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Thorstein, der Königssohn

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Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reiche. Sie hatten einen Sohn, der Thorstein hieß. Derselbe wuchs frühzeitig zu einem großen, starken Manne heran. Alle Leute hatten ihn herzlich lieb wegen seiner Güte und seiner Wohlthätigkeit. Allein seine Freigebigkeit schien doch alles Maß zu überschreiten und seine Mutter tadelte ihn deshalb oft auf das Schärfste wegen dieser Verschwendung und suchte derselben mit aller Macht zu steuern; aber er blieb doch bei seiner angenommenen Art, und gab, soviel er nur konnte.
Als seine Mutter starb, dachte er, daß er nun seine Freigebigkeit unbehindert werde ausüben können, und war sehr glücklich darüber, daß er nicht länger mehr ihre Vorwürfe anzuhören brauchte. Er war auch vollkommen davon überzeugt, daß sein Vater in dieser Beziehung derselben Ansicht sei, da derselbe ihm niemals Vorwürfe hierüber gemacht hatte. Es kam jedoch anders. Der König begann jetzt gleichfalls, ihn wegen seiner übermäßigen Freigebigkeit zu tadeln und versuchte ihm vorzustellen, wie unklug eine solche Verschwendung sei und wie er durch dieselbe endlich ganz verarmen werde. Aber da halfen weder Tadel noch Vorstellungen; Thorstein blieb derselbe, der er früher war, und schenkte Alles weg, wenn er etwas hatte.
Nun starb auch sein Vater. Da hatte seine Freude keine Grenzen, als er allein über alles Gut schalten und walten konnte. Er beschenkte jeden mit Geld, der solches haben wollte, und es wurden deren ziemlich viel, so daß der Reichthum, den er von seinem Vater geerbt hatte, bald zu schwinden begann, obschon derselbe sehr groß war.
Wir brauchen nicht viele Worte zu verlieren: es ging bald Thorstein’s ganze Habe darauf, so daß ihm schließlich nichts mehr übrig blieb als das bloße Königreich. Da wollte er zuletzt das Reich verkaufen, um dafür Geld auf die Hand zu bekommen, welches er verschenken könnte. Er fand auch wirklich einen Käufer und bekam ein mit Gold und Silber beladenes Pferd für das Reich.
Als Thorstein das Reich verkauft hatte, begannen seine Freunde allmählich zu verschwinden; denn sie sahen, daß es hier nichts mehr für sie zu holen gebe. Nun kam Thorstein freilich zur Einsicht, in welch‘ traurige Lage er gerathen sei, und er beschloß, diese ungetreuen Freunde zu verlassen.
Er machte sich mit Allem, was er hatte, auf und lud seine geringe Habe einem Pferde auf den Rücken; er selber ritt seinen Rothen. Er hatte dieses Pferd nie verkaufen wollen wegen der guten Eigenschaften, die es besaß.
Thorstein wanderte nun lange, lange dahin über öde Strecken und Haiden, ohne zu wissen, wo er war, oder sich zu kümmern, wohin er kam. Er ließ die Pferde grasen, wo er in diesen öden Gegenden Rasen fand, sonst aber hielt er sich nirgends auf.
Als er einmal wieder die Pferde rasten ließ, war er sehr traurig; er hielt es für beinahe gewiß, daß er auf dieser Reise sein Leben verlieren werde. Zugleich sah er aber auch ein, daß ihm nichts Anderes übrig bleibe, als weiter zu wandern.
Als er wieder eine Strecke weitergeritten war, stieß er auf ein Gehöft und war darüber sehr erfreut, da er so unendlich lange keinen Menschen gesehen hatte. Er bat um die Erlaubniß, hier über Nacht bleiben zu dürfen, und sie wurde ihm auch ohne Weiteres gegeben.
Thorstein schlief nun hier die Nacht über; als er aber des Morgens erwachte, waren alle Leute vom Gehöft verschwunden. Er war darüber nicht wenig verwundert und dachte sich natürlich, daß hier irgend ein Betrug dahinter stecken müsse. Er machte sich deshalb auf die Beine und lief aus dem Hause.
Da sah er, wie der Bauer mit allen seinen Hausleuten auf das Eifrigste im Begriffe war, einen Grabhügel nicht weit vom Gehöft aufzugraben.
Thorstein fragte den Bauern, warum er sich denn so sonderbar geberde, und war halb erstaunt, diese Verwüstung zu sehen.
