Vor langer, langer Zeit lebten einmal ein alter Jäger und seine Frau. Eines Tages legte der Alte Schlingen aus und ließ sich nieder, um sie zu bewachen. Plötzlich sah er, dass sich in einer Schlinge ein großer Storch verfangen hatte. Der Alte lief hin und wollte den Storch befreien. Der aber hob unerwartet mit menschlicher Stimme an: „Lass mich frei. Alter, ich bin der Führer der Störche. Wenn du mich freilässt, bekommst du alles, was du dir wünschst. Mein Haus steht dort hinter jenen Bergen. Wen immer du auch fragen magst, wo das Haus des Storches ist, jeder wird es dir zeigen!“ Der Alte ließ den Storch frei. Am nächsten Tage machte er sich zeitig auf den Weg, um sich das versprochene Geschenk des Storches zu holen. Ob er viel oder wenig gewandert war, auf dem Wege oder abseits von ihm, jedenfalls gelangte er an einen Ort, wo viele Schafe weideten. „Wem gehören diese Schafe?“ erkundigte er sich bei dem Hirten. „Es sind die Schafe des Storches“, antwortete der. Der Alte wanderte weiter und sah auf einer Weide eine Pferdekoppel. „Wem gehören diese Pferde?“ fragte der Alte den Wächter. „Es sind die Pferde des Storches“, antwortete der Gefragte. „Hör mal zu“, meinte der Alte, „der Storch hat mir ein Geschenk versprochen. Worum soll ich ihn wohl bitten?“ – „Der Storch hat einen Kessel, der kocht sofort, und aus ihm quellen Goldstücke hervor. Verlange diesen Kessel!“ rief ihm der Pferdewärter. Der Alte setzte seinen Weg fort.
Über kurz oder lang, auf dem Wege oder abseits von ihm, durch Steppen und Berge, durch Flüsse und einen See wanderte er sieben Tage und sieben Nächte, bis er endlich beim Hause des Storches anlangte. „Friede sei mit Euch!“ sagte der Alte, als er die Schwelle überschritt. Der Storch klapperte mit seinem Schnabel. „Klapp, klapp, hättest du nicht so gegrüßt, hätte ich dich aufgepickt und verschluckt! Du kommst wohl wegen des Geschenkes? Also was willst du? Lass deine Bitte hören!“ – „Ihr habt einen Kessel, dem man befehlen kann“, sagte der Alte, „gebt ihn mir!“ Der Storch dachte nach. „Wozu den Kessel, Alter? Besser, ich gebe dir eine Schale voll Gold“, begann er auf ihn einzureden. Aber der Alte wollte nicht nachgeben. Da schenkte ihm der Storch den Kessel. Der Alte nahm das Geschenk und machte sich auf den Heimweg.
Über kurz oder lang, durch die Steppe und auf der Straße erreichte er endlich einen Kischlak, wo er bei einem Bekannten zur Rast einkehrte. „Hütet mir diesen Kessel!“ bat er den Hausherrn. „Ich will mich ein wenig ausruhen, vielleicht schlafe ich ein. Nur sagt auf keinen Fall ‚Koche, mein Kessel!'“ warnte er ihn. Kaum war der Alte eingenickt, rief der Hausherr: „Koche, mein Kessel!“, und aus dem Kessel quollen Goldstücke. Der Hausherr versteckte den Zauberkessel und stellte an seine Stelle einen ganz gewöhnlichen, der genauso aussah. Als der Alte erwachte, nahm er den Kessel und begab sich auf den Heimweg.
Über kurz oder lang schritt er auf bekannten Wegen sieben Tage und sieben Nächte, bis er endlich daheim war. „He, Alte, deck den Tisch! Gleich sammeln wir Gold ein und werden reich!“ Seine Alte legte das Tischtuch auf, der Alte stellte den Kessel in die Mitte und rief so laut er konnte: „Koche, mein Kessel!“ Aber der Kessel kochte nicht, und kein Gold kam hervor. Wieder rief der Alte den Zauberspruch, aber nichts geschah. Da geriet der Alte in Zorn: „Ach, du verfluchter Storch! Du hast mich betrogen und mir einen gewöhnlichen Kessel gegeben! Morgen geh ich hin und werde mir ein anderes Geschenk erbitten.“
Am nächsten Tag machte sich der Alte früh auf den Weg. Beim Pferdewärter angelangt, sagte er: „Der Storch hat mich betrogen. Was für ein Geschenk soll ich nun verlangen?“ Der Pferdewärter überlegte, dann riet er ihm: „Der Storch hat ein Zaubertischtuch. Wenn du es auflegst und sagst: ‚Tischtuch, deck dich!‘, erscheinen auf ihm alle möglichen leckeren Speisen. Verlange dieses Tischtuch!“ Der Alte kam zum Storch und grüßte, als er die Schwelle überschritt: „Friede sei mit Euch!“ – „Klapp, klapp“, antwortete der Storch. „Hättest du mich nicht so begrüßt, hätte ich dich aufgepickt und verschluckt. Das vorige Mal gab ich dir einen Kessel, der von selber kocht, und du bist damit noch nicht zufrieden?“ Da erzählte der Alte, was ihm widerfahren war, und fügte hinzu: „Du hast mich betrogen und mir einen ganz gewöhnlichen Kessel gegeben, darum komme ich jetzt zu dir, um das Zaubertischtuch zu verlangen.“ Der Storch schenkte dem Alten das Zaubertischtuch, der nahm es und trat den Heimweg an.
