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Märchenbasar

Prinz Robert mit den grünen Haaren

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Als der fünfjährige Robert, Prinz von und zu Rauenstein, an diesem Morgen seine Augen öffnete, ahnte er, dass sich sein Leben heute ändern würde! Ihm waren die traurigen Augen seiner Lieblingszofe Frederike und das Getuschel der anderen in den letzten Tagen nicht entgangen. Seit dem Unfalltod seiner lieben Eltern hatte der Bruder seines Vaters den Thron bestiegen und das Zepter in die Hand genommen. So lange, bis Prinz Robert alt genug war, den Thron selbst zu besteigen. So war es von seinen Eltern bestimmt worden, sollte ihnen jemals etwas zustoßen.
Reinald, amtierender König, mochte den kleinen zukünftigen König nicht, denn dem Jungen wuchsen von Geburt an grüne Haare, die störrisch wie Stroh wild auf seinem Kopf in alle Himmelsrichtungrn abstanden. Nur seine Eltern und die Zofe, die ihn von klein an betreute, wussten davon. Sie wussten aber nicht, wie es dazu kam. Zum Schluss glaubten sie, eine böse Hexe habe den kleinen Prinzen verhext!
Als Königin Caroline und König Edwin noch lebten, wurde der Junge sehr behütet. Niemand sollte von dem Makel erfahren. Deshalb trug Robert bei Tag und Nacht eine Mütze auf dem Kopf. Wenn seine grünen Haare zu lang wurden und unter der Mütze hervorlugten, schnitt seine Mutter sie ihm persönlich ab. So wurde das Geheimnis gewahrt.
Kaum hatte Frederike dem Jungen beim Anziehen geholfen, wurde er zu seinem Onkel Reinald in den Thronsaal befohlen.
Die Rede von König Reinald war kurz und knapp.
„Deine Eltern wollten, dass du eine gewisse Zeit woanders leben sollst. Frederike hat schon alles gepackt. Sie wird dich dorthin begleiten, aber sofort zurückkehren.“
Prinz Robert stand da mit Tränen in den Augen. Er wollte aufbegehren, doch er wusste, es hatte keinen Zweck.
Als König Reinald die Tränen des kleinen Prinzen sah, dachte er innerlich: „Ja, weine nur. Du wirst den Thron nie besteigen. Er gehört jetzt mir. Dafür werde ich sorgen. Du Prinz mit den grünen Haaren!“

Zehn Jahre waren vergangen. Prinz Robert war nun fünfzehn. In den letzten Jahren hatte er zwar ein Bett und Essen gehabt, aber keine Liebe von den fremden Leuten empfangen, die ihn aufzogen. Er vermisste seine Eltern und er sehnte sich nach Frederike seiner Zofe, die ihm ihre ganze Liebe geschenkt hatte. Er war nur noch Robert Rauenstein. Dass er einmal einen Thron besteigen sollte, wurde geheim gehalten und er selbst hatte es fast vergessen.
Etwas Schönes hatte die Fremde dennoch für ihn. Das Meer lag nur einen Steinwurf von seinem jetzigen Zuhause entfernt. Dort saß er oft stundenlang, bohrte seine Zehen in den Sand und ließ sie von den Wellen wieder abspülen. Sein Blick irrte in die Ferne, dabei spielte er auf seiner Flöte so traurige Lieder, dass es einen Stein hätte erweichen können.

