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Es waren einmal ein König und eine Königin, die herrschten über ein Reich. Sie hatten vier Töchter, welche alle sehr schön waren; doch liebte der König am meisten seine jüngste Tochter. Eines Tages nun ritt der König mit seinen Leuten auf die Jagd. Man stieß auf eine Hirschkuh und verfolgte dieselbe. Damit verging ein großer Theil des Tages, und da der König das schnellste Pferd hatte, ließ er allmählich alle seine Leute zurück. Er verfolgte das Thier ganz allein, bis er tief in den Wald hineingekommen war; plötzlich aber verlor er dasselbe aus den Augen und streifte irren Weges im Walde herum. Als es Abend geworden war, kam er endlich zu einem Hause, dessen Thüre halb offen stand. Der König trat in dasselbe ein und sah hier ein Zimmer, in dem sich ein Tisch mit Licht, Speise und Wein befand. Auch ein gemachtes Bett war darin, aber von einem Menschen keine Spur. Hingegen lag ein rothbrauner Hund auf dem Boden. Der König ging wieder hinaus und fand jetzt auch einen offenen Pferdestall für ein Pferd und genug Futter für dasselbe. Er führte sein Pferd in den Stall hinein und ging hierauf wieder in das Zimmer zurück in der Erwartung, daß der Eigenthümer des Hauses bald kommen werde. Als es aber schon auf Mitternacht ging, und noch immer Niemand kam, machte der König sich’s bequem, als ob er zu Hause wäre, nahm ein Abendmahl zu sich und legte sich schlafen. Er schlief sogleich ein und erwachte nicht früher, als bis es schon lichter Tag war. Er stand auf und sah abermals keinen Menschen; wohl aber war wieder reichlich Speise und Wein auf dem Tische, und der rothbraune Hund lag auf dem Boden. Der König ging sodann hinaus und sah nach seinem Pferde; auch dieses hatte genug Futter. Hierauf kehrte er wieder in das Haus zurück, nahm ein Frühstück zu sich, holte sodann sein Pferd und ritt davon.
Als er eine Strecke weit geritten war, gelangte er zu einem kleinen Hügel; hier kam ihm der rothbraune Hund nachgelaufen, holte ihn ein und sah recht böse aus. Der Hund sagte, daß der König sehr undankbar sei; er habe ihn in der Noth beherbergt, ihm Speise, Wein und ein Bett zum Schlafen, sowie auch seinem Pferde Futter gegeben; der König aber sei fortgeritten, ohne ihm auch nur dafür zu danken; er werde ihn nun auf der Stelle zerreißen, sagte er, es sei denn, daß er verspreche, ihm das Erste zu geben, was ihm auf dem Heimwege begegne. Der König versprach dies auch, um sein Leben zu retten, und der Braune sagte darauf, er werde nach Verlauf von drei Tagen kommen, um den Gegenstand in Empfang zu nehmen. Hierauf ritt der König heim.
Nun ist zu berichten, daß in der Halle des Königs Alle sehr besorgt wurden, als der König des Abends nicht nach Hause zurückkehrte, am meisten aber seine jüngste Tochter. Sie bestieg des Morgens einen Thurm in der Stadt und spähte von da nach allen Seiten aus, ob sie ihren Vater nicht kommen sehe. Als sie ihn endlich heranreiten sah, lief sie ihm entgegen, um ihn zärtlich willkommen zu heißen. Der König aber wurde sehr betrübt, als ihm seine Tochter entgegen kam. Sie gingen so dann zusammen nach der Halle, wo Alles über des Königs Ankunft erfreut war. Als der König sich zu Tische gesetzt hatte, erzählte er seine Erlebnisse und welches Versprechen er gegeben habe; doch fügte er hinzu, er werde sich niemals bewegen lassen, sich von seiner Tochter zu trennen.
Als drei Tage um waren, wurde an die Thüre der Halle geklopft. Es wurde ein Mann zur Thüre geschickt, und als derselbe wieder zurückkam, meldete er, er habe Niemand vor der Thüre gesehen als einen rothbraunen Hund. Nun wußte man, was dies zu bedeuten habe; die Tochter wollte schon gehen, aber der König sagte, daß dies niemals geschehen solle. Da wurde eine Magd zur Thüre geschickt. Als sie dahin kam, fragte der Hund:
»Bist Du zu mir geschickt?«
Die Magd schwieg; der Hund aber hieß sie auf seinen Rücken steigen und lief mit ihr davon in den Wald. Bei einem Hügel blieb er stehen und ließ sie nieder steigen. Dann fragte er:
»Wie spät mag es nun wohl sein?« Die Magd sagte, das wisse sie nicht, aber es dürfte ungefähr die Zeit sein, wo sie die Halle des Königs auszukehren pflegte.
»Bist Du also nicht die Königstochter?« fragte er.
»Nein« entgegnete das Mädchen.
Da zerriß der Hund sie in Stücke.
Am folgenden Tage wurde abermals an die Thüre der Halle geklopft und ein Mann ging hinaus um zu sehen, wer draußen sei. Als er zurückkam, sagte er, der rothbraune Hund stehe draußen und scheine sehr zornig zu sein. Da wußten die Leute, was dies zu bedeuten habe, und die Königstochter wollte zum Hunde hinaus gehen, aber der König wehrte es ihr.
Es wurde abermals eine Dienerin hinausgeschickt. Als sie zu dem Hunde kam, fragte sie dieser, ob sie zu ihm geschickt sei; sie aber schwieg.
Da hieß der Braune sie auf seinen Rücken steigen und lief mit ihr davon. Als er aber zu dem Hügel kam, schüttelte er sie ab und fragte sie, wie spät es jetzt wohl sein könne.
Die Magd antwortete, daß es wohl beiläufig die Zeit sein dürfte, wo sie des Königs Tisch zu decken pflegte.
»So bist Du also nicht des Königs Tochter?« fragte der Hund.
Sie antwortete: »Nein«.
Da zerriß der Hund sie in Stücke.
Am nächsten Tage wurde wiederum an die Thüre der Halle geklopft, und ein Mann wurde hinausgeschickt. Derselbe kam sogleich wieder zurück und meldete, daß der rothbraune Hund wieder draußen stehe, und grauenhafter aussehe, als je zuvor. Da ließ sich die Königstochter nicht mehr zurückhalten, obschon der König es um keinen Preis gestatten wollte. Sie sagte, daß sie keinen sehnlicheren Wunsch hege, als sein Leben zu retten, und ging hinaus.
Als sie vor die Thüre der Halle kam, wo der Hund stand, fragte dieser:
»Bist Du zu mir geschickt?«
Sie antwortete: »Ja.«
Er hieß sie auf seinen Rücken steigen, und lief mit ihr davon. Als er in den Wald hinaus zu dem Hügel kam, der früher erwähnt wurde, schüttelte er sie ab, und fragte:
»Wie spät mag es jetzt wohl sein?«
Sie antwortete, daß es jetzt wohl die Zeit sein dürfte, wo sie zu ihrem Vater zu gehen pflegte.
»So bist Du also die Königstochter?« sagte er.
»Ja« entgegnete sie. Hierauf hieß er sie wieder auf seinen Rücken steigen, und trug sie noch ein Stück Weges weiter, bis sie zu einem Hause kamen. In dasselbe trat der Hund mit der Königstochter ein und sagte, daß sie jetzt hier wohnen werde. Es befand sich darin ein Tisch, ein Bett und ein Stuhl, und es war Alles vorhanden, dessen sie bedurfte und was ihr Vergnügen bereiten konnte. Ueber all dies sollte sie allein verfügen.
So verging einige Zeit. Sie erblickte niemals einen Menschen; in der Nacht jedoch schlief jedesmal ein Mann bei ihr im Bette. Der braune Hund hielt sich stets des Morgens und Abends im Hause auf; während des Tages aber war er oft fort.
Nun wurde die Königstochter schwanger. Da sagte einmal der Braune zu ihr, daß wohl bald die Stunde nahe, wo sie ein Kind zur Welt bringen werde, und daß man ihr dieses Kind wegnehmen werde. Er bat sie auch, sich vom Schmerze nicht überwältigen lassen und keine Thränen zu vergießen, denn es sei dies für sie von großer Wichtigkeit; sollte sie sich jedoch nicht enthalten können zu weinen, dann möge sie die Thränen in das Tuch fließen lassen, welches er ihr hiermit gebe. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar ein sehr schönes Mädchen, welches sie wusch, einwickelte und hierauf zu sich in’s Bett legte. Während sie noch über das Kind gebeugt war, zog ein Schatten an dem Fenster des Hauses vorüber, und in demselben Augenblicke kam ein Geier in das Zimmer geflogen, nahm das Kind in seine Klauen und flog damit fort.
Dieser Verlust ging der Königstochter wohl sehr zu Herzen, allein sie weinte nicht. Da kam der Braune zu ihr hinein und war sehr freundlich. Er gab ihr einen goldenen Kamm, und sagte, daß sie denselben als Belohnung für ihre Standhaftigkeit haben soll.
