Der Graf erschrak nicht wenig über die Erscheinung des Nörgleins und über seine zornigen Worte. Denn er hatte oft vom Waldmännlein, seiner Stärke und seiner Bosheit allerlei schaurige Geschichten gehört, als er noch ein Kind war und die alte Kindsmagd ihm erzählen mußte. Was war nun zu tun? – Da war guter Rat gar teuer und der erschrockene Graf wußte kein anderes Mittel wegzukommen als Bitten und gute Worte.
»Verzeih mir,« sprach der Graf, »daß ich dein Gebiet betreten habe. Ich habe es nicht gewußt und werde es gewiß nie mehr tun.«
Das wilde Nörglein ließ sich aber nicht besänftigen und sprach: »Wie ich dir gesagt habe, muß es geschehen. Entweder du oder sie.«
»Verlange was du willst und ich gebe es dir,« sprach der Graf, »aber laß nur von dieser Forderung!«
Da schien sich das Männlein zu besinnen und sagte: »Wenn es so sein muß, so will ich Euer Schicksal in die Hand Eurer Frau legen. Ich lasse Euch einen Monat Zeit. Wenn sie imstande ist, in dieser Zeit unter dreimal meinen Namen zu erraten, soll sie frei und Euer sein – sonst gehört sie mir.«
Der Graf war etwas getrösteter, aber doch lag es ihm noch so schwer auf dem Herzen. Er ging nun zurück und das Waldmännlein begleitete ihn. Beide waren ernst und sprachen kein Wort. Wie sie eine Weile gegangen und zu einer uralten, graubärtigen Tanne gekommen waren, stund das Zwerglein still und sprach: »Hier ist die Grenze meines Gebietes. Bei dieser Tanne, die neunmal so alt ist als die übrigen Bäume, werde ich deine Frau erwarten. Dreimal kann sie unter dreimal raten! Haltest du aber nicht dein Wort, so soll es dir schlecht gehen.«
So sprach das Männlein und war bald wieder waldein verschwunden.
Der Graf ging nun langsam nach Hause, denn es war ihm so schwer ums Herz und je näher er dem Schlosse kam, desto trüber und trauriger war ihm zumute. Als er dem Tore schon nahe war, kam ihm die Gräfin, die ihn vom Fenster aus gesehen hatte, entgegen und war gar froh und heiter, weil ihr Gemahl wieder da war. Allein bald sah sie, daß er nicht froh war wie sonst, sondern eine gar trübe Miene machte. Sie war nun auch traurig und besorgt und fragte den Grafen, was ihm fehle.
Indessen waren sie ins Schloß und in die Stube gekommen und der müde, traurige Graf erzählte ihr nun alles, wie das Nörglein ihm begegnet sei und ihm die Gräfin habe nehmen wollen, und welche Bedingung es zuletzt gemacht habe.
Wie die Gräfin dies hörte, wurde sie bleich wie eine Leiche und ihre schönen feinen Wangen waren von Tränen benetzt. Die Lust und Freude waren nun aus dem Schlosse verschwunden und es ging droben gar stille und traurig her. Die Gräfin saß gewöhnlich im Erker und sann und sann, wie kurz ihr Glück gewesen war, oder sie betete und weinte in der Burgkapelle. Der Graf zog auch nicht mehr auf die Jagd oder zum Kampfspiele, sondern saß auf seinem alten, reich mit Schnitzwerk versehenen Lehnstuhle, auf dem schon sein Urahn gesessen war, stützte sein Haupt in die rechte Hand und dachte nach, er wußte selbst nicht worüber.
So vergingen Tage auf Tage und Wochen auf Wochen und endlich waren nur mehr drei Tage vom Monate übrig. Da gingen nun der Graf und die Gräfin hinaus in den Wald und weiter und weiter, bis sie die alte greisbärtige Tanne von ferne sahen. Da blieb der Graf zurück und die Gräfin ging allein weiter. Es war sonst so lustig im Walde, die Vöglein jubelten, die Eichkätzchen sprangen und die Hagröslein blühten weiß und rot, allein der Gräfin war so schwer ums Herz wie noch nie und traurig ging sie, bis sie endlich zur Tanne kam. Dort erwartete sie schon das Nörglein, das grün und rot gekleidet war. Es hatte eine närrische Freude als es die Gräfin sah, denn sie gefiel ihm gar wohl.
