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Märchenbasar

Tauwautschiheskwä oder die weiße Feder

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Ein alter Mann, der seine Hütte tief in der Wildnis des Waldes aufgeschlagen hatte, nahm, um etwas Unterhaltung zu haben, einen kleinen Knaben zu sich, der Tauwautschiheskwä hieß und dessen Eltern und Geschwister von sechs großen Riesen umgebracht worden waren. Sobald dieser richtig laufen konnte, machte er ihm Pfeil und Bogen und schickte ihn auf die Jagd.

Das erste, was der Knabe sah, war ein kleines Kaninchen, und da er nicht wußte, was es für ein Tier war, lief er schnell nach Hause zu seinem Großvater, wie er den alten Jäger nannte, und beschrieb es ihm. Dieser sagte ihm nun dessen Namen und daß es einen guten Leckerbissen abgäbe. Kaum hatte der Kleine dies gehört, so eilte er wieder in den Wald hinaus, fand auch glücklich das Kaninchen noch und tötete es. Der Großvater freute sich ungemein darüber, kochte es und gab ihm die besten Stücke davon, um ihn dadurch zum fleißigen Jagen anzuspornen.
So wurde der Knabe mit der Zeit auch wirklich ein recht tüchtiger Jäger. Aber dieses einsame Leben kam ihm doch ein wenig zu langweilig vor, und er hatte zu gern gewußt, was denn eigentlich sonst in der Welt vorging.
Nun fand er eines Tages einige Zeltstangen und Aschenhaufen auf einer Prärie verstreut umherliegen, und da er nicht wußte, wie diese Gegenstände dahin gekommen waren, so ging er nach Hause und erzählte es seinem Großvater.
»Du mußt dich geirrt haben, mein Enkel«, sagte dieser, »denn wo sollten diese Dinge herkommen? Es wohnt ja niemand hier in der Gegend.«
Um sich nun noch einmal zu überzeugen, daß er jene Sachen doch richtig gesehen habe, ging er gleich wieder zurück, und eine Stimme rief ihm auf dem Weg zu: »Komm her, mein Sohn, denn du bist der erwählte Träger der weißen Feder, die dich zum berühmten Mann machen wird. Du bist ihrer würdig und sollst sie auch erhalten. Geh jetzt wieder zurück in deine Hütte, und lege dich eine Weile nieder. Dann wirst du im Traum eine Stimme hören, die dir befehlen wird, aufzustehen und zu rauchen. Pfeife, Tabak und auch die weiße Feder wirst du neben dir finden. Wenn du mit letzterer deinen Kopf schmückst, so wirst du ein großer Jäger, ein gefürchteter Krieger – überhaupt ein Mann von vielen außergewöhnlichen Eigenschaften werden.
Zum Beweis, daß es mit dieser Prophezeiung seine Richtigkeit hat, wird sich gleich der Rauch deiner Pfeife in zahllose Hühnerschwärme verwandeln. Auch werde ich dir eine unsichtbare Weinrebe geben, die von deinen toten Eltern kommt, deren Ermordung du damit rächen kannst. Sobald du nämlich einem deiner Feinde begegnest, mußt du mit ihm um die Wette laufen und ihm dabei die Rebe vor die Füße werfen, in die er sich dann so verwickeln wird, daß er in deine Hände fällt.«
Der junge Mann sah sich um und gewahrte einen merkwürdigen Menschen vor sich – den ersten, den er überhaupt außer seinem Großvater gesehen hatte. Dieser sah sehr alt aus und kam ihm wie ein Baummensch vor, denn er schien ganz aus Holz gemacht zu sein und mit den Füßen in der Erde zu wurzeln.
Darauf ging er nach Hause, schlief und träumte und fand beim Erwachen die betreffenden Artikel neben sich. Sein Großvater wußte gar nicht, was er dazu sagen sollte, als er seinen Enkel auf einmal mit einer großen weißen Feder auf dem Kopf erblickte und den Rauch seiner Pfeife sich in unzählige Hühnerscharen verwandeln sah.
