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Weit, weit weg von hier, in der Schweiz, wo die Berge bis in die Wolken hinaufragen, steht auch ein großer Berg, auf dessen Spitze viel Schnee liegt, und selbst im heißesten Sommer kann der Schnee nicht schmelzen. Da hat der König Winter sein Schloß. Das hat Mauern von lauter Schnee und Türme von lauter Eis. Da sitzt der alte König mit seinem weißen, langen Haar und seinem weißen, langen Bart und führt ein strenges, hartes Regiment. Wer nur sich in seine Nähe wagt, den nimmt er gefangen. Kommt ein Flüßchen den Berg hinunter gesprungen, gleich hält er es fest und legt ihm Ketten und Fesseln von Eis an, daß es nimmer weiterhüpfen kann, sondern ganz still liegen muß. Kommt gar ein Vöglein geflogen, so hält ers auch fest und ach, gar manches arme Vöglein kommt nicht wieder aus seinem Schlosse, sondern muß drin erfrieren und sterben. Darum fliegen auch die Schwälbchen und die Stare und die Störche und viele andere Vögel weit weg, wenn sie merken, daß der König Winter nahe ist, und die Käferchen und Würmlein kriechen schnell unter die Erde, damit er sie ja nicht fange!
Da war auch einmal eine wunderschöne kleine Prinzessin, die hieß Prinzeß Schneeflöckchen, denn sie hatte immer ein ganz weißes Kleidchen an und Strümpfchen von weißer Seide und weiße Atlasschuhe an den Füßchen und auf dem Kopfe eine Krone von lauter aus silbernen Fäden gewobenen Sternen. Die war ein gar lustiges Kind und tanzte und hüpfte und sprang und tollte den ganzen Tag herum. Und wie sie einmal so mitten im Tanzen war, kam sie zu nahe an das Schloß des Königs Winter, da hatte der böse König sie auch festgehalten und hielt sie in seinem Schloß gefangen. Da war Prinzeß Schneeflöckchen freilich sehr traurig geworden, aber um sich die Traurigkeit zu vertreiben, hüpfte und tanzte sie noch viel mehr als sonst.
Das ärgerte den alten, finsteren König sehr, denn der konnte es gar nicht leiden, wenn jemand fröhlich und ausgelassen war. Darum, so oft Prinzeß Schneeflöckchen ihn bat, er möchte sie doch aus dem finsteren Schlosse wieder hinauslassen, antwortete er ihr immer, sie würde nie wieder hinauskommen, wenn sie nicht das Tanzen sein ließe. Wenn aber einmal ein Prinz käme, der ihr so gut gefiele, daß sie das Tanzen ganz vergäße, mit dem dürfte sie aus seinem Schlosse hinaus in die weite Welt ziehen.
Darüber war Prinzeß Schneeflöckchen groß geworden und war eine wunderliebliche Jungfrau, die jedem, der sie sah, gar wohl gefiel. Und es kamen viele, viele Prinzen und jeder hätte gern mit ihr Hochzeit gemacht. Aber wenn dann ein Prinz zum König kam und sprach: „König Winter, gebt mir Prinzeß Schneeflöckchen doch zur Frau und laßt sie mit mir hinausreiten in die weite Welt,“ dann sprach er: „Versuchs nur! Wenn du ihr so gut gefällst, daß sie das Tanzen darüber vergißt, sollst du sie haben; wenn nicht, dann nehme ich dich auch gefangen!“
Das war freilich eine schlimme Geschichte, aber doch wagte mancher Prinz sein leben, um Prinzeß Schneeflöckchen zu befreien und sie zu seiner Prinzessin zu machen.
Da kam zuerst der Prinz Eiszacken, der sah gar prächtig aus, hatte einen Panzer von lauter glänzendem Eis und eine Eiskrone mit lauter spitzen Zacken, un einen Säbel an der Seite, der war so blank und spitz wie die Eiszäpflein, die im Winter an den Dächern hängen, und wenn die Sonne schien, dann glitzerte alles an ihm in den schönsten Regenbogenfarben, grün und blau und rot und gelb. Der dachte: „Gewiß werde ich dem Prinzeßchen gefallen und sie wird darüber ganz das Tanzen vergessen.“ So ging er dann zum Prinzeßchen, und weil die Sonne gerade schien, sah er ganz herrlich bunt aus und alle Fräuleins riefen: „Ei!“ und „Ah!“ wenn sie ihn sahen, und bewunderten ihn sehr, weil er so ein schöner Mann war. Aber als Prinzeß Schneeflöckchen ihn sah, mußte sie laut auflachen, denn es war ihr so komisch, daß er so kunterbunt war, und vor lauter Vergnügen klatschte sie in ihre Händchen und fing an zu tanzen und zu hüpfen. Da mußte der grimme König Winter doch auch in seinen weißen Bart hineinlachen über den armen Tölpel, den Prinzen Eiszacken. Aber das war ein böses Lachen aus lauter Schadenfreude, denn weil der Prinz der Prinzessin Schneeflöckchen nicht so sehr gefallen hatte, daß sie darüber das Tanzen vergaß, nahm ihn der böse König Winter gefangen und steckte ihn in eine ganz dunkle Stube auf seinem Schloß.
