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Tangaly und Doso

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Es waren einmal zwei recht verschlagene Gesellen, die verstanden die Klügsten zu betrügen und die Weisesten zu hintergehen. Eines Tages lernten sie sich kennen. So geschah es. Tangaly schleppte einen Korb voll Bananen, den er gegen andere eßbare Sachen umtauschen wollte. Da traf er Doso, der Reis trug. Sie wechselten die Lasten und jeder zog mit seiner Bürde weiter. Zu Hause leerte Doso schleunigst seinen Korb; da sah er, daß nur obenauf sich eine Lage Bananen befand, der übrige Rest bestand aus Kehricht. Tangaly schüttete ebenfalls seinen Korb aus; bei ihm lag ein wenig Reis oben, und unter der dünnen Schicht fand sich nur leere Spreu. »Ich werde ihn totschlagen, wenn ich ihn wiedertreffe,« sagte Doso. »Der Kerl wird umgebracht, kommt er mir in den Weg,« meinte Tangaly. Schon am nächsten Tage begegneten sie sich; gerade wollten sie aufeinander losschlagen, als sie es doch für besser befanden, Freundschaft zu schließen; jeder fürchtete die Prügel des andern. Und da beide so verschlagen waren, verstand es sich von selbst, daß sie zusammen nun ihr Glück machen mußten. Bevor sie sich jedoch zusammentaten, wollte jeder erst einmal sein Heil allein versuchen.
Tangaly zog gen Norden und spielte den Narren; er ging im Zickzack, tänzelte bald auf einem, dann auf dem andern Bein; redete fortwährend wahllos Worte vor sich hin, die keinen Sinn hatten, und aus seinen Mundwinkeln ließ er den Speichel rinnen, als ob er krank wäre. Den Leuten, denen er begegnete, stellte er verrückte Fragen oder er hielt sie mit kindischen Reden fest. Schließlich traf er ein Paar, das ihm leicht hineinzulegen deuchte: die Frau trug ein herrliches Gewand, und ihr Gatte besaß ein prächtiges Steinschloßgewehr, das mit Kupfer beschlagen war; beide waren mit Muschel- und Glasperlenketten behängt. Tangaly stand am Wege, und als sie vorübergingen, fing er zu tanzen an; und das Ehepaar klappte in die Hände, um im Takte den Tanz des Narren zu begleiten; alles, was sie bei sich hatten, legten sie auf den Boden neben sich hin und waren recht vergnügt, daß sie bei solch angenehmer Unterhaltung im Schatten der Bäume ausruhen konnten. Es entspann sich eine Unterhaltung. »Mütterchen,« sagte Tangaly, »erlaubt mir, Euer Gewand anzulegen.« Im selben Augenblick ließ er den Speichel aus dem Munde laufen. »Väterchen, darf ich einmal mit deiner Büchse zielen?« Dabei machte er etliche groteske Sprünge, um einen Kriegstanz vorzugeben. »Mütterchen, deine Muschelketten sind wirklich prachtvoll!« Dabei nahm er die Muschelketten und band sie um den Kopf. Dann tanzte er, machte einige Schritte rückwärts, dann wieder vorwärts, legte die Sachen wieder hin und nahm sie wieder auf. Das Ehepaar vergnügte sich ungemein an dieser Aufführung; es lachte aus vollem Halse, bis Tangaly mit einemmal den Tanz abbrach und urplötzlich verschwand, so schnell, daß sie nicht einmal seinen Schatten mehr sehen konnten. Allein und ganz verblüfft blieben beide unterm Baume sitzen.
Doso begegnete dagegen einer alten Frau, die ein Kind auf dem Rücken trug. Doso stand an einer Wegeecke und spielte den kranken Mann. »Was machst du hier?« fragte die Alte. »Mütterchen, ich bin plötzlich krank geworden und warte nun auf jemand, um nicht allein zu gehen.« – »Ach! Doch schön, mein Kleiner und ich reisen ganz allein und suchen uns einen, der mit uns geht.« Sie machten sich alle drei auf den Weg, und nach einiger Zeit erklommen sie einen sehr steilen Berg. Die Alte, die schon an die fünfzig Jahre auf dem Buckel hatte, kam ganz außer Atem; sie ächzte und stöhnte, weil sie das Kind zu tragen hatte, und alle Augenblicke blieb sie stehen, um neue Kräfte zu schöpfen. »Mütterchen, Ihr werdet müde und quält Euch gar zu sehr ab,« sagte der Schalk, »gebt mir den Kleinen, ich will ihn tragen.« Rafotsibe hatte nur darauf gewartet und vertraute ihm den Kleinen sogleich an. »Gebt mir auch Euren großen Traggürtel her, damit ich ihn bequemer schleppen kann.« Doso war es jedoch nicht um den Gürtel zu tun, er wollte die Bürde stehlen. Rafotsibe gab ihn ohne Bedenken heraus. Nachdem sie eine Weile gegangen waren, kamen sie alle drei in ein Dorf; sie machten vor einem Hause Halt, um sich in dessen Schatten auszuruhen. Dann sorgte aber Doso dafür, daß die Alte schon vorher wieder aufbrach; sie wäre schon so alt, meinte er, und so müde, daß sie kaum allein den Weg machen könnte, und ihm würde es gar nichts ausmachen, selbst nicht mit seiner Bürde, sie wieder einzuholen. Die gutmütige Alte glaubte ihm und setzte sich in Bewegung, während Doso darauf mit dem Kind und dem Gürtel nach der andern Seite hin abzog.