Am anderen Morgen reiste nun der junge Mann ab, um seine Feinde, die in der Mitte eines dichten Waldes wohnten, aufzusuchen. Sein Besuch wurde diesen jedoch durch kleine Luftgeister, die ihm vorausgeeilt waren, vorher angezeigt, und als er nach einer beschwerlichen Reise endlich ankam, standen sie alle sechs vor der Tür und riefen höhnisch: »Seht, da kommt ja der kleine Knirps mit der weißen Feder, der so große Wunder tun will. Doch er ist ein braver und ehrlicher Mann, und wir müssen ihn schonend behandeln!«
Tauwautschiheskwä ging furchtlos zu ihnen hin und bot ihnen einen Wettlauf an. Sie nahmen dieses Angebot auch bereitwilligst an; es wurde das Ziel bestimmt, und wer zurückbleibe, müsse sich gefallen lassen, vom anderen mit einer Keule zerschmettert zu werden.
Der kleinste der Riesen machte den Anfang und verlor, da ihn die unsichtbare Weinrebe zu sehr hemmte. Tauwautschiheskwä schlug ihm den Kopf ein, zog die Haut davon ab und brachte sie seinem Großvater. Die nächsten vier erlebten dasselbe Schicksal. Nun war noch einer zu besiegen, und das war der stärkste der Riesen.
Als darauf Tauwautschiheskwä zum letzten Wettlauf auszog, begegnete ihm sein alter baumähnlicher Schutzgeist wieder und sagte: »Mein lieber Sohn, man will dich betrügen. Es wird dir nämlich die schönste Frau der Welt entgegenkommen und dich zu verführen suchen. Verwandle dich daher in einen Büffel, und kümmere dich nicht im geringsten um sie.«
Kurz danach erschien diese auch wirklich. Tauwautschiheskwä tat, wie ihm geraten war.
»Ach«, seufzte sie darauf, »warum trittst du mir so plötzlich in Büffelgestalt entgegen? Bin ich doch viele Tage und Nächte gewandert, um zu dir zu kommen und deine Frau zu werden!«
Diese Frau war nämlich der sechste Riese, was aber Tauwautschiheskwä nicht im entferntesten ahnte; denn ihre Gestalt war wirklich so überaus reizend und anmutig, daß er darob die Mahnung gänzlich vergaß und sich so schnell, wie er nur konnte, die natürliche Gestalt wiedergab. Dann setzte er sich traulich zu ihr, legte seinen Kopf auf ihren Schoß und schlief ein.
Wie er nun so recht fest im Schlaf war, zog die Schöne ein verborgenes Messer aus der Tasche und schnitt ihm den Kopf ab. Dann nahm sie die weiße Feder, verwandelte den toten Körper in einen Hund und sich selbst wieder in einen Riesen. –
Nun lebten nicht weit davon in einem Dorf zwei Schwestern, Töchter eines berühmten Chiefs, die seit langer Zeit alles aufgeboten hatten, den Träger der weißen Feder zu einem Besuch zu bewegen. Jede hatte sich schon eine besondere Hütte gebaut und allerlei Höflichkeiten, Anstandsregeln und Liebenswürdigkeiten einstudiert, um das Herz Tauwautschiheskwäs zu gewinnen. Dies wußte der schlaue Riese, und da er jetzt Eigentümer der berühmten weißen Feder war, kündigte er sein baldiges Erscheinen an.
Als dies die älteste Schwester hörte, schmückte sie ihren Wigwam so auffallend aus, wie sie nur konnte; die jüngere aber hielt den erwarteten Gast für einen Mann von vernünftigen Ansichten und ließ daher den ihrigen in seinem gewöhnlichen Zustand. Auch ging sie ihm nicht entgegen wie ihre Schwester, die er jedoch, ganz ihren Erwartungen zuwider, zu seinem Weib machte. Damit sie nun nicht allein sei, lockte sie den herumirrenden Hund in ihren Wigwam, machte ihm dort ein weiches Lager und behandelte ihn so sorgfältig und aufmerksam, als ob er ihr Gemahl wäre.