Nicht lange danach kam ein zweiter Prinz, das war der Prinz Sausewind. Seine braunen Locken flogen ihm ganz wild um die Stirne und sein weiter Mantel flatterte hinter ihm her, wo er nur ging und stand, wie eine Fahne im Wind. Der pfiff immer lustig vor sich her und machte lauter dumme Streiche; bald warf er eine Tür oder einen Fensterladen zu, daß es nur so krachte und die Leute erschreckt zusammenfuhren; bald riß er einem Herrn den Zylinderhut vom Kopfe, daß er weithin über die Straße kullerte; bald fuhr er einer Dame in den Regenschirm und stülpte ihn um und um, oder er nahm einem kleinen Jungen seinen Papierdrachen und flog damit hoch in die Luft, bis der arme Drachen mit seinem langen Schwanz an einem hohen Baume hängen blieb und kläglich zappeln mußte. Der ging nun auch zu Prinzeß Schneeflöckchen, und alle Leute dachten: „Der wird gewiß dem Prinzeßchen gefallen, denn er ist gerade so lustig wie sie!“
Und richtig! Als die kleine Prinzessin ihn sah, wie er so vergnügt und pfeifend herangesprungen kam, rief sie laut: „Ei, du gefällst mir!“ Aber meint ihr, sie hätte drüber das Tanzen vergessen? Ach, nein im Gegenteil; wie sie sah, daß Prinz Sausewind so lustig war, nahm sie ihn gleich bei der Hand und fing an zu tanzen, und tanzte mit ihm und drehte sich hin und her und hüpfte und sprang so sehr, daß der Prinz Sausewind beinahe gar nicht mitkonnte. Kaum aber hatte das der König Winter gesehen, da kam er auch schon und nahm den armen Prinzen gefangen und steckte ihn zu dem Prinzen Eiszacken in die dunkle Stube; denn er hatte der Prinzessin auch nicht so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen vergessen hätte.
Da kam wieder ein Prinz aufs Schloß, das war der Prinz Blitz. Der sah gar fürchterlich aus. Seine Rüstung war ganz golden, daß man sie gar nicht ansehen konnte, so blendete sie einen. An der Seite hatte er einen spitzen Säbel, der ganz im Zickzack ging und auf dem Kopfe eine Krone, aus der immer lauter grelle Blitze schossen. Und ein Paar Augen hatte er, ganz feurig, daß man ordentlich erschrak, wenn er einen ansah; und eine Stimme hatte er, ganz fürchterlich, daß es immer klang, als donnerte es, wenn er sprach. Der gefiel dem König Winter gar wohl, denn er dachte: „Wenn der Prinz Blitz zur Prinzessin kommt, dann wird sie das Tanzen schon sein lassen!“
Aber als Prinzeß Schneeflöckchen ihn sah und hörte, wie er polterte und wetterte und schimpfte, da fürchtete sie sich so sehr, daß sie schnell aufsprang und davonlief, bis sie der Prinz Blitz nicht mehr fangen konnte. Und nun freute sie sich darüber, daß sie ihm ausgerissen war, so sehr, daß sie vor lauter Vergnügen wieder tanzte und sprang. Da wurde auch der Prinz Blitz vom König Winter eingesperrt, denn er hatte der Prinzessin nicht so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen vergessen hätte.
Da saßen nun die drei Prinzen in ihrer dunklen Stube; Prinz Eiszacken hing ganz traurig seinen Kopf, Prinz Sausewind rüttelte an Türen und Fenstern und versuchte, sie aufzumachen, Prinz Blitz fuhr hin und her, bald in die eine, bald in die andere Decke und polterte und schimpfte, daß er so gefangen saß. Und alle drei waren sehr böse auf Prinzeß Schneeflöckchen, denn um ihretwillen waren sie ja eingesperrt. Und schließlich machten sie miteinander einen Bund und verschworen sich hoch und teuer, daß, wenn einmal ein Prinz käme, der dem Prinzeßchen so gut gefiele, daß sie das Tanzen darüber vergäße, dann wollten sie es nicht erlauben, daß sie mit dem Prinzen in die weite Welt zöge, sondern wollten schon dafür sorgen, daß sie ihr ganzes Leben lang auf dem Schlosse des Königs Winter gefangen sitzen sollte.
