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Märchenbasar

Schnipp schnapp, alles ab

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Weit ab von den lauten Städten lag der Drei-Meilen-Feenwald.
Dort, wo er besonders dicht war, hausten in einer Felsenhöhle die langschwänzigen Trolle.
Mit Keulen bewaffnet streiften sie tagsüber umher, immer auf der Suche nach Beute und Streit. Sie waren stark und traten alles nieder, was ihnen in den Weg kam.
Die Nixen im Teich bewarfen sie mit Steinen, jagten die Zwerge über Stock und Stein und schlugen ihnen die Hüttenfenster ein. Die Katzen der Hexen fraßen sie auf, als wären es Kaninchen. Dem Riesen zertrampelten sie mit Vergnügen den Garten und spielten mit den gewaltigen Kürbissen Fußball.
Wenn sich die Elfen auf der Waldlichtung zum Mitternachtstanz trafen, stampften sie grölend dazwischen und versuchten, den zarten Wesen den Flugstaub von den bunten Flügeln zu blasen. Zum Glück waren die Elfen schneller als die Unholde und flohen hinauf in die Bäume.
Wen wundert es, dass kein Waldbewohner die Trolle leiden konnte?
Besonders gern plagten sie auch die Bauern des kleinen Dorfes, das in Waldesnähe lag. Sie brachen nachts in deren Keller ein und schleppten alles weg, was essbar war.
„So kann es nicht weitergehen!“, schimpften die Bestohlenen, aber sie wussten nicht, wie sie die Unholde vertreiben sollten.

Im Dorf lebte eine alte Kräutersammlerin. Sie war im Wald einmal der Feenkönigin begegnet und diese hatte versprochen, der Alten zu helfen, sollte sie in Not geraten.
Die schöne Frau schenkte dem Kräuterweiblein eine Haarlocke.
„Verbrenne sie, wenn du mich rufen willst“, hatte sie gesagt, „überlege jedoch gut, bevor du dies tust. Ich helfe nur, wenn es auch wirklich nötig ist.“
Als nun die Trolle immer zudringlicher wurden und zuletzt sogar die Kühe und Schweine wegtrieben, erinnerte sich die Alte an das Geschenk der Feenkönigin.
„Wenn ein ganzes Dorf in Not gerät, “ dachte sie, „dann darf ich sicher um Hilfe rufen.“
Um Mitternacht warf sie das Haar ins Herdfeuer und sofort stand die Feenkönigin in der Hütte.
„Ich weiß schon, worum du bitten willst“, lächelte sie. „Die Trolle richten auch im Wald großes Unheil an. Ich versichere dir, sie werden ihre Strafe bekommen.“

Die Königin rief alle Feen des Waldes im Thronsaal ihres Schlosses zusammen und befahl ihnen, die Wunderscheren mitzubringen.
„Es ist an der Zeit, dass im Wald wieder Ruhe einkehrt“, sagte sie ernst. „Wir müssen den Trollen wohl oder übel die Haarbüschel abschneiden.“
Der Saal war sofort erfüllt von Raunen und Kichern. Jede Fee wusste, die gewaltige Kraft der Unholde steckte in den Haaren am Ende ihres Schwanzes.
Obwohl die ungehobelten Kerle sonst schmutzig waren und meilenweit stanken – die langen Schwänze wuschen sie täglich sorgfältig in einem Bach, der an ihrer Höhle vorbeifloss. Wer nämlich sein Haarbüschel nicht pflegte oder gar einbüßte, der wurde augenblicklich schwach und schrumpfte noch unter Zwergengröße. Dies war das Einzige, wovor sie sich fürchteten, denn es dauerte lange, ehe die Haare nachwuchsen und die Trolle die alte Kraft wiedererlangten.
„Ich sehe, ihr wisst, worum es geht“, ergriff die Feenönigin erneut das Wort. „Wir Waldbewohner können uns auf vielerlei Weise den Rüpeleien der Unholde entziehen, die Menschen jedoch nicht. Sie sind den Trollen hilflos ausgeliefert und geraten in Todesgefahr, sofern sie sich mit ihnen anlegen. Machen wir uns also ans Werk …“

Nun war es freilich schwierig, einem wachen Troll nahe zu kommen und die Unholde erfasste selten Müdigkeit, dann jedoch gemeinschaftlich. Waren sie erst einmal eingeschlafen, weckte sie so leicht nichts auf.
Die Feenkönigin schickte eine Eule zur Trollhöhle. Das Tier würde ihr verlässliche Botschaft bringen, sobald die Unholde wieder einmal schliefen.
Das geschah glücklicherweise bereits in der folgenden Nacht.
Kichernd machte sich die Feenschar auf den Weg.
Bald wurde es unmöglich, schwebend voranzukommen, denn die Tannenzweige hatten sich geradezu ineinander verstrickt.
Die Königin gab das Zeichen, zu Fuß weiterzugehen und legte den Finger an die Lippen. Gehorsam stellten die Feen ihr Kichern und Flüstern ein.
Auf dem Waldboden stank es unbeschreiblich nach Mist und Abfällen. Voll Ekel wand sich die stumme Schar ihre Schleier um Mund und Nase.
Schließlich vernahmen die Feen von weitem lautes Schnarchen – sie waren am Ziel.