»Nun errate meinen Namen, Frau Gräfin!« sprach er eilig, als ob er es kaum erwarten könnte.
Da riet die Gräfin: »Tanne, Fichte, Föhre«, denn sie dachte, weil er im Walde wohnt, hat er gewiß den Namen eines Baumes.
Das Nörglein hatte es aber kaum gehört, als es laut auflachte und jauchzte, daß es im ganzen Walde widergellte.
»Du hast es nicht erraten!« sprach er jubelnd. »Schaue, ob es morgen besser geht als heute, sonst wirst du noch meine Frau!«
Die Gräfin war aber noch trauriger und ging mit niedergeschlagenen Augen von der Tanne weg, an der das Nörglein noch immer stand und schadenfroh ihr nachlächelte.
Sie fand bald ihren Gemahl und erzählte ihm, wie sie so schlecht geraten hätte, und beide kehrten nun noch trauriger als sie gekommen waren auf ihr Schloß zurück.
Der noch übrige Tag verging, obwohl es ein trauriger war, doch zu schnell und es war bald der Abend da, dem die Nacht folgte. Das war wieder eine traurige, trostlose Nacht, in der Schlaf und Traum in der Grafenstube nicht einkehrten.
Als morgens die ersten Lerchen sangen, waren schon Graf und Gräfin auf den Beinen und klagten sich ihre Not. Darauf gingen sie in die Burgkapelle und beteten dort und dann gingen sie in den grünen Wald hinaus und weiter und tiefer, bis sie die alte greisbärtige Tanne von ferne sahen. Da blieb der Graf zurück und die Gräfin ging allein weiter. Es war sonst so lustig im Walde draußen, die Vöglein sangen, die Blumen lachten und dufteten und die Eichkätzchen machten ihre Männchen, allein der Gräfin war so schwer ums Herz wie noch nie und mit Tränen in den Augen ging sie, bis sie zur Tanne kam. Kaum war sie dort, so kam auch schon das Waldmännlein und war gar schön, blau und rot gekleidet. Es hatte eine närrische Freude als es die Gräfin wieder sah, denn sie gefiel ihm gar zu wohl.
»Nun errate meinen Namen, Frau Gräfin!« sprach er eilig und lächelte.
Da riet die Gräfin: »Hafer, Plenten, Türken,« denn sie dachte, vielleicht habe es einen Namen vom Getreide.
Der kleine Wicht hatte es aber kaum gehört, als er laut auflachte und jauchzte, daß es im ganzen Walde widergellte.
»Du hast es nicht erraten«, sprach er jubelnd. »Morgen muß es besser gehen oder du gehörst mir, und dann hab‘ ich morgen noch Hochzeit.«
Die Gräfin war aber noch trauriger als je und ging mit nassen Augen von der alten Tanne weg, an der das Nörglein noch immer stand und schadenfroh ihr nachlächelte.
Sie fand bald ihren Gemahl und erzählte ihm, wie es ihr so schlecht ergangen sei, und beide kehrten nun noch betrübter als sie gekommen waren auf ihr Schloß zurück.
Der noch übrige Tag verging unter Trauer und ehe man sich dessen versah kam der Abend und alsbald folgte die dunkle Nacht. Das war wieder eine traurige Nacht, in der weder Graf noch Gräfin ein Auge schließen konnte.
Als der Morgen andämmerte, waren Graf und Gräfin schon auf den Füßen und gingen in die Burgkapelle und beteten dort recht inständig. Dann wanderten sie hinaus in den schönen, grünen Wald. Es war noch früher, früher Morgen und viele Vöglein lagen noch in ihren Nestchen und schliefen. Nur die Bächlein rieselten und murmelten und die Morgenwinde lispelten in den Baumzweigen, sonst war es noch ganz stille, so stille wie in einer Kirche.
