torweg. Er bestieg es und eilte im Galopp von dannen.
Aber bald darauf trieb ihn die Sehnsucht nach der Heimat ein zweites Mal aus den Armen Meliurs, welche ihn diesmal, Böses ahnend, ungern ziehen ließ. Die Mutter hatte inzwischen den Erzbischof von Paris aufgesucht und ihm erzählt, wie eine Fee ihren Sohn verzaubert und ihm verboten habe, sie zu sehen. Als daher der junge Mann nach Blois zurückkehrte, berief ihn der Erzbischof alsbald zu sich und ermahnte ihn, ihm seine Sünden zu bekennen. »Herr,« sagte Parthonopeus, »nur einer Sünde weiß ich mich schuldig. Ich liebe eine Frau, die nie ich sah. Sie ist es, die mir Gold und edle Steine gab, womit ich Könige und Bürger beschenkte, sie ist es, die unserem Lande den Frieden verschaffte, sie ist es, der ich alles verdanke, doch darf ich sie ohne ihre Erlaubnis nicht betrachten, und das ist das einzige, was mir Zweifel und Furcht verursacht.« Als der Erzbischof dieses hörte, riet er dem jungen Mann, er solle durchaus seine Geliebte sehen, um sich zu überzeugen, ob sie nicht ein vermummter böser Geist sei. Dann eröffnete ihm die Mutter, daß sie ein Mittel besitze, um sie unbemerkt zu betrachten. Aber wenn er sie erblicke, solle er sich vor allzu großem Schrecken hüten, denn der Teufel sei maßlos häßlich. Sie gab ihm eine Zauberlaterne, welche kein Wind zu löschen vermochte. Parthonopeus, den die Ermahnungen des Bischofs erschreckt hatten, ging in die Falle und nahm die Laterne mit.
Dunkle Nacht war es, als er im Schlosse Meliurs anlangte. Die schwerbeladenen Tafeln ließ er heute unberührt und eilte, seine Laterne sorgfältig unter dem Mantel verbergend, ins Schlafgemach. Ganz angekleidet warf er sich aufs Bett, so groß war seine Ungeduld, Meliur zu sehen. Als die Kerzen erloschen waren, erschien die Fee, warf ihren Mantel ab und legte sich neben ihren Geliebten. Als der junge Mann sie neben sich fühlte, zog er seine Laterne plötzlich unter der Decke hervor und erblickte die Fee im hellen Lichtstrahl. Nie hatten seine Augen ein schöneres Weib gesehen. Meliur aber erbleichte und erst jetzt sah Parthonopeus, daß er töricht gehandelt habe. Voll Wut warf er seine Laterne gegen die Mauer, so daß sie zersplitterte, und verfluchte den Tag, da er sie erhalten. In diesem Augenblicke fühlte er, wie sehr man ihn betrogen, da die Frau, die man ihm als den häßlichsten aller Teufel geschildert hatte, das schönste Weib auf Erden war. »Süßer Freund,« klagte die Fee, »was habe ich dir getan, daß du mich so mit Schmach bedeckst? Tat ich etwas gegen deinen Willen, daß du mir so zürnst?« Durch die Übertretung des Verbotes nämlich hatte die Fee ihre Zaubermacht verloren, und kaum war die unbedachte Tat geschehen, als Ritter und Frauen in das Gemach strömten, die mit Fingern auf das Paar wiesen. Parthonopeus wurde aus dem Feenlande gewiesen und suchte verzweifelt den Tod unter den wilden Bestien des Ardennerwaldes. Wie der junge Held von einer mächtigen Fee gerettet wurde und schließlich doch noch die Hand der schönen Meliur bei einem Turnier gewann, sollt ihr ein andermal hören.
