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Märchenbasar

Saids Schicksale

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Zur Zeit Harun Al-Raschids, des Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann in Balsora, mit Namen Benazar. Er hatte gerade so viel Vermögen, um für sich bequem und ruhig leben zu können, ohne ein Geschäft oder einen Handel zu treiben. Auch als ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von dieser Weise nicht ab. „Warum soll ich in meinem Alter noch schachern und handeln“, sprach er zu seinen Nachbarn, „um vielleicht Said, meinem Sohn, tausend Goldstücke mehr hinterlassen zu können, wenn es gut geht, und geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird auch ein dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er nur sonst ein guter Junge wird, soll es ihm an nichts fehlen.“ So sprach Benazar und hielt Wort; denn er ließ auch seinen Sohn nicht zum Handel oder einem Gewerbe erziehen, doch unterließ er nicht, die Bücher der Weisheit mit ihm zu lesen, und da nach seiner Ansicht einen jungen Mann außer Gelehrsamkeit und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr zierte als ein gewandter Arm und Mut, so ließ er ihn frühe in den Waffen unterweisen, und Said galt bald unter seinen Altersgenossen, ja selbst unter älteren Jünglingen, für einen gewaltigen Kämpfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm keiner zuvor.

Als er achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grab des Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine religiösen Übungen zu verrichten, wie es Sitte und Gebot erfordern. Ehe er abreiste, ließ ihn sein Vater noch einmal vor sich kommen, lobte seine Aufführung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld und sprach dann: „Noch etwas, mein Sohn Said! Ich bin ein Mann, der über die Vorurteile des Pöbels erhaben ist. Ich höre zwar gerne Geschichten von Feen und Zauberern erzählen, weil mir die Zeit dabei angenehm vergeht, doch bin ich weit entfernt, daran zu glauben, wie so viele unwissende Menschen tun, daß diese Genien, oder wer sie sonst sein mögen, Einfluß auf das Leben und Treiben der Menschen haben. Deine Mutter aber, sie ist jetzt zwölf Jahre tot, deine Mutter glaubte so fest daran als an den Koran; ja, sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr geschworen, es niemand als ihrem Kinde zu entdecken, vertraut, daß sie selbst von ihrer Geburt an mit einer Fee in Berührung gestanden habe. Ich habe sie deswegen ausgelacht, und doch muß ich gestehen, Said, daß bei deiner Geburt einige Dinge vorfielen, die mich selbst in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen Tag geregnet und gedonnert, und der Himmel war so schwarz, daß man nichts lesen konnte ohne Licht. Aber um vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein Knäblein geboren. Ich eilte nach den Gemächern deiner Mutter, um meinen Erstgeborenen zu sehen und zu segnen; aber alle ihre Zofen standen vor der Türe, und auf meine Fragen antworteten sie, daß jetzt niemand in das Zimmer treten dürfe; Zemira, deine Mutter, habe alle hinausgehen heißen, weil sie allein sein wolle. Ich pochte an die Türe, aber umsonst; sie blieb verschlossen.

Während ich so halb unwillig unter den Zofen vor der Türe stand, klärte sich der Himmel so plötzlich auf, wie ich es nie gesehen hatte, und das Wunderbarste war, daß nur über unserer lieben Stadt Balsora eine reine blaue Himmelswölbung erschien; ringsum aber lagen die Wolken schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und schlängelten sich in diesem Umkreis. Während ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog die Türe meiner Gattin auf; ich aber ließ die Mägde noch außen harren und trat allein in das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich eingeschlossen habe. Als ich eintrat, quoll mir ein so betäubender Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen entgegen, daß ich beinahe verwirrt wurde. Deine Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich auf ein silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen Kette, so fein wie Seide, trugst: „Die gütige Frau, von welcher ich dir einst erzählte, ist dagewesen“, sprach deine Mutter, „sie hat deinem Knaben dieses Angebinde gegeben.“ – „Das war also die Hexe, die das Wetter schön machte und diesen Rosen- und Nelkenduft hinterließ?“ sprach ich lachend und ungläubig. „Aber sie hätte etwas Besseres bescheren können als dieses Pfeifchen, etwa einen Beutel voll Gold, ein Pferd oder dergleichen!“ Deine Mutter beschwor mich, nicht zu spotten, weil die Feen, leicht erzürnt, ihren Segen in Unsegen verwandeln.

Ich tat es ihr zu Gefallen und schwieg, weil sie krank war, wir sprachen auch nicht mehr von dem sonderbaren Vorfall bis sechs Jahre nachher, als sie fühlte, daß sie, so jung sie noch war, sterben müsse. Da gab sie mir das Pfeifchen, trug mir auf, es einst, wenn du zwanzig Jahre alt seiest, dir zu geben; denn keine Stunde zuvor dürfte ich dich von mir lassen. Sie starb. Hier ist nun das Geschenk“, fuhr Benazar fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer langen goldenen Kette aus einem Kästchen hervorsuchte, „und ich gebe es dir in deinem achtzehnten statt in deinem zwanzigsten Jahre, weil du abreisest und ich vielleicht, ehe du heimkehrst, zu meinen Vätern versammelt werde. Ich sehe keinen vernünftigen Grund ein, warum du noch zwei Jahre hier bleiben sollst, wie es deine besorgte Mutter wünschte. Du bist ein guter und gescheiter Junge; führst die Waffen so gut als einer von vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich heute ebensogut für mündig erklären, als wärest du schon zwanzig. Und nun ziehe in Frieden und denke im Glück und Unglück, vor welchem der Himmel dich bewahren wolle, an deinen Vater!“

So sprach Benazar von Balsora, als er seinen Sohn entließ. Said nahm bewegt von ihm Abschied, hing die Kette um den Hals, steckte das Pfeifchen in den Gürtel, schwang sich aufs Pferd und ritt nach dem Ort, wo sich die Karawane nach Mekka versammelte. In kurzer Zeit waren an achtzig Kamele und viele hundert Reiter beisammen; die Karawane setzte sich in Marsch, und Said ritt aus dem Tor von Balsora, seiner Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen sollte.

Das Neue einer solchen Reise und die mancherlei niegesehenen Gegenstände, die sich ihm aufdrängten, zerstreuten ihn anfangs; als man sich aber der Wüste näherte und die Gegend immer öder und einsamer wurde, da fing er an, über manches nachzudenken und unter anderem auch über die Worte, womit ihn Benazar, sein Vater, entlassen hatte.

Er zog das Pfeifchen hervor, beschaute es hin und her und setzte es endlich an den Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen recht hellen und schönen Ton von sich gebe; aber siehe, es tönte nicht, er blähte die Backen auf und blies aus Leibeskräften, aber er konnte keinen Ton hervorbringen, und, unwillig über das nutzlose Geschenk, steckte er das Pfeifchen wieder in den Gürtel. Aber bald richteten sich alle seine Gedanken wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter; er hatte von Feen manches gehört; aber nie hatte er erfahren, daß dieser oder jener Nachbar in Balsora mit einem übernatürlichen Genius in Verbindung gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen Geistern immer in weit entfernte Länder und alte Zeiten versetzt, und so glaubte er, es gebe heutzutage keine solchen Erscheinungen mehr, oder die Feen haben aufgehört, die Menschen zu besuchen und an ihren Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also dachte, so war er doch immer wieder von neuem versucht, an irgend etwas Geheimnisvolles und Übernatürliches zu glauben, was mit seiner Mutter vorgegangen sein könnte, und so kam es, daß er beinahe einen ganzen Tag wie ein Träumender zu Pferde saß und weder an den Gesprächen der Reisenden teilnahm, noch auf ihren Gesang oder ihr Gelächter achtete.

Said war ein sehr schöner Jüngling; sein Auge war mutig und kühn, sein Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in seinem ganzen Wesen schon eine gewisse Würde, die man in diesem Alter nicht so oft trifft, und der Anstand, womit er leicht, aber sicher und in vollem kriegerischem Schmuck zu Pferde saß, zog die Blicke manches der Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite ritt, fand Wohlgefallen an ihm und versuchte, durch manche Fragen auch seinen Geist zu prüfen. Said, welchem Ehrfurcht gegen das Alter eingeprägt worden war, antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so daß der Alte eine große Freude an ihm hatte. Da aber der Geist des jungen Mannes schon den ganzen Tag nur mit einem Gegenstand beschäftigt war, so geschah es, daß man bald auf das geheimnisvolle Reich der Feen zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten geradezu, ob er glaube, daß es Feen, gute oder böse Geister geben könne, welche den Menschen beschützen oder verfolgen.