Eines Tages, er hatte kaum seinen Lieblingsplatz eingenommen, tanzte auf den Wellen ein größeres Stück Holz. Es war grün wie seine Haare und trieb genau auf ihn zu.
„Ach, wärst du doch ein Schiff“, dachte er traurig. „Ich würde sofort mit dir übers Meer fahren und alles hinter mir lassen!“
„Und warum tust du das nicht?“, fragte eine feine Stimme. Es hörte sich an, als ob eine Welle, die ans Ufer rollte, zu ihm sprach. „Ich bin gekommen, dich zu holen. Steig auf das Brett und wir schippern los!“
Robert sprang erschrocken auf.
„Wer bist du? Und woher weißt du, was ich denke?“
„Ich weiß noch viel mehr von dir. Ich weiß von deinen grünen Haaren, die du unter der Mütze versteckst. Ich weiß auch, dass du wunderbar auf deiner Flöte spielen kannst! Wenn du mir hilfst übers Meer zu kommen, befreie ich dich von deinem Makel!“
„Klingt gut“, sagte Robert, „aber zeig dich erst. Ich rede nicht gerne mit einem Stück Holz und einer Stimme, die wie eine Welle plätschert.“
„Also gut. Zähl bis zehn. Danach öffne deine Augen“, befahl die Stimme. Das tat Robert. Bei zehn öffnete er die Augen. Was er sah, war ein prächtiges Schiff. Grün wie seine Haare. Es schaukelte einladend und Robert erklomm staunend die Leiter.
„Zeig dich endlich, damit ich weiß, ob ich dir vertrauen kann!“, rief er.
Da rief die Stimme: „Dreh dich nur um!“
Hinter ihm stand ein altes, verhutzeltes Weib mit einer Warze auf der Nase und grauen, verfilzten Haaren.
„Fürchte dich nicht“, sagte sie, „ich bin Sapralotta, die Hexe!“
Robert wollte fluchtartig das Schiff verlassen, so sehr hatte er sich erschrocken. Da bemerkte er, dass sie längst das rettende Ufer verlassen hatten und auf das offene Meer hinausfuhren.
„Warum hast du das getan?“, schimpfte Robert. „Du hast mich überlistet!“
Sapralotta lachte. „Ja, das habe ich. Aber nur zu deinem Guten. Wirf endlich diese komische Mütze ins Meer. Hier sieht dich niemand. Wenn wir drüben ankommen, brauchst du sie nicht mehr!“ Robert tat, was die Hexe verlangte. In hohem Bogen flog die Mütze vom Wind getragen davon. Seine grünen Haare wehten im Wind.
Robert wurde ungeduldig. „Sag mir endlich, was ich tun muss? Was verlangst du von mir?“
“Nicht viel“, antwortete Sapralotta. „Du musst nur mit einem dreiköpfigen Ungeheuer kämpfen und es besiegen. Schon dreimal hat es mein Schiff zertrümmert. Ich komme nicht an ihm vorbei!“
Robert bekam es mit der Angst zu tun.
„So stark bin ich auch nicht. Warum fährst du nicht um das Ungeheuer herum?“, gab er der Hexe den Rat.
„Hat keinen Zweck. Es findet mich überall. Du musst auch nicht wirklich kämpfen. Nur auf deiner Flöte spielen.“
Robert wollte fragen, wozu das gut sei, da tauchte das dreiköpfige Ungeheuer auf. Von grünem Tang und Wasserpflanzen behangen und übelriechend. Das Schiff begann zu schaukeln und heftige Wellen schlugen an Deck. Danach folgte ein heftiger Schlag gegen den Bug.
„Schnell! Spiel!“, rief die Hexe. Vor lauter Angst waren die ersten Töne beschämend. Das Ungeheuer holte erneut zum Schlag aus. „Lauter, Robert! Spiel lauter!“, feuerte die Hexe ihn an.
Plötzlich wurde das Tier friedlich. Die Köpfe des Ungeheuers begannen zu tanzen und wiegten sich im Takte der Melodie.
Robert spielte und spielte. Er spielte vor Angst noch immer, obwohl sie schon längst an dem Meeresungeheuer vorbeigefahren waren.
Sapralotta war zufrieden. Sie atmete erleichtert auf.
„Nun werde ich mein Versprechen einlösen. Aber erst möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Es war vor sechzehn Jahren. Damals war ich noch sehr unerfahren in meinen Hexenkünsten. Da kam ich an dem Schloss deiner Eltern vorbei. Was ich da wollte, weiß ich nicht mehr. Reinald, der Bruder deines Vaters, hetzte die Hunde auf mich. Und weil ich wusste, dass deine Mutter, Königin Caroline, mit dir in guter Hoffnung war, sprach ich vor Wut einen Zauberspruch, der zur Folge hatte, dass du mit grünen Haaren auf die Welt kamst. Als ich davon erfuhr, irgendeiner muss wohl das Geheimnis ausgeplappert haben, versuchte ich meinen Fehler gut zu machen. Du tatest mir so leid! Es gelang mir nicht. Erst seit wenigen Tagen bin ich in meinen Zauberkünsten so weit, dich endlich davon zu befreien!“
Staunend hatte Robert zugehört.
„Und nun befühle deine Haare. Es ist vollbracht!“
Robert griff in seine Haare. Sie waren weich wie Seide und anschmiegsam, wie richtige Haare sein sollten. Er riss sich ein Haar aus. Es war schwarz wie Ebenholz.
„Geh zurück in dein Schloss und regiere dein Volk. Sie warten auf dich, denn König Reinald lebt nicht mehr. Deine Zofe Frederike wartet schon so lange darauf, dich wieder in ihre Arme zu schließen!
Und so geschah es.

 
 
Quelle: Marianne Schaefer

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