In der Höhle qualmte ein Feuer.
Dicht aneinander gedrängt lagen die Trolle um die Feuerstelle. Die Feenkönigin schlich als erste in den stinkenden Unterschlupf, warf eine Handvoll Traumpulver in die Glut und sofort breitete sich betäubender Duft aus.
Darauf gab sie ein Zeichen und die vermummte Schar drang in die Höhle vor.
Mit spitzen Fingern tasteten die Feen nach den Trollschwänzen, schnitten mit den scharfen Wunderscheren – ritsch, ratsch – die Haarbüschel ab und warfen sie in die züngelnden Flammen. Beißender Rauch stieg auf.
Die Trolle husteten und grunzten und wälzten sich vom Feuer weg.
Vergnügt beobachteten die Feen, wie die klobigen Unholde schnell kleiner und kleiner wurden. Dadurch war mühelos zu erkennen, welchem Troll sie das Haarbüschel noch nicht abgeschnitten hatten.
„Schnipp, schnapp, alles ab!“, flüsterte schließlich die jüngste Fee übermütig hinter ihrem Schleier. Tatsächlich lagen in der riesigen Höhle nun lauter hässliche, kleine Schnarcher mit unnatürlich langen, dünnen Rattenschwänzen.
Zur Sicherheit warf die Feenkönigin noch einmal etwas Traumpulver ins Feuer und die Feen eilten erleichtert davon.

Am nächsten Tag blieb es ruhig im Wald, auch am übernächsten und am über-übernächsten.
Unter den Waldbewohnern sprach sich schnell herum, warum das so war.
Die Nixen plantschten wieder übermütig an der Oberfläche des Sees.
Die Zwerge reparierten ihre Hüttenfenster und die Katzen der Hexen jagten eifrig Mäuse, ohne selbst gejagt zu werden.
Der Riese brachte zufrieden seinen Garten in Ordnung, steckte erneut Kürbiskerne in die Erde und suchte nach dem gestohlenen Vieh der Bauern. Dieses war schnell gefunden. Er trieb es aus dem Wald hinaus, wie die Feenkönigin ihm aufgetragen hatte.

Eilig brachten die Bauern die übrig gebliebenen Kühe und Schweine in die Ställe zurück.
Niemand wusste sich zu erklären, warum die Trolle von nun an das Dorf in Ruhe ließen und die alte Kräutersammlerin verriet es keinem.
Zu ihrer großen Freude lag bald darauf auf dem Tisch ihrer Hütte eine neue Haarlocke.

Was aber war aus den Trollen geworden?
In jener Nacht schliefen sie bis weit in den Tag hinein. Als sie erwachten, kam ihnen die Höhle gewaltig vor und die Feuerstelle wie ein abgebranntes Waldstück.
An der Felsenwand lehnten dicke, lange Balken, die wie Keulen aussahen, doch kein Troll war in der Lage, sie zu heben.
Quietschend wie Mäuse wuselten sie in der Höhle umher und traten sich dabei fortwährend auf die viel zu langen Schwänze. Plötzlich fiel einem der Winzlinge auf, dass an jedem das Haarbüschel fehlte!
Entsetzt grölten sie auf, nur klang das Grölen wie lautes Katzengekreisch und durchaus nicht furchterregend.
Tagelang wagten sich die Trolle nicht aus der Höhle. Dann schnitten sie sich aus dünnen Ästchen neue Keulen, nicht stärker als ein Kochlöffelstiel.
Statt Hasen und Rehe jagten sie nun Mäuse. Die Katzen der Hexen waren jedoch viel schneller und fingen ihnen die meisten vor der Nase weg.
Stundenlang badeten die Tröllchen ihre Rattenschwänze im Bach und warteten – Rache brütend – auf das Spießen der Haarbüschel. Doch es zeigte sich, dass die Wunderscheren der Feen ganze Arbeit geleistet hatten – nicht ein Haar wuchs nach, so oft die winzigen Unholde ihre Schwänze auch prüften.
Wie gern hätten die Tröllchen wenigstens den Zwergen die Hütte kurz und klein geschlagen, aber sie fürchteten sich entsetzlich, wenn es im Wald nur etwas lauter krachte.

Als das Mittsommerfest gefeiert wurde, hockten die hässlichen Winzlinge versteckt im Gebüsch und beobachteten missmutig das frohe Treiben der Waldbewohner. Niemand hatte die Tröllchen dazu eingeladen, es war, als gäbe es sie nicht!
Wütend fegten ihre Rattenschwänze den Waldboden blank.
Und wenn sie den Drei-Meilen-Feenwald nicht verlassen haben, dann hocken sie noch immer ängstlich in ihrer Höhle oder zanken sich mit den Katzen um die Mäuse.

  Quelle: B. Siwik

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