Wie sie noch so miteinander redeten, kam auf des Königs Schloß wieder ein Prinz an. Der hatte ein Paar treue, sanfte, blaue Augen und blonde Haare und eine freundliche Stimme, hatte freilich gar keine prächtigen Kleider an, aber auf dem Kopfe ein Krönchen von Primeln und Schneeglöckchen, Leberblümchen und Veilchen und in der Hand einen Zweig mit weißen Kirschblüten und um den Leib eine Schärpe von grünen Blättern. Der kam zum König Winter und sprach: „König Winter, ich bin der Prinz Sonnenschein und will mir Prinzeß Schneeflöckchen holen.“
Der König sah ihn aber ganz verächtlich an, denn er schien ihm gar nicht prächtig genug für einen Prinzen und sagte: „Versuchs nur! Wenn du ihr so gut gefällst, daß sie das Tanzen drüber vergißt, sollst du sie meinetwegen haben. Wenn nicht dann komm her und sieh wie dirs dann gehen wird.“ Und damit zeigte er ihm durch ein Loch in der Wand die dunkle Stube, in der die drei gefangenen Prinzen saßen.
Aber Prinz Sonnenschein fürchtete sich gar nicht, sondern lachte nur und ging zu Prinzeß Schneeflöckchen. Wie ihn aber die Prinzessin sah, da konnte sie gar kein Wort sprechen, so gut gefiel er ihr, denn er sah sie so lieb und gut an und sprach so freundlich mit ihr. Da vergaß sie ganz das Tanzen und legte ihr Köpfchen auf des Prinzen Arm und sagte: „Ach, lieber Prinz Sonnenschein! Nimm mich doch mit aus diesem alten, kalten Schlosse hinaus in die weite, schöne, sonnige Welt!“
Da ging der Prinz mit ihr zum König Winter und sprach: „Seht, König Winter, ich habe der Prinzessin so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen ganz vergessen hat! Nun tut, wie Ihr mir versprochen habt und laßt sie mit mir ziehen.“
Der König brummte freilich noch etwas in seinem langen, weißen Bart aber weil er es einmal versprochen hatte, mußte er es auch erlauben.
Da spannte Prinz Sonnenschein zwanzig bunte, schöne Schmetterlinge vor seinen goldenen Wagen und hob Prinzeß Schneeglöckchen hinein. Alle Leute im Schloß riefen: „Glücke Reise!“ und die meisten waren traurig, daß das lustige Prinzeßchen von ihnen ging.
So fuhren si nun den Berg hinunter, weit, weit fort, bis sie in ein schönes, freundliches, grünes Tal kamen. Da stand Prinz Sonnenschein sein Schloß. Das war von lauter sonnenhellem Gold gebaut und lag mitten in einem schönen Garten voller bunter, duftender Blumen. Goldene Käferchen trippelten drin hin und her, das waren des Prinzen Diener, — und hoch vom Turm läuteten die Schneeglöckchen, als der Prinz und seine Prinzessin ihren Einzug hielten.
Da lebten sie nun herrlich und in Freuden. Prinzeßchen tanzte gar nicht mehr, aber sie war eine gute Prinzessin, die mit ihrem Prinzen zusammen allen ihren Untertanen, den Tierchen und den Blümchen im Tal viel Gutes tat. Und alle freuten sich, daß sie ins Tal gekommen war.
Nur einen verdroß es sehr, das war König Winter.
Freilich hatte er sich immer geärgert, wenn Prinzeß Schneeflöckchen tanzte, aber eigentlich hatte er doch das kleine, lustige Ding sehr lieb gewonnen, weil es immer so fröhlich war und ihm manchmal mit ihren lustigen Späßen die Langeweile und die schlechte Laune vertrieben hatte. Nun war Prinzeßchen fort und auf seinem Schlosse war es seitdem ganz still und langweilig geworden und gar zu gern hätte er Schneeflöckchen wiedergehabt.
Das hörten die drei gefangenen Prinzen und sprachen zum König: „Was willst du uns geben, wenn wir dir Prinzeßchen wiederbringen?“ Und der König sagte: „Dann will ich euch wieder loslassen und ihr könnt wieder hin, wo ihr wollt. Da freuten sich die drei Prinzen und machten sich auf.