Der Bauer antwortete, er habe seinen guten Grund dazu, denn in dem Hügel liege ein Mann begraben, welcher ihm zweihundert Reichsthaler schuldig gewesen sei und dieselben nicht zurückbezahlt habe.
Der Königssohn versuchte dem Bauern vorzustellen, daß er auf diese Weise doch niemals zu seinem Gelde kommen werde, sondern eher noch mehr Schaden erleide, indem er durch dieses thörichte Vorgehen nur Zeit verliere.
Der Bauer aber entgegnete, das sei ihm gleichgiltig; er sei zufrieden, wenn der Todte im Grabe keine Ruhe habe, und werde daher sein Leben lang nicht aufhören, dasselbe zu thun wie heute.
Da fragte ihn der Königssohn, ob er sich damit zufrieden geben wolle, wenn ein anderer ihm die Schuld des todten Mannes zurückbezahlen würde.
Der Bauer sagte »Ja«.
Da schenkte ihm der Königssohn sein ganzes Geld.
Der Bauer hörte jetzt auf, das Grab zu zerstören und versprach, dies auch in Zukunft nicht mehr zu thun.
Der Königssohn bat hierauf den Bauern, er möchte ihm einen Weg zeigen, auf dem er in bewohnte Gegenden käme, wo sich viele Menschen aufhielten.
Der Bauer that dies und sagte, wenn er eine Weile auf dem Wege, der von seinem Hofe wegführe, dahin gegangen sei, werde er zu einer Wegkreuzung kommen; er solle dann nicht den Weg, der gegen Osten liege, einschlagen, sondern den andern.
Der Königssohn dankte ihm für diese Auskunft und ritt weiter. Als er zu der Wegkreuzung kam, nahm er den Weg, der gegen Westen lag. Er war aber noch nicht weit auf demselben dahingeritten, als er sich dachte, es müsse ganz lustig sein, zu erfahren, ob es denn mit irgend einer Gefahr verbunden sei, auf dem anderen Weg zu reisen.
Er kehrte nun zur Kreuzung zurück; und ritt auf dem östlichen Wege weiter, bis er zu einem prächtigen Hofe kam, der von allen Seiten theils von der Natur, theils von Menschenhand abgeschlossen und befestigt war. Er fand jedoch einen schmalen Fußsteig, welcher zu dem Hofe führte, ließ die Pferde zurück und ging dem Hofe zu.
Er kam zunächst zu einem Hause und trat ein; denn dasselbe war nicht verschlossen; kein Mensch aber war draußen zu sehen. In dem Hause befanden sich sieben Betten, die alle sehr schön waren; doch war eines von besonderer Pracht. In der Mitte stand dem ganzen Hause entlang ein Tisch und auf diesem befanden sich Teller. Aber auch hier erblickte Thorstein keinen Menschen. Er verließ das Haus wieder, um nach seinen Pferden zu sehen; denn er gedachte hier zu übernachten, obschon ihm dies ziemlich gefährlich erschien. Er nahm den Pferden die Sättel ab und ließ sie grasen. Hierauf holte er sich das Nöthige aus seinem Reisegepäck hervor und nahm auch sein Schwert mit sich, welches nächst dem Rothen sein kostbarstes Kleinod war.
Hierauf kehrte er wieder zu dem Hofe zurück und ging nun in jedes Haus, in welches er eintreten konnte. In einem derselben fand er einen Vorrath an Speisen. Er nahm Einiges davon und gab auf jeden Teller auf dem Tische eine ausgiebige Portion; sodann bereitete er alle Betten mit großer Sorgfalt. Obgleich er glaubte, daß er nun auch sich selbst Ruhe gönnen dürfe, wagte er es doch nicht, von einem Bette Gebrauch zu machen, sondern suchte sich einen finstern Winkel aus, um dort zu ruhen.
Nach einer Weile hörte Thorstein ein starkes unterirdisches Gedröhn; bald wurde auch die Thüre aufgestoßen, und es trat Jemand mit starken Schritten ein. Da hörte Thorstein, wie Jemand sagte:
»Es ist Jemand hieher gekommen. Dem wollen wir die Zeit vertreiben.«
Ein Anderer sagte darauf:
»Das soll nicht geschehen; ich nehme ihn in meinen Schutz. Ich habe hier so viel zu sagen, daß ich über das Leben eines Mannes verfügen kann. Er hat sich uns aus freiem Antriebe dienstfertig bezeigt, hat unsere Betten bereitet, Speisen aufgetragen und Alles wohl gethan. Wenn er sich zeigt, soll ihm kein Leid zugefügt werden.«
Bei diesen Worten lebte der Königssohn, der schon das Schlimmste befürchtete, wieder neu auf und beruhigte sich. Die Bursche schienen ihm ziemlich groß zu sein und eher Riesen als Menschen ähnlich zu sehen; besonders der Anführer war ein ungemein großer und starker Riese.
