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Piknes Sackpfeife

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In den Tagen des Anfangs hatte Allvater viel zu schaffen mit der Einrichtung der Welt, damit er vor früh bis spät die Zeit hinbrachte und nicht achthaben konnte auf gar mancherlei, was sich hier und da hinter seinem Rücken zutrug. Die Götterhelden standen nun schon von Anbeginn gegen einander, also daß es häufig Fehde gab. So hatten Pikne und Tühi der Alte lange Zeit miteinander gerungen und ihre Kräfte gemessen, wer wohl von den beiden die Oberhand gewönne. Ob nun auch die Recken Tag und Nacht lauernd einander auf den Fersen waren und sich müde sannen, wie wohl einer dem andern mit Gewalt oder List ein Übel zufügen könnte, hatten sie doch lange nicht den rechten Augenblick getroffen, geheim ersonnene Anschläge auszuüben. Da geschah es einst, daß Pikne vom beständigen Wachen erschöpft in tiefen Schlaf gefallen war wie ein Siebenschläfer; zum Unglück vergaß er die Sackpfeife sich unter das Haupt zu schieben, wo ihm das Gerät sonst immer zu liegen pflegte. Tiefer Schlaf verschloß ihm Auge und Ohr, daß der Held nicht sah noch hörte, was in seiner Nähe vorging. Wie nun der Tühi
der Alte, was jedem Schritte seines Feindes nachschlich, den Pikne entschlummernd fand, trat er leise auf Zehen heran, raffte die Pfeife von der Seite des Schläfers und entsprang eilends mit seinem Raube.
Er hoffte so dem Donneralten am ärgsten zu kränken und seine Macht zu mindern, wenn er ihm das Werkzeug seiner Strafe verberge, das bis jetzt dem Höllenvolke die schlimmste Geißel gewesen. Als nun Pikne erwachte und die Augen öffnete, merkte alsbald den Schaden, den ihm der Feind getan, derweil er geschlafen. Denn kein andrer als Tühi der Alte konnte ihm die Pfeife entwendet haben, das sah er sogleich. Wie aber sollte er es anstellen, den Klauen des Diebes das gestohlene Gut wieder zu entreißen?
Wohl hätte er den Diebeshandel Allvater aufgesagt und ihn um Beistand gebeten, aber da wäre ja seine eigene Unachtsamkeit offenbar geworden und Allvater hätte ihn wohl gar im Zorn gestraft.
Mit solchen Gedanken sorgte sich Pikne eine gute Weile, verbarg sich auch zum öftern in die Einsamkeit, wo kein Auge ihn erblicken mochte. War nun Tühi der Alte im übrigen täppisch wie ein Dorftölpel und einfältig in allen Stücken, so wußte er doch vor Pikne wohl auf der Hut zu sein. Sonst schreckte ihn Piknes Pfeife wie ein böser Kobold, daß er schon von fern davonlief; nun aber durfte er schon etwas dreister sein. Er wußte auch so manchen heimlichen Schlupfwinkel wo ihm Piknes Pfeile kein Übel tun konnten; tief unten im Wasser mochte er um Pikne unbekümmert hausen. So meinte denn der Pikne gleich, wie er des Alten etliche Tage nicht ansichtig geworden, er sitze wohl im Wasser verborgen, doch fand er lange keinen glücklichen Plan wie er ihn finge und seiner Pfeife wieder habhaft würde. Da fiel er eines Tages auf einen trefflichen Anschlag, den er sogleich ins Werk zu setzen beschloß.
Er verwandelte sich in einen Knaben, wanderte in die Dörfer am Strande und suchte, ob es ihm gelänge, bei einem Fischer einen Dienst zu finden.

