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Märchenbasar

Peter der Erste als Dieb

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Alles hatte Peter der Erste erlernt, nur stehlen konnte er nicht und fuhr daher, um es zu lernen, in ein anderes Reich und verdingte sich als Gehilfe bei einem tüchtigen Diebe. Er ging mit ihm hinaus auf die große Straße. Da sahen sie einen Wagen vor sich herfahren, auf dem saß ein Kaufmann, und hinten war ein Ochse angebunden. »Gut wär es, den zu berauben«, meinte Peter. »Man muß ihn totschlagen, wie willst du ihn sonst berauben?« antwortete der Dieb. Peter war jedoch mit dem Totschlagen nicht einverstanden. Er zog einen Stiefel ab, besudelte ihn und warf ihn auf die Straße: seine Stiefel aber waren ganz neu. Der Kaufmann kam herangefahren, bemerkte den Stiefel wohl, aber fuhr weiter. Peter lief voraus, zog den zweiten ab und warf ihn ebenfalls auf die Straße. Der Kaufmann erblickte den Stiefel und sah, daß er ganz neu war. »Ich will ihn doch aufheben«, dachte er, »er ist ja neu.« Er stieg vom Wagen ab und lief zurück, den andern Stiefel zu holen; unterdessen tötete Peter den Ochsen, zog ihm das Fell ab und befahl dem Diebe, das Fleisch in den Wald zu schleppen und eine Suppe zu kochen. »Bloß wirst du nichts davon zu essen bekommen«, sagte er, »sondern höchstens von der Suppe kosten.« Jener glaubte ihm nicht und schleppte das Fleisch in den Wald. Peter setzte sich den Ochsenkopf auf, stieg in den Sumpf am Wege und saß dort. Der Kaufmann kam und sah, daß der Ochse versunken war. Was war zu machen, herausziehen mußte man ihn, obwohl er nur noch mit dem Kopfe wackelte. Der Kaufmann zog sich aus, kroch dem Ochsen nach und fing an zu ziehen. Da warf ihm Peter das Fell über den Kopf und stieß ihn in den Sumpf, dann lief er zum Wagen, sprang auf und schrie: »Ich war nicht allein!« Der Räuber hörte das, erschrak und lief fort, obwohl er noch nicht einmal ordentlich von der Suppe gekostet hatte. Peter kam herangefahren, aß das Fleisch auf, setzte sich auf den Wagen und fuhr rasch nach Hause; er versteckte alles, kletterte auf die Schlafbank und schlief ein. Bald darauf kam der Räuber und klagte der Frau, daß es schiefgegangen sei, und was für ein geschickter Gehilfe sei das gewesen! »Ja, aber dort liegt er doch auf der Schlafbank!« rief die Frau. Der Räuber wunderte sich und hörte nun, wie die Sache verlaufen war.
Einige Zeit darauf wollten sie einem Kaufmann die Warenkammer ausräumen. Peter kletterte hinein und stahl zwölf Schuppenpelze und einen von Zobel. Sie fingen an zu teilen; aber wie sollte es mit dem dreizehnten Pelz werden? Peter verlangte, daß er ihm gehören müsse, denn er sei hineingekrochen; der Räuber war jedoch nicht einverstanden. »Gut«, sagte Peter, »bleib du hier beim Kaufmann unter dem Fenster stehn, ich aber will gehn und fragen, wer den Pelz erhalten soll.« Er stellte sich trunken, ging zum Kaufmann hinein und erzählte, wie zwei Diebe bei einem Kaufmann zwölf Schuppenpelze und einen aus Zobel gestohlen hätten und sie nicht zu teilen verstünden; und wer solle den Zobelpelz erhalten? Man antwortete ihm: der, der hineingekrochen sei. Der Räuber hörte das und mußte den Pelz abtreten.
Darauf beschlossen sie, die Reichsschatzkammer zu berauben. Wie sollten sie aber die Wächter anführen? Peter stellte sich wieder betrunken, nahm mehrere Halblitergefäße voll Schnaps mit, ging an dem Wächter vorbei, ließ wie im Versehen die Gefäße fallen und ging weiter. Der Wächter aber hatte das bemerkt, hob die Gefäße auf, trank sie leer und schlief ein. Von der andern Seite aber brachen Peter und sein Lehrer durch die Wand der Schatzkammer, rafften aus den Kästen einen großen Haufen Gold und Silber zusammen und verschlossen wieder die Wand. Am nächsten Tage war eine Revision der Schatzkammer, und man bemerkte, daß das Geld gestohlen und die Wand schlecht wieder zusammengefügt war. Man befragte den Wächter, und er gestand, daß er Schnaps getrunken habe.
Da ließ der Zar alle bekannten Diebe zusammenrufen, um zu beraten, wie der Schatzdieb zu fangen wäre. Der allerberühmteste Dieb Barma meinte, daß ein geschickter Dieb es getan habe, er selbst hätte es nicht so gewandt vollbringen können. »Man muß«, sagte er, »an der Wand ein Faß mit Teer aufstellen.« Na, das wurde denn auch getan. Der Räuber wollte noch einmal in die Schatzkammer einsteigen. Peter riet ihm ab, doch jener fuhr trotzdem hin. Er stieg diesmal selber ein – und fiel in das Faß. Peter bemerkte die Falle. Was sollte er tun? Durch den andern würde man wohl auch ihn ausfindig machen. Peter steckte die Hand ins Faß, tastete umher und schnitt dem Räuber den Kopf ab. Dann kroch er vorsichtig über das Faß hinüber, stahl wiederum Geld aus der Schatzkammer und fuhr mit dem Kopf nach Hause. Der Frau des Räubers erzählte er, wie ihr Mann sich gefangen habe, und warnte sie, daß sie nicht weinen solle, wenn der Leichnam durch die Stadt gefahren werde; für diesen Fall aber riet er ihr, beim Hinausgehn in eine Hand einen Teller mit roter Grütze, in die andere einen Topf mit Milch zu nehmen, dies alles zu zerschlagen, zu weinen und zu jammern: »Mir ist’s nicht leid um den Teller Grütze, mir ist’s leid um den Topf mit Milch! Mir ist’s nicht leid um den Topf mit Milch, mir ist’s leid um den Teller Grütze!«