Nun verstrich wieder einige Zeit. Da erzählte ihr der Braune einmal, daß jetzt ein Königssohn zu ihrem Vater gekommen sei und um ihre älteste Schwester angehalten habe, und daß die Hochzeit derselben nahe bevorstehe. Er fragte sie auch, ob sie der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen möchte, und sie antwortete, daß sie das gern wolle. Er trug sie daher bis zu dem Hügel, der früher erwähnt worden ist, und zeigte ihr den Weg zu der Halle ihres Vaters. Zugleich gab er ihr zwei schöne Frauenkleider mit; das eine sollte sie ihrer Schwester geben, damit sie es an ihrem Hochzeitstage trage, das andere aber sollte ihr selbst gehören. Beim Abschiede bat er sie noch, nichts von ihrem Schicksale und ihren Lebensverhältnissen zu erzählen, nicht länger als drei Tage auszubleiben und nach Verlauf dieser Zeit wieder zu demselben Hügel zurückzukommen.
Die Königstochter kam heim und wurde mit großer Freude empfangen. Sie wohnte der Hochzeit ihrer Schwester bei, nachdem sie dieser früher das schöne Kleid gegeben hatte, welches allgemeine Bewunderung erregte. Von ihrem Schicksale aber wollte sie durchaus nichts erzählen, so sehr sie auch darüber befragt wurde. Sie sagte nur, daß es ihr gut gehe. Am dritten Tage kehrte sie wieder nach ihrem Heim zurück, und als sie zu dem Hügel kam, stand schon der Braune dort und erwartete sie. Hierauf brachte er sie wieder zurück in ihr Haus.
Es verging abermals einige Zeit und die Königstochter wurde zum zweiten Male schwanger. Da sagte der Braune abermals zu ihr, daß sie jetzt bald ein Kind zur Welt bringen werde, welches ihr ebenso, wie das erste, weggenommen werden würde. Er bat sie, sich so standhaft zu verhalten, als sie nur könne, und nicht zu weinen, denn es sei von großer Wichtigkeit für sie. Doch möge sie das Tuch bereit halten; denn diesmal werde sie sich den Verlust des Kindes viel mehr zu Herzen nehmen. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar auch dieses Mal ein schönes Mädchen. Sie wusch es, wickelte es ein, legte es vor sich in das Bett und beugte sich mit zärtlicher Mutterliebe über dasselbe. In demselben Augenblicke sah sie, daß ein Schatten an dem Fenster vorbeiglitt, und sie konnte sich schon denken, woher er kam. Sie kehrte ihr Gesicht der Wand zu, denn sie getraute sich nicht zuzusehen, wie das Kind ihr genommen wurde. Der Geier kam in das Zimmer, ergriff das Kind mit seinen Klauen und flog mit demselben davon. Auch dieses Mal weinte die Königstochter nicht.
Als der Braune kam, war er wieder sehr freundlich und brachte der Königstochter eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Halskette und sagte, daß dieselbe ihr gehöre, weil sie sich so standhaft gehalten habe.
Es verging nun wieder einige Zeit. Da erzählte ihr der Braune, daß ein anderer Königssohn zu ihrem Vater gekommen sei, welcher ihre zweite Schwester zur Frau nehmen wolle, und daß sie zur Hochzeit derselben gehen könne, wenn sie Lust habe. Sie dankte für die Erlaubniß und der Hund gab ihr wieder ein prächtiges Kleid für ihre Schwester und ein anderes für sie selbst, begleitete sie sodann bis zu dem Hügel und bat sie, nicht länger als drei Tage auszubleiben und nichts von ihrem Schicksale und ihren Verhältnissen zu erzählen.
Die Königstochter begab sich nach Hause und wurde, wie das erste Mal, mit Jubel und Freude empfangen. Sie wohnte der Hochzeit ihrer Schwester bei, nachdem sie ihr früher das prächtige Kleid gegeben hatte, erzählte aber von ihrem Schicksale nichts anderes, als daß es ihr gut gehe, und kehrte nach Verlauf von drei Tagen wieder zu dem Hügel zurück. Der Braune, welcher bereits dort saß und sie erwartete, empfing sie mit großer Freude, und trug sie heim nach ihrem Hause.
Hierauf verstrich wiederum einige Zeit. Da wurde die Königstochter zum dritten Male schwanger, und als ihre Niederkunft nahe bevorstand, sagte ihr der Braune, daß sie nun ein Kind zur Welt bringen werde, welches ihr abermals weggenommen werden würde. Er bat sie auch, wie die beiden anderen Male, standhaft zu sein und nicht zu verzweifeln; denn dieses Mal, sagte er, würde es ihr am meisten zu Herzen gehen und sie müsse genau darauf sehen, daß sie, wenn sie weinen sollte, die Thränen in das Tuch fließen lasse; denn es sei dies von großer Wichtigkeit für sie. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar einen wunderschönen Knaben. Sie wusch denselben, wickelte ihn ein, legte ihn zu sich in’s Bett und bezeigte ihm große Liebe. Da sah sie, daß ein Schatten an dem Fenster vorüberzog, und sie wandte sich von dem Kinde ab und hielt das Tuch vor ihr Gesicht. In demselben Augenblicke kam der Geier, nahm das Kind in seine Klauen und flog mit demselben davon. Da floß eine Thräne aus dem Auge der Königstochter und dieselbe rann nieder auf einen Zipfel des Tuches, welchen sie zu einem Knoten schlang. Hierauf kam der Braune zu ihr hinein und war zwar freundlich, wie die früheren Male, aber doch weniger erfreut als sonst. Er sagte, daß es nicht so glücklich abgelaufen sei, wie er gewünscht habe. Er schenkte ihr sodann einen Spiegel in goldenem Rahmen, und bemerkte, daß dies eine Belohnung für ihre Ausdauer sei.
Einige Zeit darauf erzählte der Hund der Königstochter, daß nun ein Königssohn ihre dritte Schwester heirathen wolle und daß sie ebenfalls ihrer Hochzeit beiwohnen dürfe; er gab ihr abermals zwei prächtige Frauenkleider mit, das eine für ihre Schwester, das andere für sie selbst. Hierauf begleitete er sie bis zu dem Hügel, und bat sie, nicht zu vergessen, daß sie von ihrem Schicksale nichts erzählen dürfe und nach Verlauf von drei Tagen wieder zurückkehren müsse.
Sie begab sich wieder in das väterliche Heim und wurde mit Freuden aufgenommen. Hierauf schenkte sie ihrer Schwester das kostbare Kleid, damit sie es an ihrem Hochzeitstage trage, während sie selbst das andere anlegte. Sie hielt sich dort drei Tage lang auf, erzählte jedoch nichts von ihrem Schicksale, sondern sagte nur, daß es ihr gut ergehe.
Als sie wieder fortging, begleitete sie ihre Mutter, die Königin, ein Stück Weges und drang nun in sie, daß sie ihr doch sagen möge, in welchen Verhältnissen sie denn eigentlich lebe.
Die Tochter erzählte ihr nichts anderes, als daß in jeder Nacht ein Mann, den sie bisher nie gesehen habe, bei ihr schlafe. Da gab ihr die Königin einen Stein und sagte, sie solle denselben, wenn der Mann, der bei ihr liege, eingeschlafen sei, an dessen Gesicht vorübergleiten lassen, dann werde sie ihn sehen können.
Hierauf nahmen sie Abschied von einander und die Königstochter kam zu dem Hügel, wo bereits der Braune stand und wartete, um sie wieder nach Hause zu bringen. Als in der folgenden Nacht der Mann, welcher bei ihr im Bette lag, eingeschlafen war, ließ sie den Stein über ihn hingleiten und sah nun, daß er jung und schön war. In demselben Augenblicke aber erwachte derselbe und war darüber sehr betrübt. Es sei dies ein großes Unglück, sagte er, und es werde lange dauern, bis sie von den schlimmen Folgen desselben wieder befreit sein würden, denn sie müßten jetzt von einander scheiden und würden sich wahrscheinlich nie mehr wieder sehen.
Er erzählte ihr hierauf, daß er ein Königssohn sei und Sigurd heiße; seine Mutter sei gestorben und sein Vater habe lange um sie getrauert. Einmal sei er mit seinem Vater, um ihm ein Vergnügen zu machen, in den Wald hinausgegangen; da sahen sie ein seidenes Zelt, in welchem zwei Weiber saßen, das eine schon ziemlich alt, das andere jung, und die ältere schien sehr viel Kummer zu haben. Beide waren sehr schön. Sein Vater fragte sie über ihre Verhältnisse aus, und die Aeltere erzählte nun, sie sei das Weib eines Königs und das Mädchen ihre Tochter. Feinde hätten das Reich ihres Mannes verheert, dieser selbst sei in einer großen Schlacht gefallen, sie aber habe sich mit ihrer Tochter geflüchtet, und so seien sie hieher gekommen. Sein Vater, so erzählte er weiter, habe Mitleid mit ihnen gehabt und sie eingeladen, in seine Halle zu kommen. Bald darauf habe der Vater auch mit dem älteren Weibe Hochzeit gehalten. Er selbst habe jedoch immer einen Widerwillen gegen seine Stiefmutter empfunden und ihr nie eine Zuneigung entgegenbringen können; sie aber sei fortwährend in ihn gedrungen um ihn zu bewegen, daß er ihre Tochter heirathen möge.