Die hohen Mauern der Feste waren aus rotem und weißem Marmor erbaut, der schachbrettartig wechselte. Der Hafen war groß und tief, wohl hundert Schiffe hätte er gefaßt, rechts und links davon dehnte sich ein unbebauter Sandplatz aus. Durch einen hohen und breiten Turm, der so weiß war wie Elfenbein, betrat der Jüngling die Stadt. Eine Straße, zu deren Seiten marmorne Paläste mit goldenen Dächern in der Sonne glänzten, führte zum Schloß hinauf. Parthonopeus glaubte zu träumen, bald dünkte ihn das alles ein Trug der Hölle, bald vermeinte er im Paradiese zu wandeln, nur sein knurrender Magen mahnte ihn an die Wirklichkeit. Unter dem Schirmdach des Schloßtores war ein Mosaik aus Gold, das Sonne, Mond und Sterne und die Heldentaten der Alten darstellte. Weit öffneten sich die Tore des Palastes und Parthonopeus durchschritt eine Anzahl prächtiger Säle, bis er in einen gelangte, in welchem ein reiches Mahl gedeckt worden war. Große Kerzen brannten im Saale, Messer, Löffel, Becher und Gold- und Silberschalen standen auf der Tafel, aber in der ganzen Stadt war kein lebendes Wesen zu erblicken, kein Ritter und keine Dame saß am Tisch, keine Harfe und keine Geige ließ ihre Saiten erklingen. Der Hunger nötigte den Jüngling, daß er beschloß, von den bereitstehenden Speisen zu kosten. Sogleich bot ihm eine unsichtbare Hand ein Becken mit Wasser und eine andere ein Handtuch dar, und als er sich die Hände gewaschen hatte, setzte er sich auf den Ehrensitz der Tafel, denn inmitten des höllischen Spuks und Blendwerks blieb er sich bewußt, daß er aus königlichem Stamme geboren sei. Von selbst stellten sich die Schüsseln vor ihn, und wenn er von einem Gerichte genommen hatte, wurden die Platten wieder von ebenso unsichtbaren Händen abgetragen. Feenhafte Schenken gossen roten Wein in goldene Schalen, mit welchen sie den Becher des Jünglings füllten, der aus einem einzigen Safir bestand, den ein funkelnder Rubin bedeckte. Nach dem Mahle wurden ihm wieder Wasserbecken und Tücher gereicht und dann ein Würzwein aufgetischt. Parthonopeus fühlte den Schlaf nahen und trat zum Ausgang des Saales. Sogleich erschienen zwei brennende Kerzen, die ihn zu einem reichgeschmückten Lager führten. Die Decke war aus dem Pelze eines Salamanders gefertigt, der nur im Feuer leben kann, und der Teppich vor dem Bette bestand aus Federn des Vogels Phönix, das ganze Gemach aber war mit Porphyr eingelegt. Parthonopeus setzte sich in einen Lehnstuhl, um sich die goldenen Sporen abzunehmen, aber schon war ihm eine dienende Hand zuvorgekommen, die ihn entkleidete.
Kaum hatte er sich in die Decke gehüllt, als alle Kerzen erloschen und das Gemach so dunkel wurde, wie es zuvor in Helle gestrahlt hatte. Den Jüngling lähmte ein unbeschreibliches Grauen, aber er konnte nicht schlafen. Mit einem Male kam ein Mensch ans Bett, Schritt vor Schritt, leise, leise. Parthonopeus fürchtete, es möge der Böse selber sein, aber es war eine Jungfrau, welche die Bettdecke lüpfte und sich neben ihn legte. Er hielt sich ganz ruhig und drückte sich zur Seite, aber auf einmal berührte ihn das Fräulein mit dem Fuße und rief: »Wie? Wer bist du? Bin ich betrogen? Mein ist dies Reich, wie wagtest du, ohne meine Erlaubnis deinen Fuß in meinen Palast zu setzen und dich obendrein in mein Bett zu legen?« Der Jüngling erzählte, durch welche seltsame Reihe von Abenteuern er hierher gekommen sei und entschuldigte sich damit, daß er niemanden gesehen habe, den er um Erlaubnis hätte fragen können. »Frau,« bat er, »habt Erbarmen mit mir! Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, wenn Ihr mich verstoßt. Ich bin Euer Gefangener, Frau, beschließt über mein Leben oder meinen Tod!« Sie aber bestand darauf, daß er gehen solle und drohte, ihre Ritter zu rufen. »Frau,« flehte er wieder, »ich kann nicht mehr gehen, ich bin zu müde. Macht mit mir, was Ihr wollt, wenn Ihr Euch meiner nicht erbarmen mögt.« Er seufzte tief auf und erwartete den Tod. Als die Jungfrau ihn so stöhnen hörte, begann ihr das Herz zu zittern, Mitleid erfaßte sie mit dem jungen Manne, den sie so geschmäht hatte, fast hätte sie ihn um Verzeihung gebeten, und sie bereute unter Tränen ihre harten Worte. So machen es die Frauen. So kam es, daß ihr Widerstreben schwächer und schwächer wurde, während der Jüngling sie an sich zog. Er nahm ihr die Blüte der Jungfrauschaft; Blüten nahm er und gab Blüten, denn nie hatte er bisher ein Weib berührt.