Am nächsten Tage führte man den Leichnam durch die Stadt. Die Frau ging hinaus mit der Grütze; irgendwer stieß sie, und Grütze und Milch flogen ihr aus der Hand. Da weinte das Weib und fing ihre Klage an.
Den Leichnam hängte man an einen Baum und ließ hundert Mann Soldaten Wache stehn. Peter wollte die Leiche stehlen. Er verkleidete sich als alter Mann, kaufte lange tatarische Röcke, Schnaps und Rasiermesser, packte alles auf einen Wagen, an dem er die Achsen halb durchsägte. Er kam zu den Wächtern gefahren, und da brachen die Achsen. Er jammerte darüber, bat die Soldaten, beim Wagen zu bleiben, während er nach neuen Achsen laufen wolle. Kaum war Peter fort, so machten sich die Soldaten über den Wagen her, fanden den Schnaps, tranken sich um Sinn und Verstand und schliefen ein. Peter kam zurück, rasierte ihnen die Köpfe, kleidete sie in die tatarischen Röcke und fuhr mit dem Leichnam davon. Am Morgen meldete man dem Zaren, daß die Tataren die Stadt belagerten. Der Zar sandte ein Heer aus, und erst dann erfuhr man, daß nichts als Betrug dahinter war.
Der Dieb Barma riet dem Zaren, für alle Säufer ein Gelage zu rüsten. Man rollte vierzig Fässer Schnaps an und warf hier und da in die Winkel Goldstücke, in der Hoffnung, der Dieb werde das Gold aufheben, während die Säufer trinken würden. Peter erschien auf dem Gelage, hatte seine Sohlen mit Pech beschmiert und ging umher; die Goldstücke klebten an den Füßen, und auf diese Weise sammelte er sie auf. Die Diener sahen, daß niemand sich bückte, und doch war das Gold fort. Sie durchsuchten die Taschen der schlafenden Säufer und fanden bei Peter das Gold. Zum Zeichen dafür schnitten sie ihm die Sohlen seiner Stiefel ab. Er hatte sich aber nur trunken gestellt, hörte und sah alles und schnitt darauf allen die Sohlen ab. Als man sie später hinausließ und untersuchte, hatte keiner mehr eine Sohle am Stiefel.
Das nächste Mal wurde wieder ein Gelage veranstaltet, und Barma riet dem Zaren, seine Tochter zu opfern und sie in ein besonderes Gemach zu setzen, damit die Säufer sich an ihrer Schönheit erfreuen könnten. Der Dieb, meinte er, werde zu ihr schleichen, und dann solle sie ihm ihren Stempel aufdrücken. Und wirklich, die Säufer betranken sich, Peter aber schlich sich in das Zimmer zu der Zarentochter, und sie drückte ihm ihren Stempel auf. Allein er nahm ihr die Jungfernschaft und drohte sie zu töten, wenn sie ihm nicht den Stempel gäbe. Sie gab ihn her, und er ging hin und stempelte alle Säufer ab. Auch diesmal entkam er.
Beim drittenmal rüstete man wieder ein Gelage, und in dem Zimmer der Zarentochter stellte man eine Falle. Und wirklich schlich Peter sich wieder hin und fiel durch den Boden. Er schrie aber: »Hierher, Kinder, viel Schnaps ist da!« Die Säufer stürzten zu ihm hin und brachen ebenfalls durch.
Endlich beschloß man, die Zarentochter in ein Kloster zu stecken. Da ging Peter einmal nachts zu ihr. Unterwegs griff er einen Menschen auf, warf ihn sich auf die Schulter und ging zum Kloster. Ein Mönch fragte: »Wer da?« – »Der Teufel, er trägt einen Popen.« Der Mönch erschrak und lief fort. Peter aber schlief bei der Zarentochter. In der nächsten Nacht war’s das gleiche. In der dritten ging Barma selber wachen. Peter kam wieder nachts mit einem Mann auf der Schulter. »Wer da?« fragte Barma. »Der Teufel, er trägt einen Popen.« – »Nun, so geh weiter.« Peter ging hinein, aber Barma schloß alle Türen ab, und am Morgen fing man Peter bei der Zarentochter, warf ihn ins Gefängnis und bestimmte den Tag der Hinrichtung. Peter überredete im Gefängnis einen Knaben, in seine Wohnung zu laufen und ihm sein Bündel zu bringen, gab ihm ein Goldstück dafür. Der Knabe brachte das Bündel, darin aber war Peters Zarengewand. Als er sich angekleidet hatte, erkannte man in ihm den russischen Zaren, der andere Zar jedoch erschrak, weil er abhängig von ihm war. Er wollte ihm seine Tochter zur Frau geben. »Ihr habt ihr die Jungfernschaft genommen«, sagte er. Peter berief sich darauf, daß der Gestempelten viele gewesen waren, er sei nicht der erste bei ihr gewesen. Und da fuhr er denn fort in sein Reich.

[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]

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