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Ein junger König hatte eine schöne Schwester und wollte auch gerne heirathen, konnte aber keine Prinzessin finden, die so schön gewesen wäre als seine Schwester. Da bot sich diese an, für ihn eine schöne Braut zu suchen, und reiste zu diesem Zweck im Lande umher. Als sie nun schon lange unterwegs gewesen war und auch viele andere Länder durchreist hatte, kam sie in einem Walde an ein kleines Hüttchen, in welchem am Fenster ein sehr schönes Mädchen saß und webte. Dies fiel ihr auf, und sie merkte sogleich, daß dieses Mädchen und kein anderes ihrem Bruder zur Frau bestimmt sei. Sie ging in die Hütte hinein und machte mit dem Mädchen Bekanntschaft, und beide gewannen einander sehr lieb. Die Prinzessin erzählte dem fremden Mädchen auch, zu welchem Zwecke sie umherreise, und sagte ihr dann, daß sie jetzt die Braut für ihren Bruder gefunden habe, nämlich sie selbst, und sie müßte nun auch gleich zu ihrem Bruder sie begleiten. Das junge Mädchen war darüber sehr erfreut und sagte: »Ja, ich will sehr gerne die Frau Deines Bruders werden, aber erstens muß ich zuvor noch die Leinwand ausweben, die auf dem Webestuhl ist, und das wird einige Zeit dauern, und zweitens ist meine Mutter eine Hexe und wird mich nicht gehen lassen wollen, da werden wir viel aushalten müssen. Jetzt ist sie nicht zu Hause, aber ich merke, daß sie nur noch dreißig Meilen von hier entfernt ist, und wenn sie Dich hier findet, so bringt sie Dich um. Ich will Dich daher in eine Kohle verwandeln, dann findet sie Dich nicht«. Das that sie denn auch und legte sie unter die anderen Kohlen in den Ofen. Als nun die Mutter ankam, roch sie gleich, daß sich ein Mensch in ihrem Hause befände, aber die Tochter versicherte, daß dies nicht der Fall sei; auch sei es ja unmöglich, daß in diese Wildniß je ein Mensch kommen könne; und so beruhigte sie sich. Als sie den andern Tag wieder das Haus verließ, ihren Geschäften nachzugehen, verwandelte ihre Tochter die Kohle wieder in die Prinzessin und sie webten fleißig, um bald fertig zu werden. Als aber die Hexe dem Hause sich wieder näherte, und die Tochter dieses merkte verwandelte sie die Prinzessin in eine Erbse und legte dieselbe unter die anderen Erbsen in ein Gefäß. Die Alte kam und fragte wieder: »Es riecht mir hier nach Menschenfleisch«, wogegen die Tochter versicherte, daß dies nicht möglich sei. »Hast Du für mich nicht etwas zu essen?« fragte die Alte. »Nichts weiter als jene rohen Erbsen«, antwortete die Tochter. Nun setzt sich die Hexe an die Erbsen und frißt fast alle auf, nur drei bleiben übrig, aber darunter auch die Prinzessin. Den dritten Tag, als die Alte wieder weggegangen war, entzauberte das Mädchen die Prinzessin wieder, sie arbeiteten eifrig fort und webten die Leinwand zu Ende, und machten sich auf den Weg in die Heimath der Prinzessin. Die Tochter der Hexe nahm aber zur Vorsicht einen Kamm, eine Bürste und ein Ei mit. Die alte Hexe kam mittlerweile nach Hause, und als sie die Tochter nicht zu Hause fand, merkte sie gleich, was geschehen war, rüstete sich aus und setzte ihnen nach. Die beiden jungen Mädchen sehen sich, weil sie das fürchten mußten, alle Augenblicke ängstlich um und erkennen zu ihrem Schrecken, daß sie ihnen wirklich nachfolgt und sich ihnen immer mehr und mehr nähert. Als sie ihnen schon ganz nahe ist, wirft die Tochter die Bürste hinter sich, und es entsteht ein dichter, wild verwachsener Wald, in den Niemand eindringen kann. Nun kann die Alte nicht weiter und muß erst zurück und von Hause eine Axt holen, um sich einen Weg durchzuhauen. Wie sie damit fertig ist, will sie die Axt unter einen Strauch legen, da hört sie aber einen Vogel, wie der singt: »Ich werde aufpassen, wo die Axt hingelegt wird, da werde ich sie mir dann holen!