Der alte Mann strich sich den Bart, neigte seinen Kopf hin und her und sprach dann: „Leugnen läßt es sich nicht, daß es solche Geschichten gegeben hat, obgleich ich bis heute weder einen Geisterzwerg, noch einen Genius als Riesen, weder einen Zauberer, noch eine Fee gesehen habe.“ Der Alte hub dann an und erzählte dem jungen Mann so viele und wunderbare Geschichten, daß ihm der Kopf schwindelte und er nicht anders dachte, als alles, was bei seiner Geburt vorgegangen, die Änderung des Wetters, der süße Rosen- und Hyazinthenduft, sei von großer und glücklicher Vorbedeutung, er selbst stehe unter dem besonderen Schutz einer mächtigen, gütigen Fee, und das Pfeifchen sei zu nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im Fall der Not zu pfeifen. Er träumte die ganze Nacht von Schlössern, Zauberpferden, Genien und dergleichen und lebte in einem wahren Feenreich.

Doch leider mußte er schon am folgenden Tag die Erfahrung machen, wie nichtig all seine Träume im Schlafen oder Wachen seien. Die Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten sie für Sandhügel, die anderen für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten.

Die Männer wehrten sich tapfer; aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und – ließ es schmerzlich wieder sinken; denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung, zielte er und schoß einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd.

„Allah! Was habt Ihr gemacht, junger Mensch!“ rief der Alte an seiner Seite. „Jetzt sind wir alle verloren.“ Und so schien es auch; denn kaum sahen die Räuber diesen Mann fallen, als sie ein schreckliches Geschrei erhoben und mit solcher Wut eindrangen, daß die wenigen noch unverwundeten Männer bald zersprengt wurden. Said sah sich in einem Augenblick von fünf oder sechs umschwärmt. Er führte seine Lanze so gewandt, daß keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff gefaßt; aber ehe er sich dessen versah, hatte ihm einer der Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und so sehr er sich bemühte, das Seil zu zerreißen, so war doch alles umsonst; die Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen.

Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben oder gefangen worden, und die Araber, welche nicht zu einem Stamm gehörten, teilten jetzt die Gefangenen und die übrige Beute und zogen dann, der eine Teil nach Süden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen über ihn ausstießen; er merkte, daß es ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei, welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod; darum wünschte er sich im stillen Glück, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben; denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spießen; einmal aber, als das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten, welchen er unter den Toten geglaubt hatte.

Endlich sah man in der Ferne Bäume und Zelte; als sie näher kamen, strömte ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen; aber kaum hatten diese einige Worte mit den Räubern gewechselt, als sie in ein schreckliches Geheul ausbrachen und alle nach Said hinblickten, die Arme gegen ihn aufhoben und Verwünschungen ausstießen. „Jener ist es“, schrien sie, „der den großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten aller Männer; er muß sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der Wüste zur Beute geben.“ Dann drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen und was sie zur Hand hatten so furchtbar auf Said ein, daß sich die Räuber selbst ins Mittel legen mußten.

„Hinweg, ihr Unmündigen, fort, ihr Weiber!“ riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen auseinander, „er hat den großen Almansor erschlagen im Gefecht, und er muß sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der Tapferen.“

Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt waren, machten sie halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die Beute in die Zelte gebracht, Said aber wurde einzeln gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort saß ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkündete, daß er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said führten, traten traurig und mit gesenktem Haupt vor ihn hin. „Das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen ist“, sprach der majestätische Mann, indem er die Räuber der Reihe nach anblickte, „eure Mienen bestätigen es – Almansor ist gefallen.“

„Almansor ist gefallen“, antworteten die Männer, „aber hier, Selim, Beherrscher der Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn, damit du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben? Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von Lanzen jagen, oder willst du, daß er an einem Strick aufgehängt oder von Pferden zerrissen werde?“

„Wer bist du?“ fragte Selim, düster auf den Gefangenen blickend, der zum Tod bereit, aber mutig vor ihm stand.

Said beantwortete seine Frage kurz und offen.

„Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?“

„Nein, Herr!“ entgegnete Said. „Ich habe ihn in offenem Kampf beim Angriff auf unsere Reihen von vorne getötet, weil er schon acht meiner Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte.“

„Ist es also, wie er sprach?“ fragte Selim die Männer, die ihn gefangen hatten.

„Ja, Herr, er hat Almansor im offenen Kampfe getötet“, sprach einer von den Gefragten.

„Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan haben würden“, versetzte Selim, „er hat seinen Feind, der ihm Freiheit und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen; drum löset schnell seine Bande!“

Die Männer sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. „So soll der Mörder deines Sohnes, des tapferen Almansor, nicht sterben?“ fragte einer, indem er wütende Blicke auf Said warf, „hätten wir ihn lieber gleich umgebracht!“

„Er soll nicht sterben!“ rief Selim, „und ich nehme ihn sogar in mein eigenes Zelt auf, ich nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der Beute, er sei mein Diener!“

Said fand keine Worte, dem Alten zu danken, die Männer aber verließen murrend das Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die draußen versammelt waren und auf Saids Hinrichtung warteten, den Entschluß des alten Selim mitteilten, erhoben sie ein schreckliches Geheul und Geschrei und riefen, sie würden Almansors Tod an seinem Mörder rächen, weil sein eigener Vater die Blutrache nicht üben wolle.

Die übrigen Gefangenen wurden an die Horden verteilt; einige entließ man, um Lösegeld für die reicheren einzutreiben, andere wurden zu den Herden als Hirten geschickt, und manche, die vorher von zehn Sklaven sich bedienen ließen, mußten die niedrigsten Dienste in diesem Lager versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges, heldenmäßiges Aussehen oder der geheimnisvolle Zauber einer gütigen Fee, was den alten Selim für den Jüngling einnahm? Man wußte es nicht zu sagen, aber Said lebte in seinem Zelt mehr als Sohn denn als Diener. Aber die unbegreifliche Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der übrigen Diener zu; er begegnete überall nur feindlichen Blicken, und wenn er allein durchs Lager ging, so hörte er ringsumher Schimpfworte und Verwünschungen ausstoßen, ja, einigemal flogen Pfeile an seiner Brust vorüber, die offenbar ihm gegolten hatten, und daß sie ihn nicht trafen, schrieb er nur dem geheimnisvollen Pfeifchen zu, das er noch immer auf der Brust trug und welchem er diesen Schutz zuschrieb. Oft beklagte er sich bei Selim über diese Angriffe auf sein Leben, aber vergebens suchte dieser die Meuchelmörder ausfindig zu machen, denn die ganze Horde schien gegen den begünstigten Fremdling verbunden zu sein. Da sprach eines Tages Selim zu ihm: „Ich hatte gehofft, du werdest mir vielleicht den Sohn ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an dir und mir liegt nicht die Schuld, daß es nicht sein konnte; alle sind gegen dich erbittert, und ich selbst kann dich in Zukunft nicht mehr schützen; denn was hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich getötet haben, den Schuldigen zur Strafe zu ziehen. Darum, wenn die Männer von ihrem Streifzug heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe mir Lösegeld geschickt, und ich werde dich durch einige treue Männer durch die Wüste geleiten lassen.“

„Aber kann ich irgendeinem außer dir trauen?“ fragte Said bestürzt; „werden sie mich nicht unterwegs töten?“

„Davor schützt dich der Eid, den sie mir schwören müssen, und den noch keiner gebrochen hat“, erwiderte Selim mit großer Ruhe. Einige Tage nachher kehrten die Männer ins Lager zurück, und Selim hielt sein Versprechen. Er schenkte dem Jüngling Waffen, Kleider und ein Pferd, versammelte die streitbaren Männer, wählte fünf zur Begleitung Saids aus, ließ sie einen furchtbaren Eid ablegen, daß sie ihn nicht töten wollten, und entließ ihn dann mit Tränen.

Die fünf Männer ritten finster und schweigend mit Said durch die Wüste; der Jüngling sah, wie ungern sie den Auftrag erfüllten, und es machte ihm nicht wenig Besorgnis, daß zwei von ihnen bei jenem Kampf zugegen waren, wo er Almansor tötete. Als sie etwa acht Stunden zurückgelegt hatten, hörte Said, daß sie untereinander flüsterten, und bemerkte, daß ihre Mienen noch düsterer wurden als vorher. Er strengte sich an, aufzuhorchen, und vernahm, daß sie sich in einer Sprache unterhielten, die nur von dieser Horde und immer nur bei geheimnisvollen oder gefährlichen Unternehmungen gesprochen wurde; Selim, der den Plan gehabt hatte, den jungen Mann auf immer in seinem Zelte zu behalten, hatte sich manche Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen Worte zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt vernahm.