Zuerst ging der Prinz Eiszacken zum Prinzen Sonnenschein und tat gar wichtig und groß und ließ ihm sagen, er sollte ja Prinzeß Schneeflöckchen wieder herausgeben, sonst würde es ihm sehr schlecht gehen. Aber der Prinz Sonnenschein lud ihn höflich ein, er möchte doch hereinkommen. Da ging der Prinz Eiszacken hinein ins Schloß; — wie er ab er all die Pracht und Herrlichkeit da sah, gefiel es ihm so gut, daß er gar nicht mehr daran dachte, Prinzeß Schneeflöckchen wegzuholen, sondern vielmehr darum bat, auch dort bleiben zu dürfen. „Gut,“ sagte Prinz Sonnenschein, „das will ich dir erlauben, wenn du dein altes Eiszackenkleid ausziehst und hilfst meiner Prinzessin, den Blümchen und Tierchen alle Tage schönes frisches Wasser geben.“ Das versprach Prinz Eiszacken und blieb auf dem Schlosse des Prinzen Sonnenschein.
Als er aber nicht zurückkam, schickte König Winter den Prinzen Sausewind, er sollte Prinzessin Schneeflöckchen holen. Der kam dann auch ganz geschwind, lief um das ganze Schloß herum und suchte, ob nicht irgend ein Türchen offen stünde oder ein Spalt in der mauer wäre, wo er hinein könnte. Aber Prinz Sonnenschein hatte alles fest zugeschlossen. Da fing Prinz Sausewind an, mit aller Gewalt an dem schönen Schloß zu rütteln und wollte es einreißen. Aber Prinz Sonnenschein lachte und rief ihm zu:
„Sausewind, laß dein Blasen sein,
sonst sperr ich dich in den Keller ein,“
und als er doch nicht aufhörte, nahm ihn der Prinz Sonnenschein gefangen und sperrte ihn ein. Aber Prinz Sausewind tat ganz kläglich und bat:
„Sonnenschein, binde mich nur nicht an,
ich will dir dienen, so gut ich kann.“
Da antwortete Prinz Sonnenschein:
„Willst du schütteln vom Baum das welke Laub?
Willst du weitertragen den Blütenstaub?
Willst du trocknen, wo es geregnet hat?
So sollst du mir dienen früh und spat.“
Das versprach Prinz Sausewind. Da durfte er aus seiner dunklen Stube wieder heraus und auf dem Schlosse des Prinzen Sonnenschein wohnen.
Indessen wartete König Winter vergeblich auf ihn. Und da auch er nicht wiederkam, schickte er den Prinzen Blitz, er sollte Schneeflöckchen wiederholen. Der polterte denn auch mit aller Macht und schoß seine Pfeile gegen des Prinzen Schloß. Aber Prinz Sonnenschein wehrte sich tapfer, bis Prinz Blitz ganz müde geworden war. Da nahm er ihn auch gefangen. Aber er hatte gemerkt, daß Prinz Blitz gar tapfer war und ihm gut helfen könnte, und so nahm er ihn auch in seine Dienste und befahl ihm, er sollte, wenn es gar zu heiß auf Erden würde, mit seinem Blitzbesen die Luft fegen, daß sie schön rein und kühl würde.
So kam keiner von den drei Prinzen zurück. Da stieg König Winter selbst ins Tal hinab, um sich Prinzeß Schneeflöckchen wieder zu holen. Als er aber hörte, daß Prinz Sonnenschein alle drei Prinzen gefangen hätte, und als er sah, wie Prinz Eiszacken die Blumen gießen und Sausewind die Bäume schütteln und Blitz die Luft fegen mußte, da dachte er: „O weh, nun wird Prinz Sonnenschein mich auch fangen.
Aber der gute Prinz Sonnenschein ging ihm entgegen und sagte zu ihm: „Lieber König Winter, wir wollen nicht miteinander streiten. Ich weiß, daß du Prinzeß Schneeflöckchen auch lieb hast, und darum schlage ich dir vor: wir werden gute Freunde, und jedesmal, wenn die Schwälbchen fortziehen, kommst du zu uns ins Tal herab und wohnst bei mir und bei Prinzeß Schneeflöckchen, und jedesmal, wenn die Schwälbchen wiederkommen, steigen wir zu dir hinauf und Prinzeß Schneeflöckchen wohnt mit in deinem Schlosse. Eiszacken aber und Sausewind und Blitz dienen von jetzt ab uns beiden.“
Da sagte König Winter „ja“, und Prinzeß Schneeflöckchen sagte auch „ja“, und Eiszacken und Blitz und Sausewind waren auch zufrieden.