Nun enthüllte ihm die Fee, die sich Meliur nannte, daß sie ihn schon zuvor gekannt und geliebt habe und daß sie es gewesen sei, die dem König den Gedanken zur Jagd eingegeben, den Eber aufgescheucht, das Schiff geschickt und ihn durch ihre Geister bewirtet habe. Parthonopeus dankte der Fee und versicherte sie seiner Liebe: »So sehr liebe ich Euch,« sagte er, »daß alles andere für mich versunken ist. Nur eines fehlt mir noch: ich habe Eure Reize gefühlt, nun möchte ich Euch auch sehen.« »Süßer Freund,« entgegnete die Frau, »jede Nacht dürft Ihr meine Gunst genießen, aber sehen dürft Ihr mich nicht. Ich will nicht eher erblickt werden, als bis die Stunde gekommen ist, die ich meinen Baronen zur Wahl meines Gatten bestimmt habe. Dritthalb Jahre müssen bis dahin noch verstreichen. Bis dahin gehört alles Euch: Hunde und Falken und schöne Rosse, die wildreichen Wälder und die Ströme voll von Fischen, Speisen und Kleider, die Stadt und das Schloß und ich selbst. Aber Ihr dürft mit niemandem reden als mit mir allein bis zu dem Tage, da mich mit Einwilligung all meiner Könige Parthonopeus von Blois zur Gattin erhalten soll. Denn erst dann, süßer Freund, könnt Ihr Ritter werden, nie würden meine Vasallen einen Knappen als Herrn anerkennen. Solltet Ihr aber versuchen, mich vorher mit List zu erblicken, so werden Tränen und Unglück die Folge sein.« »Welche Gründe Euch auch zu diesem Gebote treiben, ich achte sie und unterwerfe mich,« entgegnete Parthonopeus, »da ich Eurer Liebe gewiß bin; was fehlt mir noch zu meinem Glück?«
Einige Wochen verlebte der junge Mann unter unaufhörlichen Freuden im Feenlande, dann aber begann er Sehnsucht nach seiner Heimat zu empfinden. Nächtlicherweile, als er mit Meliur das Lager teilte, gestand er ihr sein Sehnen und bat sie, ihm die Reise zu gestatten. »Geht, Freund,« sagte diese, »geht, und haltet Eurer Freundin die Treue. Frankreich bedarf Eurer Hand, denn viele Feinde bedrängen es. Chlodwig ist tot, auch Euer Vater ist verschieden, und Blois, Euer Erbe, belagert der Feind. Geht und begeht Taten des Ruhms und vergeßt nicht, freigebig zu sein, denn stets will ich Euch reichlich mit Geld versehen. Seid freundlich gegen die Armen und ehrt Gott und seine heilige Kirche, aber laßt Euch nicht verleiten, mich sehen zu wollen. Wenn der Friede wiederhergestellt ist, so verweilt nicht länger im Frankenlande, sondern kehrt um meiner Liebe willen zu mir zurück.« »Frau,« entgegnete Parthonopeus, »ich habe Eure Lehren gehört und werde Eurem Gebote getreu handeln.« Mit Schätzen reich beladen gelangte der junge Mann in die väterliche Burg, verjagte seine Feinde und befreite das Frankenreich von den Normannen und Sarazenen. Dann kehrte er nach Blois zurück, aber das Verlangen nach Meliur ließ ihn nicht ruhen, und die Mutter, die seinen Kummer alsbald bemerkte, stellte ihn deshalb zur Rede und fragte ihn, ob ihn Liebessorge quäle. »Mutter,« antwortete er, »ja, ich habe eine Liebste, die reichste und sanftmütigste, die irgend zu finden ist.« »Ist sie schön?« »Das weiß ich nicht.« »Wie? Das weißt du nicht, wenn du sie so oft gesehen hast?« Nun erfuhr die Mutter das Verbot der Fee, und obwohl sie ihren Sohn darin bestärkte, den Wunsch seiner Geliebten zu achten, sann sie doch darauf, wie sie ihn den Krallen des Teufels, denn für einen solchen hielt sie Meliur, entreißen könne. Man veranstaltete ein Mahl und setzte Parthonopeus einen Vergessenheitstrunk vor; und wirklich vergaß sich dieser soweit, daß er mit seiner freundlichen Nachbarin plauderte und nahe daran war, sich in sie zu verlieben. Das aber war es, was die Mutter beabsichtigt hatte: das junge Mädchen sollte ihn an die Heimat fesseln. Fast wäre das Ziel erreicht worden, da entschlüpften diesem die unbedachten Worte: »Wir haben unser Spiel gewonnen, Freund, du bist der Macht der schönen Fee entrissen!« Als Parthonopeus so an seine Geliebte erinnert wurde, dachte er nach, mit einem Male fiel ihm alles wieder ein und eine drückende Angst beklemmte ihn. Er sprang auf, entriegelte die Tür, durcheilte die Säle und fand sein Roß am Torweg. Er bestieg es und eilte im Galopp von dannen.