„Hier ist die Stelle“, sprach einer, „hier griffen wir die Karawane an, und hier fiel der tapferste Mann von der Hand eines Knaben.“

„Der Wind hat die Spuren seines Pferdes verweht“, fuhr ein anderer fort, „aber ich habe sie nicht vergessen.“

„Und zu unserer Schande soll der noch leben und frei sein, der Hand an ihn legte? Wann hat man je gehört, daß ein Vater den Tod seines einzigen Sohnes nicht rächte? Aber Selim wird alt und kindisch.“

„Und wenn es der Vater unterläßt“, sagte ein vierter, „so ist es Freundes Pflicht, den gefallenen Freund zu rächen. Hier an dieser Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist es Recht und Brauch seit den ältesten Zeiten.“

„Aber wir haben dem Alten geschworen“, rief ein fünfter, „wir dürfen ihn nicht töten, unser Eid darf nicht gebrochen werden.“

„Es ist wahr“, sprachen die anderen, „wir haben geschworen, und der Mörder darf frei ausgehen aus den Händen seiner Feinde.“

„Halt!“ rief einer, der finsterste unter allen. „Der alte Selim ist ein kluger Kopf, aber doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir ihm geschworen, diesen Burschen da- oder dorthin zu bringen? Nein, er nahm uns den Schwur auf sein Leben ab, und dieses wollen wir ihm schenken. Aber die brennende Sonne und die scharfen Zähne des Schakals werden unsere Rache übernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir ihn gebunden liegen lassen.“ So sprach der Räuber; aber schon seit einigen Minuten hatte sich Said auf das Äußerste gefaßt gemacht, und indem jener noch die letzten Worte sprach, riß er sein Pferd auf die Seite, trieb es mit einem tüchtigen Hieb an und flog wie ein Vogel über die Ebene hin. Die fünf Männer staunten einen Augenblick, aber wohlbewandert in solchen Verfolgungen, teilten sie sich, jagten rechts und links nach, und weil sie die Art und Weise, wie man in der Wüste reiten muß, besser kannten, hatten zwei von ihnen den Flüchtling bald überholt, wandten sich gegen ihn um, und als er auf die Seite floh, fand er auch dort zwei Gegner und den fünften in seinem Rücken. Der Eid, ihn nicht zu töten, hielt sie ab, ihre Waffen zu gebrauchen; sie warfen ihm auch jetzt wieder von hinten eine Schlinge über den Kopf, zogen ihn vom Pferd, schlugen unbarmherzig auf ihn los, banden ihn dann an Händen und Füßen und legten ihn in den glühenden Sand der Wüste.

Said flehte sie um Barmherzigkeit an, er versprach ihnen schreiend ein großes Lösegeld; aber lachend schwangen sie sich auf und jagten davon. Noch einige Augenblicke lauschte er auf die leichten Tritte ihrer Rosse, dann aber gab er sich verloren. Er dachte an seinen Vater, an den Gram des alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre. Er dachte an sein eigenes Elend, daß er so frühe sterben müsse; denn nichts war ihm gewisser, als daß er in dem heißen Sand den martervollen Tod des Verschmachtens sterben müsse oder daß er von einem Schakal zerrissen werde. Die Sonne stieg immer höher und brannte glühend auf seiner Stirne. Mit unendlicher Mühe gelang es ihm endlich, sich aufzuwälzen; aber es gab ihm wenig Erleichterung. Das Pfeifchen an der Kette war durch diese Anstrengung aus seinem Kleid gefallen. Er mühte sich so lange, bis er es mit dem Mund fassen konnte; endlich berührten es seine Lippen, er versuchte zu blasen, aber auch in dieser schrecklichen Not versagte es den Dienst. Verzweiflungsvoll ließ er den Kopf zurücksinken, und endlich beraubte ihn die stechende Sonne der Sinne; er fiel in eine tiefe Betäubung.

Nach vielen Stunden erwachte Said von einem Geräusch in seiner Nähe; er fühlte zugleich, daß seine Schulter gepackt wurde, und er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, denn er glaubte nichts anderes, als ein Schakal sei herangekommen, ihn zu zerreißen. Jetzt wurde er auch an den Beinen angefaßt, aber er fühlte, daß es nicht die Krallen eines Raubtieres seien, die ihn umfaßten, sondern die Hände eines Mannes, der sich sorgsam mit ihm beschäftigte und mit zwei oder drei anderen sprach. „Er lebt“, flüsterten sie, „aber er hält uns für Feinde.“

Endlich schlug Said die Augen auf und erblickte über sich das Gesicht eines kleinen, dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser sprach ihm freundlich zu, half ihm sich aufrichten, reichte ihm Speise und Trank und erzählte ihm, während er sich stärkte, er sei ein Kaufmann aus Bagdad, heiße Kalum-Beck und handle mit Schals und feinen Schleiern für die Frauen. Er habe eine Handelsreise gemacht, sei jetzt auf der Rückkehr nach Hause begriffen und habe ihn elend und halb im Sand liegen sehen. Sein prachtvoller Anzug und die blitzenden Steine seines Dolches hätten ihn aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt, ihn zu beleben, und es sei ihm also gelungen. Der Jüngling dankte ihm für sein Leben, denn er sah wohl ein, daß er ohne die Dazwischenkunft dieses Mannes elend hätte sterben müssen; und da er weder Mittel hatte, sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu Fuß und allein durch die Wüste zu wandern, so nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwer beladenen Kamele des Kaufmanns an und beschloß fürs erste, mit nach Bagdad zu ziehen, vielleicht könnte er dort sich an eine Gesellschaft, die nach Balsora reisete, anschließen.

Unterwegs erzählte der Kaufmann seinem Reisegefährten manches von dem trefflichen Beherrscher der Gläubigen, Harun Al-Raschid. Er erzählte ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und seinem Scharfsinn, wie er die wunderbarsten Prozesse auf einfache und bewundernswürdige Weise zu schlichten wisse; unter anderem führte er die Geschichte von dem Seiler, die Geschichte von dem Topf mit Oliven an, Geschichten, die jedes Kind weiß, die aber Said sehr bewunderte. „Unser Herr, der Beherrscher der Gläubigen“, fuhr der Kaufmann fort, „unser Herr ist ein wunderbarer Mann. Wenn Ihr meinet, er schlafe, wie andere gemeine Leute, so täuschet Ihr Euch sehr. Zwei, drei Stunden in der Morgendämmerung ist alles. Ich muß das wissen, denn Messour, sein erster Kämmerer, ist mein Vetter, und obgleich er so verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse seines Herrn anbelangt, so läßt er doch, der guten Verwandtschaft zulieb, hin und wieder einen Wink fallen, wenn er sieht, daß einer aus Neugierde beinahe vom Verstand kommen könnte. Statt nun wie andere Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch die Straßen von Bagdad, und selten verstreicht eine Woche, worin er nicht ein Abenteuer aufstößt; denn Ihr müßt wissen, wie ja auch aus der Geschichte mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist als das Wort des Propheten, daß er nicht mit der Wache und zu Pferd, in vollem Putz und mit hundert Fackelträgern seine Runde macht, wie er wohl tun könnte, wenn er wollte, sondern angezogen bald als Kaufmann, bald als Schiffer, bald als Soldat, bald als Mufti geht er umher und schaut, ob alles recht und in Ordnung sei.

Daher kommt es aber auch, daß man in keiner Stadt nachts so höflich gegen jeden Narren ist, auf den man stößt, wie in Bagdad; denn es könnte ebensogut der Kalif wie ein schmutziger Araber aus der Wüste sein, und es wächst Holz genug, um allen Menschen in und um Bagdad die Bastonade zu geben.“

So sprach der Kaufmann, und Said, so sehr ihn hin und wieder die Sehnsucht nach seinem Vater quälte, freute sich doch, Bagdad und den berühmten Harun Al-Raschid zu sehen.

Nach zehn Tagen kamen sie in Bagdad an, und Said staunte und bewunderte die Herrlichkeit dieser Stadt, die damals gerade in ihrem höchsten Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu kommen, und Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter dem Gewühl der Menschen fiel es ihm ein, daß hier wahrscheinlich außer der Luft und dem Wasser des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer Moschee nichts umsonst zu haben sein werde.

