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Sonnenschein-Geschichten

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„Jetzt werde ich erzählen!“ sagte der Wind.
„Nein, erlauben Sie, „sagte das Regenwetter, „jetzt ist die Reihe an mir! Sie haben lange genug an der Straßenecke gestanden und haben geheult, was Sie heulen konnten!“
„Ist das der Dank“, sagte der Wind, „weil ich Ihnen zur Ehre manchen Regenschirm umgekippt, ja zerknickt habe, wenn die Leute nichts von Ihnen wissen wollten!“
„Ich erzähle!“ sagte der Sonnenschein. „Still!“, und das wurde mit Glanz und Majestät gesagt, so dass der Wind sich legte, so lang er war, aber das Regenwetter rüttelte den Wind und sagte: „Dass wir das ertragen müssen! Sie bricht immer durch, diese Madame Sonnenschein. Wir wollen sie nicht anhören! Es ist der Mühe nicht wert!“
Und der Sonnenschein erzählte: „Es flog ein Schwan über das rollende Meer dahin, jede Feder desselben leuchtete wie Gold; eine Feder fiel herab auf das große Kaufmannsschiff, welches mit vollen Segeln vorüberglitt; die Feder fiel auf den Lockenkopf eines jungen Mannes, des Beaufsichtigers der Waren, Superkargo nannten sie ihn. Die Feder des Glücksvogels berühre seine Stirn, wurde zur Schreibfeder in seiner Hand, und er wurde bald der reiche Kaufmann, der sich schon Sporen von Gold kaufen und eine goldne Schüssel in einen Adelsschild verwandeln konnte; ich habe den Schild beschienen!“ sagte der Sonnenschein.
„Der Schwan flog über die grüne Wiese dahin, wo der kleine Schafhüter, ein Knabe von sieben Jahren, sich in den Schatten des alten einzigen Baumes hingestreckt hatte. Und der Schwan in seinem Fluge küsste ein Blatt des Baumes und das Blatt fiel herab, in die Hand des Knaben, und dieses eine Blatt wurde zu dreien, wurde zu zehn Blättern, wurde zu einem ganzen Buch, und der Knabe las in demselben von den Wunderwerken der Natur, von der Muttersprache, von Glauben und Wissen. Wenn er schlafen ging, legte er das Buch unter seinen Kopf, damit er nicht vergessen möchte, was er gelesen, und das Buch trug ihn auf die Schulbank und zu dem Tische des Gelehrten. Ich habe seinen Namen unter denen der Gelehrten gelesen!“ sagte der Sonnenschein.
„Der Schwan flog in die Waldeinsamkeit, ruhte sich dort aus auf den stillen dunklen Seen, wo die Wasserlilien blühen, wo die wilden Waldäpfel wachsen und des Kuckucks und der Waldtaube Heimat ist. Eine arme Frau las dort Reisig auf; herabgefallene Baumzweige, die sie in einem Bündel auf ihrem Rücken trug, ihr Kind trug sie an der Brust, und so wanderte sie ihren Weg nach Hause. Sie sah den goldenen Schwan, den Glücksschwan, sich von dem schilfbewachsenen Ufer emporschwingen. Was glänzte dort? Ein goldiges Ei; es war noch warm. Sie legte es an ihre Brust, und es blieb warm, das Ei hatte gewiss Leben. Ja, es tickte hinter der Schale; sie fühlte das und glaubte, es sei ihr eigenes Herz, welches klopfte.
Zu Hause in ihrem ärmlichen Stübchen nahm sie das Goldei hervor. Ticktick! sagte es, als sei es eine köstliche goldene Uhr, aber es war ein Ei mit lebendigem Leben. Das Ei platzte, ein kleines Schwanenjunges, wie aus dem reisten Gold, strecke das Köpfchen hervor; das Junge hatte vier Ringe und den Hals, und da die arme Frau gerade vier Knaben, drei zu Hause und den vierten, den sie bei sich in der Waldeinsamkeit getragen, hatte, so begriff sie sogleich, dass hier ein Ring für jedes der Kinder sei, und indem sie das begriff, flog der kleine Goldvogel davon.
Sie küsste jeden Ring, ließ jedes der Kinder einen von den Ringen küssen, legte diesen an das Herz des Kindes und steckte ihn an seinen Finger.
Ich sah dies alles“ sagte der Sonnenschein, „ich sah auch, was darauf geschah.
Der eine Knabe setzte sich an den Lehmgraben, nahm einen Klumpen Lehm zur Hand, drehte und formte ihn mit den Fingern, und es wurde eine Jasongestalt daraus, die, welche das Goldene Vlies geholt hatte.
Der zweite der Knaben lief sogleich auf die Wiese hinaus, wo Blumen in allen denkbaren Farben standen; er pflückte eine Handvoll, drückte sie, dass der Saft ihm in die Augen spritzte und den Ring benetzt; es kribbelte und krabbelte in Gedanken und in der Hand, und nach Jahren und Tagen sprach die große Stadt von dem großen Meister.
Der dritte der Knaben hielt den Ring so fest in seinem Mund, dass er Klang und Widerhall vom Herzboden gab, Gefühle und Gedanken stiegen empor in Tönen, stiegen empor wie singende Schwäne, tauchten wie Schwäne hinab in den tiefen See, den tiefen See der Gedanken; er wurde ein Meister der Töne, jedes Land kann nun sagen: „Mir gehört er an!“
Der vierte Kleine, ja, der war nun der Zurückgesetzte; er habe den Pips, sagten die Leute, er müsse Pfeffer und Butter haben, wie die kranken Hühner, geschmiert werden – und das meinten sie nun in ihrem Sinne, und Schmiere bekam er, aber von mir bekam er einen Sonnenschein-Kuss!“ sagte der Sonnenschein. „Er bekam zehn Küsse für einen. Er war eine Dichter-Natur, er wurde gebliebkost und geküsst; aber den Glücksring hatte er vom goldenen Schwan des Glücks. Seine Gedanken flogen aus wie singende Schmetterlinge, der Unsterblichkeit Symbol.“
„Das war eine lange Geschichte!“ sagte der Wind.
„Und langweilig!“ sagte das Regenwetter.
„Blase mich an, dass ich mich wieder erhole!“
Und der Wind blies, und der Sonnenschein erzählte: „Der Glücksschwan flog über den tiefen Meerbusen dahin, wo die Fischer ihr Garn ausgeworfen hatte. Der ärmste derselben dachte daran, sich zu verheiraten und er heiratete.
Ihm brachte der Schwan ein Stück Bernstein, und der Bernstein zieht an, er zog die Herzen ans Haus heran. Bernstein ist die schönste Räucherung. Es kam ein Duft ins Haus wie aus der Kirche, ein Duft wie aus der Natur Gottes. Er und die Seinen empfangen so recht das Glück des häuslichen Lebens, Zufriedenheit in kleinen Verhältnissen, und ihr Leben gestaltete sich deshalb auch zu einer ganzen Sonnenschein-Geschichte.“
„Brechen wir aber jetzt ab!“ sagte der Wind. „Nun hat der Sonnenschein lange genug erzählt. Ich habe mich gelangweilt!“
„Ich auch“, sagte das Regenwetter.
Was sagen nun wir anderen, die wir die Geschichten gehört haben?
Wir sagen: „Nun sind sie aus!“.

Quelle: Hans Christian Andersen

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