Thorstein blieb bei ihnen über Nacht. Des Morgens luden ihn die beiden ein, er möge eine Woche lang bei ihnen bleiben. Sie sagten zugleich, daß er nichts Anderes zu thun haben sollte, als die Speisen für sie zu bereiten und die Betten zu machen. Thorstein ging darauf ein und blieb eine Woche lang dort.
Da die Eigenthümer des Hofes mit Thorstein sehr zufrieden waren, drangen sie in ihn, daß er noch ein Jahr lang bei ihnen bleibe, und obwohl ihm der Aufenthalt dort ziemlich langweilig erschien, ließ er sich doch dazu bewegen.
Der große Riese versprach Thorstein reichlichen Lohn und übergab ihm alle Schlüssel des Hofes bis auf einen. Diesen trug der Riese selbst immer an einer Schnur um den Hals.
Der Königssohn ging nun in alle Zimmer des Hofes mit Ausnahme des einen, zu welchem ihm der Riese den Schlüssel vorenthalten hatte; denn von all‘ den Schlüsseln, welche Thorstein besaß, paßte keiner zu der Thüre dieses Zimmers. Er versuchte auch, die Thüre aufzusprengen; allein es gelang ihm nicht.
Später bemerkte Thorstein, daß der große Riese jeden Abend und jeden Morgen in dieses Zimmer gehe. Als er schon länger auf dem Hofe war, fragte er denselben, warum er ihm zu allen Zimmern die Schlüssel gegeben habe, nur nicht zu diesem einen. Sei er in dem, was ihm bis jetzt anvertraut worden, treu gewesen, sagte er, so werde er es auch in dem sein, was sich in diesem Zimmer befinde.
Der Riese antwortete, es sei gar nichts dahinter. Er möge dies wissen; denn er sehe, daß er ihm treu gewesen sei, wo es sich um Großes handelte. Und damit fertigte er Thorstein ab.
Der Königssohn blieb volle vier Jahre in Ruhe auf dem Hofe und bekam dafür sehr reichlichen Lohn; denn die beiden Riesen waren von Tag zu Tag zufriedener mit ihm. Was ihn aber am Meisten bewog, so lange hier zu bleiben, war, daß er beständig auf eine Gelegenheit wartete, um dahinter zu kommen, ob sich wirklich gar nichts in dem geheimnißvollen Zimmer befinde.
Eines Morgens, als er mit der Bereitung von Kuchen beschäftigt war, dachte er wieder über diesen Gegenstand nach. Da kam ihm ein Gedanke. Er schlich zu der Hausthüre des Hofes, schlug heftig an dieselbe und lief hierauf aus allen Leibeskräften zu den Riesen, welche noch im Bette lagen; ganz erschreckt und mit dem Kuchenteige in der Hand, den er geknetet hatte, fragte er, ob sie nichts gehört hätten.
Sie sagten, daß sie wohl etwas gehört hätten, jedoch glaubten, daß er bei seiner Arbeit irgend einen Lärm gemacht habe.
Thorstein entgegnete, daß dies durchaus nicht der Fall sei, und fügte hinzu, er habe es nicht gewagt die Thüre zu öffnen; aber es habe ganz bestimmt Jemand geklopft.
Die Riesen sagten, er hätte gut daran gethan, die Thüre nicht aufzuschließen, und erhoben sich nun selbst aus ihren Betten und liefen nur halb angekleidet zur Thüre.
Der größere Riese hatte aber den Schlüssel zu dem geheimnißvollen Zimmer unter seinem Kopfkissen, wo er ihn die Nacht über zu verwahren pflegte, liegen gelassen, und Thorstein drückte denselben rasch in seinem Kuchenteige ab.
Die Riesen kamen nun wieder zurück und waren nicht wenig aufgebracht; denn sie hatten ja, wie sie vorausgesehen, Niemand vor der Thür gefunden. Sie warfen Thorstein vor, daß er dies nur gesagt habe, um sie zum Besten zu halten; er aber gab dies durchaus nicht zu, sondern sagte, es müsse dann irgend ein Geist gewesen sein.
