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Märchenbasar

Schingebis und Kabibonoka

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Als die Welt noch sehr jung war, gab es nur lauter Fischer. Die fuhren im Sommer mit ihren Kanus bis weit in den Norden hinauf, wo ihnen die Flüsse und Seen reiche Beute boten. Zu Beginn des Winters kehrten sie wieder in ihre Siedlungen nach dem Süden zurück, um nicht von Kabibonoka, dem Nordwind, überrascht zu werden. Kabibonoka herrschte im Land des Eises, wo nie ein Gras grünte und auf der weiten, weißen Ebene keine einzige Blume blühte. Aber die indianischen Fischer wußten, daß Kabibonoka keineswegs Herr über die ganze Welt war, und darum fürchteten sie ihn nicht allzu sehr. Schawondasi, der mächtige Südwind, war mächtiger als er, und in seinem Reich war ewiger Sommer. Im Frühling wanderte Schawondasi weit in den Norden, um den Indianeren zu Hilfe zu kommen. Unter seinem warmen Hauch taute das Eis der Flüsse und Seen, und der Weg für die Fische war frei. Der Südwind hatte viel Arbeit: Er mußte bunte Blumen streuen, im Herbst für eine gute Maisernte sorgen und das Obst reifen lassen. Wenn er müde war, zog er sich in eine geräumige Grotte in den Bergen zurück, um der Ruhe zu pflegen. Er stopfte seine Pfeife und rauchte und qualmte. Stunde um Stunde stiegen aus seiner riesigen Pfeife die Rauchwolken, und auf das Land senkte sich tiefe Stille herab. Der Rauch schwebte zur Erde, sachte wie Spinnengewebe. Es kam der indianische Sommer, die schönste Zeit des Jahres. Für die Fischer, die oben im Norden ihrer Arbeit nachgingen, war das „Land voller Rauch“, wie sie diese Erscheinung nannten, das Zeichen für die Heimkehr. Denn Schawondasi war eingeschlafen, und noch ehe der böse Kabibonoka angestürmt kam, mußten sie sich auf den Weg machen. Wahrhaftig! Man konnte ihn bereits brausen hören.
„Der Kabibonoka komme!“ riefen die Fischer. „Es ist höchste Zeit heimzufahren!“ Und dann rüsteten sie alles für die weite Reise, die auf Flüssen und über Seen in die Heimat zurückführen sollte. Nur Schingebis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und wunderte sich über ihre Hast. Denn er war ein furchtloser und munterer Bursche, der sich um nichts Sorgen machte. Es war ihm gegeben, einen Misserfolg ebenso aufrichtig mit einem Scherz abzutun, wie er sich über einen reichen Fischfang freute. Auch führte er gern allerlei Schabernack im Schilde, der die Fischer oft überraschte und närrte, daß ihnen das Lachen auch dann kam, wenn ihnen vorher eher das Weinen nahe gewesen war. So verwandelte er einmal heimlich eine Baumwurzel in eine Schlange und lachte dann die Fischer weidlich aus, als sie, zu Tode erschrocken, die Flucht ergriffen. Es kam auch vor, daß er ihnen ihre Angeln verzauberte und sich dann zum Schein sehr wunderte, daß sie nichts fingen. Als er ihnen aber sagte, daß er von dem alten Kabibonoka keinen Deut Angst habe und im Norden bleiben und lieber Fische fangen wolle, auch wenn die anderen alle heimführen, kannte ihre Verwunderung keine Grenzen. Sie wußten zwar, daß er sich in eine Wildente verwandeln konnte und sich auch noch auf eine Menge anderer Zauberstücke verstand, aber ob er damit gegen den Nordwind etwas ausrichten konnte?
„Der Kabibonoka ist hundertmal stärker als du“, warnten sie ihn, „er kann die stärksten Waldbäume umlegen, und wenn du dich nicht in einen Fisch oder in einen Bären verwandeln kannst, wird er dich töten.“
Schingebis aber lachte: „Um mich braucht ihr keine Angst zu haben. Tagsüber schützt mich meine Lederkleidung, und für die Nacht mache ich mir in meinem Wigwam ein Feuer an. Dann kann mir der Kabibonoka ruhig einen Besuch machen.“
Während die anderen ihre Beute in die Kanus luden, fischte Schingebis wohlgemut weiter. Beim Abschied waren die Fischer alle sehr traurig, denn sie machten sich nicht die geringste Hoffnung, ihn im nächsten Sommer wiederzusehen. Aber da ihr Bitten und Zureden nichts fruchtete, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Kanus zu besteigen und Kurs gegen Süden zu nehmen. Schingebis sah ihnen so lange nach, bis sie am wellenbewegten Horizont seinen Blicken entschwanden. Kaum allein, machte er sich an die Arbeit. Er schleppte Scheite in seinen Wigwam, legte Äste und Baumrinde zum Trocknen, und an den Abenden, da das Feuer schon an den Wänden des Wigwams die Schatten tanzen machte, war er mit seinen Gedanken in der Heimat und summte ihre vertrauten Melodien vor sich hin. Morgen für Morgen ging er an den See, schlug ein Loch in das Eis und fing den ganzen Tag Fische. Abends kehrte er beutebeladen in seinen Wigwam zurück. Und dann kam der Kabibonoka ins Land. Er trieb die Tiere in ihre Schlupflöcher, warf spitze Schneenadeln hierhin und dorthin und drehte sich mit dem eiskalten Sturmwind in plumpigem Tanz, daß die Bäume krachten.