Zu eben dieser Zeit nun, fuhr der Königssohn fort, sei sein Vater fortgezogen, um in seinen anderen Ländern die Schatzung zu erheben; da wäre denn seine Stiefmutter zu ihm gekommen, und hätte mit allem Nachdruck von ihm verlangt, daß er ihre Tochter zur Frau nehme. Er aber habe sich entschieden dagegen geweigert. Darüber sei sie in großen Zorn gerathen und habe ihn verzaubert, so daß er in den Wald hinaus verschwinden, und jeden Tag zu einem rothbraunen Hunde werden mußte, in der Nacht jedoch seine wahre Gestalt behalten durfte; und diese Verzauberung sollte zehn Jahre lang währen. Nach Ablauf dieser Zeit solle er gezwungen sein, wieder heim zu kommen und ihre Tochter zu heirathen, falls es ihm auf diese Weise besser gefalle, als sie freiwillig zur Frau zu nehmen, – es sei denn, daß er eine der schönsten Königstöchter der Welt dahin bringe, bei ihm zu bleiben, und drei Kinder von ihr bekomme, ohne daß dieselbe ihn jemals sehe oder ihm zu entlaufen versuche. Alle ihre Kinder jedoch sollten ihr gleich nach der Geburt weggenommen werden, und wenn sie darüber eine Thräne vergieße, solle dieselbe im Auge ihres Kindes zum Staar werden, der nur durch die Thränen, welche sie selbst weine, wieder behoben werden könne. So sei es denn geschehen, erzählte er, daß er in dieses Haus kam; es hätte nur noch einen Monat gedauert, bis er von dieser schweren Verzauberung befreit worden wäre; nun aber müsse er sie verlassen und wieder in die Stadt seines Vaters heimkehren, und, was das Schlimmste sei, seine Stiefschwester heirathen. So gerne sie es auch thun möchte, sagte er zur Königstochter, könne sie ihn doch auf keine Weise aus dieser unglücklichen Lage befreien. Doch besitze er drei Oheime von väterlicher Seite, welche alle seinethalber Heim, Reichthum und Würde geopfert hätten, und von denen zwei hieher in seine Nähe gezogen wären und in ärmlichen Hütten wohnten. Sie hätten dies gethan, um seiner Stiefmutter zu entkommen, und ihm Beistand zu leisten; sie hätten ihm auch Alles gegeben, was er zu seinem Unterhalte und seinem Vergnügen brauchte, so lange diese Verzauberung dauerte. Derjenige von seinen Oheimen, welcher am nächsten von ihm wohne, sagte er, sei es eben gewesen, welcher die Gestalt einer Hindin angenommen und ihren Vater in den Wald hinaus und zu ihm gelockt habe. Seine Oheime würden nun auch die ersten sein, welche im Stande wären, ihr aus dieser Noth herauszuhelfen. Sie möge deshalb das Haus verlassen und längs des Baches, welcher in der Nähe fließe, dahingehen; sie werde da zu der einen der Hütten seiner Oheime kommen. Er bat sie noch, das Tuch, in welches sie die Thräne fallen ließ, sorgfältig zu hüten, und niemals abhanden kommen zu lassen; auch solle sie, wenn sie in sehr große Bedrängniß komme, sich nicht von den Kleinodien trennen, welche er ihr gegeben habe. Hierauf übergab er ihr einen großen Sack voll Goldmünzen und bat sie, dieselben freigebig mit seinen Oheimen zu theilen, wenn sie dieselben treffe, denn sie seien nun sehr arm, sagte er. Sodann verschwand er; sie aber blieb allein im Hause zurück, voll Kummer und Betrübniß.
Alsbald jedoch traf sie Vorbereitungen um fortzuziehen; sie ging längs des Baches, wie er es ihr beschrieben hatte, dahin, und kam gegen Abend zu der einen Hütte. Ein ärmlich gekleideter alter Mann, mit einem tiefliegenden Hute auf dem Kopfe, stand vor der Thür. Sie grüßte denselben; der Mann aber erwiederte ihren Gruß mit betrübter, kummervoller Miene. Sie bat ihn um Nachtherberge, er antwortete aber, daß er nicht gerne Gäste habe; auch würde ihr Kommen kaum viel Glück bringen. Sie bat ihn jedoch um so inständiger, und gab ihm viel Geld aus ihrem Sacke; da heiterte sich seine Stirne auf, er gewährte ihr Obdach und so blieb nun die Königstochter dort über Nacht. Sie erzählte dem Alten Alles, was sich mit ihr zugetragen hatte und bat ihn, ihr behilflich zu sein, daß sie den Königssohn wieder bekomme. Er sagte jedoch, es sei dies sehr schwer, und er vermöge es nicht; wahrscheinlich aber sei sein Bruder es im Stande, der ziemlich weit von hier, unten an demselben Bergabhange wohne, und er erbot sich, ihr den Weg dahin zu zeigen.
Am nächsten Morgen verließ sie die Hütte und ging längs des Bergabhanges hin, bis sie des Abends zu einer anderen Hütte kam; sie klopfte an die Thüre; ein alter Mann mit strengen Mienen und häßlichem Gesicht öffnete dieselbe. Er trug einen schwarzen Mantel und hatte einen breitkrämpigen Hut auf dem Kopfe. Die Königstochter bat ihn, daß sie hier über Nacht bleiben dürfe. Er aber antwortete, daß es dem Manne wohl wenig Nutzen bringen würde, der ihr Obdach gewähre; denn sie sei gewiß nicht vom Glücke begleitet. Sie bat ihn jedoch auf das Inständigste, daß er sie nur diese Nacht beherbergen möge, und schenkte ihm eine sehr große Summe Geldes aus ihrem Sacke. Da wurde der Alte freundlicher und er führte sie hinein in die Hütte.
Drinnen saß ein Weib auf einer Bank, welches ein Wickelkind in seinem Schooß hatte, während zwei andere Kinder am Boden spielten. Dasselbe nahm die Königstochter sehr freundlich auf, hieß sie sich niedersetzen und war sehr gesprächig. Sie sprachen von den Kindern, welche die Königstochter ungewöhnlich schön fand.
Das Weib erzählte voll Kummer, daß der Knabe, welchen es ihm Schooße halte, auf dem einen Auge den Staar habe; ob aber da durch etwas geholfen werden könne, wisse sie nicht. Die Königstochter meinte, es sei dies ein großer Schaden für ein so hübsches Kind. Hierauf sprachen sie nicht weiter über diesen Gegenstand und das Weib bat die Königstochter, den Knaben zu warten, während es hinausgehe, um etwas Anderes im Hause zu besorgen. Hierauf ging es fort, um für den Gast ein Nachtmahl zu bereiten.
Als die Königstochter allein war und mit dem Knaben im Schooße dasaß, kam ihr der Gedanke, ob nicht vielleicht ihre Thräne, die sich in dem Tuche befinde, die Eigenschaft habe, daß selbe auch von anderen Kindern als ihren eigenen den Staar aus den Augen nehmen könne. Sie löste den Knoten auf, strich den Zipfel des Tuches über das Auge des Kindes und sogleich war der Staar verschwunden.
Als das Weib wieder zurückkam und sah, was sich erreignet hatte, wurde es sehr erfreut und dankte der Königstochter für ihr gutes Werk. Hierauf brachte es ihr Speise.
Die Königstochter blieb hier über Nacht und erzählte dem Alten ihre ganze Leidensgeschichte bis auf den letzten Tag. Da wurde derselbe sanft in seinem Gespräche mit ihr und sagte, daß ihre Sorgen ihm sehr zu Herzen gehen, daß es aber schwer sein würde, denselben abzuhelfen; denn es sei nun die Zeit zu kurz, da der Königssohn morgen mit der Tochter seiner Stiefmutter Hochzeit halten werde; der Weg dahin aber sei lang und führe um ein großes Gebirge; würde sie diesen Weg gehen, so käme sie zu spät. Es gebe zwar einen kürzeren Weg über das Gebirge, auf welchem man an einem Tage dahinkommen könne; allein derselbe sei beinahe nicht gangbar wegen der Zauberei der Königin, welche ihre Ankunft zu verzögern trachten werde. Er wolle es aber doch versuchen, ihr zu helfen, damit sie auf dem kürzesten Wege über das Gebirge käme.