Der Königssohn begann alsbald zu versuchen, ob er nicht nach dem Muster im Kuchenteige einen Schlüssel verfertigen könne. Anfangs wollte es ihm nicht gelingen; aber nach langer Mühe brachte er ihn doch zu Stande.
Er schloß nun die verbotene Thüre auf und trat in das Zimmer; dasselbe war jedoch stockfinster. Er zündete ein Licht an und blickte nach allen Seiten umher. Da sah er ein Mädchen, welches mit den Haaren angebunden war. Er beeilte sich zunächst, dasselbe loszubinden und fragte es sodann um Herkunft und Geschlecht.
Das Mädchen erzählte, daß es eine Königstochter sei, welche der große Riese entführt habe und zwingen wolle, daß sie sein Weib werde. Da es sich mit aller Macht dagegen sträube, peinige es der Riese auf so gräßliche Weise.
Die Aermste war bereits so mager geworden, daß sie fast nur aus Haut und Knochen bestand; denn der Riese ließ sie auch Hunger leiden.
Der Königssohn gab ihr Speise und tröstete sie. Als es Abend wurde, band er sie wieder mit den Haaren fest. Er besuchte sie nun jeden Tag und gab ihr hinreichend zu essen; des Abends aber befestigte er sie immer an den Haaren, so daß der Riese nichts merkte und nicht die geringste Ahnung davon hatte, was während des Tages vorgegangen.
Als nun auch das fünfte Jahr verstrichen war, sagte Thorstein zu den Riesen, daß er endlich fort wolle. Allein dieselben wollten ihn um jeden Preis noch auf dem Hofe zurückhalten.
Da verlangte Thorstein von dem großen Riesen, daß er ihm, wenn er noch ein Jahr bliebe, dasjenige als Lohn gebe, was sich in dem Zimmer befinde, in welches er noch nicht gekommen sei, ob dasselbe nun einen großen oder geringen Werth habe.
Der Riese sagte, er sollte doch nicht Etwas verlangen, was ganz werthlos sei; es sei viel besser, wenn er seinen gewöhnlichen Jahreslohn erhalte.
Aber der Königssohn ließ sich von seinem Verlangen nicht abbringen; er sagte, es möge ihm seinetwegen zum Schaden oder zum Vortheil sein, er wolle einmal nichts Anderes zum Lohne haben, als dies. Sie zankten sich darüber so lange herum, bis endlich der Riese nachgab und Thorstein versprach, sein Verlangen zu erfüllen.
Es braucht wohl nicht erst erzählt zu werden, wie sich Thorstein während dieses Jahres gegen die Königstochter benahm. Als das Jahr um war, schloß der Riese das Zimmer auf; denn der Königssohn ließ sich jetzt nicht mehr bewegen, länger hier zu bleiben. Der Riese kam mit dem Mädchen heraus und zeigte sich nicht wenig erstaunt, daß dasselbe so wohl genährt war; doch legte er der Sache weiter kein Gewicht bei, sondern übergab Thorstein das Mädchen.
Thorstein rüstete sich nun zur Abreise, holte seine Pferde herbei, für die er die ganze Zeit Sorge getragen hatte, und brachte sein Gepäck in Ordnung. Mit dem fünfjährigen Lohne war aber das letztere so groß geworden, daß er glaubte, er werde nicht das Ganze mitnehmen können.
Die Königstochter sagte Thorstein, er möchte auf seiner Hut sein, denn die Riesen hätten vor, ihn auf dem Wege zu erschlagen. Er nahm deshalb sein gutes Schwert in die Hand und legte seine Kriegsrüstung an.
Es geschah so, wie die Königstochter gesagt hatte. Sie hatten nur eine kurze Strecke des Weges zurückgelegt, als drei Riesen auf sie zukamen und Thorstein angriffen; dieser wehrte sich jedoch tapfer und tödtete alle drei. Während er noch ganz erschöpft war, kamen zwei andere Riesen herbei, und es gelang Thorstein auch diese todt niederzustrecken. Aber nun kamen noch zwei andere nach und zwar der große Riese selbst mit seinem Bruder. Dieselben gingen wüthend auf Thorstein los; doch dieser brachte alsbald den Bruder des Riesen zu Fall. Darüber wurde der Riese selbst ganz rasend, er warf die Waffen weg, stürzte sich auf den Königssohn und begann mit ihm zu ringen. Diesmal konnte Thorstein nicht Stand halten; er fiel zu Boden und der Riese auf ihn.