Ein reicher Fischer namens Lijon sprach, als er des feinen Knaben Anliegen vernommen: „Eine Herde habe ich zwar nicht, aber ich will’s mit dir versuchen, ob du dich mir vielleicht allmählich beim Fischfang nützlich erweisen wirst. Du scheinst mir ein Bürschchen von scharfem Verstand, und zeigst du dich auch ebenso flink und folgsam, so könnten wir leicht handelseinig werden.“
Als er am nächsten Morgen an den See ging, nahm er den Knaben mit sich und unterwies ihn, wie er mit Angel und Netzt anzugreifen und die übrigen Fischergeschäfte zu verrichten habe. Schon nach wenigen Tagen fand er, daß ihm der anstellige Lehrling von Nutzen war, der alle Hantierung leicht begriff und seinem Herrn auf Schritt du Tritt behilflich zu sein wußte. So war ihm der Knabe gleichsam seine rechte Hand, so daß er niemals mehr allein auf den Fischfang zog. Die anderen Fischer nannten den Knaben spöttisch Lijons Hackenhündchen, doch das Wort verdroß ihn nicht, sondern er freute sich seines unverhofften Glückes, da er nun täglich von früh bis spät das Wasser befahren konnte, wo vielleicht irgendwo am Grunde der Feind verborgen saß. Nun traf sich’s, das Tühi der Alte seinem Sohn die Hochzeit ausrichten und den Gästen gar prächtige Fest anstellen wollte, damit die Leute eine gute Weile von seinem Reichtum zu schwatzen hätten. – Eitelkeit ist des Teufels schlimmster Kitzel. Der alte Höllenwirt pflegte aber seine Pfoten überallhin auszustrecken, wo er einen Fang zu tun erhoffte; am meisten trachtete er zu ernten, wo andere gesät, daß er keine Last hätte, als die Früchte fremden Fleißes einzuheimsen. So geriet er denn eines Tages auch an den See, da Lijon der Fischer seine Netzte ausgeworfen hatte. Wie er eben daran war, die Fische aus den Maschen zu pflücken, kam der Fischer mit dem Knaben an die See, die Netze auszuziehen. Des Knaben Luchsauge hatte wie der Blitz schon fern den Feind unterm Wasser erspäht. Er stieß seinen Herrn in die Seite und raunte ihm verstohlen ins Ohr, warum ihr Fang in jüngster Zeit so spärlich ausgefallen. „Eine diebische Hand maust euch eben an den Netzen“, sprach er, und lenkte mit dem Finger den Blick seines Gebieters auf den Dieb, der eben auf dem Grunde des Sees in bester Arbeit war und die Kommenden nicht bemerkte. Lijon aber war ein erfahrener Schwarzkünstler, der alsbald die Diebshand an den Diebstahl festzubannen wußte, so daß sie ohne ihn nicht frei zu werden durfte. Nachdem nun alle seine heimlichen Künste ausgeübt, kehrte er mit dem Knaben heim und sprach scherzend:
„Mag er nun bis an den Morgen die Fische lesen, wieviel ihrer ins Netz gegangen!“ Als sie den folgenden Tag zur See kamen und die Netze an Land zogen, fanden sie Väterchen Tühi im Garn gefangen, daraus das Männchen nicht zu entkommen vermochte, sondern offen vor des Fischers Augen treten mußte. Wie nun sein Kopf mit dem Garn über Wasser kam, versetzte ihm der Fischer gleich zum Gruß mit dem eschenen Ruderholz etliche saubere Hiebe, daß ihm darob in den Ohren ein Sausen und Klingen geschah. Am Ufer ergriffen die beiden, der Fischer und sein Knabe, derbe Prügel und hoben an, dem Dieb den Lohn auszumessen. Obgleich nun der Knabe von Ansehn schmächtig war, schmeckten doch seine Schläge so bitter, daß es Vater Tühi durch Mark und Bein ging und ihm den Atem benehmen wollte. Da begann Tühi zu jammern und zu flehen: „Vergib mir diesmal, Brüderchen, und höre meine Entschuldigung an! Not treibt den Ochsen in den Brunnen, Not auch mich Armen heute an den Garn. Meines Sohnes Hochzeit kommt mir ins Haus, die kann man nicht ohne Fische ausrichten, wie du wohl weißt. Da ich nun selber keine Netze hatte, mußt’ich wohl etliche Fische aus deinem Garn leihen. Es war mein erstes Vergehen gegen dich und soll auch das letzte bleiben. Mein Lebtag will ich das Bad nicht vergessen, das du mir heute zubereitet. Dein Junge da hat mich ganz matt und mürbe gequästet, daß ich nicht Hand noch Fuß rühren kann.“