Den Tag nach seiner Ankunft, als er sich eben angekleidet hatte und sich gestand, daß er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich in Bagdad wohl sehen lassen könne und vielleicht manchen Blick auf sich ziehe, trat der Kaufmann in sein Zimmer. Er betrachtete den schönen Jüngling mit schelmischem Lächeln, strich sich den Bart und sprach dann: „Das ist alles recht schön, junger Herr! Aber was soll denn nun aus Euch werden? Ihr seid, kommt es mir vor, ein großer Träumer und denket nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr so viel Geld bei Euch, um dem Kleid gemäß zu leben, das Ihr traget?“

„Lieber Herr Kalum-Beck“, sprach der Jüngling verlegen und errötend, „Geld habe ich freilich nicht, aber vielleicht strecket Ihr mir etwas vor, womit ich heimreisen kann; mein Vater wird es gewiß richtig erstatten.“

„Dein Vater, Bursche?“ rief der Kaufmann laut lachend. „Ich glaube, die Sonne hat dir das Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so aufs Wort das ganze Märchen, das du mir in der Wüste erzähltest, daß dein Vater ein reicher Mann in Balsora sei, du sein einziger Sohn, und den Anfall der Araber und dein Leben in ihrer Horde und dies und jenes. Schon damals ärgerte ich mich über deine frechen Lügen und deine Unverschämtheit. Ich weiß, daß in Balsora alle reichen Leute Kaufleute sind, habe schon mit allen gehandelt und müßte von einem Benazar gehört haben, und wenn er nur sechstausend Tomans im Vermögen hätte. Es ist also entweder erlogen, daß du aus Balsora bist, oder dein Vater ist ein armer Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine Kupfermünze leihen mag. Sodann der Überfall in der Wüste! Wann hat man gehört, seit der weise Kalif Harun die Handelswege durch die Wüste gesichert hat, daß es Räuber gewagt haben, eine Karawane zu plündern und sogar Menschen hinwegzuführen? Auch müßte es bekannt geworden sein, aber auf meinem ganzen Weg, und auch hier in Bagdad, wo Menschen aus allen Gegenden der Welt zusammenkommen, hat man nichts davon gesprochen. Das ist die zweite Lüge, junger, unverschämter Mensch!“

Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said dem kleinen bösen Mann in die Rede fallen, jener aber schrie stärker als er und focht dazu mit den Armen. „Und die dritte Lüge, du frecher Lügner, ist die Geschichte im Lager Selims. Selims Name ist wohlbekannt unter allen, die jemals einen Araber gesehen haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste und grausamste Räuber, und du wagst zu erzählen, du habest seinen Sohn getötet und seiest nicht sogleich in Stücke gehauen worden; ja, du treibest die Frechheit so weit, daß du das Unglaubliche sagst, Selim habe dich gegen seine Horde beschützt, in sein eigenes Zelt aufgenommen und ohne Lösegeld entlassen, statt daß er dich aufgehängt hätte an den nächsten besten Baum, er, der oft Reisende gehängt hat, nur um zu sehen, welche Gesichter sie machen, wenn sie aufgehängt sind. Oh, du abscheulicher Lügner!“

„Und ich kann nichts weiter sagen“, rief der Jüngling, „als daß alles wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!“

„Was, bei deiner Seele willst du schwören?“ schrie der Kaufmann, „bei deiner schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?“

„Ich habe freilich keinen Zeugen“, fuhr Said fort, „aber habt Ihr mich nicht gefesselt und elend gefunden?“

„Das beweist mir gar nichts“, sprach jener, „du bist gekleidet wie ein stattlicher Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der stärker war als du, dich überwand und band.“

„Den einzelnen oder sogar zwei möchte ich sehen“, entgegnete Said, „die mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstützet, so muß ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen; an den Kalifen will ich mich wenden.“

„So?“ sprach der Kaufmann, höhnisch lächelnd. „An niemand anders wollt Ihr Euch wenden als an unseren allergnädigsten Herrn? Das heiße ich vornehm betteln! Ei, ei! Bedenket aber, junger vornehmer Herr, daß der Weg zum Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht, und daß es mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr lügen könnet. Aber mich dauert deine Jugend, Said. Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will dich in mein Gewölbe im Basar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst, nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die Reisekosten, die du mir machtest, und den Platz auf dem Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt und werfe dich auf die Straße; dann kannst du beim Kalifen oder beim Mufti, an der Moschee oder im Basar betteln. “

Mit diesen Worten verließ der böse Mann den unglücklichen Jüngling. Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört über die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mitgenommen und in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekäme. Er versuchte, ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war vergittert und die Türe verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich lange dagegen gesträubt hatte, beschloß er, fürs erste den Vorschlag des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe zu dienen. Er sah ein, daß ihm nichts Besseres zu tun übrigbleibe; denn wenn er auch entfloh, so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich vor, sobald als möglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen.

Den folgenden Tag führte Kalum-Beck seinen neuen Diener in sein Gewölbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen Dienst an. Dieser bestand darin, daß Said, angekleidet wie ein Kaufmannsdiener und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der anderen einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand, die vorübergehenden Männer oder Frauen anrief, seine Ware vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Beck zu diesem Geschäft bestimmt habe. Er war ein kleiner, häßlicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stund und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben spotteten seiner, und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah gerne den jungen schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wußte.

Als Kalum-Beck sah, daß sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.

Eines Tages war im Gewölbe vieles gekauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. „In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken“, antwortete Kalum-Beck, „nur so lange müßt Ihr Euch gedulden oder irgendeinen anderen Packer nehmen.“

„Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?“ rief die Frau. „Kann nicht ein solcher Bursche im Gedräng mit meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann und will ich mich halten.“

„Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!“ sprach der Kaufmann, sich immer ängstlicher drehend. „Alle meine Packknechte sind verschickt -“

„Das ist ein schlechtes Gewölbe, das nicht immer einige Knechte übrig hat“, entgegnete das böse Weib. „Aber dort steht ja noch solch ein junger Müßiggänger, komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn mir nach!“

„Halt, halt!“ schrie Kalum-Beck. „Das ist mein Aushängeschild, mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!“

„Was da!“ erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm, „das sind ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen!“

„So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister“, murmelte Kalum-Beck seinem Magnet zu, „und siehe zu, daß du bald wiederkommst; die alte Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich länger weigern.“

Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter zutrauen sollte, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück und hieß ihn gehen.

Er war schon an der Türe, als eine helle, feine Stimme „Said“ rief; verwundert, daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung.

„Said, mein lieber Junge“, sprach die Dame, „so sehr ich die Unfälle bedaure, die dich nach Bagdad führten, so war doch dies der einzige vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verließest, dein Schicksal lösen würde. Said, hast du noch dein Pfeifchen?“

 
„Wohl hab‘ ich es noch“, rief er freudig, indem er die goldene Kette hervorzog, „und Ihr seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses Angebinde gab, als ich geboren wurde?“

„Ich war die Freundin deiner Mutter“, antwortete die Fee, „und bin auch deine Freundin, solange du gut bleibst. Ach, daß dein Vater, der leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du würdest vielen Leiden entgangen sein.“

„Nun, es hat wohl so kommen müssen!“ erwiderte Said. „Aber gnädigste Fee, lasset einen tüchtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen, nehmet mich auf und fährt mich in ein paar Minuten nach Balsora zu meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten Jahre geduldig dort ausharren.“

Die Fee lächelte. „Du hast eine gute Weise, mit uns zu sprechen“, antwortete sie, „aber, armer Said, es ist nicht möglich; ich vermag jetzt, wo du außer deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares für dich zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Beck vermag ich dich zu befreien. Er steht unter dem Schutze deiner mächtigen Feindin.“

„Also nicht nur eine gütige Freundin habe ich“, fragte Said, „auch eine Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluß schon öfter erfahren zu haben. Aber mit Rat dürfet Ihr mich doch unterstützen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird mich gegen Kalum-Beck beschützen.“

„Ja, Harun ist ein weiser Mann!“ erwiderte die Fee. „Aber leider ist er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour soviel als sich selbst, und er hat recht; denn er hat Messour erprobt und treu gefunden. Messour aber traut deinem Freund Kalum-Beck auch wie sich selbst, und darin hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter Mann, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein verschlagener Kopf und hat, sobald er hierherkam, seinem Vetter Großkämmerer eine Fabel über dich erdichtet und angeheftet, und dieser hat sie wieder dem Kalifen erzählt, so daß du, kämest du auch jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden würdest, denn er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, daß du seine Gnade erwerben sollst.“

„Das ist freilich schlimm“, sagte Said wehmütig. „Da werde ich schon noch einige Zeit der Ladenhüter des elenden Kalum-Beck sein müssen. Aber eine Gnade, verehrte Frau, könnet Ihr mir doch gewähren. Ich bin zum Waffenwerk erzogen, und meine höchste Freude ist ein Kampfspiel, wo recht tüchtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert. Nun halten die edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten Schmuck und überdies nur freie Männer dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein Diener aus dem Basar. Wenn Ihr nun bewirken könntet, daß ich alle Wochen ein Pferd, Kleider und Waffen haben könnte und daß man mein Gesicht nicht so leicht erkennte -“

„Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler junger Mann wohl wagen darf“, sprach die Fee, „der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden, und ein Waschwasser für dein Gesicht, das dich für alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft! In sechs Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und Zulimas Ohr wird für seine Töne offen sein.“

Der Jüngling schied von seiner wunderbaren Beschützerin mit Dank und Verehrung; er merkte sich das Haus und die Straße genau und ging dann wieder nach dem Basar.