« »Oho, das sollst du nicht«, antwortet die Alte und läuft wieder zurück, um die Axt zu Hause zu verwahren. Nun läuft sie wieder den Mädchen nach, und da sie viel größere Schritte nehmen kann, als irgend ein Mensch, so ist sie ihnen bald so nahe, daß sie fürchten müssen, jeden Augenblick von ihr ergriffen zu werden. In ihrer Angst wirft die Tochter der Hexe den Kamm hinter sich, und es entstehen Schluchten und Berge und Felsen, daß kein Mensch im Stande ist, hinüber zu kommen. Nun muß die Alte wieder nach Hause, einen Spaten zu holen. Als sie sich endlich einen schmalen Weg geebnet hat, will sie, um nun schnell weiter zu kommen, den Spaten nur unter einem Strauch verstecken, da singt derselbe Vogel wieder: »Ich werde aufpassen, wo der Spaten hingelegt wird, da werde ich ihn mir dann holen!« Die Hexe muß also wieder nach Hause, um den Spaten dort zu verwahren. Als sie darauf den Mädchen zum dritten Male schon ganz nahe gekommen war, wirft ihre Tochter das Ei hinter sich, und es entsteht ein großer zugefrorner See, und das Eis darauf ist spiegelglatt. Wie die Alte hinüber will, fällt sie hin und bricht sich Hals und Bein. Nun können die Mädchen ruhig weiter ziehen. Als sie in das Land gekommen waren, wo die Prinzessin zu Hause war, und sich schon dem Schlosse näherten, wo der Bruder der Prinzessin wohnte, da verwandelte die Tochter der Hexe sich und die Prinzessin in zwei Tauben, und sie nährten sich in dieser Gestalt einige Tage lang in des Königs Hirsefeld. Eines Tags geht nun der Diener des Königs durch das Feld und hört, wie eine Taube singt: »Ich bin die Schwester des Königs, habe Länder durchreiset, um ihm eine Braut zu suchen, und hier ist dieselbe auch.« Das erzählte der Diener sogleich dem Könige, der schickte einen andern Diener in das Feld, zu erforschen, ob es auch wahr wäre, was jener erzählt hatte, und als dieser es bestätigte, ging er selbst hin, um sich selbst zu überzeugen. Er hört dieselben Worte der Taube und ist sehr betrübt darüber, daß die Mädchen Vögel geworden sind, beschließt aber doch, sie zu fangen. Dies gelang endlich nach vieler Mühe, und in demselben Augenblick wurden die Tauben wieder zu Mädchen. Aber die beiden Mädchen waren einander in allen Stücken so vollständig gleich, daß der König nicht erkennen konnte, welches die Schwester, und welches die Braut sei, und so konnte denn auch aus der Heirath vorerst noch nichts werden. Der König war hierüber sehr traurig. Als er eines Tages so recht betrübt durch die Straßen der Stadt ging, begegnete ihm eine Fleischerfrau und fragte ihn, warum er so betrübt sei. Er klagte ihr seine ganze Noth, und daß er nun nach so langem Warten, da die Braut in seinem Schlosse wäre, Schwester und Braut nicht unterscheiden könne. »O, dafür weiß ich Rath«, sagte die Frau; »nehmen Sie nur von uns Blut in einer Schweinsblase und befestigen Sie sich diese irgendwie auf der Brust; dann stellen Sie sich so recht traurig und verzagt, nehmen ein Messer aus der Tasche und thun so, als wenn Sie sich erstechen; wenn dann die Mädchen das Blut sehen werden, dann werden sie zu Ihnen hinstürzen, und die Schwester wird zu Kopfende und die Braut zu Fußende sein.« Der König befolgte den Rath, und als nun die Braut zu seinen Füßen um ihn beschäftigt war, da stand er auf und hielt sie fest und sagte ihnen, warum er sie so erschreckt hätte. Die Mädchen aber nahmen fortan, jede ihre wirkliche Gestalt an, da waren sie einander wohl sehr ähnlich, aber doch von einander zu unterscheiden. Nun feierte der König die Hochzeit mit seiner Braut, und sie lebten mit einander glücklich viele Jahre.
Aus Klein-Jerutten
[Polen: M. Toeppen: Aberglauben aus Masuren]