Ob es nun so war oder nicht, jedenfalls lebten vor langer Zeit ein Esel und ein Ochse. Im Laufe des Tages pflügte der Ochse so viel Boden um, wie ein anderer es nicht einmal in drei Tagen fertig gebracht hätte. Wenn der Abend kam, wurde er müde und erschöpft in seinen Stall geführt und bekam ein Bündel dürrer Sorghostengel vorgeworfen. Der Esel tat überhaupt nichts, lag von früh bis spät in der Sonne und ließ sich bescheinen. Man tränkte ihn mit Milch und fütterte ihn nicht mit Heu, sondern mit saftigem Klee. Eines Tages kehrte der Ochse von seinem Tagewerk heim. Vor Müdigkeit konnte er kaum noch die Beine heben. Er machte sich an seine dürren Stängel. Eine Weile kaute er, dann konnte er nicht mehr. „He, Ehrenwerter!“ wandte er sich an den Esel, „gib mir doch ein wenig von deinem Futter, ich kann diese Stängel schon nicht mehr hinunterwürgen!“ Dem Esel tat der Ochse leid, und er gab ihm von seinem saftigen Futter etwas ab. Da kam ihr Herr in den Stall und sah, dass der Esel anscheinend sein ganzes Futter aufgefressen hatte. „Schaut mal an, wie tüchtig mein Esel futtert!“ sagte er und warf ihm noch einen Armvoll Klee hin. Danach blickte er in den Trog des Ochsen und schimpfte: „Warum willst du, elendes Vieh, nicht fressen? Morgen brichst du nur zusammen – wer wird dann mein Feld pflügen? Doch nicht etwa deine Mutter?“ Er packte einen Knüppel und prügelte den Ochsen, dass dem der Staub aus dem Fell aufstieg. Von jenem Tage an gab der Esel dem Ochsen täglich einen Teil seiner Abendmahlzeit.
Eines Abends blickte ihr Herr in den Stall und sah den Ochsen das Futter des Esels fressen, während der daneben stand und ihn ermunterte: „Lasst es Euch schmecken, Verehrtester!“ Den Herrn packte die Wut, und er stürzte mit dem Knüppel über den Esel her. „Ach du neunmalkluger Esel! Bist wohl zu fett geworden? Vergeudest das Gut deines Herrn und gibst dem Tagedieb von Ochsen dein Futter! Na warte!“ Er verprügelte die beiden Freunde und ging davon.
Am nächsten Morgen sagte der Herr: „Also jetzt seid Ihr an der Reihe, Herr Esel! Los, es geht ans Pflügen!“ Er streifte dem Esel das Joch über und trieb ihn aufs Feld. Den ganzen Tag pflügte der Esel in Schweiß gebadet, der Ochse aber wärmte seinen Bauch in der Sonne. Am Abend band der Herr den Esel fest an die Stange des Ochsen und warf ihm ein Bund trockener Stängel vor. Dem Ochsen aber schüttete er Klee in den Trog. Da bettelte der Esel: „Hör mal, Freund! Als du hungrig warst, hatte ich Mitleid mit dir. Du siehst doch, wie es mir geht! Gib mir doch ein wenig von dem saftigen Klee!“ Den Ochsen aber übermannte der Geiz. „Du siehst doch, dass es mir selbst nicht reicht“, brummte er. „Wie soll ich dir da noch was abgeben?“ Der arme Esel musste sich mit seinem Los abfinden.
Nun spannte ihn der Herr jeden Tag in das Joch. Der Ochse, der noch vor kurzem so mager war, dass ihm die Rippen hervortraten, fraß sich satt und wurde fett, während der Esel abmagerte, dass er einem knorrigen Baumstumpf ähnlich sah. Als der Esel keine Kraft mehr hatte, sagte er zum Ochsen: „Was soll ich nun tun? Wie soll ich den Prügeln und Qualen entkommen? Unser Herr schlägt mich so, dass es auf meinem Fell keine heile Stelle mehr gibt!“ – „Wenn er dir morgen das Joch überstülpt, dann rühr dich nicht von der Stelle!“ riet der Ochse. „Unser Herr wird Mitleid bekommen und sagen: ‚Mein armer Esel ist übermüdet‘ und dich ausruhen lassen.“ Am Morgen spannte der Herr den Esel ins Joch, der aber rührte sich nicht von der Stelle. „Ach, so ist das!“ schrie der Herr und begann auf den Esel einzuschlagen. Der hielt es nicht mehr aus und schritt aus. Am Abend brachte ihn der Herr nach Hause und band ihn fest. Ganz erschöpft lag der Esel da und dachte: ‚Ich werde alles stehen- und liegenlassen und irgendwohin davongehen!‘ Er erhob sich und zerrte so an der Leine, dass diese riss, und er hinausrannte.