Seitdem wohnt Prinzeß Schneeflöckchen manchmal auf dem Berge und manchmal im Tal, und weil sie nun alle miteinander Frieden haben, tanzt sie auch wieder, wenn sie bei dem König Winter wohnt; aber wenn ihr lieber Prinz Sonnenschein kommt, hört sie gleich auf, denn der hat ihr so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen immer wieder vergißt.
Da war auch einmal eine wunderschöne kleine Prinzessin, die hieß Prinzeß Schneeflöckchen, denn sie hatte immer ein ganz weißes Kleidchen an und Strümpfchen von weißer Seide und weiße Atlasschuhe an den Füßchen und auf dem Kopfe eine Krone von lauter aus silbernen Fäden gewobenen Sternen. Die war ein gar lustiges Kind und tanzte und hüpfte und sprang und tollte den ganzen Tag herum. Und wie sie einmal so mitten im Tanzen war, kam sie zu nahe an das Schloß des Königs Winter, da hatte der böse König sie auch festgehalten und hielt sie in seinem Schloß gefangen. Da war Prinzeß Schneeflöckchen freilich sehr traurig geworden, aber um sich die Traurigkeit zu vertreiben, hüpfte und tanzte sie noch viel mehr als sonst.
Das ärgerte den alten, finsteren König sehr, denn der konnte es gar nicht leiden, wenn jemand fröhlich und ausgelassen war. Darum, so oft Prinzeß Schneeflöckchen ihn bat, er möchte sie doch aus dem finsteren Schlosse wieder hinauslassen, antwortete er ihr immer, sie würde nie wieder hinauskommen, wenn sie nicht das Tanzen sein ließe. Wenn aber einmal ein Prinz käme, der ihr so gut gefiele, daß sie das Tanzen ganz vergäße, mit dem dürfte sie aus seinem Schlosse hinaus in die weite Welt ziehen.
Darüber war Prinzeß Schneeflöckchen groß geworden und war eine wunderliebliche Jungfrau, die jedem, der sie sah, gar wohl gefiel. Und es kamen viele, viele Prinzen und jeder hätte gern mit ihr Hochzeit gemacht. Aber wenn dann ein Prinz zum König kam und sprach: „König Winter, gebt mir Prinzeß Schneeflöckchen doch zur Frau und laßt sie mit mir hinausreiten in die weite Welt,“ dann sprach er: „Versuchs nur! Wenn du ihr so gut gefällst, daß sie das Tanzen darüber vergißt, sollst du sie haben; wenn nicht, dann nehme ich dich auch gefangen!“
Das war freilich eine schlimme Geschichte, aber doch wagte mancher Prinz sein leben, um Prinzeß Schneeflöckchen zu befreien und sie zu seiner Prinzessin zu machen.
Da kam zuerst der Prinz Eiszacken, der sah gar prächtig aus, hatte einen Panzer von lauter glänzendem Eis und eine Eiskrone mit lauter spitzen Zacken, un einen Säbel an der Seite, der war so blank und spitz wie die Eiszäpflein, die im Winter an den Dächern hängen, und wenn die Sonne schien, dann glitzerte alles an ihm in den schönsten Regenbogenfarben, grün und blau und rot und gelb. Der dachte: „Gewiß werde ich dem Prinzeßchen gefallen und sie wird darüber ganz das Tanzen vergessen.“ So ging er dann zum Prinzeßchen, und weil die Sonne gerade schien, sah er ganz herrlich bunt aus und alle Fräuleins riefen: „Ei!“ und „Ah!“ wenn sie ihn sahen, und bewunderten ihn sehr, weil er so ein schöner Mann war. Aber als Prinzeß Schneeflöckchen ihn sah, mußte sie laut auflachen, denn es war ihr so komisch, daß er so kunterbunt war, und vor lauter Vergnügen klatschte sie in ihre Händchen und fing an zu tanzen und zu hüpfen. Da mußte der grimme König Winter doch auch in seinen weißen Bart hineinlachen über den armen Tölpel, den Prinzen Eiszacken. Aber das war ein böses Lachen aus lauter Schadenfreude, denn weil der Prinz der Prinzessin Schneeflöckchen nicht so sehr gefallen hatte, daß sie darüber das Tanzen vergaß, nahm ihn der böse König Winter gefangen und steckte ihn in eine ganz dunkle Stube auf seinem Schloß.