Aber bald darauf trieb ihn die Sehnsucht nach der Heimat ein zweites Mal aus den Armen Meliurs, welche ihn diesmal, Böses ahnend, ungern ziehen ließ. Die Mutter hatte inzwischen den Erzbischof von Paris aufgesucht und ihm erzählt, wie eine Fee ihren Sohn verzaubert und ihm verboten habe, sie zu sehen. Als daher der junge Mann nach Blois zurückkehrte, berief ihn der Erzbischof alsbald zu sich und ermahnte ihn, ihm seine Sünden zu bekennen. »Herr,« sagte Parthonopeus, »nur einer Sünde weiß ich mich schuldig. Ich liebe eine Frau, die nie ich sah. Sie ist es, die mir Gold und edle Steine gab, womit ich Könige und Bürger beschenkte, sie ist es, die unserem Lande den Frieden verschaffte, sie ist es, der ich alles verdanke, doch darf ich sie ohne ihre Erlaubnis nicht betrachten, und das ist das einzige, was mir Zweifel und Furcht verursacht.« Als der Erzbischof dieses hörte, riet er dem jungen Mann, er solle durchaus seine Geliebte sehen, um sich zu überzeugen, ob sie nicht ein vermummter böser Geist sei. Dann eröffnete ihm die Mutter, daß sie ein Mittel besitze, um sie unbemerkt zu betrachten. Aber wenn er sie erblicke, solle er sich vor allzu großem Schrecken hüten, denn der Teufel sei maßlos häßlich. Sie gab ihm eine Zauberlaterne, welche kein Wind zu löschen vermochte. Parthonopeus, den die Ermahnungen des Bischofs erschreckt hatten, ging in die Falle und nahm die Laterne mit.
Dunkle Nacht war es, als er im Schlosse Meliurs anlangte. Die schwerbeladenen Tafeln ließ er heute unberührt und eilte, seine Laterne sorgfältig unter dem Mantel verbergend, ins Schlafgemach. Ganz angekleidet warf er sich aufs Bett, so groß war seine Ungeduld, Meliur zu sehen. Als die Kerzen erloschen waren, erschien die Fee, warf ihren Mantel ab und legte sich neben ihren Geliebten. Als der junge Mann sie neben sich fühlte, zog er seine Laterne plötzlich unter der Decke hervor und erblickte die Fee im hellen Lichtstrahl. Nie hatten seine Augen ein schöneres Weib gesehen. Meliur aber erbleichte und erst jetzt sah Parthonopeus, daß er töricht gehandelt habe. Voll Wut warf er seine Laterne gegen die Mauer, so daß sie zersplitterte, und verfluchte den Tag, da er sie erhalten. In diesem Augenblicke fühlte er, wie sehr man ihn betrogen, da die Frau, die man ihm als den häßlichsten aller Teufel geschildert hatte, das schönste Weib auf Erden war. »Süßer Freund,« klagte die Fee, »was habe ich dir getan, daß du mich so mit Schmach bedeckst? Tat ich etwas gegen deinen Willen, daß du mir so zürnst?« Durch die Übertretung des Verbotes nämlich hatte die Fee ihre Zaubermacht verloren, und kaum war die unbedachte Tat geschehen, als Ritter und Frauen in das Gemach strömten, die mit Fingern auf das Paar wiesen. Parthonopeus wurde aus dem Feenlande gewiesen und suchte verzweifelt den Tod unter den wilden Bestien des Ardennerwaldes. Wie der junge Held von einer mächtigen Fee gerettet wurde und schließlich doch noch die Hand der schönen Meliur bei einem Turnier gewann, sollt ihr ein andermal hören.
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]