Soll der Esel weiter rennen, hört, was der Hahn erlebte. Ein geiziger Müller hielt einen Hahn und ein paar Hühner, gab ihnen aber niemals auch nur eine Handvoll Korn. Hahn und Hühner liefen im Hofe umher, pickten verschüttete Körner auf und lebten davon. Eines Tages trippelte der Hahn in die Mühle und begann Weizenkörner aufzupicken. „Husch, du freches Vieh!“ schrie der Müller und ging mit einem Stecken auf den Hahn los. Er schlug ihn so, dass der Hahn einen Purzelbaum machte und vor Schmerz aufschrie: „Kikeriki!“ Er flatterte über den Zaun und rannte aufs Geratewohl weiter. Da sah er den Esel auf dem Wege schreiten. Der Hahn grüßte ihn: „Salam, Esel!“ – „Salam!“ antwortete der Esel. „Hast du einen weiten Weg vor dir?“ – „Ich will nach Sussambil!“ – „Was ist das für ein Ort, dieses Sussambil?“ wollte der Esel wissen. „Das ist ein Ort, wo es Weiden mit klarem Wasser und dichtem Gras gibt und keiner den anderen bedrängt“, antwortete der Hahn. Sie gingen zu zweit weiter, klagten einander ihr Leid und erzählten sich ihre Geschichte.
Lange wanderten sie dahin, bis sie in die Steppe kamen. Wie sie so durch die Steppe wanderten, flog plötzlich eine Biene herbei und stach den Esel in den Hals. „Ach; du Biene!“ schimpfte der Esel. „Was hast du an mir schon zum Stechen gefunden? Mein Fett ist längst dahingeschwunden, alle Säfte sind vertrocknet, und mein Hals ist dürr wie ein Schilfhalm. Da kannst du stechen, soviel du willst, du wirst keinen Nutzen davon haben! Wahrscheinlich bist du genauso unglücklich wie wir. Wandern wir lieber zusammen weiter!“ – „Und wo wollt ihr hin?“ – „Nach Sussambil.“ – „Und was ist das für ein Ort, dieses Sussambil?“ – „Das ist ein Ort, wo es klares Wasser und dichtes Gras gibt.“ – „Dann will auch ich hinfliegen.“ – „Gut, fliege hin!“ – „Ich habe aber Freunde, kann ich sie rufen?“ – „Geh und hole sie!“ Da vernahmen der Esel und der Hahn ein lautes Dröhnen. Sie blickten um sich und sahen eine ganze Wolke aus Bienen. Zusammen mit dem Esel und dem Hahn setzten sie den Weg fort.
Sollen sie sich nach Sussambil begeben, hört jetzt von etwas anderem: In der Steppe lebten zwei Springmäuse, ein Männchen und ein Weibchen, die vor Hunger darbten. Tagtäglich legten sie auf ihrer Nahrungssuche weite Wege zurück, wühlten den Boden um und um, plagten sich ab und bekamen nicht einmal ein winziges Häufchen Körner zusammen. Eben an jenem Tage sagte der Springmäuserich zur Springmaus: „Gehen wir ein wenig auf den Weg, Alte! Vielleicht kommt zu unserem Glück jemand vorbei, und wir können von ihm etwas erbitten.“ Auf dem Weg sahen sie den Esel und den Hahn, gefolgt von einer Wolke aus Bienen einherschreiten. Die Springmäuse baten um ein Almosen. Der Hahn hielt inne und sagte: „Ihr scheint ebenso hungrig zu sein wie wir, Freunde, und streift umher, um euer Dasein kümmerlich zu fristen. Wenn ihr Nahrung erlangen wollt, dann kommt mit uns!“ – „Und wollt ihr weit wandern?“ fragten die Springmäuse. „Nach Sussambil.“ – „Und was ist das für ein Ort?“ – „Sussambil ist ein Ort, wo es Weiden mit klarem Wasser und mit dichtem Gras gibt.“ – „Dann wollen auch wir zusammen mit euch dorthin“, erklärten die Springmäuse.