Als die Königstochter sah, in welcher Bedrängniß Thorstein sich befand, ergriff sie ein kurzes Schwert, welches einer der Riesen gehabt hatte, und durchborte damit den großen Riesen. Hierauf half sie Thorstein das Ungethüm abwälzen.
Nach all‘ diesen Erlebnissen hatte Thorstein nicht den Muth, seine Reise diesmal weiter fortzusetzen. Er kehrte daher mit der Königstochter wieder nach dem Hofe der Riesen zurück, und obwohl sie sich hier nicht gerne aufhielten, glaubten sie doch, daß sie eine Zeit lang dort bleiben sollten, um abzuwarten, ob nicht in der Nähe ein Schiff landen würde; denn der Hof lag ganz vorne am Meer. Auch wollten sie so viel als möglich von den Schätzen der Riesen mit sich nehmen.
Nach Verlauf einiger Zeit sahen sie endlich ein Schiff an’s Land kommen. Sie begaben sich zu der Mannschaft desselben, um zu unterhandeln. Der Capitän des Schiffes hieß Raudur und war ein Minister des Königs, des Vaters des Mädchens.
Der König hatte demselben seine Tochter versprochen, wenn er sie finden und ihm zurückbringen würde.
Die Schiffsmannschaft war sehr freundlich gegen Thorstein und die Königstochter und lud all‘ ihre Habe auf das Schiff; es war dies aber ein großer Reichthum. Hierauf bestiegen die Beiden selbst das Schiff und segelten mit demselben ab. Als sie auf die hohe See gekommen waren, ließ Raudur den Königssohn allein in einem Boote aussetzen, und die Mannschaft mußte ihm schwören, niemals von Thorstein zu sprechen, sondern zu sagen, daß er selbst die Riesen erschlagen und die Königstochter befreit habe; diese aber brachte er nicht dazu, einen Eid zu schwören, er mochte es mit guten Worten oder Drohungen versuchen. Gleichwohl glaubte Raudur Alles wohlgethan zu haben und segelte frohen Muthes heim.
Von Thorstein aber haben wir zu erzählen, daß das Boot mit ihm auf den Wogen dahintrieb und er von großer Furcht erfüllt war. Da hörte er Jemand sagen:
»Fürchte Dich nicht, wenn Du auch auf dem Meere herumgetrieben wirst; ich werde Dir helfen.«
Das Boot flog nun so rasch dahin, als ob es an Zügeln geführt würde und es kam ebenso schnell an’s Land wie das Schiff, doch an einer anderen Stelle als dieses. Derjenige aber, welcher das Boot an’s Land brachte, war der Todte, für den Thorstein früher die Schuld gezahlt hatte. Derselbe sagte zu Thorstein, daß er nun in das Land gekommen sei, welches der Vater des Mädchens beherrsche; er solle des Königs Pferdebursch werden und die rothen Pferde des Königs hüten; was sich aber unter ihrer Krippe befinde, gehöre ihm.
Hierauf verließ der Todte Thorstein; dieser ging in’s Königsschloß und wurde hier der Pferdewärter des Königs. Sein Rother war mit dem Schiffe ebenfalls dahin gelangt und wurde jetzt den rothen Pferden des Königs beigegeben. Er ließ jedoch Niemand in seine Nähe kommen als die Königstochter und den Pferdewärter.
Als der König seine Tochter wieder gefunden hatte, wurde er von unbeschreiblicher Freude erfüllt und ließ sogleich ein großes Freudenmahl für sie veranstalten. Bald darauf sollte auch Raudur seine Hochzeit mit der Königstochter halten. Sie wollte dies jedoch nicht, sondern bat den König, daß er den Pferdewächter seine Lebensgeschichte erzählen lassen möchte. Der König willigte ein, und es kam nun die ganze Wahrheit an den Tag.
Hierauf wurde Raudur getödtet und die Schiffsmannschaft gefoltert. Thorstein aber erhielt die Königstochter sammt der Hälfte des Reiches. Unter den Pferdekrippen fand er eine ungeheure Menge von Schätzen aller Art.
Nach dem Tode des Königs erhielt Thorstein das ganze Reich; er lebte lange und glücklich und galt für den ausgezeichnetsten König und wurde von Allen auf’s Innigste geliebt bis in sein hohes Alter.

[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]

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