Als Said in den Basar zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um seinen Herrn und Meister Kalum-Beck zu unterstützen und zu retten. Ein großes Gedränge war um den Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten häßlichen Burschen kaufen. Da gingen zwei Männer den Basar herab und wollten für ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einigemal auf und nieder gegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder herabsehen.

Kalum-Beck, der dies bemerkte, wollte es sich zu Nutzen machen und rief: „Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne Ware?“

„Guter Alter“, erwiderte einer, „deine Waren mögen recht gut sein, aber unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem schönen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen wir dir ein andermal ab.“

„Allahit, Allah!“ rief Kalum-Beck freundlich grinsend. „Euch hat der Prophet vor die rechte Türe geführt. Zum schönen Ladendiener wollet ihr, um Schleier zu kaufen? Nun tretet nur ein, hier ist sein Gewölbe.“

Der eine dieser Männer lachte über Kalums kleine und häßliche Gestalt und seine Behauptung, daß er der schöne Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle sich über ihn lustig machen, blieb ihm nichts schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Beck außer sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, daß man keinen andern Laden als den seinigen das Gewölbe des schönen Ladendieners nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten hiervon nichts wissen, und die beiden Männer gingen nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leib. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte als durch seine Faust, und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden gönnten ihm die Püffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der beiden Männer am Bart, als eben dieser am Arm gefaßt und mit einem einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so daß sein Turban herabfiel und seine Pantoffeln weit hinwegflogen.

Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen hätte, wenn Kalum-Beck mißhandelt worden wäre, murrte laut, der Gefährte des Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kräftigen Jüngling mit blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht, ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie: „Nun, was wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schöne Ladendiener.“ Die Leute umher lachten, weil sie wußten, daß Kalum-Beck vorhin unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen.

„O du Stern aller Ladendiener, du Krone des Basars!“ rief Kalum, als er seinen Diener in den Laden führte, „wahrlich, das heiße ich zu rechter Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden wäre, und ich – ich hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kämmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten später kamst; womit kann ich es dir vergelten?“

Es war nur das schnelle Gefühl des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es ihn fast, daß er die gute Züchtigung dem bösen Manne erspart hatte; ein Dutzend Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf zwölf Tage sanft und geschmeidig gemacht; er suchte aber dennoch die günstige Stimmung des Kaufmanns zu benützen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle Wochen einmal einen Abend für sich benützen zu dürfen zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei. Kalum gab es zu; denn er wußte wohl, daß sein gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld und gute Kleider zu entfliehen.

Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am nächsten Mittwoch, dem Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen Übungen zu halten, sagte er zu Kalum, er wolle diesen Abend für sich benützen, und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die Diener schienen auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein; denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn die Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn unkenntlich machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe selbst nicht mehr; denn er war jetzt von der Sonne gebräunt, trug einen schönen schwarzen Bart und sah zum mindesten zehn Jahre älter aus, als er in der Tat zählte.

Hierauf führten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollständige und prachtvolle Kleidung fand, in welcher sich der Kalif von Bagdad selbst nicht hätte schämen dürfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Außer einem Turban vom feinsten Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reiherfedern, einem Kleid von schwerem rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen durchwirkt, fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet war, daß er sich nach jeder Bewegung des Körpers schmiegte, und doch zugleich so fest, daß ihn weder die Lanze noch das Schwert durchdringen konnten. Eine Damaszenerklinge in reich verzierter Scheide mit einem Griff, dessen Steine Said unschätzbar deuchten, vollendete seinen kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet wieder aus der Türe trat, überreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, daß die Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke; wenn er damit sein Gesicht abwische, so werden der Bart und die braune Farbe verschwinden.

In dem Hof des Hauses standen drei schöne Pferde; das schönste bestieg Said, die beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er in den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glänzende Versammlung der tapfersten und edelsten Jünglinge Bagdads; selbst die Brüder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwangen. Als Said heranritt und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des Großwesirs mit einigen Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig, lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heiße Almansor und komme von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit und Geschicklichkeit der jungen Edlen von Bagdad so vieles gehört, daß er nicht gesäumt habe, sie zu sehen und kennenzulernen. Den jungen Leuten gefielen der Anstand und das mutige Wesen Said-Almansors; sie ließen ihm eine Lanze reichen und seine Partei wählen; denn die ganze Gesellschaft hatte sich in zwei Parteien geteilt, um einzeln und in Scharen gegeneinander zu fechten.

Aber hatte schon Saids Äußeres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so staunte man jetzt noch mehr über seine ungewöhnliche Geschicklichkeit und Behendigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so leicht, weit und sicher, als wäre sie ein Pfeil, den er von einem sicheren Bogen abgeschnellt hätte. Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte er, und am Schluß der Spiele war er so allgemein als Sieger anerkannt, daß einer der Brüder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, die auf Saids Seite gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt, aber der Sohn des Großwesirs widerstand ihm so tapfer, daß sie es nach langem Kampfe für besser hielten, die Entscheidung für das nächstemal aufzusparen.

Den Tag nach diesen Spielen sprach man in ganz Bagdad von nichts als dem schönen, reichen und tapfren Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja selbst die von ihm besiegt waren, waren entzückt von seinen edlen Sitten, und sogar vor seinen eigenen Ohren im Gewölbe Kalum-Becks wurde über ihn gesprochen, und man beklagte nur, daß niemand wisse, wo er wohne. Das nächstemal fand er im Hause der Fee ein noch schöneres Kleid und noch köstlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb Bagdad zugedrängt, selbst der Kalif sah von einem Balkon herab dem Schauspiel zu; auch er bewunderte den Fremdling Almansor und hing ihm, als die Spiele geendet hatten, eine große Denkmünze von Gold an einer goldenen Kette um den Hals, um ihm seine Bewunderung zu bezeigen. Es konnte nicht anders kommen, als daß dieser zweite, noch glänzendere Sieg den Neid der jungen Leute von Bagdad aufregte. „Ein Fremdling“, sprachen sie untereinander, „soll hierher kommen nach Bagdad, uns Ruhm, Ehre und Sieg zu entreißen? Er soll sich an andern Orten damit brüsten können, daß unter der Blüte von Bagdads Jünglingen keiner gewesen sei, der es entfernt hätte mit ihm aufnehmen können?“ So sprachen sie und beschlossen, beim nächsten Kampfspiel, als wäre es durch Zufall geschehen, zu fünf oder sechs über ihn herzufallen.

Saids scharfen Blicken entgingen diese Zeichen des Unmuts nicht; er sah, wie sie in der Ecke zusammenstanden, flüsterten und mit bösen Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, daß außer dem Bruder des Kalifen und dem Sohn des Großwesirs keiner sehr freundlich gegen ihn gesinnt sein möchte, und diese selbst wurden ihm durch ihre Fragen lästig, wo sie ihn aufsuchen könnten, womit er sich beschäftige, was ihm in Bagdad wohlgefallen habe und dergleichen.

Es war ein sonderbarer Zufall, daß derjenige der jungen Männer, welcher Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand anders war als der Mann, den er vor einiger Zeit bei Kalum-Becks Bude niedergeworfen hatte, als er gerade im Begriff war, dem unglücklichen Kaufmann den Bart auszureißen. Dieser Mann betrachtete ihn immer aufmerksam und neidisch. Said hatte ihn zwar schon einigemal besiegt, aber dies war kein Grund zu solcher Feindseligkeit, und Said fürchtete schon, jener möchte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme als Kalum-Becks Ladendiener erkannt haben, eine Entdeckung, die ihn dem Spott und der Rache dieser Leute aussetzen würde. Der Anschlag, welchen seine Neider auf ihn gemacht hatten, scheiterte sowohl an seiner Vorsicht und Tapferkeit als auch an der Freundschaft, womit ihm der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs zugetan waren. Als diese sahen, daß er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn vom Pferd zu werfen oder zu entwaffnen suchten, sprengten sie herbei, jagten den ganzen Trupp auseinander und drohten den jungen Leuten, welche so verräterisch gehandelt hatten, sie aus der Kampfbahn zu stoßen. Mehr denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum Erstaunen Bagdads seine Tapferkeit erprobt, als er eines Abends beim Nachhausegehen von dem Kampfplatz einige Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm gingen vier Männer, die sich langsamen Schrittes über etwas zu beraten schienen. Als Said leise näher trat, hörte er, daß sie den Dialekt der Horde Selims in der Wüste sprachen, und ahnte, daß die vier Männer auf irgendeine Räuberei ausgingen. Sein erstes Gefühl war, sich von diesen vieren zurückzuziehen; als er aber bedachte, daß er irgend etwas Böses verhindern könnte, schlich er sich noch näher herzu, diese Männer zu behorchen.