Bevor sie sich auf den Weg machte, gab er ihr einen Stock, der am unteren Ende mit einer Eisenspitze versehen war, damit sie sicher den steilen Weg hinanschreiten konnte, der außerdem so glatt wie ein Spiegel war. Er wickelte auch ein Tuch um ihren Kopf, damit sie von den Wundern, welche ihr in Folge der Zauberei begegnen würden, nichts hören und nicht verwirrt werden könne. Er sagte ihr überdies, daß sie niemals zurücksehen dürfe. Auf der anderen Seite des Gebirges wohne ein Freund von ihm, fügte er weiters hinzu, bei welchem sie einkehren und bitten möge, daß man sie zur Königsburg begleite; er selbst aber wolle dafür Sorge tragen, daß die Königin sie nicht erkenne.
Die Königstochter nahm nun Abschied von dem Alten und ging über das Gebirge, wie er ihr gesagt hatte; sie blickte niemals auf dem Wege zurück, und ließ sich von den Wundern und dem schrecklichen Geheul, das sie hörte, nicht erschrecken. Dabei leistete ihr auch das Tuch, welches sie um den Kopf gewickelt trug, die besten Dienste. Abends kam sie zu der Hütte, in welcher der Freund des Alten wohnte; es war dies ein hübsches, kleines Häuschen, und sie wurde dort freundlich aufgenommen und die Nacht über beherbergt. Sie bat den Mann, daß er sie nach der Halle des Königs begleiten möge. Das sei eine ganz leichte Sache, meinte er, denn er gehe selbst dahin, um der Hochzeit des Königssohnes beizuwohnen.
Als sie in die Halle des Königs kamen, gab es hier viel Pracht und Herrlichkeit aus Anlaß der Hochzeit des Königssohnes. Die Königstochter ging zur Thüre der Halle und sah hier den König und die Königin auf dem einen, den Königssohn mit der Tochter seiner Stiefmutter auf dem anderen Ehrenplatze sitzen. Alle zeigten fröhliche Mienen, nur nicht der Königssohn, auf dessen Gesicht man den Kummer lesen konnte.
Niemand erkannte die Königstochter, nicht einmal der Königssohn selbst. Sie stand dort den ganzen Tag und sah den Festlichkeiten zu, bis das Brautpaar in die Schlafkammer geführt wurde. Da bemächtigte sich ihrer großer Kummer und sie wollte schon verzweifeln, als ihr der Gedanke kam, daß sie vielleicht niemals von ihren Kleinodien besseren Gebrauch machen könne, als gerade jetzt. Es war ein heller Mondscheinabend und sie begab sich zu dem Fenster der Schlafkammer des Brautpaares und begann sich hier mit dem goldenen Kamme das Haar zu kämen.
Die Augen der Braut fielen alsbald auf das Fenster, wo Jene stand, und als sie den goldenen Kamm erblickte, bat sie die Königstochter, denselben gegen den ihrigen umzutauschen; denn sie sah, daß der andere viel werthvoller war als der ihrige. Die Königstochter aber verweigerte es.
Da bat sie die Braut, ihr denselben zu verkaufen; er passe ja besser für sie als für eine Betteldirne, meinte sie. Die Königstochter sagte, sie wolle ihn auch nicht verkaufen. Nun fragte die Braut, ob er ihr denn für gar keinen Preis feil sei. Die Andere entgegnete, daß er ihr nur dann feil sei, wenn sie in dieser Nacht bei dem Bräutigam schlafen dürfe, und dieser Handel wurde dann auch abgeschlossen.
Die Braut gab dem Königssohn einen Schlaftrunk und ließ hierauf die Königstochter zu ihm hinein kommen. Sie blieb die ganze Nacht hindurch bei ihm, war aber nicht im Stande, ihn aus dem Schlafe zu wecken. Er rührte sich nicht in seinem Bette, so sehr sie auch flehte und klagte, und als der Morgen kam, trat die Braut ein und forderte sie auf, sich zu entfernen. Hierauf weckte dieselbe den Bräutigam.
Die Königstochter war nun den ganzen Tag hindurch noch viel bekümmerter als früher, hielt sich aber doch häufig in der Halle auf ohne erkannt zu werden. Als das Brautpaar an diesem Abende wieder in seine Schlafkammer ging, machte sie einen Versuch, die Braut mit ihrem Halsband zu verlocken, und der Handel wurde zwischen ihnen auf dieselbe Weise abgeschlossen wie das vorige Mal.
Nun hatte sich die Königstochter bereits von zweien ihrer Kleinodien getrennt, konnte aber doch den Königssohn in der Nacht nicht vom Schlafe erwecken. Der Kummer lastete schwer auf ihrem Herzen und sie stieß bittere Klagen aus über ihr Mißgeschick; am Morgen mußte sie den Königssohn unverrichteter Dinge wieder verlassen. Die Braut trat zu demselben ein und hierauf gingen sie wieder zusammen in die Halle. An diesem Tage war es eine große Qual für die Königstochter, Alles mit anzusehen, was vorging.
Im Laufe des Tages kam der dritte Oheim des Königssohnes, um mit diesem allein zu sprechen. Er wohnte in derselben Stadt und zwar oben bei der Königsburg und hatte sein Schlafzimmer dicht neben dem des Brautpaares. Er fragte seinen Neffen, wer das Weib sei, das die Nacht über bei ihm wache und so laute Klagen ausstoße; es sei etwas Ungewöhnliches an der ganzen Sache, sagte er.
Der Königssohn antwortete, er wisse von keinem anderen Weibe als seiner Frau. Der Oheim fragte ihn sodann, warum sie so sehr klage. Der Königssohn antwortete, daß er davon nichts wisse, denn er schlafe die ganze Nacht hindurch. Der Andere fragte ihn, woher es denn wohl kommen möge, daß er so fest schlafe, wenn nicht seine Frau ihm Abends einen Trunk gäbe. Der Königssohn entgegnete, daß dies der Fall sei. Dann solle er Abends den Trunk in seine Kleider nieder fließen lassen, meinte der Oheim, und sich stellen, als ob er schlafe und acht geben, ob er dann nicht etwas mehr zu wissen bekomme.
Der Tag neigte sich zu Ende und es wurde Abend. Die Königstochter war niedergebeugt von ihrem Kummer, obschon sie denselben verbarg, und als das Brautpaar des Abends wieder in seiner Schlafkammer war, stand sie wieder vor dem Fenster, und hielt ihren Spiegel in der Hand; es geschah wieder wie die beiden anderen Male; die Braut hatte große Begierde nach dem Spiegel, und sie wurden endlich handeleins unter der Bedingung, daß die Königstochter auch in dieser Nacht wieder beim Königssohn schlafen dürfe und dafür der Braut den Spiegel überlasse. Diese reichte dem Königssohn wieder den Schlaftrunk; allein er that nur so, als ob er denselben trinke, während er ihn in Wirklichkeit verschüttete, und stellte sich hierauf, als ob er eingeschlafen wäre. Die Königstochter stieg zu ihm in’s Bett und versuchte ihn zu wecken; aber er stellte sich noch immer, als ob er schlafe. Da zählte sie ihm alle ihre Leiden auf und klagte bitterlich; sie bat ihn, er möge sich doch an ihr Zusammenleben erinnern und sie erhören, die ihn nun so kummervoll anflehe. Sie habe schon alle ihre Kleinodien weggegeben, sagte sie, um mit ihm zusammenzukommen.
In Folge der Zauberei seiner Stiefmutter war es dem Königssohn, als ob er von all diesen Begebenheiten nur träumte; endlich aber erkannte er doch die Königstochter und die Freude der beiden war nun unbeschreiblich. Er tröstete sie so gut er’s konnte und sagte, daß ihre Leiden nun bald ein Ende nehmen würden; sie möge nur, wenn die Braut des Morgens wieder komme, nach dem Hause seines Oheims gehen, welches sich in der Nähe befinde; er selbst aber werde sich stellen, als ob er schlafe, sagte er.
Als nun die Braut des Morgens in die Kammer kam, jagte sie die Königstochter fort, weckte hierauf den Bräutigam und sie gingen sodann zusammen in die Halle.
Als Freude und Munterkeit an diesem Tage den Höhepunkt erreicht hatten, und Alles zu Tische saß und trank, der König und die Königin auf dem einen Ehrenplatze, und das Brautpaar auf dem anderen, kamen drei Männer in die Halle. Dies waren die drei Brüder des Königs. Der eine von ihnen trug zwei kleine Mädchen auf dem einen Arm und führte mit der anderen Hand ein Weib, welches ebenfalls ein kleines Kind auf dem Arme hatte; die beiden anderen Brüder aber hielten jeder einen Holzstock in der Hand. Sie stellten sich vor dem Platze des Königssohnes auf und derjenige, welcher das Weib an der Hand führte, fragte den Königssohn, ob er dieses Weib und die drei Kinder nicht kenne.
Dieser antwortete: »Ja.«
Da wechselten Mutter und Tochter die Farbe und sie wurden plötzlich ungeheuer groß; sie wollten etwas sprechen, aber die beiden Brüder des Königs, welche die Stöcke in der Hand hatten, stießen dieselben den beiden Weibern in den Schlund, während sich im selben Augenblicke sechzehn Männer, die unter den Tischen verborgen gehalten worden waren, hervorsprangen, sich zu je acht auf jede der beiden stürzten und sie fesselten.