Graf und Gräfin gingen nun hinaus, bis sie die alte, greisbärtige Tanne von ferne sahen. Da küßte der Graf seine schöne Gräfin und eine Träne träufelte auf seinen Bart, denn er wußte nicht, ob er sie noch einmal sehen werde. Die Gräfin war aber heute gefaßter und ihr Herz schlug nicht so sehr wie die früheren Male. Sie nahm auch Abschied von ihrem Gemahl und wanderte zur Tanne. Da stund sie aber ganz mutterseelenallein bei dem alten Baume und kein Nörglein ließ sich sehen. Da ging sie weiter und kam bald zu einem gar schönen Steige, wie sie noch keinen gesehen. Es waren an beiden Seiten wilde Rosensträuche und bildeten einen schönen Zaun.
Sie ging dem Wege nach und kam bald zu einem schönen Tälchen. Da waren die schönsten Blumen und an den Hügeln standen Reben und Feigenbäumchen. Mitten im Felde aber stund ein Häuschen und das war gar so nett. Es hatte kleine Fensterchen und die glitzerten im Scheine der Morgensonne gar lustig. Aus dem kleinen Kaminchen wirbelte blauer Rauch auf und innen erklang ein Liedchen.
Die Gräfin vergaß Ach und Weh, als sie das Tälchen und das Häuschen sah, und schlich auf den Zehen zu einem Fensterchen, um zu sehen, ob es im Innern auch so schön sei. Wie sie dabei war, sah sie in eine allerliebste Küche und drinnen sott und brodelte es in Häfelein und Töpfchen. Am Herde stand aber das Waldmännlein, rührte bald da bald dort auf und sang mit lächelndem Munde:
»Siede mein Hafele, plapper‘ mein Kraut,
’s ist gut, daß die Frau Gräfin nit weiß,
Daß ich Purzinigele heiß.«
Die Gräfin hatte nun genug gehört. Leise, wie sie sich zum Hause geschlichen hatte, schlich sie wieder fort und eilte dann rasch zur Tanne hin, damit das Nörglein sie nicht einhole. Wie sie dort stund, konnte sie vor Freude fast nicht die Ankunft des Waldmännleins erwarten. Sie hatte noch nicht lange geharrt, als das Männlein kam. Heute war es noch schöner geschmückt als sonst und hatte ein rotes, golddurchwirktes Kleid an, das glänzte wie die Morgenröte.
»Nun rate heute zum letzten Male,« sprach derkleine Wicht die Gräfin an und blickte sie an, als hätte er sagen gewollt: »Du, Vogel, kommst mir nicht mehr aus den Schlingen.«
Die Gräfin fing nun an »Pur« und schaute dabei den Frager mit beobachtendem Blicke an.
»Nicht getroffen; nun darfst du noch zweimal raten!« sagte das Männchen.
»Ziege«, sprach wieder die Gräfin.
Da überflog eine leise Röte das Nörglein und es schien nachdenklich zu werden. Doch sagte es: »Rate schnell – noch einmal steht es dir frei.«
»Purzinigele!« rief die Gräfin voller Freude. Wie das Nörglein seinen Namen gehört hatte, rollte es zornig seine glühenden Augen, ballte krampfhaft die Fäuste und verschwand dann brummend in das Dickicht. Die befreite Gräfin eilte aber der Stelle zu, wo der Graf in Ungeduld ihrer harrte. Das war aber eine Freude, als sich beide wieder fanden. Graf und Gräfin zogen nun auf ihr Schloß zur Freude der Ihrigen und lebten dort noch viele, viele Jahre als das glücklichste Paar, das man je gekannt.
Und wo ist das Purzinigele?
Das war so zornig, daß es auf und davon lief, und wurde seitdem nie mehr gesehen.
(Meran)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]