Nicht lange danach kam ein zweiter Prinz, das war der Prinz Sausewind. Seine braunen Locken flogen ihm ganz wild um die Stirne und sein weiter Mantel flatterte hinter ihm her, wo er nur ging und stand, wie eine Fahne im Wind. Der pfiff immer lustig vor sich her und machte lauter dumme Streiche; bald warf er eine Tür oder einen Fensterladen zu, daß es nur so krachte und die Leute erschreckt zusammenfuhren; bald riß er einem Herrn den Zylinderhut vom Kopfe, daß er weithin über die Straße kullerte; bald fuhr er einer Dame in den Regenschirm und stülpte ihn um und um, oder er nahm einem kleinen Jungen seinen Papierdrachen und flog damit hoch in die Luft, bis der arme Drachen mit seinem langen Schwanz an einem hohen Baume hängen blieb und kläglich zappeln mußte. Der ging nun auch zu Prinzeß Schneeflöckchen, und alle Leute dachten: „Der wird gewiß dem Prinzeßchen gefallen, denn er ist gerade so lustig wie sie!“
Und richtig! Als die kleine Prinzessin ihn sah, wie er so vergnügt und pfeifend herangesprungen kam, rief sie laut: „Ei, du gefällst mir!“ Aber meint ihr, sie hätte drüber das Tanzen vergessen? Ach, nein im Gegenteil; wie sie sah, daß Prinz Sausewind so lustig war, nahm sie ihn gleich bei der Hand und fing an zu tanzen, und tanzte mit ihm und drehte sich hin und her und hüpfte und sprang so sehr, daß der Prinz Sausewind beinahe gar nicht mitkonnte. Kaum aber hatte das der König Winter gesehen, da kam er auch schon und nahm den armen Prinzen gefangen und steckte ihn zu dem Prinzen Eiszacken in die dunkle Stube; denn er hatte der Prinzessin auch nicht so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen vergessen hätte.
Da kam wieder ein Prinz aufs Schloß, das war der Prinz Blitz. Der sah gar fürchterlich aus. Seine Rüstung war ganz golden, daß man sie gar nicht ansehen konnte, so blendete sie einen. An der Seite hatte er einen spitzen Säbel, der ganz im Zickzack ging und auf dem Kopfe eine Krone, aus der immer lauter grelle Blitze schossen. Und ein Paar Augen hatte er, ganz feurig, daß man ordentlich erschrak, wenn er einen ansah; und eine Stimme hatte er, ganz fürchterlich, daß es immer klang, als donnerte es, wenn er sprach. Der gefiel dem König Winter gar wohl, denn er dachte: „Wenn der Prinz Blitz zur Prinzessin kommt, dann wird sie das Tanzen schon sein lassen!“
Aber als Prinzeß Schneeflöckchen ihn sah und hörte, wie er polterte und wetterte und schimpfte, da fürchtete sie sich so sehr, daß sie schnell aufsprang und davonlief, bis sie der Prinz Blitz nicht mehr fangen konnte. Und nun freute sie sich darüber, daß sie ihm ausgerissen war, so sehr, daß sie vor lauter Vergnügen wieder tanzte und sprang. Da wurde auch der Prinz Blitz vom König Winter eingesperrt, denn er hatte der Prinzessin nicht so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen vergessen hätte.
Da saßen nun die drei Prinzen in ihrer dunklen Stube; Prinz Eiszacken hing ganz traurig seinen Kopf, Prinz Sausewind rüttelte an Türen und Fenstern und versuchte, sie aufzumachen, Prinz Blitz fuhr hin und her, bald in die eine, bald in die andere Decke und polterte und schimpfte, daß er so gefangen saß. Und alle drei waren sehr böse auf Prinzeß Schneeflöckchen, denn um ihretwillen waren sie ja eingesperrt. Und schließlich machten sie miteinander einen Bund und verschworen sich hoch und teuer, daß, wenn einmal ein Prinz käme, der dem Prinzeßchen so gut gefiele, daß sie das Tanzen darüber vergäße, dann wollten sie es nicht erlauben, daß sie mit dem Prinzen in die weite Welt zöge, sondern wollten schon dafür sorgen, daß sie ihr ganzes Leben lang auf dem Schlosse des Königs Winter gefangen sitzen sollte.