Der König war Anfangs über all‘ dies auf’s Höchste erzürnt; als er nun aber sah, von welchem Geschlechte Mutter und Tochter waren, erfüllte ihn dies Alles mit großer Zufriedenheit und er schloß seinen Sohn und die Königstochter freudig in seine Arme. Hierauf wurde sogleich nach den Eltern der neuen Braut, dem König und der Königin geschickt, und sodann unter Freuden und Becherklang die Hochzeit des Königssohns mit der Königstochter gefeiert.
Kurz darauf starb der Vater des Königssohnes und es wurde nun dieser zum König über das ganze Land erwählt. Er regierte gut und lange mit seiner Königin, und sie lebten in großer Liebe zusammen. Seine Oheime machte er alle zu Jarle in seinem Reiche; sie waren regierungstüchtige und gute Häuptlinge, vermehrten die Macht des Königreiches und waren treue Freunde des Königs, so lange sie lebten.
Als er eine Strecke weit geritten war, gelangte er zu einem kleinen Hügel; hier kam ihm der rothbraune Hund nachgelaufen, holte ihn ein und sah recht böse aus. Der Hund sagte, daß der König sehr undankbar sei; er habe ihn in der Noth beherbergt, ihm Speise, Wein und ein Bett zum Schlafen, sowie auch seinem Pferde Futter gegeben; der König aber sei fortgeritten, ohne ihm auch nur dafür zu danken; er werde ihn nun auf der Stelle zerreißen, sagte er, es sei denn, daß er verspreche, ihm das Erste zu geben, was ihm auf dem Heimwege begegne. Der König versprach dies auch, um sein Leben zu retten, und der Braune sagte darauf, er werde nach Verlauf von drei Tagen kommen, um den Gegenstand in Empfang zu nehmen. Hierauf ritt der König heim.
Nun ist zu berichten, daß in der Halle des Königs Alle sehr besorgt wurden, als der König des Abends nicht nach Hause zurückkehrte, am meisten aber seine jüngste Tochter. Sie bestieg des Morgens einen Thurm in der Stadt und spähte von da nach allen Seiten aus, ob sie ihren Vater nicht kommen sehe. Als sie ihn endlich heranreiten sah, lief sie ihm entgegen, um ihn zärtlich willkommen zu heißen. Der König aber wurde sehr betrübt, als ihm seine Tochter entgegen kam. Sie gingen so dann zusammen nach der Halle, wo Alles über des Königs Ankunft erfreut war. Als der König sich zu Tische gesetzt hatte, erzählte er seine Erlebnisse und welches Versprechen er gegeben habe; doch fügte er hinzu, er werde sich niemals bewegen lassen, sich von seiner Tochter zu trennen.
Als drei Tage um waren, wurde an die Thüre der Halle geklopft. Es wurde ein Mann zur Thüre geschickt, und als derselbe wieder zurückkam, meldete er, er habe Niemand vor der Thüre gesehen als einen rothbraunen Hund. Nun wußte man, was dies zu bedeuten habe; die Tochter wollte schon gehen, aber der König sagte, daß dies niemals geschehen solle. Da wurde eine Magd zur Thüre geschickt. Als sie dahin kam, fragte der Hund:
»Bist Du zu mir geschickt?«
Die Magd schwieg; der Hund aber hieß sie auf seinen Rücken steigen und lief mit ihr davon in den Wald. Bei einem Hügel blieb er stehen und ließ sie nieder steigen. Dann fragte er:
»Wie spät mag es nun wohl sein?« Die Magd sagte, das wisse sie nicht, aber es dürfte ungefähr die Zeit sein, wo sie die Halle des Königs auszukehren pflegte.
»Bist Du also nicht die Königstochter?« fragte er.
»Nein« entgegnete das Mädchen.
Da zerriß der Hund sie in Stücke.
Am folgenden Tage wurde abermals an die Thüre der Halle geklopft und ein Mann ging hinaus um zu sehen, wer draußen sei. Als er zurückkam, sagte er, der rothbraune Hund stehe draußen und scheine sehr zornig zu sein. Da wußten die Leute, was dies zu bedeuten habe, und die Königstochter wollte zum Hunde hinaus gehen, aber der König wehrte es ihr.
Es wurde abermals eine Dienerin hinausgeschickt. Als sie zu dem Hunde kam, fragte sie dieser, ob sie zu ihm geschickt sei; sie aber schwieg.
Da hieß der Braune sie auf seinen Rücken steigen und lief mit ihr davon. Als er aber zu dem Hügel kam, schüttelte er sie ab und fragte sie, wie spät es jetzt wohl sein könne.
Die Magd antwortete, daß es wohl beiläufig die Zeit sein dürfte, wo sie des Königs Tisch zu decken pflegte.
»So bist Du also nicht des Königs Tochter?« fragte der Hund.
Sie antwortete: »Nein«.
Da zerriß der Hund sie in Stücke.
Am nächsten Tage wurde wiederum an die Thüre der Halle geklopft, und ein Mann wurde hinausgeschickt. Derselbe kam sogleich wieder zurück und meldete, daß der rothbraune Hund wieder draußen stehe, und grauenhafter aussehe, als je zuvor. Da ließ sich die Königstochter nicht mehr zurückhalten, obschon der König es um keinen Preis gestatten wollte. Sie sagte, daß sie keinen sehnlicheren Wunsch hege, als sein Leben zu retten, und ging hinaus.
Als sie vor die Thüre der Halle kam, wo der Hund stand, fragte dieser:
»Bist Du zu mir geschickt?«
Sie antwortete: »Ja.«
Er hieß sie auf seinen Rücken steigen, und lief mit ihr davon. Als er in den Wald hinaus zu dem Hügel kam, der früher erwähnt wurde, schüttelte er sie ab, und fragte:
»Wie spät mag es jetzt wohl sein?«
Sie antwortete, daß es jetzt wohl die Zeit sein dürfte, wo sie zu ihrem Vater zu gehen pflegte.
»So bist Du also die Königstochter?« sagte er.
»Ja« entgegnete sie. Hierauf hieß er sie wieder auf seinen Rücken steigen, und trug sie noch ein Stück Weges weiter, bis sie zu einem Hause kamen. In dasselbe trat der Hund mit der Königstochter ein und sagte, daß sie jetzt hier wohnen werde. Es befand sich darin ein Tisch, ein Bett und ein Stuhl, und es war Alles vorhanden, dessen sie bedurfte und was ihr Vergnügen bereiten konnte. Ueber all dies sollte sie allein verfügen.
So verging einige Zeit. Sie erblickte niemals einen Menschen; in der Nacht jedoch schlief jedesmal ein Mann bei ihr im Bette. Der braune Hund hielt sich stets des Morgens und Abends im Hause auf; während des Tages aber war er oft fort.
Nun wurde die Königstochter schwanger. Da sagte einmal der Braune zu ihr, daß wohl bald die Stunde nahe, wo sie ein Kind zur Welt bringen werde, und daß man ihr dieses Kind wegnehmen werde. Er bat sie auch, sich vom Schmerze nicht überwältigen lassen und keine Thränen zu vergießen, denn es sei dies für sie von großer Wichtigkeit; sollte sie sich jedoch nicht enthalten können zu weinen, dann möge sie die Thränen in das Tuch fließen lassen, welches er ihr hiermit gebe. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar ein sehr schönes Mädchen, welches sie wusch, einwickelte und hierauf zu sich in’s Bett legte. Während sie noch über das Kind gebeugt war, zog ein Schatten an dem Fenster des Hauses vorüber, und in demselben Augenblicke kam ein Geier in das Zimmer geflogen, nahm das Kind in seine Klauen und flog damit fort.
Dieser Verlust ging der Königstochter wohl sehr zu Herzen, allein sie weinte nicht. Da kam der Braune zu ihr hinein und war sehr freundlich. Er gab ihr einen goldenen Kamm, und sagte, daß sie denselben als Belohnung für ihre Standhaftigkeit haben soll.
Nun verstrich wieder einige Zeit. Da erzählte ihr der Braune einmal, daß jetzt ein Königssohn zu ihrem Vater gekommen sei und um ihre älteste Schwester angehalten habe, und daß die Hochzeit derselben nahe bevorstehe. Er fragte sie auch, ob sie der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen möchte, und sie antwortete, daß sie das gern wolle. Er trug sie daher bis zu dem Hügel, der früher erwähnt worden ist, und zeigte ihr den Weg zu der Halle ihres Vaters. Zugleich gab er ihr zwei schöne Frauenkleider mit; das eine sollte sie ihrer Schwester geben, damit sie es an ihrem Hochzeitstage trage, das andere aber sollte ihr selbst gehören. Beim Abschiede bat er sie noch, nichts von ihrem Schicksale und ihren Lebensverhältnissen zu erzählen, nicht länger als drei Tage auszubleiben und nach Verlauf dieser Zeit wieder zu demselben Hügel zurückzukommen.