Alle wanderten weiter. Plötzlich vernahmen sie aus der Ferne ein lautes Gebrüll. Sie blieben stehen und schauten sich um – es war der Ochse. Er kam gelaufen und verneigte sich vor allen. „Salam, wo wollt ihr hin?“ – „Wir wandern nach Sussambil.“ – „Und was ist dieses Sussambil für eine Gegend?“ – „Sussambil ist eine Gegend, wo es Weiden mit dichtem Gras und klarem Wasser gibt.“ – „Dann sind wir Weggenossen“, meinte der Ochse. „Was ist denn mit Ihnen geschehen, verehrter Ochse?“ erkundigte sich der Esel. „Als wir uns trennten, waren Sie doch satt und lebten im Überfluss?“ Da begann der Ochse zu erzählen: „Nach Eurem Weggang führte mich mein Herr zum Stierkampf. Ich besiegte den Stier und zwang ihn zu fliehen. Nun veranstaltete mein Herr noch einen Stierkampf. Auch den zweiten Stier besiegte ich, aber schon mit Mühe. Da dachte ich mir: ‚Es sieht schlimm aus! Man wird mir so lange Stiere anbringen, bis einer mich tötet!‘ Dann bin ich in meinem Stall eingeschlafen und hatte einen Traum. Mir war, als stände vor mir ein großer Stier und schnaubte: ‚Aha, jetzt habe ich dich erwischt und werde dich lehren!‘ Ich trat ein paar Schritte zurück und stieß so mit den Hörnern, dass der Stier aufheulte. Da wachte ich auf und sah meinen Herrn vor mir auf dem Boden liegen und die Beine zum Himmel strecken. Wie sich herausstellte, war er des Nachts in den Stall gekommen, um mir Futter hinzuwerfen, und ich hatte ihn im Schlaf mit den Hörnern gestoßen. Als er zu sich kam, band er mich an einem Pfosten fest und prügelte mich mit einem Stock, bis meine ganze Haut in Fetzen herunterhing. Bitter gekränkt, habe ich kein Wort gesagt und mich heimlich davongemacht.“
Ochse, Esel, Hahn und Springmäuse setzten ihren Weg zusammen fort, und die Bienen begleiteten sie.
So wanderten sie lange, lange dahin, bis sie endlich in Sussambil anlangten. Sie sahen einen herrlichen Talgrund mit reiner Luft und saftigem Gras. Melonen reiften, an Rebenranken hingen große Trauben, und an den Bäumen sah man Aprikosen, Äpfel, Birnen und alle Früchte, die man sich nur denken konnte. Gerste und Weizen füllten ihre Ähren, und auf der Wiese blühte Klee. Ringsum herrschte Überfluss. Unsere Wanderer blieben in Sussambil. Niemand schlug und beschimpfte sie. Der Ochse und der Hahn mähten Weizen, der Esel trug die Ernte auf seinem Rücken heim, und die Springmäuse brachten sie in der Scheune unter. Die Bienen sammelten Blumensaft und bereiteten Honig. Ochse, Esel, Hahn, Springmäuse und Bienen lebten froh und glücklich dahin und wussten von keinem Übel.
Mögen sie es sich wohl sein lassen, hört nun etwas anderes. Am Rande von Sussambil ragten Berge mit Schneegipfeln empor, und in diesen Bergen gab es viele Wölfe. Eines Tages versammelten sich die ältesten Wölfe bei ihrem König auf einem hohen Berg. Sie saßen da und klagten. Schlechte Zeiten waren gekommen, denn sie hatten in den Bergen alle wilden Ziegen aufgefressen und hungerten nun. Plötzlich sah der König der Wölfe aus der Höhe, wie der Ochse, der Esel und der Hahn über die Fluren von Sussambil schritten und Weizen mähten. „Oho“, sagte der König. „Seht mal dorthin – dort geht unser Schaschlyk spazieren!“ Die Wölfe sprangen auf, fletschten die Zähne und blickten hinab. Allen lief das Wasser im Maul zusammen. Da befahl der König: „Soll ein Dutzend tapferer Wölfe hinunterlaufen und den Schaschlyk zu uns herauf treiben!“
Auf einmal sprang ein prahlerischer Wolf hervor, schlug mit der Rute und bellte: „O großer König! Brauchen wir denn ein ganzes Dutzend Wölfe, um mit dem Esel, dem Ochsen und dem Hahn fertig zu werden? Erlaubt mir, dass ich allein hingehe und sie hierher jage!“ – „Was kannst du schon ausrichten!“ fiel ihm ein anderer Wolf ins Wort. „Ich mache das besser!“ Beide Wölfe gerieten aneinander und begannen sich zu beißen. „Schluss mit der Rauferei!“ schrie der König. „Ihr geht zu zweit, die übrigen sollen die Spieße vorbereiten und Feuer machen!“