Wie sie noch so miteinander redeten, kam auf des Königs Schloß wieder ein Prinz an. Der hatte ein Paar treue, sanfte, blaue Augen und blonde Haare und eine freundliche Stimme, hatte freilich gar keine prächtigen Kleider an, aber auf dem Kopfe ein Krönchen von Primeln und Schneeglöckchen, Leberblümchen und Veilchen und in der Hand einen Zweig mit weißen Kirschblüten und um den Leib eine Schärpe von grünen Blättern. Der kam zum König Winter und sprach: „König Winter, ich bin der Prinz Sonnenschein und will mir Prinzeß Schneeflöckchen holen.“
Der König sah ihn aber ganz verächtlich an, denn er schien ihm gar nicht prächtig genug für einen Prinzen und sagte: „Versuchs nur! Wenn du ihr so gut gefällst, daß sie das Tanzen drüber vergißt, sollst du sie meinetwegen haben. Wenn nicht dann komm her und sieh wie dirs dann gehen wird.“ Und damit zeigte er ihm durch ein Loch in der Wand die dunkle Stube, in der die drei gefangenen Prinzen saßen.
Aber Prinz Sonnenschein fürchtete sich gar nicht, sondern lachte nur und ging zu Prinzeß Schneeflöckchen. Wie ihn aber die Prinzessin sah, da konnte sie gar kein Wort sprechen, so gut gefiel er ihr, denn er sah sie so lieb und gut an und sprach so freundlich mit ihr. Da vergaß sie ganz das Tanzen und legte ihr Köpfchen auf des Prinzen Arm und sagte: „Ach, lieber Prinz Sonnenschein! Nimm mich doch mit aus diesem alten, kalten Schlosse hinaus in die weite, schöne, sonnige Welt!“
Da ging der Prinz mit ihr zum König Winter und sprach: „Seht, König Winter, ich habe der Prinzessin so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen ganz vergessen hat! Nun tut, wie Ihr mir versprochen habt und laßt sie mit mir ziehen.“
Der König brummte freilich noch etwas in seinem langen, weißen Bart aber weil er es einmal versprochen hatte, mußte er es auch erlauben.
Da spannte Prinz Sonnenschein zwanzig bunte, schöne Schmetterlinge vor seinen goldenen Wagen und hob Prinzeß Schneeglöckchen hinein. Alle Leute im Schloß riefen: „Glücke Reise!“ und die meisten waren traurig, daß das lustige Prinzeßchen von ihnen ging.
So fuhren si nun den Berg hinunter, weit, weit fort, bis sie in ein schönes, freundliches, grünes Tal kamen. Da stand Prinz Sonnenschein sein Schloß. Das war von lauter sonnenhellem Gold gebaut und lag mitten in einem schönen Garten voller bunter, duftender Blumen. Goldene Käferchen trippelten drin hin und her, das waren des Prinzen Diener, — und hoch vom Turm läuteten die Schneeglöckchen, als der Prinz und seine Prinzessin ihren Einzug hielten.
Da lebten sie nun herrlich und in Freuden. Prinzeßchen tanzte gar nicht mehr, aber sie war eine gute Prinzessin, die mit ihrem Prinzen zusammen allen ihren Untertanen, den Tierchen und den Blümchen im Tal viel Gutes tat. Und alle freuten sich, daß sie ins Tal gekommen war.
Nur einen verdroß es sehr, das war König Winter.
Freilich hatte er sich immer geärgert, wenn Prinzeß Schneeflöckchen tanzte, aber eigentlich hatte er doch das kleine, lustige Ding sehr lieb gewonnen, weil es immer so fröhlich war und ihm manchmal mit ihren lustigen Späßen die Langeweile und die schlechte Laune vertrieben hatte. Nun war Prinzeßchen fort und auf seinem Schlosse war es seitdem ganz still und langweilig geworden und gar zu gern hätte er Schneeflöckchen wiedergehabt.
Das hörten die drei gefangenen Prinzen und sprachen zum König: „Was willst du uns geben, wenn wir dir Prinzeßchen wiederbringen?“ Und der König sagte: „Dann will ich euch wieder loslassen und ihr könnt wieder hin, wo ihr wollt. Da freuten sich die drei Prinzen und machten sich auf.
Zuerst ging der Prinz Eiszacken zum Prinzen Sonnenschein und tat gar wichtig und groß und ließ ihm sagen, er sollte ja Prinzeß Schneeflöckchen wieder herausgeben, sonst würde es ihm sehr schlecht gehen. Aber der Prinz Sonnenschein lud ihn höflich ein, er möchte doch hereinkommen. Da ging der Prinz Eiszacken hinein ins Schloß; — wie er ab er all die Pracht und Herrlichkeit da sah, gefiel es ihm so gut, daß er gar nicht mehr daran dachte, Prinzeß Schneeflöckchen wegzuholen, sondern vielmehr darum bat, auch dort bleiben zu dürfen. „Gut,“ sagte Prinz Sonnenschein, „das will ich dir erlauben, wenn du dein altes Eiszackenkleid ausziehst und hilfst meiner Prinzessin, den Blümchen und Tierchen alle Tage schönes frisches Wasser geben.“ Das versprach Prinz Eiszacken und blieb auf dem Schlosse des Prinzen Sonnenschein.