„Der Türsteher hat ausdrücklich gesagt, die Straße rechts vom Basar“, sprach der eine, „dort werde und müsse er heute nacht mit dem Großwesir durchkommen.“

„Gut“, antwortete ein anderer. „Den Großwesir fürchte ich nicht; er ist alt und wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein gutes Schwert führen, und ich traue ihm nicht; es schleichen ihm gewiß zehn oder zwölf von der Leibwache nach.“

„Keine Seele“, entgegnete ihm ein dritter. „Wenn man ihn je gesehen und erkannt hat bei Nacht, war er immer nur allein mit dem Wesir oder mit dem Oberkämmerling. Heute nacht muß er unser sein, aber es darf ihm kein Leid geschehen.“

„Ich denke, das beste ist“, sprach der erste, „wir werfen ihm eine Schlinge über den Kopf; töten dürfen wir ihn nicht; denn für seinen Leichnam würden sie ein geringes Lösegeld geben, und überdies wären wir nicht sicher, es zu bekommen.“

„Also eine Stunde vor Mitternacht!“ sagten sie zusammen und schieden, der eine hierhin, der andere dorthin.

Said war über diesen Anschlag nicht wenig erschrocken. Er beschloß, sogleich zum Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die ihm drohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch mehrere Straßen gelaufen war, fielen ihm die Worte der Fee bei, die ihm gesagt hatte, wie schlecht er bei dem Kalifen angeschrieben sei; er bedachte, daß man vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch, bei dem Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln, ansehen könnte, und so hielt er seine Schritte an und achtete es für das beste, sich auf sein gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen persönlich aus den Händen der Räuber zu retten.

Er ging daher nicht in Kalum-Becks Haus zurück, sondern setzte sich auf die Stufen einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht völlig angebrochen war; dann ging er am Basar vorbei in jene Straße, welche die Räuber bezeichnet hatten, und verbarg sich hinter dem Vorsprung eines Hauses. Er mochte ungefähr eine Stunde dort gestanden sein, als er zwei Männer langsam die Straße herabkommen hörte, anfänglich glaubte er, es seien der Kalif und sein Großwesir, aber einer der Männer klatschte in die Hand, und sogleich eilten zwei andere sehr leise die Straße herauf vom Basar her. Sie flüsterten eine Weile und verteilten sich dann; drei versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in der Straße auf und ab. Die Nacht war sehr finster, aber stille, und so mußte sich Said auf sein scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen.

Wieder war etwa eine halbe Stunde vergangen, als man gegen den Basar hin Schritte vernahm. Der Räuber mochte sie auch gehört haben; er schlich an Said vorüber dem Basar zu. Die Schritte kamen näher, und schon konnte Said einige dunkle Gestalten erkennen, als der Räuber in die Hand klatschte, und in demselben Augenblicke stürzten die drei aus dem Hinterhalt hervor. Die Angegriffenen mußten übrigens bewaffnet sein; denn er vernahm den Klang von aneinander geschlagenen Schwertern. Sogleich zog er seine Damaszenerklinge und stürzte sich mit dem Ruf: „Nieder mit den Feinden des großen Harun!“ auf die Räuber, streckte mit dem ersten Hieb einen zu Boden und drang dann auf zwei andere ein, die eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen Strick geworfen hatten, zu entwaffnen. Er hieb blindlings auf den Strick ein, um ihn zu zerschneiden, aber er traf dabei einen der Räuber so heftig über den Arm, daß er ihm die Hand abschlug; der Räuber stürzte mit fürchterlichem Geschrei auf die Knie. Jetzt wandte sich der vierte, der mit einem andern Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit dem dritten im Kampf war; aber der Mann, um welchen man die Schlinge geworfen hatte, sah sich nicht sobald frei, als er seinen Dolch zog und ihn dem Angreifenden von der Seite in die Brust stieß. Als dies der noch Übriggebliebene sah, warf er seinen Säbel weg und floh.

Said blieb nicht lange in Ungewißheit, wen er gerettet habe; denn der größere der beiden Männer trat zu ihm und sprach: „Das eine ist so sonderbar wie das andere, dieser Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit, wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wußtet Ihr, wer ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewußt?“

„Beherrscher der Gläubigen“, antwortete Said, „denn ich zweifle nicht, daß du es bist, ich ging heute abend durch die Straße El Malek hinter einigen Männern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst gelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangenzunehmen und den würdigen Mann, deinen Wesir, zu töten. Weil es nun zu spät war, dich zu warnen, beschloß ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um dir beizustehen.“

„Danke dir“, sprach Harun, „an dieser Stätte ist übrigens nicht gut weilen; nimm diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir, hier ist nicht gut bleiben; sie können wiederkommen.“

Er sprach es und wollte den Großwesir fortziehen, nachdem er dem Jüngling einen Ring an den Finger gesteckt hatte, dieser aber bat ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem überraschten Jüngling einen schweren Beutel. „Junger Mann“, sprach er, „mein Herr, der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst zu meinem Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann, geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel. Das soll meinen Dank übrigens nicht abkaufen. So oft du irgendeinen Wunsch hast, komm getrost zu mir!“

Ganz trunken vor Glück eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er übel empfangen; Kalum- Beck wurde über sein langes Ausbleiben zuerst unwillig und dann besorgt; denn er dachte, er könnte leicht das schöne Aushängeschild seines Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit Schmähworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger. Aber Said, der einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, daß er lauter Goldstücke enthalte, bedachte, daß er jetzt nach seiner Heimat reisen könne, auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiß nicht geringer war als der Dank seines Wesirs, und so blieb er ihm kein Wort schuldig, sondern erklärte ihm rund und deutlich, daß er keine Stunde länger bei ihm bleiben werde. Von Anfang erschrak Kalum-Beck hierüber sehr, dann aber lachte er höhnisch und sprach: „Du Lump und Landläufer, du ärmlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen und wo ein Nachtlager?“

„Das soll Euch nicht bekümmern, Herr Kalum-Beck“, antwortete Said trotzig, „gehabt Euch wohl, mich sehet Ihr nicht wieder!“

Er sprach es und lief zur Türe hinaus, und Kalum-Beck schaute ihm sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und ließ überall nach dem Flüchtling spähen. Lange suchten sie umsonst, endlich aber kam einer zurück und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz verändert, trage ein schönes Kleid, einen Dolch und Säbel und einen prachtvollen Turban.

Als Kalum-Beck dies hörte, schwur er und rief: „Bestohlen hat er mich und sich dafür gekleidet. Oh, ich geschlagener Mann!“ Dann lief er zum Aufseher der Polizei, und da man wußte, daß er ein Verwandter von Messour, dem Oberkämmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften. Said saß vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann, den er da gefunden, über eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt; da fielen plötzlich einige Männer über ihn her und banden ihm trotz seiner Gegenwehr die Hände auf den Rücken. Er fragte sie, was sie zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im Namen der Polizei und seines rechtmäßigen Gebieters Kalum-Beck. Zugleich trat der kleine, häßliche Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said, griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold heraus.

„Sehet! Das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte Mensch!“ rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen: „Wie! Noch so jung, so schön und doch so schlecht! Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade erhalte – “ So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Ständen schloß sich an; sie riefen: „Sehet, das ist der schönste Ladendiener vom Basar – er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen – zweihundert Goldstücke hat er gestohlen.“

Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene; Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und verhörte nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und fragte ihn, ob ihm dieses Gold gestohlen worden sei; Kalum-Beck beschwor es; aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem schönen Ladendiener, der ihm tausend Goldstücke wert war; denn der Richter sprach: „Nach einem Gesetz, das mein großmächtigster Herr, der Kalif, erst vor wenigen Tagen geschärft hat, wird jeder Diebstahl, der hundert Goldstücke übersteigt und auf dem Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher Burschen voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See geführt.“

Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhören, ihn nur ein Wort mit dem Kalifen sprechenzulassen; aber er fand keine Gnade. Kalum-Beck, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls für ihn, aber der Richter antwortete: „Du hast dein Gold und kannst zufrieden sein, gehe nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich für jeden Widerspruch um zehn Goldstücke.“ Kalum schwieg bestürzt, der Richter aber winkte, und der unglückliche Said wurde abgeführt.

Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefängnis; neunzehn elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren Leidensgefährten mit rohem Gelächter und Verwünschungen gegen den Richter und den Kalifen. So schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so fürchterlich der Gedanke war, auf eine wüste Insel verbannt zu werden, so fand er doch noch einigen Trost darin, schon am folgenden Tag aus diesem schrecklichen Gefängnis erlöst zu werden. Aber er täuschte sich sehr, als er glaubte, sein Zustand auf dem Schiff würde besser sein. In den untersten Raum, wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die zwanzig Verbrecher hinabgeworfen, und dort stießen und schlugen sie sich um die besten Plätze.

Die Anker wurden gelichtet, und Said weinte bittere Tränen, als das Schiff, das ihn von seinem Vaterlande entfahren sollte, sich zu bewegen anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig Brot und Früchte und einen Trunk süßen Wassers aus, und so dunkel war es in dem Schiffsraum, daß man immer Lichter herabbringen mußte, wenn die Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei, drei Tage fand man einen Toten unter ihnen, so ungesund war die Luft in diesem Wasserkerker, und Said wurde nur durch seine Jugend und seine feste Gesundheit erhalten.

Vierzehn Tage waren sie schon auf dem Wasser, als eines Tages die Wellen heftiger rauschten und ein ungewöhnliches Treiben und Rennen auf dem Schiffe entstand.

Said ahnete, daß ein Sturm im Anzug sei; es war ihm sogar angenehm, denn er hoffte dann zu sterben.

Heftiger wurde das Schiff hin und her geworfen, und endlich saß es mit schrecklichem Krachen fest. Geschrei und Geheul scholl von dem Verdeck herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes. Endlich wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit entdeckte auch einer der Gefangenen, daß das Wasser in das Schiff eindringe. Sie pochten an der Falltüre nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher das Wasser immer heftiger eindrang, drängten sie sich mit vereinigten Kräften gegen die Türe und sprengten sie auf.

Sie stiegen die Treppe hinan, aber oben fanden sie keinen Menschen mehr. Die ganze Schiffsmannschaft hatte sich in Booten gerettet. Jetzt gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der Sturm wütete immer heftiger, das Schiff krachte und senkte sich. Noch einige Stunden saßen sie auf dem Verdeck und hielten ihre letzte Mahlzeit von den Vorräten, die sie im Schiff gefunden; dann erneuerte sich auf einmal der Sturm, das Schiff wurde von der Klippe, worauf es festsaß, hinweggerissen und brach zusammen.

Said hatte sich am Mast angeklammert und hielt ihn, als das Schiff geborsten war, noch immer fest. Die Wellen warfen ihn hin und her; aber er hielt sich, mit den Füßen rudernd, immer wieder oben. So schwamm er in immerwährender Todesgefahr eine halbe Stunde; da fiel die Kette mit dem Pfeifchen wieder aus seinem Kleid, und noch einmal wollte er versuchen, ob es nicht töne. Mit der einen Hand klammerte er sich fest, mit der andern setzte er es an seinen Mund, blies, ein heller, klarer Ton erscholl, und augenblicklich legte sich der Sturm, und die Wellen glätteten sich, als hätte man Öl darauf ausgegossen. Kaum hatte er sich mit leichterem Atem umgesehen, ob er nicht irgendwo Land erspähen könnte, als der Mast unter ihm sich auf eine sonderbare Weise auszudehnen und zu bewegen anfing, und zu seinem nicht geringen Schrecken nahm er wahr, daß er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber kehrte seine Fassung zurück, und da er sah, daß der Delphin zwar schnell, aber ruhig und gelassen seine Bahn fortschwimme, schrieb er seine wunderbare Rettung dem silbernen Pfeifchen und der gütigen Fee zu und rief seinen feurigsten Dank in die Lüfte.

Pfeilschnell trug ihn sein wunderbares Pferd durch die Wogen, und noch ehe es Abend wurde, sah er Land und erkannte einen breiten Fluß, in welchen der Delphin auch sogleich einbog. Stromaufwärts ging es langsamer, und um nicht verschmachten zu müssen, nahm Said, der sich aus alten Zaubergeschichten erinnerte, wie man zaubern müsse, das Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft und wünschte sich dann ein gutes Mahl. Sogleich hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser tauchte ein Tisch, so wenig naß, als ob er acht Tage an der Sonne gestanden wäre, und reich besetzt mit köstlichen Speisen. Said griff weidlich zu, denn seine Kost während seiner Gefangenschaft war schmal und elend gewesen, und als er sich hinlänglich gesättigt hatte, sagte er Dank; der Tisch tauchte nieder, er aber stauchte den Delphin in die Seite, und sogleich schwamm dieser weiter den Fluß hinauf.

Die Sonne fing schon an zu sinken, als Said in dunkler Ferne eine große Stadt erblickte, deren Minaretts ihm Ähnlichkeit mit denen von Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war ihm nicht sehr angenehm; aber sein Vertrauen auf die gütige Fee war so groß, daß er fest glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Hände des schändlichen Kalum-Beck fallen lassen. Zur Seite, etwa eine Meile von der Stadt und nahe am Fluß, erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner großen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem Hause hin.

Auf dem Dach des Hauses standen mehrere schön gekleidete Männer, und am Ufer sah Said eine große Menge Diener, und alle schauten nach ihm und schlugen vor Verwunderung die Hände zusammen. An einer Marmortreppe, die vom Wasser nach dem Lustschloß hinaufführte, hielt der Delphin an, und kaum hatte Said einen Fuß auf die Treppe gesetzt, so war auch schon der Fisch spurlos verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die Treppe hinab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm hinaufzukommen, und boten ihm trockene Kleider an. Er kleidete sich schnell um und folgte dann den Dienern auf das Dach, wo er drei Männer fand, von welchen der größte und schönste ihm freundlich und huldreich entgegenkam. „Wer bist du, wunderbarer Fremdling“, sprach er, „der du die Fische des Meeres zähmst und links und rechts leitest, wie der beste Reiter sein Streitroß? Bist du ein Zauberer oder ein Mensch wie wir?“

„Herr!“ antwortete Said, „mir ist es in den letzten Wochen schlecht ergangen; wenn Ihr aber Vergnügen daran findet, so will ich Euch erzählen.“ Und nun hub er an und erzählte den drei Männern seine Geschichte von dem Augenblick an, wo er seines Vaters Haus verlassen hatte, bis zu seiner wunderbaren Rettung.

Oft wurde er von ihnen mit Zeichen des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; als er aber geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn so freundlich empfangen hatte: „Ich traue deinen Worten, Said! Aber du erzähltest uns, daß du im Wettkampfe eine Kette gewonnen, und daß dir der Kalif einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns zeigen?“

„Hier auf meinem Herzen habe ich beide verwahrt“, sprach der Jüngling, „und nur mit meinem Leben hätte ich so teure Geschenke hergegeben; denn ich achte es für die ruhmvollste und schönste Tat, daß ich den großen Kalifen aus den Händen seiner Mörder befreite.“ Zugleich zog er Kette und Ring hervor und übergab beides den Männern.

„Beim Bart des Propheten, er ist’s, es ist mein Ring!“ rief der hohe, schöne Mann. „Großwesir“ laß uns ihn umarmen; denn hier steht unser Retter!“

Said war es wie ein Traum, als diese zwei ihn umschlangen, aber alsobald warf er sich nieder und sprach: „Verzeihe, Beherrscher der Gläubigen, daß ich so vor dir gesprochen habe; denn du bist kein anderer als Harun Al-Raschid, der große Kalif von Bagdad.“

„Der bin ich und dein Freund!“ antwortete Harun, „und von dieser Stunde an sollen sich alle deine trüben Schicksale wenden. Folge mir nach Bagdad, bleibe in meiner Umgebung und sei einer meiner vertrautesten Beamten; denn wahrlich, du hast in jener Nacht gezeigt, daß dir Harun nicht gleichgültig sei, und nicht jeden meiner treuesten Diener möchte ich auf gleiche Probe stellen!“

Said dankte dem Kalifen; er versprach ihm, auf immer bei ihm zu bleiben, wenn er zuvor eine Reise zu seinem Vater, der in großen Sorgen um ihn sein müsse, gemacht haben werde, und der Kalif fand dies gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd und kamen noch vor Sonnenuntergang in Bagdad an. Der Kalif ließ Said eine lange Reihe prachtvoll geschmückter Zimmer in seinem Palast anweisen und versprach ihm noch überdies, ein eigenes Haus für ihn erbauen zu lassen.