Als die beiden Schelme sich wieder getroffen hatten, zeigte einer dem andern, was er erbeutet hatte, denn wie das Sprichwort sagt, macht man sich nicht die Mühe, in den Wald zu gehen, ohne wenigstens ein Stück Holz mitzunehmen. »Wer von uns hat den besseren Teil erwählt?« fragte Doso. »Hab ich’s, weil ich einen Menschen, oder du, weil du ein Gewehr mitgebracht hast?« – »Du hast besser als ich abgeschnitten,« antwortete Tangaly, »du hast ein Lebewesen bei dir, und das tauscht man nicht gegen eine Flinte ein.« – »Nun, legen wir unsere Siebensachen zusammen, wenn sie auch verschiedenen Wert haben, denn wie sagt das Sprichwort: was sich zusammengetan hat, kann man schlecht auseinanderbringen.« – »Na, na!« meinte Tangaly, »jeder mag doch lieber seine Sachen für sich behalten.« Hernach entschieden sie sich jedoch dafür, ihre Beute zusammenzutun und sie am Schluß ihrer Abenteuerfahrt zu teilen.
Wochenlang hörte man nun bald von nichts anderm im Lande als von den Diebereien und Betrügereien der beiden Burschen. Schließlich taten sich die Leute einer Landschaft zusammen, um die beiden, die zur Landplage geworden waren, totzuschlagen. Zunächst ergriff man den Tangaly, der dann in der Nacht desselben Tages noch seinen Wunden erlag. Doso dagegen hatte von dem Plan Wind bekommen und war ausgerückt, bevor sie ihn sich langen konnten. Er flüchtete in eine Höhle; doch alle Mühe, sich zu verbergen, war vergebens; man suchte gründlich, kehrte das unterste zu oberst; und schließlich entdeckten ihn seine Feinde, denen der Haß die Augen geschärft hatte. Sie nahmen ihn fest, setzten ihn in einen großen Korb und trafen Anstalten, ihn lebendig in den Fluß zu werfen. Doso flehte bei seinen Häschern vergeblich um Gnade, so bitterlich er bat und weinte, man möchte ihn doch frei lassen, niemand hatte mit ihm Mitleid. Hat ein Floh den Leuten das Blut abgezapft, sagt das Sprichwort, muß man ihn zerdrücken. Man war auf dem halben Wege zum Flusse, da starb unglücklicherweise plötzlich jemand im Dorfe; die Kunde wurde sogleich hinausgesandt, und die Menge mußte daraufhin sofort umkehren; Doso blieb in seinem Gefängnis eingesperrt. Da kam von ungefähr eine alte Frau, die einen Hammel verloren hatte, bei Doso vorüber; sie klagte und jammerte: »O, ich armes, geschlagenes Weib! Nun habe ich meinen schönen Hammel mit dem großen fetten Schwanz verloren!« – »Bäh! Bäh!« blökte da der Schalk im Korbe.
»Aha!« sagte die Alte, »da blökt ja mein lieber Hammel; gewiß hat ihn jemand gestohlen und in den Korb gesteckt!« Und sogleich löste sie die Bänder am Korbe und öffnete ihn. Kaum fühlte Doso sich frei, da machte er sich über die Alte her, sperrte sie ein und machte sich aus dem Staube. Diesmal erfuhr niemand, wo er sich in Sicherheit gebracht hatte. Den Vogel, den man aus dem Käfig läßt, pflegt man zu sagen, kann man nicht wiedergreifen. Die Menge kam wieder zurück und hob den Korb hoch, um ihn nach dem Flusse zu schleppen. Rafotsibe jammerte kläglich; sie sagte, sie wäre nur so von ungefähr da vorbeigekommen, als sie ihren Hammel suchte, da hätte der Kerl im Korbe sie angeführt, eingesperrt und den Korb am Wege stehen lassen. »Halt den Mund!« riefen die Leute, »schau, jetzt machst du eine alte Frau nach, aber wir lassen uns von dir keine Mätzchen mehr vormachen. Du entgehst deiner Strafe nicht!« Und – batsch – warfen sie den Korb in den Fluß. Die Alte ertrank, und die Leute gingen beruhigt in ihr Dorf heim.