Einst war der Riese auf die Jagd gegangen und glaubte wunder, was er für großes Glück haben werde, da er die weiße Feder besäße. Aber er irrte sich gewaltig, denn er brachte auch rein gar nichts nach Hause. Der Hund aber wußte für seinen Teil schon besseren Rat; er lief nämlich einfach ins Wasser und holte einen Stein heraus, der, sobald er ihn am Ufer niederlegte, zu einem wohlgenährten Biber wurde.
Dies hatte aber der Riese heimlich bemerkt, und als der Hund wieder weg war, holte er ebenfalls einen Stein aus dem Wasser, der auch, sobald er ihn fallen ließ, zu seiner größten Freude zum Biber wurde. Fröhlich ging er damit nach Hause, legte ihn vor die Tür und befahl seiner Frau, ihn hereinzuholen. Diese erstaunte aber nicht wenig, als sie statt eines Bibers nur einen dicken Stein fand.
Am anderen Tag ging der Hund, der inzwischen bemerkt hatte, daß seine Methode des Biberfangs entdeckt worden war, tief in den Wald und riß die Rinde eines abgebrannten Baumes ab, woraus augenblicklich ein Schwarzer Bär wurde.
Doch der Riese hatte wieder heimlicherweise zugesehen, versuchte es nun auch und hatte ebenfalls Erfolg damit. Als er aber wieder zu Hause ankam und das Tier ablegte, fand sich’s, daß es doch nur verbrannte Rinde war. Dies ärgerte nun seine Frau schmählich, und ärgerlich lief sie wieder zurück zu ihrem Vater und erzählte ihm, was für einen dummen Gemahl sie habe.
Als sie ein paar Tage weg war, machte der Hund seiner Wirtin verständlich, daß er ein Schwitzbad nehmen wolle, wie das bei jungen Leuten der Brauch ist. Gleich machte sie ihm eine Höhle, legte heiße Steine hinein, tröpfelte Wasser darauf und setzte ihren geliebten Hund hinein. Doch als sie ihn danach wieder herausziehen wollte, sah sie, daß er zu einem prächtigen jungen Manne geworden war, der aber leider nicht sprechen konnte.
Da die ältere Schwester ihrem Vater auch von jenem merkwürdigen Hund erzählt hatte, dachte der Alte, dieser sei ohne Zweifel verzaubert, und er schickte gleich einige Leute hinaus, um ihn mitsamt der Tochter zu holen.
Diese gingen weg, brachten aber statt des Hundes einen schönen Jüngling mit. Nun wurde eine große Versammlung von allen alten und klugen Leuten abgehalten, und jeder war neugierig, wie sich diese außergewöhnliche Geschichte aufklären würde.
Auch der Riese erschien bei jener Ratsversammlung. Als nun der junge Mann die weiße Feder auf seinem Kopf erblickte, gab er ein Zeichen, sie ihm aufzustecken, was denn auch augenblicklich geschah, und gleich darauf erhielt er die Gabe der Sprache wieder, erzählte seine Geschichte und rauchte seine medizinene Pfeife dabei, deren Rauch sich wieder wie ehedem in große Hühnerschwärme verwandelte. Danach verwandelte er den Riesen in einen Hund und ließ ihn von den Knaben des Dorfes zur allgemeinen Belustigung totprügeln.
Dann mußten alle jungen Leute vier Tage lang nichts tun als Pfeile machen, und als sie fertig waren, nahm Tauwautschiheskwä eine Büffelhaut, zerschnitt sie und säte die Stücke auf die Prärie. Augenblicklich wurden fette Büffel und sonstige Tiere daraus, und eine allgemeine Jagd begann. Noch nie hatten die Leute soviel Wild erlegt wie an jenem Tag.
Danach bat Tauwautschiheskwä seinen Schwiegervater um die Erlaubnis, seinen alten Vater zu besuchen, was ihm dieser auch gewährte, worauf er mit seiner Frau abreiste.

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas

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