Der Fischer antwortete: „Mag’s denn mit unserm Handel für diesmal ein Ende haben. Du kennst jetzt meine Netze und wirst ein andermal wissen dich in acht zu nehmen. Da, hock dir den Fischsack auf und geh mir aus den Augen, daß ich deine Fersen nicht mehr sehe, oder.“,sprach er und drohte mit dem Prügel. Vater Tühi küßte dankend dem Fischer die Füße, daß er so leichten Kaufs der Schlinge entkam. Obwohl er aber über eine Last Fische im Sack hatte, lüstete es ihn doch, noch einen andern Fisch zu erangeln, der nach seinem Sinn der leckerste Festbraten war. Mit honigsüßer Rede hub er an den Fischer zu Gast zu bitten auf seines Sohnes Hochzeit, denn da hoffte er mit Gewalt oder List des Mannes Seele in seine Gewalt zu bringen. Der Fischer versprach zu kommen, wenn er seinen Knaben mitnehmen dürfe. Vater Tühi dachte bei sich: es trifft sich gut und geht mir besser als ich dachte, für einen bietet man mir zwei. „Meinetwegen nimm nur das Jüngelchen mit, wenn du allein nicht kommen magst“, sprach er beim Abschied und schleppte die prügelsteife Beine heimwärts. Ob nun auch Vater Tühi sonst ein arger Knauser ist, richtete er gleichwohl dem Sohne ein prunkendes Hochzeitsfest aus. Da war in keinem ein Mangel, Fülle, Pracht und Herrlichkeit war den Gästen allerweg offenbar. Er ließ sie auch seine unermesslichen Schätze und Reichtümer sehn, die in den Vorratskammern in Kisten und Kästen aufgehäuft waren bis über den Rand. Dann hieß er auf mancherlei seltsamem Spielgerät aufblasen und noch wunderliche Tänze anstellen, die kein anderer verstand als nur sein Hausgesinde. Da sprach der Knabe heimlich zu seinem Herrn: „Begehre, daß sie das Tonzeug hervorbringen, das hinter sieben Schlössern verwahrt ist, und uns darauf eine Weise zu spielen.“ Der Fischer tat seinem Wunsch und begann alsbald den Höllenvater zu bitten und zuzureden, daß er ihnen die Wunderpfeife zeigen und den Gästen zur Ergötzung ein Stücklein aufspielen lasse. Da lief nun Vater Tühi ahnungslos zum zweitenmal ins Garn.
Er trug des Himmels Donnerzeug hinter den sieben Schlössern hervor, griff mit allen fünf Fingern der Pfeife um den Hals und fing an aus vollem Halse zu blasen. „Laßt euch nicht ärgern“, sprach der Fischer, „nehmt’s mir nicht übel, wenn ich’s euch nur grad heraus sage, aus euch macht man keinen Spielmann mehr. Mein Hirtenbub hier wüßt’ es wohl besser auszubringen. Wahrlich, zu dem könntet ihr noch alle Tag in die Schule gehen.“ Da reichte Tühi, der sich keines Truges versah, dem Knaben die Pfeife. War da wohl ein Wunder gesehn! Für den Knaben steht plötzlich Pikne der Alte selber da und läßt die Pfeife erklingen so gewaltig, daß der Böse mitsamt seinem Volk zu Boden stürzt. Pikne aber und der Fischer eilten von dannen, gar froh, daß ihnen die List so wohl geglückt.
Wie sie eine Strecke gezogen waren, setzten sie sich beide auf einen breiten Stein nieder zur Rast. Da begann Pikne frohen Sinnes die Sackpfeife zu blasen, dann berichtete er dem Fischer alle seine Anschläge bis heute, wodurch er dem alten Tühi die Pfeife wieder abgenommen. Derweil er also erzählte, begann auf einmal ein Regen zu fallen, der nach sieben Monaten die dürre Erde wieder erquickte.
Nun schied Pikne, dankte seinem Dienstherrn und gelobte, er wolle seinen Gebeten immer Erhörung gewähren. Seit der Zeit ist Lijon der Mittler zwischen Göttern und Menschen und ist in diesem Ehrenamt geblieben bis auf den heutigen Tag.

Märchen aus Estland

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