Doso nahm sein Geschäft in weit entlegenen Landen wieder auf; er machte große Reisen und blieb, so erzählen die Baras, rund hundert Jahre fort. Große Schätze an Sklaven, Silber und Ochsen brachte er zusammen; er besaß so viel, daß niemand seinen Reichtum zu zählen vermochte. In der langen Zeit packte ihn nun wohl das Heimweh, und so kam er zurück. Vorm Dorfe sandte er jemand hinein, denn er getraute sich nicht, geradenwegs sich hin zu begeben, wo er so viel ausgefressen hatte. Der Bote bestellte dem Schulzen, daß Doso Heimweh bekommen hätte und nun untertänigst um Erlaubnis bäte, wieder ins Dorf kommen zu dürfen. Der Schulze erhob keine Einwände; er glaubte übrigens, daß es ein ganz anderer Doso war, und nicht der Schalk von dazumal, der schon lange, lange tot sein mußte, Doso war darob sehr zufrieden und hielt mit allen Reichtümern seinen Einzug ins Dorf; die Leute waren höchst überrascht; schließlich stimmten sie aber doch überein und sahen, daß es sich um den einstigen Dieb handelte. Doso stand im Mittelpunkt aller Gespräche im Dorfe, denn das Sprichwort sagt: »Reiche laden viel Neid auf sich.« – »Wo hast du nur alle diese Güter erwerben können?« fragten ihn die Alten des Dorfes. »Erinnert ihr euch noch daran, wie ihr mich in den Fluß geworfen habt? Schön! Da habe ich wundervolle Dinge erlebt. So etwas habe ich nie im ganzen Lande zu sehen bekommen. Da, im Wasser habe ich lange gelebt und alle meine Reichtümer sammeln können. Schaut euch meine roten Stoffe, meine Perlen, meine Glassachen an, dann die dicken, fetten Ochsen, meine jungen, kräftigen Sklaven und alle die vielen Dinge, die ich ja gar nicht aufzuzählen vermag!« – »Wo, sagst du, hast du denn gewohnt?« unterbrachen ihn die Leute. – »Im Flusse, sage ich euch, da im Wasser habe ich dies alles gefunden!« – »Da wollen wir auch hingehen, alle zusammen!« riefen die törichten Kerle, »und wollen ordentlich reich werden!« – »Wir wollen große Körbe flechten,« schrien die alten Weiber, »unsere Kinder hineinstecken und sie in den Fluß hinablassen, damit sie dort Geld und Güter aller Art sammeln können.« – »Bedenkt aber wohl,« meinte Doso, »daß man sehr lange im Wasser bleiben muß.« – »Alles ist wohl bedacht! Spätestens bis Neumond werden wir alle ins Wasser hinabgestiegen sein.« Und bis zum Neumond unterhielt man sich über nichts anderes als die Abenteuer des Doso. Bis der Tag da war, machten die Frauen nur Körbe. Und eines Morgens versammelte sich alles am Ufer, denn alle Männer wollten gemeinsam ausziehen, um die Reichtümer zu suchen. Einen nach dem andern warf man in den Fluß, und man hörte nichts als das Aufklatschen der Leiber im Wasser: »Batsch! Platsch! Batsch!« – »Hoffentlich könnt ihr die vielen Dinge auch alle schleppen!« sagten die einen. »Nehmt nur das Beste!« sagten andere. Eine Woche war seit dem Bade der Männer verstrichen, und keiner war bislang heimgekehrt. Ach, die Toten kommen nicht wieder! Unruhe quälte die Frauen. Da sprach Doso zu ihnen: »Absteigen ist das Gegenteil von Aufsteigen; eure Männer kommen nie wieder an die Oberfläche; ihre Leichen liegen auf dem Grunde des Flusses, Tote erwachen nicht wieder. Bildet ihr euch etwa ein, ihr hättet mich vordem vielleicht in den Fluß geworfen? Vortrefflich, das Schicksal hatte mit mir Besseres vor, ich kam nicht um; ein altes Mütterchen, die Frau, die ihren Hammel verloren hatte, habt ihr statt meiner hineingeworfen. Ihr seid ja horndumm gewesen, wenn ihr wirklich glaubtet, daß es außer Moder, Steinen und Fischen noch andere Dinge im Wasser gibt. Gebt nur die Hoffnung auf, jemals etwas von euren Männern wiederzusehen; ihr Leben ist abgeschlossen, ihre Zeit ist abgelaufen. Und da sich mit den Toten schlechterdings nichts anfangen läßt, so will ich euch fortan den Vater, den Gatten, den Sohn ersetzen.« Bei diesen Worten waren die Leute wie auf den Mund geschlagen; die Frauen fielen in Ohnmacht, die Kinder heulten und schluchzten. Aber was sollten sie anfangen? Sie standen allein; durch eigene Schuld und Dummheit hatten sie ihre teuren Lieben verloren. Alle mußten sich bescheiden und nun unter der Herrschaft des Doso ihr trauriges Leben – weiterleben.

[Paul Hambruch, Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde, Märchen der Welt]

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