Die Königstochter kam heim und wurde mit großer Freude empfangen. Sie wohnte der Hochzeit ihrer Schwester bei, nachdem sie dieser früher das schöne Kleid gegeben hatte, welches allgemeine Bewunderung erregte. Von ihrem Schicksale aber wollte sie durchaus nichts erzählen, so sehr sie auch darüber befragt wurde. Sie sagte nur, daß es ihr gut gehe. Am dritten Tage kehrte sie wieder nach ihrem Heim zurück, und als sie zu dem Hügel kam, stand schon der Braune dort und erwartete sie. Hierauf brachte er sie wieder zurück in ihr Haus.
Es verging abermals einige Zeit und die Königstochter wurde zum zweiten Male schwanger. Da sagte der Braune abermals zu ihr, daß sie jetzt bald ein Kind zur Welt bringen werde, welches ihr ebenso, wie das erste, weggenommen werden würde. Er bat sie, sich so standhaft zu verhalten, als sie nur könne, und nicht zu weinen, denn es sei von großer Wichtigkeit für sie. Doch möge sie das Tuch bereit halten; denn diesmal werde sie sich den Verlust des Kindes viel mehr zu Herzen nehmen. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar auch dieses Mal ein schönes Mädchen. Sie wusch es, wickelte es ein, legte es vor sich in das Bett und beugte sich mit zärtlicher Mutterliebe über dasselbe. In demselben Augenblicke sah sie, daß ein Schatten an dem Fenster vorbeiglitt, und sie konnte sich schon denken, woher er kam. Sie kehrte ihr Gesicht der Wand zu, denn sie getraute sich nicht zuzusehen, wie das Kind ihr genommen wurde. Der Geier kam in das Zimmer, ergriff das Kind mit seinen Klauen und flog mit demselben davon. Auch dieses Mal weinte die Königstochter nicht.
Als der Braune kam, war er wieder sehr freundlich und brachte der Königstochter eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Halskette und sagte, daß dieselbe ihr gehöre, weil sie sich so standhaft gehalten habe.
Es verging nun wieder einige Zeit. Da erzählte ihr der Braune, daß ein anderer Königssohn zu ihrem Vater gekommen sei, welcher ihre zweite Schwester zur Frau nehmen wolle, und daß sie zur Hochzeit derselben gehen könne, wenn sie Lust habe. Sie dankte für die Erlaubniß und der Hund gab ihr wieder ein prächtiges Kleid für ihre Schwester und ein anderes für sie selbst, begleitete sie sodann bis zu dem Hügel und bat sie, nicht länger als drei Tage auszubleiben und nichts von ihrem Schicksale und ihren Verhältnissen zu erzählen.
Die Königstochter begab sich nach Hause und wurde, wie das erste Mal, mit Jubel und Freude empfangen. Sie wohnte der Hochzeit ihrer Schwester bei, nachdem sie ihr früher das prächtige Kleid gegeben hatte, erzählte aber von ihrem Schicksale nichts anderes, als daß es ihr gut gehe, und kehrte nach Verlauf von drei Tagen wieder zu dem Hügel zurück. Der Braune, welcher bereits dort saß und sie erwartete, empfing sie mit großer Freude, und trug sie heim nach ihrem Hause.
Hierauf verstrich wiederum einige Zeit. Da wurde die Königstochter zum dritten Male schwanger, und als ihre Niederkunft nahe bevorstand, sagte ihr der Braune, daß sie nun ein Kind zur Welt bringen werde, welches ihr abermals weggenommen werden würde. Er bat sie auch, wie die beiden anderen Male, standhaft zu sein und nicht zu verzweifeln; denn dieses Mal, sagte er, würde es ihr am meisten zu Herzen gehen und sie müsse genau darauf sehen, daß sie, wenn sie weinen sollte, die Thränen in das Tuch fließen lasse; denn es sei dies von großer Wichtigkeit für sie. Hierauf ging er fort.
Die Königstochter gebar einen wunderschönen Knaben. Sie wusch denselben, wickelte ihn ein, legte ihn zu sich in’s Bett und bezeigte ihm große Liebe. Da sah sie, daß ein Schatten an dem Fenster vorüberzog, und sie wandte sich von dem Kinde ab und hielt das Tuch vor ihr Gesicht. In demselben Augenblicke kam der Geier, nahm das Kind in seine Klauen und flog mit demselben davon. Da floß eine Thräne aus dem Auge der Königstochter und dieselbe rann nieder auf einen Zipfel des Tuches, welchen sie zu einem Knoten schlang. Hierauf kam der Braune zu ihr hinein und war zwar freundlich, wie die früheren Male, aber doch weniger erfreut als sonst. Er sagte, daß es nicht so glücklich abgelaufen sei, wie er gewünscht habe. Er schenkte ihr sodann einen Spiegel in goldenem Rahmen, und bemerkte, daß dies eine Belohnung für ihre Ausdauer sei.
Einige Zeit darauf erzählte der Hund der Königstochter, daß nun ein Königssohn ihre dritte Schwester heirathen wolle und daß sie ebenfalls ihrer Hochzeit beiwohnen dürfe; er gab ihr abermals zwei prächtige Frauenkleider mit, das eine für ihre Schwester, das andere für sie selbst. Hierauf begleitete er sie bis zu dem Hügel, und bat sie, nicht zu vergessen, daß sie von ihrem Schicksale nichts erzählen dürfe und nach Verlauf von drei Tagen wieder zurückkehren müsse.
Sie begab sich wieder in das väterliche Heim und wurde mit Freuden aufgenommen. Hierauf schenkte sie ihrer Schwester das kostbare Kleid, damit sie es an ihrem Hochzeitstage trage, während sie selbst das andere anlegte. Sie hielt sich dort drei Tage lang auf, erzählte jedoch nichts von ihrem Schicksale, sondern sagte nur, daß es ihr gut ergehe.
Als sie wieder fortging, begleitete sie ihre Mutter, die Königin, ein Stück Weges und drang nun in sie, daß sie ihr doch sagen möge, in welchen Verhältnissen sie denn eigentlich lebe.
Die Tochter erzählte ihr nichts anderes, als daß in jeder Nacht ein Mann, den sie bisher nie gesehen habe, bei ihr schlafe. Da gab ihr die Königin einen Stein und sagte, sie solle denselben, wenn der Mann, der bei ihr liege, eingeschlafen sei, an dessen Gesicht vorübergleiten lassen, dann werde sie ihn sehen können.
Hierauf nahmen sie Abschied von einander und die Königstochter kam zu dem Hügel, wo bereits der Braune stand und wartete, um sie wieder nach Hause zu bringen. Als in der folgenden Nacht der Mann, welcher bei ihr im Bette lag, eingeschlafen war, ließ sie den Stein über ihn hingleiten und sah nun, daß er jung und schön war. In demselben Augenblicke aber erwachte derselbe und war darüber sehr betrübt. Es sei dies ein großes Unglück, sagte er, und es werde lange dauern, bis sie von den schlimmen Folgen desselben wieder befreit sein würden, denn sie müßten jetzt von einander scheiden und würden sich wahrscheinlich nie mehr wieder sehen.
Er erzählte ihr hierauf, daß er ein Königssohn sei und Sigurd heiße; seine Mutter sei gestorben und sein Vater habe lange um sie getrauert. Einmal sei er mit seinem Vater, um ihm ein Vergnügen zu machen, in den Wald hinausgegangen; da sahen sie ein seidenes Zelt, in welchem zwei Weiber saßen, das eine schon ziemlich alt, das andere jung, und die ältere schien sehr viel Kummer zu haben. Beide waren sehr schön. Sein Vater fragte sie über ihre Verhältnisse aus, und die Aeltere erzählte nun, sie sei das Weib eines Königs und das Mädchen ihre Tochter. Feinde hätten das Reich ihres Mannes verheert, dieser selbst sei in einer großen Schlacht gefallen, sie aber habe sich mit ihrer Tochter geflüchtet, und so seien sie hieher gekommen. Sein Vater, so erzählte er weiter, habe Mitleid mit ihnen gehabt und sie eingeladen, in seine Halle zu kommen. Bald darauf habe der Vater auch mit dem älteren Weibe Hochzeit gehalten. Er selbst habe jedoch immer einen Widerwillen gegen seine Stiefmutter empfunden und ihr nie eine Zuneigung entgegenbringen können; sie aber sei fortwährend in ihn gedrungen um ihn zu bewegen, daß er ihre Tochter heirathen möge.