Als er aber nicht zurückkam, schickte König Winter den Prinzen Sausewind, er sollte Prinzessin Schneeflöckchen holen. Der kam dann auch ganz geschwind, lief um das ganze Schloß herum und suchte, ob nicht irgend ein Türchen offen stünde oder ein Spalt in der mauer wäre, wo er hinein könnte. Aber Prinz Sonnenschein hatte alles fest zugeschlossen. Da fing Prinz Sausewind an, mit aller Gewalt an dem schönen Schloß zu rütteln und wollte es einreißen. Aber Prinz Sonnenschein lachte und rief ihm zu:
„Sausewind, laß dein Blasen sein,
sonst sperr ich dich in den Keller ein,“
und als er doch nicht aufhörte, nahm ihn der Prinz Sonnenschein gefangen und sperrte ihn ein. Aber Prinz Sausewind tat ganz kläglich und bat:
„Sonnenschein, binde mich nur nicht an,
ich will dir dienen, so gut ich kann.“
Da antwortete Prinz Sonnenschein:
„Willst du schütteln vom Baum das welke Laub?
Willst du weitertragen den Blütenstaub?
Willst du trocknen, wo es geregnet hat?
So sollst du mir dienen früh und spat.“
Das versprach Prinz Sausewind. Da durfte er aus seiner dunklen Stube wieder heraus und auf dem Schlosse des Prinzen Sonnenschein wohnen.
Indessen wartete König Winter vergeblich auf ihn. Und da auch er nicht wiederkam, schickte er den Prinzen Blitz, er sollte Schneeflöckchen wiederholen. Der polterte denn auch mit aller Macht und schoß seine Pfeile gegen des Prinzen Schloß. Aber Prinz Sonnenschein wehrte sich tapfer, bis Prinz Blitz ganz müde geworden war. Da nahm er ihn auch gefangen. Aber er hatte gemerkt, daß Prinz Blitz gar tapfer war und ihm gut helfen könnte, und so nahm er ihn auch in seine Dienste und befahl ihm, er sollte, wenn es gar zu heiß auf Erden würde, mit seinem Blitzbesen die Luft fegen, daß sie schön rein und kühl würde.
So kam keiner von den drei Prinzen zurück. Da stieg König Winter selbst ins Tal hinab, um sich Prinzeß Schneeflöckchen wieder zu holen. Als er aber hörte, daß Prinz Sonnenschein alle drei Prinzen gefangen hätte, und als er sah, wie Prinz Eiszacken die Blumen gießen und Sausewind die Bäume schütteln und Blitz die Luft fegen mußte, da dachte er: „O weh, nun wird Prinz Sonnenschein mich auch fangen.
Aber der gute Prinz Sonnenschein ging ihm entgegen und sagte zu ihm: „Lieber König Winter, wir wollen nicht miteinander streiten. Ich weiß, daß du Prinzeß Schneeflöckchen auch lieb hast, und darum schlage ich dir vor: wir werden gute Freunde, und jedesmal, wenn die Schwälbchen fortziehen, kommst du zu uns ins Tal herab und wohnst bei mir und bei Prinzeß Schneeflöckchen, und jedesmal, wenn die Schwälbchen wiederkommen, steigen wir zu dir hinauf und Prinzeß Schneeflöckchen wohnt mit in deinem Schlosse. Eiszacken aber und Sausewind und Blitz dienen von jetzt ab uns beiden.“
Da sagte König Winter „ja“, und Prinzeß Schneeflöckchen sagte auch „ja“, und Eiszacken und Blitz und Sausewind waren auch zufrieden.
Seitdem wohnt Prinzeß Schneeflöckchen manchmal auf dem Berge und manchmal im Tal, und weil sie nun alle miteinander Frieden haben, tanzt sie auch wieder, wenn sie bei dem König Winter wohnt; aber wenn ihr lieber Prinz Sonnenschein kommt, hört sie gleich auf, denn der hat ihr so gut gefallen, daß sie darüber das Tanzen immer wieder vergißt.
[P. u. A. Blau „Wies wispert und wuspert im grünen Wald“ – Waldmärchen]