Und eines Tages erreichte er auch den See, wo er den eben vom Fischfang heimkehrenden Schingebis überraschte. „Huh, Huh!“ heulte er. „Wer ist das, der sich erdreistet, hier zu bleiben, nachdem die Wildgänse schon längst auf und davon sind? Heut nacht komme ich ihn in seinem Wigwam besuchen und ersticke ihm das Feuer! Huh! Huh!“ Es war Nacht geworden. Schingebis saß mit gekreuzten Beinen am Feuer, legte Scheit um Scheit zu und betrachtete stillvergnügt den Fisch, der in einem Tongefäß siedete. „Sie haben mich vor dem Kabibonoka gewarnt und ihn einen bösen Geist genannt“, sagte er zu sich selber, und seine Gedanken kehrten zu den Freunden zurück. „Und sie haben sogar behauptet, er sei stärker als alle Indianer zusammen. Gewiß, so eine strenge Kälte wie er vertrage ich nicht, aber ihm wird wieder die Wärme nicht gut tun.“ Schingebis verzehrte sein Abendbrot und überhörte dabei den Lärm, der draußen im Wald losbrach. Kabibonoka war da! Er stürmte mit wildem Geheul gegen den Wigwam, zu Tausende flogen die Flocken, aber keine berührte die Erde. Der Sturm fing sie alle auf und warf sie gegen die Behausung des Indianers. Es dauerte nicht lange, und die Schneedecke um den Wigwam war so dick geworden, daß sie seinen Bewohner vor Kälte und Wind schützte wie das Fell eines Eisbären. Kabibonoka erkannte bald seinen Fehler und geriet darüber in großen Zorn. Er stürtzte tobend vor den Eingang.
Schingebis aber hatte keine Spur von Angst, sondern spottete: „Was willst denn du hier, Kabibonoka? Gib lieber acht, daß dir von dem Geblase nicht die Backen platzen!“ Die Windstöße wurden so stark, daß der ganze Wigwam erzitterte. Der lederne Vorhang, der den Eingang schützte, bekam einen Riß, und als Kabibonoka das sah, holte er tief Atem, blies den Vorhang zur Seite und drängte sich in den Wigwam, dessen Wände sich unter seinem eisigen Hauch sofort sich mit Reif bedeckten. Schingebis tat, als ginge ihn das alles gar nichts an. Er summte seine Lieder wie zuvor, stand auf und legte neue Scheite ins Feuer. Das Kiefernholz gab eine solche Hitze, daß er sich wegsetzen mußte. Er warf einen Blick auf Kabibonoka und konnte sich des Lachens nicht erwehren, als er sah, wie sich die Schneeflocken und Eiszapfen in dem Harr seines Feindes in große Schweißtropfen verwandelte. Schließlich begann der ganze Kabibonoka zu tauen, und sein Körper wurde vor den Augen des Schingebis immer schmächtiger. „Du zitterst ja am ganzen Leibe“, sagte Schingebis. „Komm setz dich ganz nahe ans Feuer, damit du dich erwärmst…“ Aber Kabibonoka hatte Angst vor dem Feuer. Er sprang auf die Beine und preschte noch schneller zum Wigwam hinaus, als er hereingekommen war. Draußen, an der eiskalten Luft, kam er wieder zu Kräften, und die Wut packte ihn aufs neue. Da er Schingebis nicht hatte bezwingen können, ließ er seinen Zorn an der Umgebung des Wigwams aus. Er peitschte die Bäume, daß sie sich zur Erde beugten, und versuchte, die Schlupflöcher zu zerstören. Dann kehrte er zu Schingebis zurück. „Komm heraus!“ brüllte er. „wenn du kein Feigling bist, kommst du heraus! Wir wollen im Schnee unsere Kräfte messen, damit du siehst, wer Herr ist im Lande des Eises!“ Schingebis überlegte: Das Feuer hat ihn geschwächt. Mein Körper ist warm, also kann ich ruhig mit ihm kämpfen. Sobald er merkt, daß ich der Stärkere bin, läßt er mich in Frieden, und ich kann hierbleiben, solange es mir behagt. Er sprang aus dem Wigwam und warf sich auf Kabibonoka. Es entspann sich ein wütender Kampf. Sie wälzten sich auf dem gefrorenen Schnee, erhoben sich und plumpsten wieder hin. Der Kampf dauerte die ganze Nacht hindurch. Schingebis fühlte weder Kälte noch Ermüdung. Im Gegenteil, es war ihm angenehm warm, und sein Blut strömte rascher durch die Adern. Er merkte, wie sein Gegner schwächer und schwächer wurde, von seinem eisigen Atem war nichts mehr zu spüren, und auch der Sturm hatte sich gelegt. Und als im Osten das erste Morgengrauen emportauchte, wußte Kabibonoka, daß er besiegt war. Wutschreie ausstoßend, gab er Fersengeld. Er flüchtete weit, weit nach dem Norden, bis in den nördlichsten Zipfel der Welt. Schingebis aber stand vor seinem Wigwam und sang aus voller Kehle, denn er war glücklich, daß seinem Mut und Frohsinn sogar der gefürchtete Kabibonoka der Nordwind, hatte weichen müssen.
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Quelle: Märchen des Stammes Algokin

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