Auf die erste Kunde von diesem Ereignis eilten die alten Waffenbrüder Saids, der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, herbei; sie umarmten ihn als Retter dieser teuren Männer und baten ihn, er möchte ihr Freund werden. Aber sprachlos wurden sie vor Erstaunen, als er sagte: „Euer Freund bin ich längst“, als er die Kette, die er als Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie an dieses und jenes erinnerte. Sie hatten ihn immer nur schwärzlichbraun und mit langem Bart gesehen, und erst, als er erzählte, wie und warum er sich entstellt habe, als er zu seiner Rechtfertigung stumpfe Waffen herbeibringen ließ, mit ihnen focht und ihnen den Beweis gab, daß er Almansor der Tapfere sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich glücklich, einen solchen Freund zu haben.

Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Großwesir bei Harun saß, trat Messour, der Oberkämmerer, herein und sprach: „Beherrscher der Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich dich um eine Gnade bitten.“

„Ich will zuvor hören“, antwortete Harun.

„Draußen steht mein lieber leiblicher Vetter Kalum-Beck, ein berühmter Kaufmann auf dem Basar“, sprach er, „der hat einen sonderbaren Handel mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei Kalum-Beck diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiß, wohin. Nun will aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch nicht. Er wünscht daher und bittet um die Gnade, du möchtest kraft deiner großen Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus Balsora und ihm.“

„Ich will richten“, erwiderte der Kalif. „In einer halben Stunde möge dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten!“

Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: „Das ist niemand anders als dein Vater, Said, und da ich nun glücklicherweise alles, wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said, verbirgst dich hinter dem Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe, und du, Großwesir, läßt mir sogleich den schlechten und voreiligen Polizeirichter holen; ich werde ihn im Verhör brauchen.“

Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte stärker, als er seinen Vater bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Becks feines, zuversichtiges Lächeln, womit er zu seinem Vetter Oberkämmerer flüsterte, machte ihn so grimmig, daß er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestürzt wäre. Denn seine größten Leiden und Kümmernisse hatte er diesem schlechten Menschen zu danken.

Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechen hören wollten. Der Großwesir gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte, wer hier als Kläger vor seinem Herrn erscheine.

Kalum-Beck trat mit frecher Stimme vor und sprach: „Vor einigen Tagen stand ich unter der Türe meines Gewölbes im Basar, als ein Ausrufer, einen Beutel in der Hand und diesen Mann hier neben sich, durch die Buden schritt und rief: „Einen Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann über Said aus Balsora.“ Dieser Said war in meinen Diensten gewesen, und ich rief daher: „Hierher, Freund! Ich kann den Beutel verdienen.“ Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und fragte, was ich wüßte. Ich antwortete: „Ihr seid wohl Benazar, sein Vater?“ Und als er dies freudig bejahte, erzählte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den Beutel. Aber hört diesen unsinnigen Menschen; wie ich ihm nun weiter erzählte, daß sein Sohn bei mir gedient habe, daß er schlechte Streiche gemacht, gestohlen habe und davongegangen sei, will er es nicht glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn und sein Geld zurück, und beides kann ich nicht geben, denn das Geld gebührt mir für die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich nicht herbeischaffen.“

Jetzt sprach auch Benazar; er schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei, und daß er nie habe so schlecht sein können zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf, streng zu untersuchen.

„Ich hoffe“, sprach Harun, „du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt, Kalum- Beck?“

„Ei, freilich!“ rief jener lächelnd. „Vor den Polizeirichter habe ich ihn geführt.“

„Man bringe den Polizeirichter!“ befahl der Kalif.

 
Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handelns erinnere, und dieser gestand den Fall zu.

„Hast du den jungen Mann verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?“ fragte Harun.

„Nein, er war sogar so verstockt, daß er niemand als Euch selbst gestehen wollte!“ erwiderte der Richter.

„Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben“, sagte der Kalif.

„Ei, warum auch! Da müßte ich alle Tage einen ganzen Pack solches Gesindel zu Euch schicken, die Euch sprechen wollen.“

„Du weißt, daß mein Ohr für jeden offen ist“, antwortete Harun, „aber wahrscheinlich waren die Beweise über den Diebstahl so klar, daß es nicht nötig war, den jungen Menschen vor mein Angesicht zu bringen. Du hattest wohl Zeugen, daß das Geld, das dir gestohlen wurde, dein gehörte, Kalum?“

„Zeugen?“ fragte dieser erbleichend, „nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisset ja, Beherrscher der Gläubigen, daß ein Goldstück aussieht wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, daß diese hundert Stücke in meiner Kasse fehlen.“

„An was erkanntest du denn, daß jene Summe gerade dir gehöre?“ fragte der Kalif.

„An dem Beutel, in welchem sie war“, erwiderte Kalum.

„Hast du den Beutel hier?“ forschte jener weiter.

„Hier ist er“, sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Großwesir, damit er ihn dem Kalifen gebe.

Doch dieser rief mit verstelltem Erstaunen: „Beim Bart des Propheten! Der Beutel soll dein sein, du Hund? Mir gehörte dieser Beutel, und ich gab ihn, mit hundert Goldstücken gefüllt, einem braven jungen Mann, der mich aus einer großen Gefahr befreite.“

„Kannst du darauf schwören?“ fragte der Kalife.

„So gewiß, als ich einst ins Paradies kommen will“, antwortete der Wesir, „denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt.“ „Ei! ei!“ rief Harun, „so wurdest du also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, daß der Beutel diesem Kaufmann gehöre?“

„Er hat geschworen“, antwortete der Polizeirichter furchtsam.

„So hast du falsch geschworen!“ donnerte der Kalif den Kaufmann an, der erbleichend und zitternd vor ihm stand.

„Allah, Allah!“ rief jener. „Ich will gewiß nichts gegen den Herrn Großwesir sagen, er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach, der Beutel gehörte doch mir, und der nichtswürdige Said hat ihn gestohlen. Tausend Toman wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle wäre.“

„Was hast du denn mit diesem Said angefangen?“ fragte der Kalif. „Sag an, wohin man schicken muß, damit er vor mir Bekenntnis ablege!“

„Ich habe ihn auf eine wüste Insel geschickt“, sprach der Polizeirichter.

„O Said! Mein Sohn, mein Sohn!“ rief der unglückliche Vater und weinte.

„So hat er also das Verbrechen bekannt?“ fragte Harun.

Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er: „Wenn ich mich noch recht erinnern kann – ja.“

„Du weißt es also nicht gewiß?“ fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme fort, „so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du, Kalum-Beck, zahlst vor allem tausend Goldstücke, weil er jetzt hier zur Stelle ist!“

Kalum und der Polizeirichter glaubten ein Gespenst zu sehen. Sie stürzten nieder und riefen: „Gnade! Gnade!“

Benazar, vor Freude halb ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif : „Polizeirichter, hier steht Said, hat er eingestanden?“

„Nein, nein!“ heulte der Polizeirichter, „ich habe nur Kalums Zeugnis gehört, weil er ein angesehener Mann ist.“

„Habe ich dich darum als Richter über alle bestellt, daß du nur den Vornehmen hörest?“ rief Harun Al-Raschid mit edlem Zorn. „Auf zehn Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel mitten im Meere, da kannst du über Gerechtigkeit nachdenken, und du, elender Mensch, der du Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du sie versprochen, wenn Said käme, um für dich zu zeugen.“

Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem bösen Handel zu kommen, und wollte eben dem gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: „Für den falschen Eid wegen der hundert Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf die Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er dein ganzes Gewölbe und dich als Lastträger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstücken für jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist.“

„Lasset den Elenden laufen, Kalif!“ rief der Jüngling, „ich will nichts, das ihm gehörte.“

„Nein“, antwortete Harun, „ich will, daß du entschädigt werdest. Ich wähle statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag, und du magst berechnen, wieviel Tage du in seinen Klauen warst. Jetzt fort mit diesen Elenden!“

Sie wurden abgeführt, und der Kalif führte Benazar und Said in einen andern Saal, dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Becks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstücke auf die Fußsohlen zählte.

Der Kalif lud Benazar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu leben. Er sagte es zu und reiste nur noch einmal nach Hause, um sein großes Vermögen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast, den ihm der dankbare Kalif erbaut hatte, wie ein Fürst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs waren seine Gesellschafter, und es war in Bagdad zum Sprichwort geworden, ich möchte so gut und so glücklich sein als Said, der Sohn Benazars.

Quelle: Wilhelm Hauff

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