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Märchenbasar

St. Nikolaus und der Jüngling

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Es wird erzählt, daß in Bordeaux eine Frau wohnte, welche nur einen einzigen Sohn hatte. Sie wünschte, daß er zu Reichtümern gelange und gab ihn daher in das Haus eines ihrer Verwandten, damit dieser ihn in der Ausführung von Handelsgeschäften unterrichte. Fünfzig Pfund wurden hinterlegt, und der junge Mann wurde zu Geschäftszwecken an einen auswärtigen Platz geschickt. Hier hörte er in der Predigt, daß nichts auf der Welt dem Menschen mehr Ehre und Gut verleihe, als die Freigebigkeit in Almosen. Nun traf er auf dem Rückwege auf eine Kirche des heiligen Nikolaus, welche baufällig war, und für deren Instandsetzung Almosen gesammelt wurden. Da gab der junge Mann seine fünfzig Pfund aus Liebe zu Gott hin. Als er aber zu seinem Herrn zurückgekehrt war und ihm seine Tat berichtete, wurde er ob seines Leichtsinns aus dessen Hause vertrieben und nur auf die Tränen der Mutter hin wieder aufgenommen, doch unter der Bedingung, daß er den Schaden ersetze. Es wurden nunmehr hundert Pfund eingesetzt.
Nach längerer Zeit wurde der junge Mann neuerdings mit einer großen Geldsumme übers Meer gesandt. Es geschah aber, daß Seeräuber die Tochter des Sultans geraubt hatten und zum Verkaufe feilboten. Dem jungen Mann gefielen ihre Schönheit, ihre guten Sitten und ihre Unterhaltungsgabe, und er kaufte sie zum Preise von hundert Pfund, und nach Beendigung seiner Seereise brachte er sie mit nach Bordeaux. Als seine Verwandten die Jungfrau sahen, glaubten sie, er habe sie nur gekauft, um mit ihr ein liederliches Leben zu führen, und sie warfen beide aus dem Hause.
Die Heidin aber wurde zum Glauben an Christus bekehrt und getauft, und sie war so voll Verehrung zum heiligen Kreuze und zur seligen Jungfrau, daß sie auch den Jüngling, der sie gekauft hatte, zu einem heiligmäßigen Leben veranlaßte. Schließlich wurde ihre Verlobung gefeiert, aber die Kraft des heiligen Kreuzes hinderte, daß ein unreiner Trieb in ihnen aufkam. Da sie sehr arm waren, bat die Jungfrau ihren Verlobten, mannigfache Arten von Seidenstoffen und Goldborten einzukaufen, aus denen sie Handarbeiten von wunderbarer Schönheit verfertigte, insbesondere eine goldene Fahne, deren Pracht jeder, der sie sah, anstaunte. Darauf wurde der junge Mann von ihr nach Alexandrien geschickt mit dem Auftrage, er solle an einem bestimmten Feste der Sarazenen die Handarbeiten samt der Fahne auf einem öffentlichen Platze zum Verkaufe ausstellen, und er solle für die Fahne nicht weniger als zweitausend Flor. fordern. Ihr Vater, der Sultan, würde auf der Fahne Zeichen erkennen, die kein Lebendiger auf der Erde zu machen wüßte, als sie allein, und er würde aus Liebe zu seiner Tochter jeden Preis dafür zahlen. Namentlich aber wies sie ihren Bräutigam darauf hin, daß er zum Empfange des Geldes nicht in das Schloß ihres Vaters gehen dürfe, vielmehr solle er den Betrag auf dem Platze erwarten, ehe er die Fahne hergebe. Der junge Mann tat, wie sie ihn geheißen hatte und bot am festgesetzten Feiertage die Handarbeiten feil. Der Sultan wünschte die Fahne zu kaufen, und was auch der Kaufmann dafür verlangte, es wurde ihm ohne Widerrede gewährt. Das Schloß des Sultans aber betrat der junge Mann nicht, obwohl er dringend darum gebeten wurde. Darauf kehrte er mit großen Reichtümern beladen zu seiner Braut zurück. Sie kauften Besitztümer und Ländereien, doch noch wollten sie sich nicht zur Ehe vereinigen, vielmehr gedachten sie zuvor noch größere Mittel zu erwerben. Wiederum kaufte er wunderschöne und äußerst kostbare Seidenstoffe, sie verfertigte daraus Handarbeiten, die noch schöner und besser waren als das erstemal und darunter wieder eine Fahne, wie sie so schön zuvor noch kein Menschenauge gesehen hatte. Der junge Mann wurde mit den gleichen Aufträgen wie zuvor nach Alexandrien geschickt, an einem hohen Feiertage breitete er die Fahne und die Stickereien aus und verlangte tausend Pfund dafür. Der Sultan kam herunter und überredete aus Liebe zu seiner Tochter den Jüngling mit freundlichen Worten, er möge ins Schloß kommen, um seinen Lohn zu empfangen. Kaum hatte dieser das Schloß betreten, als er gefangen gesetzt und durch Foltern genötigt wurde, zu gestehen, daß er die Sultanstochter in seinem Hause beherberge. Während er noch gefangen lag, wurden Schiffe ausgesandt, man suchte die Jungfrau auf, ergriff sie und brachte sie trotz ihres Widerstrebens zu ihrem Vater zurück. Der junge Mann mußte sich mit seinem ganzen Gelde loskaufen, dann wurde er freigelassen und durfte nach Bordeaux zurückkehren. Als er seine Braut daheim nicht mehr vorfand, kehrte er sogleich nach Alexandrien zurück mit einer wunderschönen Stickerei, die ihm die Jungfrau selbst geschenkt hatte. Lange verweilte er dort, ohne jene zu Gesicht zu bekommen. Endlich gelang es ihm durch die Schlauheit seines Gastfreundes, den er in sein Geheimnis eingeweiht hatte, sie in ihrem Garten zu erblicken, und er wurde von ihr erkannt. Zwar wurde er bald wieder hinausgejagt, doch wartete er in der Stadt eine weitere Gelegenheit ab. Schließlich erhielt der Jüngling durch Bestechung der Wächter unter dem Vorwand, er wolle jene von ihr selbst gefertigte Handarbeit verkaufen, Eintritt ins Schloß; er konnte mit seiner Braut reden, und beide kamen überein, daß sie an einem bestimmten Feiertage ein Schiff bereithalten wollten, denn an keinem andern Tage würde sie Gelegenheit zur Flucht haben. Froh ging der junge Mann von dannen. Das Fest kam heran, aber nirgends war ein Schiff aufzutreiben. Schließlich ging er unter dem Jubel des Festes traurig zum Hafen, und, da nirgends ein Schiff zu sehen war, betete er unter Tränen: »O heiliger Nikolaus, wenigstens könntet Ihr mir das zurückerstatten, was ich aus Liebe zu Gott zur Ausbesserung Eurer Kirche gestiftet habe.« Und siehe, während er so weinend flehte, erblickte er plötzlich am Ausgange des Hafens ein fahrtbereites Schiff; er erfuhr, daß es nach Bordeaux segelte, machte den Fahrpreis aus und begab sich an den von der Jungfrau bezeichneten Ort. Das Mädchen kam beladen mit Edelsteinen und wunderbaren Schätzen, und beide wurden zur heimlichen Flucht in das Schiff aufgenommen. Als sie bei Bordeaux gelandet waren und alle Schätze an Land gebracht hatten, verschwand das Schiff ebenso plötzlich wie es gekommen war, und nach Vollziehung der Ehe lobten sie Gott und die heilige Jungfrau.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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