Über kurz oder lang kam er in den Kischlak, in dem er das vorige Mal Rast gemacht hatte. „Hier habe ich ein Tischtuch“, sagte er zu seinem Bekannten. „Achtet darauf, während ich ein wenig ruhe! Vielleicht schlafe ich auch ein. Nur sagt nicht: ‚Tischtuch, deck dich!'“ Sobald der Alte eingeschlafen war, rief der Hausherr: „Tischtuch, deck dich!“, und sofort standen siebzig verschiedene Speisen auf ihm. Schnell brachte der Hausherr sie alle in einen anderen Raum und legte statt des Zaubertischtuchs ein anderes hin, das genauso aussah. Am nächsten Morgen erwachte der Alte, nahm das Tischtuch und setzte seinen Weg fort. Daheim angelangt, verkündete er: „Na, Alte, jetzt werde ich dich herrlich bewirten. Sag, was du möchtest, und sofort wird alles fertig sein!“ Er breitete das Tischtuch aus und rief: „Tischtuch, deck dich!“ Wie oft er aber auch rief und schrie, das Tischtuch blieb leer, und keinerlei Speisen erschienen. Da wurde der Alte wütend. „Zum zweiten Mal hat der Storch mich betrogen! Morgen geh ich hin und bitte um ein anderes Geschenk.“ Am nächsten Tage zog der Alte in aller Frühe los. Er gelangte zum Pferdewärter, erzählte ihm alles und fragte: „Was soll ich mir jetzt vom Storch noch erbitten?“ – „Du scheinst viele Feinde zu haben“, sagte der Hirt. „Bitte den Storch um den Knüppel, der von selber schlägt. Du brauchst bloß zu sagen: ‚Schlag zu, Knüppel!‘, dann prügelt er jeden, der vor dir steht.“ Der Alte verlor keine Zeit und zog weiter. Er betrat das Haus des Storches mit den Worten: „Friede sei mit Euch!“ – „Klapp, klapp“, antwortete der Storch. „Hättest du mich nicht so begrüßt, hätte ich dich aufgepickt und verschluckt. Warum kommst du schon wieder? Den Zauberkessel hast du bekommen, das Zaubertischtuch auch. Was willst du jetzt noch?“ – „Auch diesmal hast du mich betrogen“, erwiderte der Alte. „Statt des Zaubertischtuchs hast du mir ein gewöhnliches gegeben. Diesmal bitte ich dich um ein ganz wertloses Ding. Gib mir den Knüppel, der von selber schlägt!“ – „Den Knüppel kannst du dir nehmen, den brauche ich nicht“, sagte der Storch und schenkte dem Alten den Knüppel, der von selber schlägt. Der Alte nahm ihn und machte sich auf den Heimweg.
Über kurz oder lang kam er wieder in den Kischlak, in dem er schon zweimal eingekehrt war. „Pass auf diesen Knüppel auf!“ sagte er zu seinem Bekannten. „Ich will ein wenig ausruhen, vielleicht schlafe ich auch ein. Nur darfst du nicht sagen: ‚Schlag zu, Knüppel!'“ warnte er ihn. Kaum war der Alte eingenickt, rief der Hausherr: „Schlag zu, Knüppel!“ Da begann der Knüppel alle zu prügeln, die gerade im Hause waren. Durch das Geschrei erwachte der Alte, denn alle kamen heulend zu ihm gestürzt. „Haltet den Knüppel auf! Wir haben Euren Kessel und Euer Tischtuch genommen. Verzeiht uns, wir geben alles zurück, nur haltet den Knüppel auf!“ – „Halt ein, Knüppel!“ rief der Alte, und der Knüppel hörte auf zu prügeln. Die Hausleute brachten den Zauberkessel und das Tischtuch und gaben dem Alten beides zurück. Der trat seinen Heimweg an. Über kurz oder lang, durch Steppen und Berge, Flüsse und Seen wanderte er sieben Tage und sieben Nächte, bis er endlich sein Haus erreichte. Er stellte den Kessel hin und rief: „Koche, mein Kessel!“ Da begann der Kessel zu kochen, und gediegene Goldstücke quollen aus ihm hervor. Der Alte und seine Frau hatten Mühe, sie einzusammeln. Nun rief der Alte: „Tischtuch, deck dich!“ Das Tischtuch entfaltete sich, und auf ihm standen siebzig leckere Speisen. Nie zuvor in ihrem Leben hatten die beiden alten Leute dergleichen gesehen. Sie aßen und tranken, was ihnen gefiel.
Bald darauf erfuhr der Khan des Landes, dass der alte Jäger in den Besitz eines Zauberkessels und eines Zaubertischtuchs gelangt war, und schickte seinen Wesir zu ihm. „Gib den Kessel und das Tischtuch heraus!“ heischte der Wesir den Alten an. Da rief der Alte: „Schlag zu, Knüppel!“ Und der Knüppel tanzte auf dem Wesir herum, dass der kaum lebend davonkam. Nun sammelte der Khan ein Heer aus siebentausend Kriegern und ließ es am nächsten Morgen vor dem Hause des Alten aufmarschieren. „So, Alter, jetzt komm heraus, wenn du Mut hast!“ schrie der Khan. Der Alte öffnete seine Haustür und rief: „Schlag zu, Knüppel!“ Da drosch der Knüppel auf die Krieger des Khans ein, dass sie nicht wussten, wie ihnen geschah. Schließlich drang der Knüppel bis zum Khan vor und begann auch ihn zu verprügeln. Da heulte der Khan: „Halt deinen Knüppel auf, Alter, rette mich vor dem Tode!“ Der Alte aber stand an seiner Haustür und lachte: „Das nächste Mal wirst du nicht nach dem Hab und Gut armer Leute trachten!“
So erlangten der alte Jäger und seine Frau die Erfüllung ihrer Wünsche.
Quelle:
(Usbekistan)