Zu eben dieser Zeit nun, fuhr der Königssohn fort, sei sein Vater fortgezogen, um in seinen anderen Ländern die Schatzung zu erheben; da wäre denn seine Stiefmutter zu ihm gekommen, und hätte mit allem Nachdruck von ihm verlangt, daß er ihre Tochter zur Frau nehme. Er aber habe sich entschieden dagegen geweigert. Darüber sei sie in großen Zorn gerathen und habe ihn verzaubert, so daß er in den Wald hinaus verschwinden, und jeden Tag zu einem rothbraunen Hunde werden mußte, in der Nacht jedoch seine wahre Gestalt behalten durfte; und diese Verzauberung sollte zehn Jahre lang währen. Nach Ablauf dieser Zeit solle er gezwungen sein, wieder heim zu kommen und ihre Tochter zu heirathen, falls es ihm auf diese Weise besser gefalle, als sie freiwillig zur Frau zu nehmen, – es sei denn, daß er eine der schönsten Königstöchter der Welt dahin bringe, bei ihm zu bleiben, und drei Kinder von ihr bekomme, ohne daß dieselbe ihn jemals sehe oder ihm zu entlaufen versuche. Alle ihre Kinder jedoch sollten ihr gleich nach der Geburt weggenommen werden, und wenn sie darüber eine Thräne vergieße, solle dieselbe im Auge ihres Kindes zum Staar werden, der nur durch die Thränen, welche sie selbst weine, wieder behoben werden könne. So sei es denn geschehen, erzählte er, daß er in dieses Haus kam; es hätte nur noch einen Monat gedauert, bis er von dieser schweren Verzauberung befreit worden wäre; nun aber müsse er sie verlassen und wieder in die Stadt seines Vaters heimkehren, und, was das Schlimmste sei, seine Stiefschwester heirathen. So gerne sie es auch thun möchte, sagte er zur Königstochter, könne sie ihn doch auf keine Weise aus dieser unglücklichen Lage befreien. Doch besitze er drei Oheime von väterlicher Seite, welche alle seinethalber Heim, Reichthum und Würde geopfert hätten, und von denen zwei hieher in seine Nähe gezogen wären und in ärmlichen Hütten wohnten. Sie hätten dies gethan, um seiner Stiefmutter zu entkommen, und ihm Beistand zu leisten; sie hätten ihm auch Alles gegeben, was er zu seinem Unterhalte und seinem Vergnügen brauchte, so lange diese Verzauberung dauerte. Derjenige von seinen Oheimen, welcher am nächsten von ihm wohne, sagte er, sei es eben gewesen, welcher die Gestalt einer Hindin angenommen und ihren Vater in den Wald hinaus und zu ihm gelockt habe. Seine Oheime würden nun auch die ersten sein, welche im Stande wären, ihr aus dieser Noth herauszuhelfen. Sie möge deshalb das Haus verlassen und längs des Baches, welcher in der Nähe fließe, dahingehen; sie werde da zu der einen der Hütten seiner Oheime kommen. Er bat sie noch, das Tuch, in welches sie die Thräne fallen ließ, sorgfältig zu hüten, und niemals abhanden kommen zu lassen; auch solle sie, wenn sie in sehr große Bedrängniß komme, sich nicht von den Kleinodien trennen, welche er ihr gegeben habe. Hierauf übergab er ihr einen großen Sack voll Goldmünzen und bat sie, dieselben freigebig mit seinen Oheimen zu theilen, wenn sie dieselben treffe, denn sie seien nun sehr arm, sagte er. Sodann verschwand er; sie aber blieb allein im Hause zurück, voll Kummer und Betrübniß.
Alsbald jedoch traf sie Vorbereitungen um fortzuziehen; sie ging längs des Baches, wie er es ihr beschrieben hatte, dahin, und kam gegen Abend zu der einen Hütte. Ein ärmlich gekleideter alter Mann, mit einem tiefliegenden Hute auf dem Kopfe, stand vor der Thür. Sie grüßte denselben; der Mann aber erwiederte ihren Gruß mit betrübter, kummervoller Miene. Sie bat ihn um Nachtherberge, er antwortete aber, daß er nicht gerne Gäste habe; auch würde ihr Kommen kaum viel Glück bringen. Sie bat ihn jedoch um so inständiger, und gab ihm viel Geld aus ihrem Sacke; da heiterte sich seine Stirne auf, er gewährte ihr Obdach und so blieb nun die Königstochter dort über Nacht. Sie erzählte dem Alten Alles, was sich mit ihr zugetragen hatte und bat ihn, ihr behilflich zu sein, daß sie den Königssohn wieder bekomme. Er sagte jedoch, es sei dies sehr schwer, und er vermöge es nicht; wahrscheinlich aber sei sein Bruder es im Stande, der ziemlich weit von hier, unten an demselben Bergabhange wohne, und er erbot sich, ihr den Weg dahin zu zeigen.
Am nächsten Morgen verließ sie die Hütte und ging längs des Bergabhanges hin, bis sie des Abends zu einer anderen Hütte kam; sie klopfte an die Thüre; ein alter Mann mit strengen Mienen und häßlichem Gesicht öffnete dieselbe. Er trug einen schwarzen Mantel und hatte einen breitkrämpigen Hut auf dem Kopfe. Die Königstochter bat ihn, daß sie hier über Nacht bleiben dürfe. Er aber antwortete, daß es dem Manne wohl wenig Nutzen bringen würde, der ihr Obdach gewähre; denn sie sei gewiß nicht vom Glücke begleitet. Sie bat ihn jedoch auf das Inständigste, daß er sie nur diese Nacht beherbergen möge, und schenkte ihm eine sehr große Summe Geldes aus ihrem Sacke. Da wurde der Alte freundlicher und er führte sie hinein in die Hütte.
Drinnen saß ein Weib auf einer Bank, welches ein Wickelkind in seinem Schooß hatte, während zwei andere Kinder am Boden spielten. Dasselbe nahm die Königstochter sehr freundlich auf, hieß sie sich niedersetzen und war sehr gesprächig. Sie sprachen von den Kindern, welche die Königstochter ungewöhnlich schön fand.
Das Weib erzählte voll Kummer, daß der Knabe, welchen es ihm Schooße halte, auf dem einen Auge den Staar habe; ob aber da durch etwas geholfen werden könne, wisse sie nicht. Die Königstochter meinte, es sei dies ein großer Schaden für ein so hübsches Kind. Hierauf sprachen sie nicht weiter über diesen Gegenstand und das Weib bat die Königstochter, den Knaben zu warten, während es hinausgehe, um etwas Anderes im Hause zu besorgen. Hierauf ging es fort, um für den Gast ein Nachtmahl zu bereiten.
Als die Königstochter allein war und mit dem Knaben im Schooße dasaß, kam ihr der Gedanke, ob nicht vielleicht ihre Thräne, die sich in dem Tuche befinde, die Eigenschaft habe, daß selbe auch von anderen Kindern als ihren eigenen den Staar aus den Augen nehmen könne. Sie löste den Knoten auf, strich den Zipfel des Tuches über das Auge des Kindes und sogleich war der Staar verschwunden.
Als das Weib wieder zurückkam und sah, was sich erreignet hatte, wurde es sehr erfreut und dankte der Königstochter für ihr gutes Werk. Hierauf brachte es ihr Speise.
Die Königstochter blieb hier über Nacht und erzählte dem Alten ihre ganze Leidensgeschichte bis auf den letzten Tag. Da wurde derselbe sanft in seinem Gespräche mit ihr und sagte, daß ihre Sorgen ihm sehr zu Herzen gehen, daß es aber schwer sein würde, denselben abzuhelfen; denn es sei nun die Zeit zu kurz, da der Königssohn morgen mit der Tochter seiner Stiefmutter Hochzeit halten werde; der Weg dahin aber sei lang und führe um ein großes Gebirge; würde sie diesen Weg gehen, so käme sie zu spät. Es gebe zwar einen kürzeren Weg über das Gebirge, auf welchem man an einem Tage dahinkommen könne; allein derselbe sei beinahe nicht gangbar wegen der Zauberei der Königin, welche ihre Ankunft zu verzögern trachten werde. Er wolle es aber doch versuchen, ihr zu helfen, damit sie auf dem kürzesten Wege über das Gebirge käme.
Bevor sie sich auf den Weg machte, gab er ihr einen Stock, der am unteren Ende mit einer Eisenspitze versehen war, damit sie sicher den steilen Weg hinanschreiten konnte, der außerdem so glatt wie ein Spiegel war. Er wickelte auch ein Tuch um ihren Kopf, damit sie von den Wundern, welche ihr in Folge der Zauberei begegnen würden, nichts hören und nicht verwirrt werden könne. Er sagte ihr überdies, daß sie niemals zurücksehen dürfe. Auf der anderen Seite des Gebirges wohne ein Freund von ihm, fügte er weiters hinzu, bei welchem sie einkehren und bitten möge, daß man sie zur Königsburg begleite; er selbst aber wolle dafür Sorge tragen, daß die Königin sie nicht erkenne.
Die Königstochter nahm nun Abschied von dem Alten und ging über das Gebirge, wie er ihr gesagt hatte; sie blickte niemals auf dem Wege zurück, und ließ sich von den Wundern und dem schrecklichen Geheul, das sie hörte, nicht erschrecken. Dabei leistete ihr auch das Tuch, welches sie um den Kopf gewickelt trug, die besten Dienste. Abends kam sie zu der Hütte, in welcher der Freund des Alten wohnte; es war dies ein hübsches, kleines Häuschen, und sie wurde dort freundlich aufgenommen und die Nacht über beherbergt. Sie bat den Mann, daß er sie nach der Halle des Königs begleiten möge. Das sei eine ganz leichte Sache, meinte er, denn er gehe selbst dahin, um der Hochzeit des Königssohnes beizuwohnen.