Mit Freudengeheul stürzten sich die Wölfe ins Tal von Sussambil. „Iaah, iaah!“ schrie der Esel. „Wölfe kommen! Rette sich, wer kann!“ Schon wollte er davonrennen. „Kikeriki!“ rief der Hahn und flatterte dem Esel auf den Rücken. „Bleib stehen, du Feigling! Du verlässt dich auf deine kräftigen Beine!“ – „Was machen wir nun?“ klagte der Ochse. „Es sind viele Wölfe, und sie haben Zähne wie Eisen.“ – „Jetzt hört zu“, sagte der Hahn. „Der Ochse hat mächtige Hörner und wird mit ihnen stoßen. Der Esel hat harte Hufe und wird mit ihnen ausschlagen. Die Bienen haben spitze Stacheln und werden stechen, und die Springmäuse werden Löcher graben, damit die Wölfe stolpern!“ – „Und was wirst du machen, Schreihals?“ fragte der Esel, vor Angst zitternd. „Ich werde kommandieren. Kikeriki! Kikeriki!“
Schon waren die Wölfe da. „Du nimmst dir den dort“, sagte der eine zum anderen, wobei er auf den Esel wies, „und ich nehme mir den dort drüben.“ Er wies mit dem Kopf auf den Ochsen und stürzte dorthin. Der Ochse trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und stieß den Wolf so mit seinen Hörnern, dass der einen siebenfachen Purzelbaum schlug. Der andere Wolf sprang den Esel an, der drehte ihm sein Hinterteil zu und schlug mit beiden Beinen nach ihm aus, dass der Wolf davonflog, wobei er sich siebenmal überkugelte. Nun surrten die Bienen im Schwärm herbei und stachen die Wölfe in Nase, Augen und Zunge. Die Eindringlinge heulten jämmerlich auf und eilten in Todesangst dorthin, woher sie gekommen waren, gerieten aber auf Schritt und Tritt in die Erdlöcher der Springmäuse und brachen sich beinahe die Beine.
Inzwischen hatten die Wölfe in den Bergen in der Hoffnung, dass die tapferen Abgesandten ihres Königs den Ochsen und den Esel hertreiben würden, recht viele Spieße vorbereitet, Zwiebeln geschnippelt, sie mit Kümmel und Essig gewürzt und warteten. Plötzlich erblickten sie die beiden Prahlhänse blutig und mit verschwollenen Mäulern. „Was ist denn passiert!“ wollte der König wissen. „O großer König!“ jammerten beide. „Dort geht kein Schaschlyk spazieren, sondern mit Verlaub gesagt, der Wolfstod!“ Um die Wette erzählten sie, wie es ihnen ergangen war. „Das ist ein Unheil“, sagte der erste „Wolfsheld“. „Der Todesengel Asrail selber geht dort um und trägt in den Händen einen eisernen Dorn. Wenn er mit dem zustößt, überschlägt sich jeder siebenmal und fällt ohnmächtig zu Boden.“ – „Du hast ja nichts gesehen“, übertrumpfte ihn der zweite „Held“. „Sie haben einen Recken mit einer Stimme wie eine Posaune und Fäusten wie Eisen. Wenn der zuschlägt, macht man sieben Purzelbäume, erst dann steht man wieder auf!“ – „Nichts weißt du“, unterbrach ihn der erste Prahler. „Dort gibt es tollkühne Krieger, die stechen einen mit scharfen Piken, dass der ganze Körper zu jucken und unerträglich zu schmerzen beginnt.“ – „Und sie haben gleich ihre Totengräber mitgebracht“, schrie der zweite Prahlhans. „Wir waren noch gar nicht tot, da hatten sie für uns schon zehn Gräber geschaufelt, in die sind wir hineingeraten und hätten uns beinahe alle Beine gebrochen!“ Der erste unterbrach ihn: „Außerdem haben sie einen Trompeter, der ist auf einen Baum gestiegen und hat so schrill gelärmt, dass wir beinahe taub wurden!“ Die Wölfe erschraken allen Ernstes.
Auch ihr König verlor den Mut. „Was machen wir denn nun?“ meinte er. „Sollten wir nicht alle zusammen über sie herfallen?“ – „Nein, o König!“ heulten die Wölfe. „Das ist so ein Übel: Selbst wenn sich alle Wölfe der Welt zusammenrotten würden, könnten sie nichts ausrichten! Meint ihr etwa, es stände niemand hinter ihnen? Oh, sie haben unermessliche Streitkräfte hinter sich!“ – „Dann machen wir uns lieber von hier davon“, entschied der König der Wölfe und rannte so geschwind, dass man ihn kaum noch sah. In aller Hast warfen die Wölfe die Bratspieße und die mit Essig und Kümmel gewürzten Zwiebeln weg und flüchteten mit eingekniffenen Schwänzen in die Berge. In Sussambil blieb von ihnen keine Spur zurück, und unsere Freunde lebten von da an froh und ungestört.
Quelle:
(Usbekistan)