Als sie in die Halle des Königs kamen, gab es hier viel Pracht und Herrlichkeit aus Anlaß der Hochzeit des Königssohnes. Die Königstochter ging zur Thüre der Halle und sah hier den König und die Königin auf dem einen, den Königssohn mit der Tochter seiner Stiefmutter auf dem anderen Ehrenplatze sitzen. Alle zeigten fröhliche Mienen, nur nicht der Königssohn, auf dessen Gesicht man den Kummer lesen konnte.
Niemand erkannte die Königstochter, nicht einmal der Königssohn selbst. Sie stand dort den ganzen Tag und sah den Festlichkeiten zu, bis das Brautpaar in die Schlafkammer geführt wurde. Da bemächtigte sich ihrer großer Kummer und sie wollte schon verzweifeln, als ihr der Gedanke kam, daß sie vielleicht niemals von ihren Kleinodien besseren Gebrauch machen könne, als gerade jetzt. Es war ein heller Mondscheinabend und sie begab sich zu dem Fenster der Schlafkammer des Brautpaares und begann sich hier mit dem goldenen Kamme das Haar zu kämen.
Die Augen der Braut fielen alsbald auf das Fenster, wo Jene stand, und als sie den goldenen Kamm erblickte, bat sie die Königstochter, denselben gegen den ihrigen umzutauschen; denn sie sah, daß der andere viel werthvoller war als der ihrige. Die Königstochter aber verweigerte es.
Da bat sie die Braut, ihr denselben zu verkaufen; er passe ja besser für sie als für eine Betteldirne, meinte sie. Die Königstochter sagte, sie wolle ihn auch nicht verkaufen. Nun fragte die Braut, ob er ihr denn für gar keinen Preis feil sei. Die Andere entgegnete, daß er ihr nur dann feil sei, wenn sie in dieser Nacht bei dem Bräutigam schlafen dürfe, und dieser Handel wurde dann auch abgeschlossen.
Die Braut gab dem Königssohn einen Schlaftrunk und ließ hierauf die Königstochter zu ihm hinein kommen. Sie blieb die ganze Nacht hindurch bei ihm, war aber nicht im Stande, ihn aus dem Schlafe zu wecken. Er rührte sich nicht in seinem Bette, so sehr sie auch flehte und klagte, und als der Morgen kam, trat die Braut ein und forderte sie auf, sich zu entfernen. Hierauf weckte dieselbe den Bräutigam.
Die Königstochter war nun den ganzen Tag hindurch noch viel bekümmerter als früher, hielt sich aber doch häufig in der Halle auf ohne erkannt zu werden. Als das Brautpaar an diesem Abende wieder in seine Schlafkammer ging, machte sie einen Versuch, die Braut mit ihrem Halsband zu verlocken, und der Handel wurde zwischen ihnen auf dieselbe Weise abgeschlossen wie das vorige Mal.
Nun hatte sich die Königstochter bereits von zweien ihrer Kleinodien getrennt, konnte aber doch den Königssohn in der Nacht nicht vom Schlafe erwecken. Der Kummer lastete schwer auf ihrem Herzen und sie stieß bittere Klagen aus über ihr Mißgeschick; am Morgen mußte sie den Königssohn unverrichteter Dinge wieder verlassen. Die Braut trat zu demselben ein und hierauf gingen sie wieder zusammen in die Halle. An diesem Tage war es eine große Qual für die Königstochter, Alles mit anzusehen, was vorging.
Im Laufe des Tages kam der dritte Oheim des Königssohnes, um mit diesem allein zu sprechen. Er wohnte in derselben Stadt und zwar oben bei der Königsburg und hatte sein Schlafzimmer dicht neben dem des Brautpaares. Er fragte seinen Neffen, wer das Weib sei, das die Nacht über bei ihm wache und so laute Klagen ausstoße; es sei etwas Ungewöhnliches an der ganzen Sache, sagte er.
Der Königssohn antwortete, er wisse von keinem anderen Weibe als seiner Frau. Der Oheim fragte ihn sodann, warum sie so sehr klage. Der Königssohn antwortete, daß er davon nichts wisse, denn er schlafe die ganze Nacht hindurch. Der Andere fragte ihn, woher es denn wohl kommen möge, daß er so fest schlafe, wenn nicht seine Frau ihm Abends einen Trunk gäbe. Der Königssohn entgegnete, daß dies der Fall sei. Dann solle er Abends den Trunk in seine Kleider nieder fließen lassen, meinte der Oheim, und sich stellen, als ob er schlafe und acht geben, ob er dann nicht etwas mehr zu wissen bekomme.
Der Tag neigte sich zu Ende und es wurde Abend. Die Königstochter war niedergebeugt von ihrem Kummer, obschon sie denselben verbarg, und als das Brautpaar des Abends wieder in seiner Schlafkammer war, stand sie wieder vor dem Fenster, und hielt ihren Spiegel in der Hand; es geschah wieder wie die beiden anderen Male; die Braut hatte große Begierde nach dem Spiegel, und sie wurden endlich handeleins unter der Bedingung, daß die Königstochter auch in dieser Nacht wieder beim Königssohn schlafen dürfe und dafür der Braut den Spiegel überlasse. Diese reichte dem Königssohn wieder den Schlaftrunk; allein er that nur so, als ob er denselben trinke, während er ihn in Wirklichkeit verschüttete, und stellte sich hierauf, als ob er eingeschlafen wäre. Die Königstochter stieg zu ihm in’s Bett und versuchte ihn zu wecken; aber er stellte sich noch immer, als ob er schlafe. Da zählte sie ihm alle ihre Leiden auf und klagte bitterlich; sie bat ihn, er möge sich doch an ihr Zusammenleben erinnern und sie erhören, die ihn nun so kummervoll anflehe. Sie habe schon alle ihre Kleinodien weggegeben, sagte sie, um mit ihm zusammenzukommen.
In Folge der Zauberei seiner Stiefmutter war es dem Königssohn, als ob er von all diesen Begebenheiten nur träumte; endlich aber erkannte er doch die Königstochter und die Freude der beiden war nun unbeschreiblich. Er tröstete sie so gut er’s konnte und sagte, daß ihre Leiden nun bald ein Ende nehmen würden; sie möge nur, wenn die Braut des Morgens wieder komme, nach dem Hause seines Oheims gehen, welches sich in der Nähe befinde; er selbst aber werde sich stellen, als ob er schlafe, sagte er.
Als nun die Braut des Morgens in die Kammer kam, jagte sie die Königstochter fort, weckte hierauf den Bräutigam und sie gingen sodann zusammen in die Halle.
Als Freude und Munterkeit an diesem Tage den Höhepunkt erreicht hatten, und Alles zu Tische saß und trank, der König und die Königin auf dem einen Ehrenplatze, und das Brautpaar auf dem anderen, kamen drei Männer in die Halle. Dies waren die drei Brüder des Königs. Der eine von ihnen trug zwei kleine Mädchen auf dem einen Arm und führte mit der anderen Hand ein Weib, welches ebenfalls ein kleines Kind auf dem Arme hatte; die beiden anderen Brüder aber hielten jeder einen Holzstock in der Hand. Sie stellten sich vor dem Platze des Königssohnes auf und derjenige, welcher das Weib an der Hand führte, fragte den Königssohn, ob er dieses Weib und die drei Kinder nicht kenne.
Dieser antwortete: »Ja.«
Da wechselten Mutter und Tochter die Farbe und sie wurden plötzlich ungeheuer groß; sie wollten etwas sprechen, aber die beiden Brüder des Königs, welche die Stöcke in der Hand hatten, stießen dieselben den beiden Weibern in den Schlund, während sich im selben Augenblicke sechzehn Männer, die unter den Tischen verborgen gehalten worden waren, hervorsprangen, sich zu je acht auf jede der beiden stürzten und sie fesselten.
Der König war Anfangs über all‘ dies auf’s Höchste erzürnt; als er nun aber sah, von welchem Geschlechte Mutter und Tochter waren, erfüllte ihn dies Alles mit großer Zufriedenheit und er schloß seinen Sohn und die Königstochter freudig in seine Arme. Hierauf wurde sogleich nach den Eltern der neuen Braut, dem König und der Königin geschickt, und sodann unter Freuden und Becherklang die Hochzeit des Königssohns mit der Königstochter gefeiert.
Kurz darauf starb der Vater des Königssohnes und es wurde nun dieser zum König über das ganze Land erwählt. Er regierte gut und lange mit seiner Königin, und sie lebten in großer Liebe zusammen. Seine Oheime machte er alle zu Jarle in seinem Reiche; sie waren regierungstüchtige und gute Häuptlinge, vermehrten die Macht des Königreiches und waren treue Freunde des Königs, so lange sie lebten.
[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]